Alexander Thomas’ Kulturstandardmodell hat auf dem Gebiet des interkulturellen Trainings großen Erfolg. Für mehr als 20 Länder hat er bisher so genannte „Culture Assimilator“ mitherausgegeben. Der Begriff „Kulturstandards“ findet sich in nahezu sämtlichen Seminar-beschreibungen von Anbietern interkultureller Trainings in Deutschland wieder. Demnach scheinen Kulturstandards einen praktikablen und wertgeschätzten Weg bei der Vermittlung interkultureller Kompetenz darzustellen.
Doch Thomas’ Modell ist nicht unumstritten. Zu den häufigsten Kritikpunkten zählen die Vorwürfe, Thomas missachte komplexe Zusammenhänge, stärke Stereotypenbildung und vermittle daher keine tiefgehende kommunikative Kompetenz. Auch in einer dieser Seminar-arbeit vorausgegangenen Seminardiskussion tauchten diese Kritikpunkte auf. Deshalb wurden im Seminar verschiedene Modelle des Kommunikationswissenschaftlers Friedemann Schulz von Thun als Alternative herangezogen, die ebenfalls in der interkulturellen Kommunikation eingesetzt werden. Im Mittelpunkt stand dabei Schulz von Thuns Modell des Kommunikati-onsquadrats.
Ich erörtere in dieser Arbeit die Frage, inwieweit das Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun eine Alternative zu Thomas’ weit verbreitetem Kulturstandardmodell darstellt. Daher werde ich zunächst das Kulturstandardmodell erläutern. Anschließend gilt es zu überprüfen, ob die Kulturbegriffe der beiden Autoren soweit übereinstimmen, dass ein Vergleich der bei-den Modelle sinnvoll ist. Dann werde ich anhand einer so genannten „kritischen Interaktions-situation“ zwischen einer Inderin und einer Deutschen, die von Thomas durch Heranziehen eines Kulturstandards gelöst wurde, prüfen, ob die Situation auch anhand des Kommunikati-onsquadrats hätte gelöst werden können. Abschließend werde ich im Hinblick auf die erfolgte Erörterung sowie grundsätzlicher Vor- und Nachteile beider Ansätze ein Fazit ziehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Grundlagen interkultureller Kommunikation und Kooperation nach Thomas
2.1 Zur Person Alexander Thomas und dem „Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation“
2.2 Der Kulturbegriff nach Thomas
2.3 Das Kulturstandardmodell
2.4 Kulturelle Überschneidungssituationen
2.5 Anforderungen in interkulturellen Interaktionssituationen
3. Erörterung: Das Kommunikationsquadrat als Alternative zum Kulturstandardmodell?
3.1 Zur Person Friedemann Schulz von Thun und dem Buch „Interkulturelle Kommunikation“
3.2 Vergleich der Kulturbegriffe Thomas’ und Schulz von Thuns
3.3 Das Kommunikationsquadrat nach Schulz von Thun
3.4 Vergleich beider Modelle anhand einer kritischen Interaktionssituation
4. Schlussfolgerungen und Fazit
5. Quellenangaben
5.1 Literaturangaben
5.2 Internetquellen
1. Einführung
Alexander Thomas’ Kulturstandardmodell hat auf dem Gebiet des interkulturellen Trainings großen Erfolg. Für mehr als 20 Länder hat er bisher so genannte „Culture Assimilator“[1] mitherausgegeben.[2] Der Begriff „Kulturstandards“ findet sich in nahezu sämtlichen Seminarbeschreibungen von Anbietern interkultureller Trainings in Deutschland wieder. Demnach scheinen Kulturstandards einen praktikablen und wertgeschätzten Weg bei der Vermittlung interkultureller Kompetenz darzustellen.
Doch Thomas’ Modell ist nicht unumstritten. Zu den häufigsten Kritikpunkten zählen die Vorwürfe, Thomas missachte komplexe Zusammenhänge, stärke Stereotypenbildung und vermittle daher keine tiefgehende kommunikative Kompetenz. Auch in einer dieser Seminararbeit vorausgegangenen Seminardiskussion tauchten diese Kritikpunkte auf. Deshalb wurden im Seminar verschiedene Modelle des Kommunikationswissenschaftlers Friedemann Schulz von Thun als Alternative herangezogen, die ebenfalls in der interkulturellen Kommunikation eingesetzt werden. Im Mittelpunkt stand dabei Schulz von Thuns Modell des Kommunikationsquadrats.
Ich erörtere in dieser Arbeit die Frage, inwieweit das Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun eine Alternative zu Thomas’ weit verbreitetem Kulturstandardmodell darstellt. Daher werde ich zunächst das Kulturstandardmodell erläutern. Anschließend gilt es zu überprüfen, ob die Kulturbegriffe der beiden Autoren soweit übereinstimmen, dass ein Vergleich der beiden Modelle sinnvoll ist. Dann werde ich anhand einer so genannten „kritischen Interaktionssituation“ zwischen einer Inderin und einer Deutschen, die von Thomas durch Heranziehen eines Kulturstandards gelöst wurde, prüfen, ob die Situation auch anhand des Kommunikationsquadrats hätte gelöst werden können. Abschließend werde ich im Hinblick auf die erfolgte Erörterung sowie grundsätzlicher Vor- und Nachteile beider Ansätze ein Fazit ziehen.
2. Grundlagen interkultureller Kommunikation und Kooperation nach Thomas
2.1 Zur Person Alexander Thomas und dem „Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation“
Alexander Thomas, Jahrgang 1939, studierte Soziologie, Psychologie und Politikwissenschaften. Von 1979 bis zu seiner Emeritierung 2005 hatte er die Professur für Sozial- und Organisationspsychologie in Regensburg inne. Er ist Mitglied mehrerer internationaler Fachgesellschaften, die sich mit interkulturellen Fragestellungen befassen.[3]
Thomas’ Forschungsschwerpunkte sind kulturvergleichende und interkulturelle Psychologie. Er hat zahlreiche Forschungsprojekte zu interkulturellem Handeln, interkultureller Kommunikation sowie in der Trainings- und Evaluationsforschung zur interkulturellen Kompetenz initiiert und betreut. An der Universität Regensburg hat Thomas das Zusatzstudium „Interkulturelle Handlungskompetenz“ mitbegründet, einen zweisemestrigen Studiengang, der Studenten[4] aller Fachrichtungen auf internationale Kooperation in der Arbeitswelt sowie auf Auslandsaufenthalte vorbereiten soll. Für diesen Studiengang erhielt Thomas 2003 den Sonderpreis des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst. 2004 wurde ihm der Deutsche Psychologiepreis für die wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der interkulturellen Psychologie verliehen.[5]
Thomas hat im Bereich der Sozialpsychologie und der interkulturellen Psychologie als Autor und Herausgeber eine große Zahl an Schriften veröffentlicht, welche sowohl grundlagen- als auch als anwendungsorientiert sind.[6] Er hat im Bereich der Psychologie interkulturellen Handelns über 40 Buchpublikationen zu verzeichnen, hinzu kommen über 150 Publikationen in Zeitschriften und Sammelbänden.[7] Grundlage meiner Ausführungen über Thomas’ Kulturstandardmodell sind seine Aufsätze aus dem „Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation, Band 1: Grundlagen und Praxisfelder“, herausgegeben mit Eva-Ulrike Kinast und Sylvia Schroll-Machl. Kinast und Schroll-Machl sind beide Diplom-Psychologinnen und als Trainerinnen im interkulturellen Bereich tätig.[8] Das Handbuch hat nach Angaben Thomas’ zum Ziel, kulturelle Sensibilität und interkulturelle Handlungskompetenz zu schaffen, um erfolgreiche Kooperation zwischen Interaktionspartnern mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund zu ermöglichen. Zielgruppe seien in erster Linie Unternehmen, Mitglieder interkultureller Teams sowie Fach- und Führungskräfte, die in ein fremdes Land entsandt werden sollen. Das Handbuch ist somit vor allem für die geschäftliche Zusammenarbeit konzipiert.[9]
2.2 Der Kulturbegriff nach Thomas
Zunächst möchte ich darlegen, was Thomas unter dem Begriff „Kultur“ versteht. Thomas definiert Kultur folgendermaßen:
„Kultur ist ein universelles Phänomen (...). Kultur strukturiert ein für die Bevölkerung spezifisches Handlungsfeld, das von geschaffenen und genutzten Objekten bis hin zu Institutionen, Ideen und Werten reicht. Kultur manifestiert sich immer in einem für eine Nation, Gesellschaft, Organisation oder Gruppe typischen Orientierungssystem. Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen (z.B. Sprache, Gestik, Mimik, Kleidung, Begrüßungsritualen) gebildet und in der jeweiligen Gesellschaft (...) tradiert (...). Das Orientierungssystem definiert für alle Mitglieder ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft (...) und ermöglicht ihnen ihre ganz eigene Umweltbewältigung. Kultur beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft. Das kulturspezifische Orientierungssystem schafft einerseits Handlungsmöglichkeiten und Handlungsanreize, andererseits aber auch Handlungsbedingungen und setzt Handlungsgrenzen fest (Thomas, 2003).“[10]
Thomas definiert Kultur als den von Menschen geschaffenen Teil der Umwelt.[11] Der zentrale Begriff der obigen Definition ist Orientierungssystem. Thomas nimmt an, dass der Mensch ein grundlegendes Bedürfnis nach Orientierung hat. Hierbei biete die Kultur eine wertvolle Hilfe, weil sie uns ermögliche, den uns umgebenden Dingen, Personen, Gegenständen und Prozessen Bedeutung und Sinn zu verleihen. Dieser Vorgang der Sinnstiftung verlaufe automatisch und folge, vermittelt durch die Kultur, kollektiven sozialverbindlichen Normen und Regeln. In das Orientierungssystem wachse man im Prozess der Sozialisation, welche sich durch die gesamte Lebensspanne ziehe, hinein. Im Zuge dieser sogenannten Enkulturation entwickle man - in Auseinandersetzung mit anderen Personen - Muster sozial relevanten Verhaltens. Als Resultat dessen verstehe man die Welt so und könne so mit ihr umgehen, wie es die Mehrzahl der Mitmenschen in der jeweiligen eigenen sozialen Gemeinschaft auch tun, verstehen und akzeptieren. Wahrnehmungs-, Denk-, Beurteilungs- und Verhaltensschemata seien durch soziale Lernprozesse verinnerlicht und nicht mehr bewusstseinspflichtig. Die Denk- und Handlungsroutine sei allerdings nicht starr sondern könne verändert werden, wenn Veränderungen in der sozialen Umwelt gehäuft und in ähnlichen Situationen wahrgenommen würden. Der Mensch eigne sich in der Sozialisation somit „Handwerkszeuge“ an, mit denen er sich in seiner Welt orientieren könne. Dies könne sowohl zur Anpassung an die gegebenen Verhältnisse (Adaptation) als auch zur Veränderung derselben (Innovation) eingesetzt werden. Das eigene Orientierungssystem versage, wenn der Interaktionspartner aus einer anderen Nation, Organisation oder Gruppe stamme und daher über ein anderes Orientierungssystem mit anderen Werten, Normen und Verhaltensregeln verfüge (hierauf gehe ich in Punkt 2.4 genauer ein).[12]
Thomas differenziert, dass neben der Kultur eines Landes auch Kulturen vieler anderer Gruppen existieren. So gebe es neben der Nationalkultur auch eine individuelle Organisationskultur in Unternehmen. Innerhalb dieser besäßen unterschiedliche Arbeitsgruppen wiederum jeweils eine spezifische Kultur. Thomas spricht sogar von einer spezifischen Kultur in Paarbeziehungen.[13] Das soziale Umfeld bildet somit Kultur, die wiederum unser Handlungsfeld strukturiert. Dieses soziale Umfeld ist nach Thomas per definitionem keineswegs nur im nationalen Kontext zu sehen, sondern kann gleichermaßen andere Gruppen betreffen. Eine einzige Person kann und wird infolgedessen Mitglied mehrerer Kulturen sein. In seinen weiteren Ausführungen über das Konzept der Kulturstandards verwendet Thomas den Begriff Kultur allerdings meist synonym mit „Nationalkultur“ beziehungsweise „Land“.
2.3 Das Kulturstandardmodell
Diverse Forschungsarbeiten haben laut Thomas ergeben, dass Mitglieder verschiedener Kulturen - unabhängig von Arbeitsaufgabe oder Arbeitsumfeld - unterschiedliche Problemlösungsstrategien an den Tag legen. Somit sei ein regelrecht „typisches“ Verhalten von Mitgliedern bestimmter Kulturen identifizierbar. Thomas konstatiert, dass hier Kulturstandards wirksam werden.[14]
Kulturstandards können nach Thomas allgemein durch fünf Merkmale definiert werden:
1. „Kulturstandards sind Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich und andere als normal, typisch und verbindlich angesehen werden.
2. Eigenes und fremdes Verhalten wird aufgrund dieser Kulturstandards gesteuert, reguliert und beurteilt.
3. Kulturstandards besitzen Regulationsfunktion in einem weiten Bereich der Situationsbewältigung und des Umgangs mit Personen.
4. Die individuelle und gruppenspezifische Art und Weise des Umgangs mit Kulturstandards zur Verhaltensregulation kann innerhalb eines gewissen Toleranzbereichs variieren.
5. Verhaltensweisen, die sich außerhalb der bereichsspezifischen Grenzen bewegen, werden von der sozialen Umwelt abgelehnt und sanktioniert.“[15]
[...]
[1] dabei handelt es sich um schriftliches Trainingsmaterial mit dem primären Trainingsziel, kognitive Merkmale interkultureller Handlungskompetenz aufzubauen. Dies geschieht durch das Verstehen und Erlernen spezifischer Kulturstandards. Vgl. Thomas, Kinast, Schroll-Machl (2005). Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation. Band 1: Grundlagen und Praxisfelder. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht S.189ff.
[2] vgl. die Veröffentlichungen von Thomas auf http://www.v-r.de/de/, Stand: 26.01.2008.
[3] vgl. http://www.psychologie.uni-regensburg.de/Thomas/mitarbeiter/thomas/thomas.html, Stand: 26.01.2008.
[4] an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die weibliche Form stets mitgemeint ist.
[5] vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Thomas, Stand: 26.01.2008. Wohlwissend, dass Wikipedia keine wissenschaftliche Quelle darstellt, halte ich die Enzyklopädie in den hier verwendeten Fällen für ausreichend.
[6] ebd.
[7] vgl. http://www.psychologie.uni-regensburg.de/Thomas/publikationen/Publikationen-ik.PDF, Stand: 26.01.2008.
[8] vgl. Thomas, Kinast, Schroll-Machl 2005 a.a.O. S.463.
[9] vgl. Thomas, Kinast, Schroll-Machl 2005 a.a.O. S.7ff.
[10] ebd. S.22.
[11] ebd. S.96.
[12] vgl. Thomas, Kinast, Schroll-Machl 2005 a.a.O. S.21ff.
[13] ebd. S.35ff.
[14] ebd. S.24f.
[15] ebd. S.25.
- Arbeit zitieren
- Friederike Knoblauch (Autor:in), 2008, Alexander Thomas’ Kulturstandardmodell und Friedemann Schulz von Thuns Kommunikationsquadrat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143676
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