Ich möchte im Rahmen dieser Arbeit den Versuch unternehmen, den Werkzyklus
‚Menschenbilder‘ der Berliner Gruppe Nico and the Navigators auf der Folie der
Reflexion einer postmodernen Identitätsproblematik zu lesen.
Schon der Titel ‚Menschenbilder‘ verweist auf die Möglichkeit dieser Themenstellung
und als ‚Bilder-Theater‘ inszenieren Nico and the Navigators dann auch verschiedene
Aspekte heutiger Lebenswelten, innerhalb derer irritiert blickende, abwesend
wirkende Figuren umherwandeln wie Fremde in einer entfremdeten Welt. Sie
visualisieren „die existentielle Verunsicherung des Einzelnen, der an der
Schnittstelle zwischen Sein und Design das Bewusstsein von sich selbst
verliert“1.
Die Regisseurin Nicola Hümpel benennt hier grundlegende Gefühle der
Verunsicherung und der Selbstentfremdung des ‚postmodernen‘ Menschen und
schlägt damit den Bogen zu einer Auseinandersetzung mit der Frage, wie und ob ein
Individuum heute eine Identität bilden kann.
Die Suche nach Identität und deren Konstituierung innerhalb der heutigen (westlichspätkapitalistischen)
Gesellschaftsformen weist einige spezifische Probleme aber
auch Möglichkeiten auf. Dass in der gegenwärtigen - postmodernen - Gesellschaft
„das ‚Menschliche‘ zunehmend auf biologische Prozesse reduziert (wird), was die
Vorstellung des Menschen von sich selbst rationalisiert und seine Gefühlswelt
kompliziert und verelenden läßt“2, konstatiert auch Nicola Hümpel.
Der traditionell ‚ganzheitliche‘ Identitätsbegriff der Moderne greift nicht mehr, aber es
lassen sich besonders in der reflexiven Sozialpsychologie Theoriebildungen
ausmachen, die sich mit der Konstruktion neuer ‚offenerer‘ Identitätsbegriffe vor dem
sozio-kulturellen Hintergrund der Postmoderne beschäftigen.
Zu Anfang meiner Arbeit möchte ich in Kapitel zwei auf ein zwei dieser aktuellen
Identitäts-Konzepte näher eingehen und dabei die realen Risiken und Problematiken
einer Identitätbildung für das ‚postmoderne‘ Individuum erläutern. Anschliessend umreisse ich kurz ‚typische‘ nachmoderne Störungsformen, die die ‚intakte‘ Identität
des Individuums heute vermehrt zu beeinträchtigen scheinen. In Kapitel drei versuche ich dann, innerhalb der Themenkreise der vier einzelnen
Inszenierungen: Arbeit – Abschied – Dinge – Familie die thematischen
Bezugsetzungen zum Subjekt und die Querverbindungen zur postmodernen
Identitätsproblematik aufzuzeigen. [...]
1 Slevogt, Esther. Kritik. taz 16-7-2001
2 www.navigators.de
Inhaltsverzeichnis
- Arbeitsthese: Werkzyklus lesbar als Reflexion postmoderner Identitätsproblematik?
- Theoretischer Hintergrund:
- Reflexiv-Sozialpsychologische Theoriebildungen zur postmodernen / nachmodernen Identität
- Patchwork-Identität (Keupp)
- Individuum - ein dynamisches System vielfältiger Teil-Selbste (Bilden)
- Neurotische Störungen in der Nach- / Postmoderne (Hohl)
- Der Werkzyklus ,Menschenbilder' und seine Themenkreise:
- Arbeit - Abschied – Dinge – Familie: Lebenswelten im sozio-kulturellen Kontext einer instabilen postmodernen Gesellschaft
- ,Eggs on earth': Arbeitswelt: das Subjekt zwischen Selbst-Verleugnung und Authentizität
- ,Lucky Days, Fremder': Abschied vs Neubeginn: Identitätssuche in der Klammer von Bruch und Diskontinuität
- ,Lilli in putgarden': Die belebte Dingwelt und das Individuum: von Konsum bis Fetischismus - Design bestimmt das Sein
- (,Titel noch unbekannt?'): Familie: Schauplatz der Verhandlungen
- Im Focus:,Lilli in putgarden‘- Inszenierung eines Spiels mit und über Dinge und Menschen
- Die Macht der Dinge: Vom herrschsüchtigen Eigenleben der Alltagsgegenstände - das unterworfene Subjekt
- Die Video-Clips: Präsentation verlebendigter Dinge – im poetischen Tanz der Verführung
- Zwischen Objekt-Liebe und mittelbaren Subjektbeziehungen: die neue Einsamkeit des Individuums - auf verlorenem Posten in einer Waren-Welt
- Conclusio: Auf der Suche nach der verlorenen Identität?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert den Werkzyklus „Menschenbilder“ der Berliner Performance/Theater-Gruppe Nico and the Navigators im Hinblick auf die Frage, ob er als Reflexion der postmodernen Identitätsproblematik gelesen werden kann. Die Autorin untersucht die Inszenierungen im Kontext von aktuellen reflexiv-sozialpsychologischen Theorien, die die Fragmentierung und Instabilität der Identität in der spätkapitalistischen Gesellschaft beleuchten.
- Reflexion der postmodernen Identitätsproblematik in der Theatergruppe Nico and the Navigators
- Analyse des Werkzyklus „Menschenbilder“ in Bezug auf die Konzepte der Patchwork-Identität, der dynamischen Teil-Selbste und der neurotischen Störungen in der Postmoderne.
- Bedeutung von Arbeit, Abschied, Dingen und Familie als zentrale Themen der Inszenierungen
- Untersuchung der Rolle von Konsum und Fetischismus in der Gestaltung des Individuums
- Die Verlebendigung von Objekten und die Darstellung des Subjekts in einer Warenwelt
Zusammenfassung der Kapitel
In Kapitel zwei werden die wichtigsten Theorien zur postmodernen Identitätsproblematik vorgestellt. Die Autorin zeigt die Risiken und Problematiken der Identitätssuche in der heutigen Gesellschaft auf und erläutert die Entstehung von neurotischen Störungen. Kapitel drei beleuchtet die verschiedenen Inszenierungen des Werkzyklus, die sich mit den Themenfeldern Arbeit, Abschied, Dinge und Familie auseinandersetzen. Dabei stellt die Autorin die spezifischen Herausforderungen der postmodernen Identitätsfindung im jeweiligen Themenbereich dar. Kapitel vier analysiert die Inszenierung „Lilli in putgarden“ im Detail und zeigt, wie die Gruppe Nico and the Navigators das Thema der bedrohten Identität des Subjekts in einer „Warenwelt“ darstellt. Die Autorin verortet die spezifischen Elemente der Theatersprache der Gruppe in der Inszenierung.
Schlüsselwörter
Postmoderne Identität, Nico and the Navigators, „Menschenbilder“, Werkzyklus, Patchwork-Identität, Teil-Selbste, Neurotische Störungen, Arbeit, Abschied, Dinge, Familie, Konsum, Fetischismus, Warenwelt, Theatersprache, Identitätssuche, Selbstentfremdung, Verunsicherung.
- Quote paper
- Babette Kraus (Author), 2002, Die Berliner Performance/Theater-Gruppe Nico and The Navigators: Werkzyklus 'Menschenbilder'- Auf der Suche nach der verlorenen Identität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14371