Dass Philosophie nicht nur im antiken Griechenland betrieben wurde, sondern auch der islamische Kulturkreis große Denker hervorgebracht hat, fand lange Zeit keine Würdigung. Man wies ihr wegen der Übersetzung wichtiger Werke aus dem Griechischen ins Arabische eher eine „Brückenfunktion“ zu, die die Weitergabe des antiken Wissens an das lateinische Mittelalter ermöglicht hatte. Die Übersetzertätigkeiten und damit die Anfänge der intensiven Rezeption der antiken Wissenschaften und der Entwicklung einer eigenständigen Philosophie begannen im 8./9. Jhd. n. Chr. Durch die Abbasiden wurden Syrien, Ägypten und Persien erobert, die vorher lange unter griechischem Einfluss gestanden hatten. Neues Wissen in den verschiedenen Gebieten (Mathematik, Astronomie, Geographie, Philosophie, Politik) war begehrt. Philosophisches Wissen wurde dabei erstmals in den Bereich der Politik eingebunden. Um dies zu beleuchten soll in dieser Arbeit auch auf Al-Fārābī eingegangen werden, der seine Hauptwerke der politischen Philosophie widmete und statt der religiösen Grundlage die Tradition einer rationalistischen Sichtweise begründete. Bei al-Fārābī (9. Jhd.) und später auch bei Ibn Rušd aus Cordoba (12. Jhd.) wurde die Vernunft in den Mittelpunkt gerückt und damit das religiöse Wissen und die Heilige Schrift als alleinige Grundlage des Denkens verlassen. Hier kollidierten die Philosophen mit den Rechtsgelehrten, die die Religion als Grundlage allen Denkens verteidigten. Ein bedeutender Verfechter der Religion als oberste Autorität war Muḥammad al-Ġazālī, der sich ausgiebig mit der Philosophie und dem Herausfinden ihrer Schwachpunkte beschäftigt hatte. Al-Ġazālī war sowohl in Hinblick auf seine spirituelle Entwicklung als auch in Bezug auf die Beurteilung der Philosophie ein besonderer Denker in seinen Reihen. Daher soll hier – wie im Titel angedeutet - auf sein Wirken und seine Methode besonders eingegangen werden. Außerdem werden sein Angriff auf die Philosophen und Ibn Rušds direkte Verteidigung derselben repräsentativ für den Konflikt dieser beiden Lager einander gegenübergestellt. Als spezielle Veranschaulichung der Meinungsverschiedenheiten dient der Disput über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Auferstehung des Leibes. Das Tauziehen von Religion und Philosophie um die Prävalenz als ideelle Basis des Denkens wurde zum Mittelpunkt des intellektuellen Diskurses im islamischen Mittelalter. Seine gedankliche Strömungen und deren Vertreter bilden den Kern dieser Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Voraussetzungen für den Einzug der Philosophie in das islamische Denken
- Der historische Hintergrund und die Wurzeln des philosophischen Denkens im Islam
- Die Schlüsselrolle der Mu'tazila
- Islamische Denker zwischen Rationalismus, Orthodoxie und Religionskritik
- Al-Fārābī und die gesellschaftlichen Umbrüche des 10. Jahrhunderts
- Muḥammad al-Ġazālī
- Die politischen Entwicklungen im islamischen Spanien und das Denken Ibn Rušds
- Die Auferstehung des Leibes – Gegenüberstellung phil. und theol. Standpunkte
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die Integration philosophischer Gedanken in die islamische Kultur und die damit verbundenen Konflikte zwischen rationalistischen und orthodoxen Strömungen im Mittelalter. Sie untersucht insbesondere die Rolle von Al-Ġazālī und Ibn Rušd im Spannungsfeld zwischen Philosophie und Religion, wobei die Frage der Auferstehung des Leibes als Beispiel für die unterschiedlichen Standpunkte dient.
- Der Einfluss der antiken Philosophie auf den islamischen Diskurs
- Der Konflikt zwischen Rationalismus und religiöser Orthodoxie
- Die Rolle von Al-Ġazālī und Ibn Rušd in der philosophischen und theologischen Debatte
- Die Bedeutung der "Umma" im Kontext des islamischen Denkens
- Die Frage der Auferstehung des Leibes als Beispiel für den Kontrast zwischen Philosophie und Theologie
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung skizziert die Anfänge der islamischen Philosophie und deren Bedeutung im Kontext der Übersetzungsbewegung und des Aufstiegs der Abbasiden. Sie betont die Rolle der philosophischen Debatte in der islamischen Gesellschaft und stellt Al-Ġazālī und Ibn Rušd als zentrale Figuren des Konflikts zwischen Vernunft und Religion vor.
- Die Voraussetzungen für den Einzug der Philosophie in das islamische Denken: Dieses Kapitel untersucht die historischen Hintergründe der islamischen Philosophie und die Bedeutung der Mu'tazila als wichtige Strömung innerhalb der islamischen Theologie. Es werden die Herausforderungen der frühen islamischen Gesellschaft und die Rolle des "bayt al-ḥikma" als Zentrum der Übersetzungstätigkeit und des wissenschaftlichen Diskurses beleuchtet.
- Islamische Denker zwischen Rationalismus, Orthodoxie und Religionskritik: Dieses Kapitel widmet sich den zentralen Figuren des islamischen Denkens, Al-Fārābī und Muḥammad al-Ġazālī. Es beleuchtet die philosophischen Ansätze und die jeweiligen Positionen im Verhältnis zur religiösen Orthodoxie. Das Kapitel beschreibt die Rolle der Vernunft im Denken Al-Fārābīs und den kritischen Ansatz von Al-Ġazālī in Bezug auf die Philosophie.
Schlüsselwörter
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem philosophisch-theologischen Diskurs im mittelalterlichen Islam, insbesondere mit den Schlüsselfiguren Al-Ġazālī und Ibn Rušd. Die zentralen Themen sind die Integration der antiken Philosophie in das islamische Denken, der Konflikt zwischen Vernunft und Religion, die Rolle der "Umma", die Bedeutung des "bayt al-ḥikma" und die Frage der Auferstehung des Leibes.
- Arbeit zitieren
- M.A. Britta Werner (Autor:in), 2009, Al-Ġazālī und der theologisch-philosophische Diskurs im mittelalterlichen Islam, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144079