Die Exegeten des Korans


Hausarbeit, 2009

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Die Exegese des Korans – Eine Einführung

3. Sunnitische Exegese: Abû Dscha'far Muhammad Ibn Dscharīr Ibn Yazīd at-Ṭabarī

4. Schiitische Exegese: Abū ʿAbd Allāh Dschaʿfar ibn Muhammad as-Sādiq

5. Weitere Exegeten

6. Christliche Übersetzer: Robert von Ketton

7. Moderne und postmoderne Exegeten

8. Die Exegese des Korans am Beispiel der Sure 4,34

9. Relevanz und Konsequenzen für das Lehrerhandeln im Fach LER

10. Fazit

11. Literatur

12. Internet

1. Vorwort

Im Okzident des 21. Jhds, im „Westen“, v.a. in Europa, steht die Religion „Islam“ nicht überall im Zentrum der Gunst. Unter Laien greift die Unterstellung um sich, der Islam sei keine Religion, der Islam sei im Grunde politisch und terroristisch, quasi radikal motiviert. Mit jenem Argument wird die These von Rechtspopulisten untermauert, es gäbe eine „Islamisierung“, die die Werte des „Westens“ bedroht, welche das auch immer seien, ja der „Untergang des christlichen Abendlandes“ stehe bevor. Insofern jene „Islamophobie“[1], ein soziologischer Begriff Wilhelm Heitmeyers, mit dem er versucht, die feindselige Verachtung des Islams und der als Minderheit in einer Mehrheitsgesellschaft lebenden Muslime als abstrakte Kategorie zu beschreiben, die apokalyptische, gar paranoide und vor allem emotionale Züge aufweist, überhaupt tiefer rational untermauert wird, so mit dem Argument, der Islam begründe sich auf den Koran mit einer Akzentuierung auf die „satanischen“, auf die aus der Sicht der Europäer menschenrechtsverletzende Verse, die per se mit dem Grundgesetz oder mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung, als auch mit der abendländischen und christlichen Kultur in Europa nicht in Einklang zu bringen seien. Ferner wird angeführt, es gäbe im Islam keine Auslegung, keine Interpretation des Korans. Mit der hier folgenden Modularbeit will ich genau jenes Argument widerlegen. Es gibt eine Exegese des Korans, nicht nur eine, die Interpretation, die Deutung und Auslegung koranischer Verse und Zeichen, gar der Versuch der Übersetzung ist eine Jahrhunderte alte Tradition im Islam und sogar im Christentum des Mittelalters wurde versucht, den Koran zu verstehen, indem man ihn übersetzte. Im Folgenden werde ich auf sunnitische und schiitische, traditionelle und moderne Exegeten des Korans eingehen, werde ihre Motive und Akzente untersuchen.

Am Ende der Modularbeit werde ich am Beispiel der Koransure 4,34 beschreiben, wie eine Auslegung eines Verses im Koran denkbar sein kann. Ziel der hier vorliegenden Modularbeit ist es nicht, Apologetik zu betreiben, sehr wohl aber sich mit der Interpretation des Korans religionswissenschaftlich in Ansätzen auseinanderzusetzen.

Schließlich werde ich auf die Relevanz für das Lehrerhandeln im Fach Lebenskunde-Ethik-Religionskunde eingehen, das Thema im brandenburgischen Lehrplan verorten und Ansätze für den Umgang mit der Interpretation des Korans im Fach LER entwerfen.

2. Die Exegese des Korans – Eine Einführung …

Der Koran gilt als die zentrale heilige Schrift der Muslime. Er ist das Fundament der Religion des Islams. Als Offenbarung Gottes, als „Wort Allahs“ wurde der Koran durch den Engel Jibril (Gabriel) Wort für Wort an den Propheten Mohammad zwischen 610 und 632 n. Chr. herab gesandt. . Der Koran besteht aus 114 Suren (Surahs) und 6219 Versen (Ayat) in arabischer Sprache. Der Koran ist als poetisches Werk zu verstehen und soll rezitiert werden (75,17-19). Ein Eingriff des Menschen in die „Worte Allahs“, ein Verändern des Koran-Textes ist daher inakzeptabel[2] und wird als „Verfälschung“ aberkannt. Sein Inhalt wird von den Gründen der Offenbarung bestimmt, von den Ereignissen und Umständen des Lebens des Propheten Mohammad und der früheren Stammesgemeinschaft. Die ersten, sogenannten mekkanischen Suren (610-622 n. Chr.) handeln vom Jüngsten Gericht und von dem einen und einzigen Gott, der verehrt wird. In den folgenden meddinischen Suren, die nach der Hidschrah, der Flucht Mohammads aus Mekka nach Medina (622-632 n. Chr.) entstanden sind, beschäftigen sich mit Fragen der Lebensgestaltung, mit „sozialen, politischen und militärischen Themen“[3] In der Folgezeit gab man den Suren Namen. Nach unzähligen Rezitationen und Versionen stellte Ali ibn Abi Talib (598 – 661), ein Schwiegersohn und Cousin Mohammads, sie zu einem geschriebenen Text zusammen. Der dritte Kalif, ‘Utmān ibn Affan (574 –656), ließ jenen Koran-Band und weitere Versionen, die geschrieben worden waren, zerstören und einen bis heute erhaltenen Koran im Dialekt des Propheten, im Dialekt seine Stammes Qurayš, schreiben.

Die Frage bestand und besteht, heute wie früher, darin, wie der Moslem bzw. die Muslima oder auch wie Nicht-Muslime mit dem Koran umgehen können. Lawrence schreibt:

Während der Koran eine einheitliche, kohärente Wissensquelle darstellt, gibt es keine einheitliche Botschaft des Korans. Der Koran verlangt, wie jeder heilige Text, dass man ihn studiert. Der Akt des Studiums seiner Form, seines Inhalts und seiner zeitlichen Überlieferung wird Interpretation [arab.: „tafsīr“ تفسير ] genannt. Der Koran, wie auch die Thora und die Bibel, verlangt eine Form menschlicher Bemühung, die nicht von den bewussten und unbewussten Entscheidungen dessen, der sich bemüht, zu trennen ist. Jeder, der interpretiert, muss Entscheidungen treffen, jeder muss ein Prinzip von Interpretation folgen. Egal, wer Interpret ist, egal, von welcher Zeit oder von welchem Ort er oder sie den Koran anschaut, bestimmte Themen, Probleme oder Akzente werden ausgewählt und betont. Der Hauptunterschied besteht darin, ob der Text des Korans weit oder eng ausgewählt wird, oder genauer gesagt, ob bestimmte Verse und Passagen aus dem Zusammenhang genommen oder in ihrem vollständigen Kontext belassen werden, wenn man den Anspruch auf eine normative islamische Weltsicht erhebt.[4]

Kurzum: Die Beschäftigung mit dem Koran gebietet ein Verständnis für die Suren und Verse, gebietet eine Interpretation und Deutung des Textes. Jene Exegese ist von Zeit und Ort des Interpreten unbewusst oder bewusst determiniert. Daher wird der Koran in jeder Epoche und in immer wiederkehren Generationen immer wieder neu interpretiert. Unabhängig davon kommt es aber bei jeder Exegese, bei jeder Interpretation der Schrift, darauf an, inwiefern man den Koran als Ganzes im Rahmen von Zusammenhängen, v.a. in historischen und kohärenten Kontexten zu verstehen versucht bzw. inwiefern man dagegen negative oder positive Teile auf das Ganze, inwiefern man z.B. apopologetische oder „satanische Verse“ auf den gesamten Koran projiziert.

Khoury[5] beschreibt in diesem Sinne zwei Haltungen im Umgang mit dem Koran: Zunächst eine tiefe Ehrfurcht vor der wörtlichen Offenbarung, vor dem koranischen Text, andererseits, neben einer linguistischen, eine hermeneutisch orientierte Deutung des Korans, hinsichtlich der Umstände der Entstehung, oder der Kanonisierung des Buches im 7. Jahrhundert. Eine entsprechende Auslegung bzw. Exegese des Korans fordert einerseits die Einbettung des Korans in die Kontexte der historischen Begebenheiten während der Entstehung des Islams im 7. Jahrhundert, andererseits die Berücksichtigung der tribalen Gesellschaftsordnung der vorislamischen Zeit, z.B. die Zugehörigkeit des Propheten Mohammad zum Stamm der Quraisch in Mekka[6]. Ort, Zeit und Anlass der Einzeloffenbarungen sind nicht unerheblich. Die Unterscheidung der mekkanischen von den medininsische Suren[7] ist bedeutend für jede fundierte historische Interpretation. Weiterhin werden unterschiedliche Koranverse zu einem Thema herangezogen, sogenannte „parallele Stellen“ untersucht, auch Konkordanz[8] genannt. Vergleiche mit der Bibel sind dabei möglich, genauso wie mit der Thora oder mit dem Talmud, aber auch v.a. aber mit der Hadith-Literatur, der traditionellen Überlieferung über die Verwirklichung des Glaubens im Leben des Propheten Mohammad. All diese Möglichkeiten ergeben vielschichtige, fundierte, reflektierte, aber auch simplifizierte, einseitige und unüberlegte Exegeten. So existieren heute linguistische, philologische, theologische, apologetische, juristische und mystische Kommentare[9] zum Koran. Klassische sunnitische, schiitische Exegeten gesellen sich in die Reihe rationaler, moderner, gar postmoderner Interpretationen, die verschiedene inhaltliche, historische oder sprachliche Aspekte des koranischen Textes berücksichtigen. Grammatikalische und semantische Analaysen des Arabischen, gar des Syro-Aramäischen[10] werden eingesetzt, um den Koran zu erfassen. Die Möglichkeit der Heranziehung der frühen Exegese des Korans ist dabei schließlich weiterhin eine Methode, den Koran zu erfassen, zu verstehen und kennenzulernen.

Im Folgenden werde ich zunächst klassische, traditionelle sunnitische und schiitische Exegeten vorstellen, die die Exegese des Korans beeinflusst haben. Nach einem Ausflug in das christliche Mittelalter, in Versuche, den Koran in Latein zu übersetzen, werde ich moderne und postmoderne Exegeten untersuchen.

3. Sunnitische Exegese: Abû Dscha'far Muhammad Ibn Dscharīr Ibn Yazīd at-Ṭabarī

Die Sunna bezeichnet man im Islam die normsetzende Lebensweise des Propheten. Sunnitische Exegese ist daher die Interpretation des Korans auf der Grundlage der Tradition Mohammads. Als berühmtester, sunnitischer Exeget gilt heute Abû Dscha'far Muhammad Ibn Dscharīr Ibn Yazīd at-Ṭabarī (839-923), im Folgenden at-Ṭabarī genannt. Er wurde in der Mitte des 9. Jhds. geboren, in Persien, im heutigen Nordiran. Daher war er nicht mit Arabien verbunden, sondern stand in Konkurrenz um Prestige mit dem Geburtsort des Propheten[11]. Arabisch war seine Zweitsprache. Er studierte Rhetorik, Syntax und Eloquenz. In Zeiten at-Ṭabarīs gab es verschiedene Möglichkeiten, den Koran zu rezitieren und zu lesen. Rechtgelehrte versuchten daher , Offenbarungsströme und prophetischen Erfahrungen zu einem System von Tugenden und Verhaltensnormen zusammenzuführen[12] at-Ṭabarī war vom Rechtsgelehrten Abū ʿAbdullāh Muhammad ibn Idrīs al-Shafiʿī (767 - 820) begeistert, der versuchte, den Koran anhand des Beispiels des Lebens des Propheten zu deuten. Diese zwei Quellen, Botschaft und Bote, sollten an sich keine Widersprüche ergeben. at-Ṭabarī gehörte zu der sunnitischen Rechtsschule der Schāfi‘iyya. Er hörte aber auch auf die Stimme von Rechtsgelehrten, wie Ahmad Ibn Hanbal (780 – 855). at-Ṭabarī sammelte Schriften, Tribute und Überlieferungen über den Propheten und über den Koran in Bagdad, in Syrien und in Ägypten. Sein 5000seitiger, in 30 Bänden, 1903 in Kairo erstmalig gedruckter Korankommentar, verweist auf die Umstände, die den Anlass zur Herabsendung der Offenbarung gegeben haben.[13]. Vers für Vers legt at-Ṭabarī den Koran traditionell (tafsir bi-l-ma’thur) aus[14]. Als Vorbild dient ihm dabei die vorliegende Hadith-Sammlung. So belegt er auch viele seiner Kommentare mit der Hadith Literatur. Weiterhin greift er philologisch auch auf vorislamische Dichtung zurück.[15] at-Ṭabarī erläutert er Verse ferner auf der Grundlage grammatischer und linguistischer Erörterungen, auf der Basis der basrischen und kufischen Sprachwissenschaft.[16] Er nutzte außerdem unterschiedliche traditionelle, ihm schon vorliegende Auslegungen der Verse und bildet unter dem Einfluss dieser vielfältigen und interdisziplinären Möglichkeiten schließlich jeweils ein eigenes Urteil. Er teilte die Zeichen des Korans ferner in 3 Gruppen ein: In die Zeichen, die nur der Prophet deuten konnte (16,44 und 64), Verse, die nur Gott interpretieren könne, hier v.a. die Verse über das Jüngste Gericht, die auf Wissen beruhen, die der Prophet nicht haben konnte (7,181). Die große Mehrheit der Verse könnte dagegen jeder interpretieren, der des Arabischen mächtig wäre. Ziel von at-Ṭabarī war es, dass der Leser des Korans lernt, zwischen eindeutigen (muhkam) und mehrdeutigen (muthašābi) Zeichen bzw. Versen zu differenzieren[17]. at-Ṭabarī berief sich hierbei v.a. auf den Koranvers 3,7:

[...]


[1] Heitmeyer: S. 17

[2] Wimmer/Leimgruber: S. 41

[3] Lawrence: S. 12

[4] Lawrence: S. 18

[5] Khoury, 1988: S. 40

[6] Halm: S. 21

[7] Bobzin: S. 123

[8] Paret; vgl. auch: Khoury, 2009

[9] Khoury, 1988.: S. 41

[10] Luxenberg, 2007

[11] Lawrence: S. 70

[12] ebd.: S. 71

[13] Khoury, 1978: S. 131

[14] Bobzin: S. 114

[15] Hoffmann: S. 74, vgl. auch: Gätje: S. 54

[16] Gätje: S. 54

[17] vgl. hierzu: Bobzin: S. 110

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Exegeten des Korans
Hochschule
Universität Potsdam  (Kollegium LER (Lebenskunde-Ethik-Religion))
Veranstaltung
Modul Religionswissenschaft (Modul II)
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
20
Katalognummer
V143984
ISBN (eBook)
9783640520107
ISBN (Buch)
9783640521197
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Koran, Islam, Religion, Christentum, Exegese, Interpretation, Deutung
Arbeit zitieren
Udo Lihs (Autor:in), 2009, Die Exegeten des Korans, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143984

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