Gestaltung sozialer Beziehung in einer heterogenen Lerngruppe

Welche Möglichkeiten bieten kooperative Lernprozesse zur Entfaltung persönlicher und sozialer Kompetenzen?


Examensarbeit, 2009

24 Seiten, Note: 3


Leseprobe


1. EINLEITUNG

Die Schule stellt für Schülerinnen und Schüler1 eine wichtige Sozialinstanz dar, die sie verantwortungsbewusst auf die berufliche Zukunft vorbereiten soll. Zu deren wesentlichen Merkmalen gehören gegenwärtig Teamfähigkeit, ein sicherer Umgang mit neuen Medien sowie die Fähigkeit zum selbständigen Arbeiten. Es handelt sich hierbei um Kern- kompetenzen, die in der Schule jedoch bisher nur in geringem Umfang vermittelt werden können, da sich der Unterricht häufig auf den reinen Wissenserwerb beschränkt, der zudem regelmäßig in Form eines „Frontalunterrichts“ abgehalten wird, mit der Folge, dass sich nur ein Teil der Sch. an Unterrichtsgesprächen beteiligt, während ein anderer Teil sich zurückzieht, sich benachteiligt fühlt und sich vom Meinungsaustausch und von der Klasse isoliert (Bornschein / Kliebisch 2001, III). Diese Problematik wird auch durch den Einsatz von Gruppenarbeit kaum verringert, da sich hier regelmäßig beobachten lässt, dass in den Gruppen die leistungsstärkeren Sch. die Arbeit erledigen, die eigentlich von der gesamten Gruppe geleistet werden sollte. Gruppenarbeit allein lässt sich daher noch nicht als eine Form sozialen Lernens auffassen, in der die Mitglieder einer heterogenen Lerngruppe eine soziale Beziehung gestalten, gemeinsame Ziele verfolgen und das Ergebnis des einen vom Handeln des anderen abhängt und mitbestimmt wird. Um dies zu erreichen, ist es vielmehr notwendig, eine Lernumgebung zu schaffen, die auf Kooperation und sozialer Interdependenz basiert und damit wesentlich zum Lernerfolg beitragen kann (Green / Green 2005, 32).

Kooperatives Lernen vermittelt nicht nur den Unterrichtsstoff, es fördert darüber hinaus die mündlichen Kommunikations- sowie soziale Interaktionsfähigkeiten; das dadurch erreichte höhere Niveau im kognitiven Bereich hilft Sch. durch Diskussionen und Debatten bei der gedanklichen Klärung und verbessert ihre Selbstachtung (http://www.learn-line.nrw.de). Johnson et al. weisen darauf hin, dass viele Defizite von Sch., die in der PISA-Studie ermittelt wurden, durch das kooperative Lernen beseitigt werden könnten. Sch. lernen bei diesem Verfahren „fürs Leben“ und entwickeln somit Einstellungen und Fähigkeiten, die für ihre Zukunftsgestaltung wichtig sind. Durch demokratisch vermittelte Werte sollen sie zu mündigen Mitgliedern der Gesellschaft werden, die auch in ihrer Kreativität und Individualität gefördert werden (Johnson et al. 2005, 8). Diese positiven Wirkungen des Kooperativen Lernens enden nicht mit dem Schulaustritt, sondern werden beim Eintritt in das Berufsleben mitgenommen und erweisen sich als Kompetenzen, die es den Sch. zunächst einmal ermöglichen, sich erfolgreich um einen Ausbildungsplatz zu bewerben. Die sozialen Kompetenzen des Einzelnen haben darüber hinaus Einfluss darauf, ob er in der Lage ist, seine Aufgaben in einer Gruppe zu erfüllen, was gegenwärtig eine große Rolle auch für den Erhalt des Arbeitsplatzes spielt. Doch nicht nur auf die beruflichen Anforderungen sollen Sch. durch den Einsatz kooperativer Lernformen vorbereitet werden; auch im Privatleben spielen diese eine nicht unerhebliche Rolle, da die damit erworbenen Kompetenzen für das Gestalten persönlicher Beziehungen ebenfalls unerlässlich sind. Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass der Einsatz kooperativer Lernformen im Unterricht wichtige Impulse für den zukünftigen Erfolg und das persönliche Glück der Sch. geben kann (Brüning / Saum 2006, 1). Aus diesem Grund möchte ich mich in der vorliegenden Arbeit mit den Grundlagen des kooperativen Lernens befassen und untersuchen, welche Möglichkeiten kooperative Lernprozesse zur Entfaltung persönlicher und sozialer Kompetenzen bieten können. Dabei stütze ich mich auf Beobachtungen aus der von mir unterrichteten, heterogenen Lerngruppe, die mit Formen kooperativen Lernens bisher wenig vertraut ist. Im Gegenteil zeigt sich bei den Sch. dieser Lerngruppe, dass sie kaum bis gar nicht in der Lage sind, anderen zuzuhören, in Arbeitsgruppen zu produktiven Ergebnissen zu gelangen oder Verantwortung für die Leistung ihrer Mitschüler zu übernehmen. Daher muss ein Schwerpunkt in der Arbeit mit dieser Gruppe - und entsprechend der Darstellung in der vorliegenden Arbeit - zunächst in der Einrichtung funktionierender Lerngruppen liegen, in denen die Sch. lernen, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Den Vorgaben der KMK zufolge lässt sich meine Arbeit daher vor allem dem Kompetenzbereich 4 (Erziehen) und den Standards von Kompetenzbereich 6 (Gestalten sozialer Beziehungen und sozialer Lernprozesse, Erarbeiten und Umsetzen von Umgangsregeln) zuordnen.

Ziel meiner Arbeit ist es, darzustellen, wie die sozialen und persönlichen Kompetenzen einer heterogenen Lerngruppe im Unterricht durch den Einsatz kooperativer Lernformen gefördert werden können. Hierzu ist es erforderlich, sich sowohl grundlegende theoretische Kenntnisse über die Bedingungen kooperativen Lernens zu verschaffen als auch deren praktische Durchführbarkeit zu reflektieren. Die Arbeit gliedert sich daher in folgende Bereiche:

Im zweiten Kapitel wird der theoretische Hintergrund insoweit dargestellt, als dies für das Verständnis der praktischen Umsetzung von Bedeutung ist, wobei vor allem die Begriffe „individualisiertes Lernen“, „Konkurrenzlernen“ und „Kooperatives Lernen“ voneinander abgegrenzt werden sollen. Darüber hinaus werden die Notwendigkeit und die Grundbedingungen des kooperativen Lernens dargestellt, die positive Auswirkungen auf die schulischen Leistungen und das Privatleben der Sch. haben.

Im dritten Kapitel wird die schulpraktische Umsetzung dargestellt, wobei insbesondere auf soziale Beziehungen innerhalb der heterogenen Lerngruppe, die Strukturierung des Unterrichts sowie auf den Einsatz verschiedener Methoden eingegangen werden soll. Hierbei wird, in der Absicht, die Problematik der Umsetzung ebenso darzustellen wie Lösungsansätze aufzuzeigen, auf die grundsätzlichen Fragen eingegangen, welche Voraussetzungen es Sch. ermöglichen, erfolgreich kooperativ zu arbeiten und welche Hindernisse bzw. Fördermaßnahmen sich bezüglich des Erwerbs persönlicher und sozialer Kompetenzen beobachten lassen. Hierbei werden konkrete Aspekte der Planung bzw. Durchführung berücksichtigt, indem z.B. die Art der Gestaltung von Arbeitsaufträgen und der Arbeitsteilung in den Gruppen thematisiert wird. Im vierten und fünften Teil der Arbeit schließlich werde ich Konsequenzen für die schulpraktische Arbeit aufzeigen und in einem kurzen Ausblick das bis dahin Dargestellte auf die Beantwortung der Leitfrage hin zusammenfassen.

2. Theoretische Grundlagen

2.1 Formen des Lernens

Schulischer Erfolg kann mithilfe unterschiedlicher Lernformen erreicht werden und verlangt daher eine Entscheidung, was als angemessen und durchführbar im Hinblick auf die zu erreichenden Ziele betrachtet wird. Lt. Green lassen sich geeignete Lernformen in die Unterkategorien „Konkurrenzlernen“, „individualisiertes“ Lernen und „kooperatives Lernen“ einteilen. Alle drei Formen stehen Sch. und L. zur Wahl, gemeinsam sollte entschieden werden, welche gewählt werden und mit welchen Konsequenzen infolgedessen zu rechnen ist (Green/Green 2005, 46-47). Im Folgenden soll daher kurz skizziert werden, wie sich kooperatives Lernen von anderen Lernformen unterscheidet. Die Titelwahl der einzelnen Abschnitte folgt dabei den Vorgaben von Green / Green (2005, 46).

2.1.1 Konkurrenzlernen (ich anstatt du)

Lernen in einer Konkurrenzsituation bedingt, dass nicht alle Sch. das jeweilige Ziel erreichen können, was zur Folge hat, dass die Sch. gegeneinander handeln müssen. Dies impliziert, dass sie versuchen werden, schneller und besser zu arbeiten als ihre Mitschüler und sich über deren Misserfolge freuen. Schulnoten werden dementsprechend als ein begrenztes Gut angesehen, um das ein Kampf entsteht, den nur die „Starken“ gewinnen können. Insgesamt entsteht hier also eine Wettbewerbssituation, die die Sch. glauben macht, dass sie ihr Ziel nur dann erreichen können, wenn anderen dies nicht gelingt (Johnson / Johnson / Holubec 2005, 15).

2.1.2 Individualisiertes Lernen (ich allein)

Bei dieser Lernform ignoriert der Sch. seine Mitschüler, er bestimmt selbst, wie schnell er vorankommt. Ohne sich um seine Mitschüler zu kümmern, neigt er dazu, seine individuellen Ziele erreichen zu wollen. Somit halten Sch., die diesen Lernweg wählen, den Erfolg oder Misserfolg anderer Sch. für unwichtig, sie kümmern sich nur um ihre persönlichen Interessen und erkennen allein den Wert ihrer individuellen Anstrengungen und Leistungen an. Ein Zusammenhang zwischen den Leistungen der anderen und den eigenen wird nicht erkannt (ebd., 16).

2.1.3 Kooperatives Lernen (wir statt ich)

In dieser Lernsituation arbeiten die Sch. zusammen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Jeder Sch. strebt nach einem Ergebnis, von dem alle Gruppenmitglieder profitieren; der Gruppenerfolg hängt vom Erfolg aller ab (Johnson/Johnson/Holubec 2005, 16). Diese Erkenntnis sowie die erforderliche enge Zusammenarbeit der Gruppenmitglieder bietet dabei gleichzeitig die Möglichkeit, neben den fachlichen auch persönliche und soziale Kompetenzen zu erwerben.

Die kooperative Lernsituation beinhaltet ein „ kluges, Kr ä fte schonendes Umgehen mit der Heterogenit ä t von Lernenden (und Lehrenden), mit Alltagskonflikten mit Leistungs- anspr ü chen und -motivation sowie mit den sozialen Kompetenzen aller an Schule […] Beteiligten “ (Green / Green 2005, 16). Kooperatives Lernen lässt sich damit nicht nur als eine Unterrichtsmethode verstehen, sondern auch als eine Art „persönliche Philosophie“, die den respektvollen Umgang mit anderen Menschen ebenso beinhaltet, wie sie die persönlichen Leistungen und Beiträge der Gruppenmitglieder betont (Green / Green 2005, 16). Dass diese Lernform sich im Unterricht als äußerst effektiv erweist, belegen empirische Untersuchungen, in denen die drei genannten Lernformen verglichen wurden, wobei dem kooperativen Lernen die besten Resultate attestiert wurden (http://www.lernkompetenz.th.schule.de). Aufgrund dieser Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen wie auch meiner eigenen Beobachtungen habe ich mich für den Einsatz kooperativer Lernformen im Unterricht entschieden, was im Folgenden zusätzlich durch die Darstellung von Problemen aus der Unterrichtspraxis begründet werden soll.

2.2 Warum kooperatives Lernen?

Da in der Schule gegenwärtig noch der sog. Frontalunterricht dominiert, haben Sch. kaum die Möglichkeit, ihre eigene Teamfähigkeit zu erproben und Formen des verantwortlichen, selbständigen Arbeitens einzuüben. Somit bleibt auch der Erwerb wichtiger sozialer Kompetenzen (s.u.) unberücksichtigt. Es stellt sich daher die Frage, warum L. auf den Einsatz kooperativer Lernformen verzichten, die doch theoretisch insgesamt eine hohe Achtung genießen und geeignet scheinen, die Lernerfolge der Sch. deutlich zu verbessern.

Im Rahmen meiner Hospitationsphase fand ich eine erste Antwort auf diese Frage in der pessimistischen Einstellung vieler L. gegenüber Gruppenarbeit, die häufig als ordnungslos und undiszipliniert beurteilt wird, sodass die L. befürchten, die Kontrolle im Klassenzimmer zu verlieren (http://www.lernkompetenz.th.schule.de/).

Meiner Ansicht nach besteht ein weiterer Grund in der Tatsache, dass Gruppenarbeit bzw. kooperative Lernformen einen erheblichen Planungsaufwand mit sich bringen, zumal häufig keine geeigneten Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stehen, die dann selbst erstellt werden müssen. Wenngleich es sich hier um ernst zu nehmende Einwände handelt, scheint mir der Lösungsansatz in der konsequenten Durchführung kooperativer Lernformen selbst zu liegen. Was anfänglich viel Zeit kosten mag, wird sich auf Dauer als eine Entlastung auch des L. erweisen.

Kooperatives Lernen integriert die Sch. in einen aktiven, schülerorientierten Lernprozess, in dem dauerhafte Problemlöse- und Lernstrategien entwickelt werden, die für die Herausforderungen des Lebens und des beruflichen Weiterkommens nötig sind. Die schulpraktische Umsetzung wird seit über 30 Jahren durch Forschung begleitet, unter deren Ergebnissen z. B. die Entwicklung von Denkvermögen auf höherem Niveau, Zuwachs der Schüleraufmerksamkeit, Steigerung des Selbstwertgefühls, Entwicklung von sprachlichen Kompetenzen, Entwicklung des Wir-Gefühls und Übung von Sozialkompetenzen hervorzuheben sind (Green / Green 2005, 33f).

[...]


1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden die Bezeichnungen „Schülerin/-nen“ und „Schüler“ sowie „Lehrerin/-nen“ und „Lehrer“ im Folgenden durch die als geschlechtsneutral aufzufassenden Kürzel „Sch.“ bzw. „L.“ dargestellt.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Gestaltung sozialer Beziehung in einer heterogenen Lerngruppe
Untertitel
Welche Möglichkeiten bieten kooperative Lernprozesse zur Entfaltung persönlicher und sozialer Kompetenzen?
Note
3
Autor
Jahr
2009
Seiten
24
Katalognummer
V144419
ISBN (eBook)
9783640548200
ISBN (Buch)
9783640550715
Dateigröße
515 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gestaltung, Beziehung, Lerngruppe, Welche, Möglichkeiten, Lernprozesse, Entfaltung, Kompetenzen
Arbeit zitieren
Nuran Ozan (Autor:in), 2009, Gestaltung sozialer Beziehung in einer heterogenen Lerngruppe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144419

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