Homöostase und Persönlichkeit

Das Kompensationsprinzip in der Typologie von C.G. Jung in Bezug auf das Konzept der Homöostase in Psychologie und Systemtheorie


Bachelorarbeit, 2009

91 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

1 Einleitung

2 Uber die Relativitat typologischer Systeme

3 Die Typologie von Carl Gustav Jung
3.1 Einfuhrung
3.2 Das Kompensationsprinzip von C.G. Jung
3.3 Die vier Bewusstseinsfunktionen in der Typologie
3.4 Extraversion und Introversion
3.4.1 Extraversion
3.4.1.1 Einstellung des Bewusstseins
3.4.1.2 Einstellung des Unbewussten
3.4.1.3 Extravertierter Denktypus
3.4.1.4 Extravertierter Fuhltypus
3.4.1.5 Extravertierter Empfindungstypus
3.4.1.6 Extravertierter intuitiver Typus
3.4.2 Introversion
3.4.2.1 Einstellung des Bewusstseins
3.4.2.2 Einstellung des Unbewussten
3.4.2.3 Introvertierter Denktypus
3.4.2.4 Introvertierter Fuhltypus
3.4.2.5 Introvertierter Empfindungstypus
3.4.2.6 Introvertierter Intuitiver Typus
3.4.3 Hauptfunktion und Hilfsfunktion
3.4.4 Zusammenfassung

4 Einfuhrung in systemtheoretische Fachbegriffe
4.1 Code
4.2 Autopoiesis
4.3 Selbstorganisation
4.4 Feedback

5 Homoostase und Personlichkeit
5.1 Zum Konzept der Homoostase in Bezug auf die Physiologie
5.2 Psychische Homoostase im psychologischen Kontext
5.3 Psychische Homoostase im systemtheoretischen Kontext
5.4 Ober die ZweckmaBigkeit der Homoostase
5.5 Zusammenfassung

6 Homoostase und die Typologie von C.G. Jung
6.1 Homoostase, Selbstorganisation und Kompensation
6.2 Bewusstseinsfunktionen und Homoostase
6.3 Feedback und Homoostase
6.4 Storungen und Homoostase
6.5 Therapie und Homoostase
6.6 Zusammenfassung

7 Schlussbetrachtung

8 Literaturverzeichnis

9 Abbildungsverzeichnis

10 Internetquellen

Zusammenfassung

Die vorliegende Bachelorarbeit beschaftigt sich mit der Beziehung zwischen dem Prinzip der Kompensation in der Typologie von Carl Gustav Jung und dem Konzept der Homoostase in Bezug auf Psychologie und Systemtheorie. Das Prinzip der Kompensation besagt, dass die Psyche sich bestandig selbst reguliert und dadurch ein relatives Gleichgewicht aufrecht zu erhalten versucht. Auf die Typologie C.G. Jungs bezogen, beschreibt das Kompensationsprinzip einen bestandigen gegenseitigen Ausgleich verschiedener Funktionen (Denken, Fuhlen, Empfindung, Intuition), die das Bewusstsein zur Orientierung im Leben benutzt. Der Begriff der Homoostase ist in der Physiologie schon lange bekannt. Dieser beschreibt eine permanente Regulierung physiologischer Parameter wie z.B. Korpertemperatur, Blutdruck, Salzgehalt etc. durch bestimmte Ausgleichsmechanismen hin zu einem relativen Gleichgewicht. Diese Ansicht der Homoostase, wurde in der Mitte des letzten Jahrhunderts vermehrt auf psychologische Konzepte ubertragen. Eine Analogie zum Kompensations - und Homoostasekonzept findet sich ebenso innerhalb der Paradigmen der allgemeinen Systemtheorie wieder, die von komplexen autopoietischen und sich selbstorganisierenden Systemen ausgeht. Diese Arbeit bringt die Konzepte dieser Disziplinen in Verbindung und zeigt, dass die Jungsche Typologie implizit ein homoostatisches Prinzip des psychischen Apparates mit seinen Bewusstseinsfunktionen annimmt und weiterhin, dass das Konzept der Homoostase einen weit reichenden Erkenntnisgehalt fur die psychologische Forschung besitzt.

1 Einleitung

Der Konflikt liegt im Menschen. Wenn er dort nicht gelost wird, kann er sonst nirgendwo gelost werden. In dir wird Politik gemacht, zwischen zwei Teilen deines Geistes [...] Was Gurdjieff die Kristallisation des Seins nannte, ist nicht anderes als zwei Geister, die eins werden, das Treffen der inneren Frau mit dem inneren Mann, das Treffen von Yin und Yang, von Rechts und Links, das Treffen von Login und Unlogik, das Treffen von Plato und Aristoteles.

Osho

Mit diesem Zitat soll der Rahmen dieser Arbeit verdeutlicht werden: Die unmittelbare Tendenz einer Vereinigung der Gegensatze, die Erhaltung eines immanenten Gleichgewichts der menschlichen Psyche. Etwas genauer gesagt, die Tendenz der Gleichgewichtserhaltung zweier Orientierungsfunktionen des Bewusstseins, die durch auBere Umstande aus einer ursprunglichen Einheit in die Vielheit gedrangt wurden und ein Dasein in Spannung fristen, jedoch wieder nach Vereinigung streben. Diese fur das Oberleben eines Organismus so wichtige Tendenz des Ausgleichs, die C.G. Jung als Kompensation definierte, wird unter dem Begriff der Homoostase in einen hoheren Kontext uberfuhrt, wobei die Konzepte der Systemtheorie als Bindeglied dienen. Denn bekanntermaBen ist die Systemtheorie eine Theorie von Systemen, so wie sie uberall in der Natur vorzufinden sind. Auch die menschliche Psyche ist ein System, wenn nicht sogar das komplexeste uberhaupt.

Seit der Definition durch Walter Cannon in den 30er Jahren wird der Begriff der Homoostase in Bezug auf den Korper des Menschen und dessen physiologische Regelungsmechanismen innerhalb der Physiologie vielfach angewandt. Doch in dieser Arbeit geht es nicht primar um den menschlichen Korper. Es soll dargestellt werden, dass Carl Gustav Jung, der Begrunder der Analytischen Psychologie, in seiner Vorstellung von der Psyche, ein sich selbst regulierendes System voraussetzte. Ein System, dass in all seinen Erscheinungsformen nach einem Gleichgewicht, einer Homoostase strebt, genauso wie dies der Korper tut, um sein Oberleben zu sichern. Hierbei ging Jung davon aus, dass das Unbewusste diejenige Instanz ist, welche einseitige Einstellungen und Neigungen des Bewusstseins korrigiert, um somit fur das Individuum eine Lebensgrundlage zu schaffen, die sich in einem relativen Gleichgewicht bewegt. Es soll einerseits gezeigt werden, inwiefern die Psyche als ein autonomes System betrachtet werden kann und wie bestimmte Paradigmen der Systemtheorie auf das Kompensationsprinzip im Rahmen der Typologie C.G. Jungs angewandt werden konnen; denn die Systemtheorie beschreibt die Psyche als ein komplexes, autopoietisches System, dass sich selbst steuert, reguliert und organisiert. Es finden sich hier weitreichende Hinweise auf eine Systemqualitat der menschlichen Psyche.

Diese Arbeit besteht aus drei Teilen: Im ersten Teil erfolgt eine zusammenfassende Darstellung der Typologie von C.G. Jung, welche einen besonderen Schwerpunkt auf die kompensatorische Qualitat der unterschiedlichen Typen legt. Im zweiten Teil wird etwas naher auf einige, fur diese Arbeit relevante, systemtheoretische Fachbegriffe eingegangen und weiterhin die Erkenntnisse psychologischer und systemtheoretischer Wissenschaften bezuglich eines Konzeptes der Homoostase naher erlautert. Im letzten Teil dieser Arbeit wird das Kompensationsprinzip innerhalb der Typologie C.G. Jungs in einen Bezug zur Homoostase gesetzt. Hierbei spielen die systemtheoretischen Fachbegriffe der Autopoiese und Selbstorganisation von Systemen eine besondere Rolle. Weiterhin wird erlautert, in welcher Beziehung psychische bzw. physische Storungen mit Homoostase stehen und es werden zwei Therapieformen erwahnt, die sich mit diesem Konzept befassen.

2 Uber die Relativitat typologischer Systeme

Die Idee, Menschen konstante Personlichkeitseigenschaften zuzuweisen, um diese besser verstehen und beschreiben zu konnen, ist nicht neu. Schon fruh postulierten wache Geister verschiedene Typen von Menschen, die sich z.B. durch die Auspragungen ihrer »Korpersafte« unterscheiden sollten (Jung, 2003; Bents, R. & Blank, R., 2003). Mit jedem Korpersaft - so wurde angenommen - gehen verschiedene Personlichkeitseigenschaften einher, deren Eigenschaftsauspragungen durch diese determiniert sind. Neuere typologische

Ansatze wie z.B. die Personlichkeitstheorie

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Abbildung 1. Entstehung verschiedener Temperamentstypen

anhand der Verteilung ihrer Korpersafte. Jeder Auspragung der der Big Five gehen ebenfalls von gewissen Korpersafte geht mit verschiedenen Personlichkeitseigenschaften einher. (Quelle: Bents, R. & Blank, R., 2003, S.25) Eigenschaften aus, die sich unterschiedlich im Individuum ausgepragt haben. Es soll hier jedoch keine tiefgreifende geschichtliche Darstellung der Entstehung von Personlichkeitstheorien erlautert, sondern lediglich illustriert werden, dass die Einteilung in Klassen oder Typen schon immer eine menschliche Tendenz war, die dem Zweck diente, die vielseitigen Facetten des menschlichen Charakters auf spezifische, konstante Eigenschaften zu reduzieren. Die Einteilung in bestimmte Typen von Menschen hat den Vorteil, einen allgemeinen Konsens zu schaffen, anhand dessen aus der Vielfalt menschlicher Individualitaten bestimmte psychologische Kriterien extrahiert werden konnen. Zu seiner Typologie sagt Jung:

Das von mir in Vorschlag gebrachte, auf praktischer Erfahrung beruhende typologische System ist ein Versuch, der bisher vorherrschenden, schrankenlosen individuellen Variation in der psychologischen Auffassungsbildung eine Grundlage und einen Rahmen zu geben. Beschrankende Bestimmungen irgendwelcher Art werden fruher oder spater im Gebiete unserer noch jungen Wissenschaft unumganglich werden, denn einmal mussen sich die Psychologen auf gewisse, willkurlicher Deutung entzogene Grundlagen einigen, soll ihre Psychologie nicht ein unwissenschaftliches Zufallsgemenge individueller Meinungen bleiben. (Jung, 2003, S.25)

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Wie im Spateren noch deutlich werden wird, geht mit einem bestimmten Typus ebenso ein spezifisches geistiges Ungleichgewicht einher. Im Rahmen dieser Arbeit ist es jedoch nicht moglich, auf alle Einzelheiten und Eigenschaften bis ins Detail einzugehen. Fur eine genaue Darstellung der einzelnen Typen verweise ich auf Jungs Werk: Typologie.

Es stellt sich nun allerdings die prinzipielle Frage, ob es uberhaupt moglich ist, den Menschen quasi in »Schubladen« zu stecken und aus der Mannigfaltigkeit der menschlichen Qualitaten eine gewisse Tendenz herauszufiltern, die auch einen entsprechenden Wirklichkeitsbezug hat. Dieser Nachweis gestaltet sich aus systemtheoretischer Sichtweise recht schwierig, da immer ein Betrachter vorhanden ist, der das zu Betrachtende auf das fur ihn Wichtigste reduzieren muss. Anders gesagt: Weist man einem Objekt eine Eigenschaft zu, schlieBt man sein Gegenteil aus (Wilber, 1977/2000). Der Mensch schafft einen kognitiv- linguistischen Sinnzusammenhang und setzt damit eine bestimmte Struktur oder Verhaltensweise des Systems voraus (vgl. Krieger, 1998). Dies sei laut Krieger (1998) notwendig, um die Komplexitat der Umwelt zu reduzieren und diese fur uns begreifbar und erfassbar zu machen. Kriz (1997) nennt dies ,,die Verbannung des Chaos" (S.26), denn im Menschen bestehe seiner Ansicht nach eine Angst vor Unberechenbarkeit und Kontrolllosigkeit, die er mittels Einordnung in Kategorien auf das fur ihn Wesentliche reduziert. Diese Reduktion lasst notwendigerweise Klassen von Objekten entstehen, denen eine bestimmte Eigenschaft zukommt. Diese Reduktion der Wirklichkeit muss notwendigerweise entstehen, damit das Bewusstsein »stabil« bleibt und nicht von Reizen uberflutet wird. Demnach ist es fur den Menschen wichtig, bestimmte Mechanismen zu entwickeln, die ihm eine gewisse Reizselektion ermoglichen. Allerdings haben Klassifikationssysteme auch einen entscheidenden Nachteil:

Klassifikationssysteme sind Formen der Beschreibung. Sie ordnen eine Vielheit und grenzen sie gleichzeitig ab. Klassifikationssysteme reprasentieren keine naturliche Ordnung, sie entstehen aufgrund analytisch eingefuhrter Unterscheidungen. Sie sind Konstruktionen eines Beobachters und spiegeln allein diesen Erkenntnisprozess wider. (Kruppers, 1996; zit. nach Tobler, 2001, S.31)

Es ist wichtig, hervorzuheben, dass jegliche Klassifikationssysteme immer aus der Sicht eines bestimmten Betrachters entstehen und in diesem Sinne keine Allgemeingultigkeit aufweisen, sondern durch die spezifischen kognitiv-linguistischen Zusammenhange erst eine Form entstehen lassen, die nur im begrenzten MaBe mit der Wirklichkeit in Verbindung steht. Dies sollte man sich stets vor Augen halten, da man sonst die Individualitat eines jeden Menschen in ein Muster presst, welches diesem in keinster Weise gerecht wird.

3 Die Typologie von Carl Gustav Jung

In diesem Abschnitt soll es nun darum gehen, eine kurze Beschreibung der verschiedenen Typen und der Qualitaten zu geben, die sich durch die unterschiedlichen Auspragungen der Bewusstseinsfunktionen ergeben. Im Rahmen dieser Arbeit wird es dennoch nicht moglich sein, zu einer umfassenden Darstellung der Typen zu gelangen. Hierzu wird auf das umfangreiche Gesamtwerk von Jolande Jacobi1 verwiesen. Zunachst einmal einige grundlegende Informationen uber C.G. Jungs Ansichten und seinem Verstandnis der menschlichen Psyche.

3.1 Einfuhrung

Carl Gustav Jung wurde 1875 in Kesswil (Schweiz) geboren und starb 1961 in Kusnacht (Schweiz). Er war Mediziner, Psychologe und der Begrunder der Analytischen Psychologie. Im Gegensatz zum Vorherrschen empirische Vorgehensweisen der heutigen psychologischen Forschung, ist C.G. Jungs Verstandnis der menschlichen Psyche phanomenologisch ausgerichtet. Haufig wird dies auch von anderen Wissenschaftlern kritisiert, da - ahnlich wie bei Sigmund Freud - seine Annahmen einen tautologischen Jung der Beg™nder der Analytischen Psychologie

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Abbildung 2. Carl Gustav

Charakter besitzen und einer Operationalisierung der Wirkfaktoren vielfach unzuganglich sind. Trotz Kritik ist die Analytische Psychologie weltweit verbreitet. Es gibt viele weiterentwickelte Techniken auf Basis der Jungschen Psychologie z.B. die Bioenergietherapie von Shirahama oder die korperzentrierte Imagination nach Remo Roth. Dennoch sind, wie Dieckmann (2002) bemangelt, die Fortschritte etwas stecken geblieben, obwohl es in jungster Zeit eine Reihe von Studien gibt, die die Annahmen der Analytischen Psychologie stutzen.

Typologie beschaftigt sich, wie der Name schon sagt, mit der Einteilung des Menschen in verschiedene Typen bzw. Arten von Menschen, die sich bezuglich bestimmter Personlichkeitsmerkmale unterscheiden lassen. Es ist also eine Klassifizierung, die dazu dient, eine gewisse Ordnung zu schaffen und damit eine Basis fur weitere Untersuchungen. Ein Gewahr fur einen Wirklichkeitsbezug ist damit nicht gegeben - so sagt auch Jung (2002), dass seine Einteilung in den extravertierten und introvertierten Typus sowie die vier Grundfunktionen keineswegs als die einzig mogliche angesehen werden kann, sondern ebenso gut auch eine andere Art von Beschreibung verwendet werden konnte.

Ein wichtiger Grundpfeiler der Analytischen Psychologie ist die Annahme eines Unbewussten. Dies ist fur die gesamte Analytische Psychologie - wie auch fur die Psychoanalyse nach Freud - eine wichtige Angelegenheit, da in diesen Schulen die Entstehung psychischer Storung in unmittelbarer Beziehung zum Unbewussten steht. Jung versuchte unbewusste Inhalte durch das Assoziationsexperiment zu entschlusseln: Er stellte fest, dass auf bestimmte Reizworter (z.B. Mutter) eine verlangerte Reaktionszeit folgte. Dadurch entdeckte er die Verwurzelung von Erfahrungsinhalten mit Emotionskomplexen, die das Individuum beeinflussen. Daraus schloss er, dass Komplexe2 sich in ihrer unbewussten Intentionalitat unterscheiden und den normalen psychischen Ablauf behindern konnen (Kast, 2003). Aus den Erkenntnissen des Experiments und vielen weiteren Untersuchungen an Patienten, formulierte Jung ein Prinzip, das er als eine wichtige Qualitat des Unbewussten deklarierte: Die Kompensation.

3.2 Das Kompensationsprinzip von C.G. Jung

Jung (2003) ging davon aus, dass das Unbewusste3 kompensatorisch im Hinblick auf die bewusste Einstellung des Individuums agiere. Das Psychologische Lexikon definiert Kompensation als ,,Ausgleich, Ersatz, wechselseitige Aufhebung entgegenwirkender Krafte." (Dorsch Psychologisches Lexikon, 2004, S.495). Jung definiert Kompensation folgendermaBen:

Kompensation bedeutet Ausgleichung Oder Ersetzung.[...] Wahrend Adler seinen Begriff der Kompensation auf die Ausgleichung des Minderwertigkeitsgefuhles einschrankt, fasse ich den Begriff der Kompensation allgemein als funktionelle Ausgleichung, als Selbstregulation des psychischen Apparates auf. In diesem Sinne fasse ich die Tatigkeit des UnbewuBten als Ausgleichung der durch die BewuBtseinsfunktion erzeugten Einseitigkeit der allgemeinen Einstellung auf. (Jung, 2003, S.157)

Das Bewusstsein sei laut Jung (2003) eine auswahlende Instanz. Eine Auswahl erfordere gemeinhin eine Art von Selektion, die bestimmte Inhalte auswahle, bevorzuge und damit andere ausschlieBe. Daraus entstehe seiner Ansicht nach eine gewisse Einseitigkeit bzw. ein Ungleichgewicht der bewussten Orientierung, wodurch die nicht selektierten Inhalte ins Unbewusste abgedrangt bzw. ausgeschlossen werden. Je nach Grad des Ungleichgewichts entstehen unbewusst gewisse ausgleichende, regulierende Tendenzen, die Jung als kompensatorisch auffasste. Anders gesagt entsteht eine Spannung (bzw. ein energetischer Oberschuss), welche durch das Unbewusste kompensiert respektive reduziert werde musse (s. Abb. 3). Diese von Jung verfasste Tendenz zur Spannungsreduktion - auch Kompensation genannt - ahnelt der von Freud formulierten Tragheitshypothese die besagt, dass ein System versucht moglichst spannungsfrei zu bleiben (Fuchs, 1998). Sofern die Einstellung des Bewusstseins nun kein allzu extremes MaB annehme, bleibe es bei einer kompensatorischen Beziehung von Seiten des Unbewussten, die dem Zweck einer Ausgleichung (oder Erganzung) der bewussten Orientierung diene und zum Beispiel durch Traume einen Angleich derjenigen Inhalte bewirke, die im Wachzustand vom Bewusstsein ausgeschlossen werden.

GemaB Jung (2003) wirke Kompensation also bestandig regulierend auf die bewusste Tatigkeit, passe sich aber ebenso jederzeit der bewussten Einstellung an4. In der Neurose allerdings, werde die Kompensation gestort und das Unbewusste trete in einen Kontrast bzw. in Opposition. Es begebe sich also von der kompensatorischen Rolle in eine strengere Form des Ausgleichs, die nun nicht mehr nur subtil und im Hintergrund arbeitend reguliere, sondern eine Storung

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Abbildung 3. Kompensatorische Tatigkeit des der normalen Bewusstseinstatigkeit bewirke. Das Unbewussten. Die obere Grafik bezeichnet einen idealen Gleichgewichtzustand zwischen Bewusst Unbewusste trete seiner Ansicht nach in eine und Unbewusst. Die untere Grafik beschreibt den Vorgang der Kompensation. Durch eine einseitige Opposition zum Bewusstsein, um dieses aus seinem Einstellung des Bewusstseins entsteht auf unbewusster Seite ein Energiezuwachs. »Hohenflug<< herunterzureiBen; alles zum Zwecke der psychischen Selbstregulierung und der geistigen Gesundheit5. Hier erkennt man sehr deutlich die Jungsche Ansicht eines psychischen Gleichgewichts. Wie spater noch naher erlautert wird, stellt der Kompensationsprozess einen Teilprozess innerhalb eines homoostatischen Systems dar - welcher, aus dieser Sichtweise betrachtet, ein sich eigenstandig regulierendes Gleichgewicht anstrebt. Auf eine Infektion erfolgt beispielsweise Fieber, welches das Gleichgewicht des Korpers wieder herzustellen versucht. Die Kompensation des Bewusstseins durch das Unbewusste diene also einzig und allein dem psychischen Gleichgewicht (Jung, 2003). Der Kompensationscharakter innerhalb des typologischen Prinzips macht sich dadurch bemerkbar, dass eine unterdruckte Funktion nach auBen projiziert wird, sich dort entfaltet und dem Individuum zuwiderlaufende Ansichten und Wahrnehmungen vermittelt. Der nachste Abschnitt beschaftigt sich nun etwas naher mit den vier Grundfunktionen, die den verschiedenen Typen zugrunde liegen und deren Personlichkeiten in verschiedenster Weise pragen.

3.3 Die vier Bewusstseinsfunktionen in der Typologie

In diesem Teil der Arbeit soll kurz auf die von Jung deklarierten vier psychologischen Grundfunktionen, also diejenigen Funktionen mit denen sich das Bewusstsein orientiert, eingegangen werden.

Die bewusste Psyche wird von Jung (2003) als eine Art von Anpassungsapparat beschrieben. Dieser besitze gewisse Grundfunktionen (Denken, Fuhlen, Empfindung, Intuition)6, derer sich das Individuum zu seiner Orientierung bediene. Unter einer Funktion versteht Jung (2003) eine ,,unter bestimmten Umstanden sich prinzipiell gleichbleibende Tatigkeitsform" (S.142). Die Grundfunktionen seien fur ihn reine Erscheinungsformen der Libido. Alle diese Funktionen sollten idealerweise gleichermaBen an einer Orientierung des Bewusstseins des Individuums beteiligt sein. Jung beschreibt die Aufgabe der Funktionen in folgender Weise:

[...] das Denken sollte uns das Erkennen und Urteilen ermoglichen, das Gefuhl sollte uns sagen, wie und in welchem Grade etwas fur uns wichtig oder unwichtig ist, die Empfindung sollte uns durch Sehen, Horen, Tasten und so weiter die Wahrnehmung der konkreten Realitat vermitteln, und die Intuition endlich sollte uns alle mehr oder weniger verborgenen Moglichkeiten und Hintergrunde einer Situation erraten lassen, denn auch sie gehoren zu einem volligen Bilde des gegebenen Momentes.(Jung, 2003, S.113)

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Allerdings seien in der Realitat die Grundfunktionen nur sehr selten oder nie gleichmaBig differenziert und in der Regel sei eine der Funktionen dominant, wohingegen die anderen Funktionen relativ unentwickelt und minderwertig im Hintergrund (im Unbewussten) bleiben (Jung, 2003). Hier sollte noch erwahnt werden, dass Jung die Bewusstseinsfunktionen noch weiter ausdifferenziert. Er unterteilt weiterhin in eine urteilende und eine wahrnehmende Funktion. Denken und Fuhlen sind Abbildung [4] pers6nlichkeitseigenschaften des urteilenden und wahrnehmenden Typus.(Quelle:

urteilende Funktionen, wohingegen Intuition und Bents< R. & Blank< R.< [2003]< S.[59]) Empfindung wahrnehmende Funktionen darstellen. Wie aus Abbildung 4 ersichtlich, konnen damit verschiedene Eigenschaften in Verbindung gebracht werden.

Zunachst ist es nun wichtig, ein Verstandnis dafur zu bekommen, wie Jung die verschiedenen Bewusstseinsfunktionen definiert und beschreibt:

Das Denken in der Jungschen Typologie steht fur Rationalitat und Logik. Es ist diejenige Funktion, die nach eigenen Gesetzen Vorstellungsinhalte in begriffliche (sprachliche) Zusammenhange anordnen und ausdrucken kann (Jung, 2003). Das Denken entscheidet zwischen richtig und falsch. Jung differenziert zwischen einem aktiven und einem passiven Denken: ,,Das aktive Denken ist ein Willenshandlung, das passive Denken ein Geschehnis" (S.131). Das aktive Denken benotigt Energie und ist auch gemeinhin das, was man als Intellekt bezeichnen wurde7. Das passive Denken tritt beispielsweise im Halbschlaf auf und benotigt keine Energie.

Demgegenuber steht das Fuhlen bzw. die Fuhlfunktion. Diese bezeichnet -wie der Name schon sagt - unser Gefuhl. Durch eine gefuhlsmaBige Konnotation erkennt das Individuum, was ein Objekt wert ist. Hier nahert sich Jungs Beschreibung dem Freudschen Lust/Unlust - Prinzip deutlich an. Denn das Fuhlen weist einem gewissen Inhalt einen Wert im Sinne von Lust/Unlust bzw. Annehmen/Zuruckweisen zu (Jung, 2003). Jung (2003) unterscheidet weiterhin zwischen Affekt und Gefuhl, indem die Steigerung der Gefuhlsintensitat einen Affekt hervorruft, der mit deutlichen Korperinnervationen einhergeht8.

Als weitere Grundfunktion beschreibt Jung (2003) die Empfindung. Die Empfindung ist diejenige Funktion, welche den objektiven bzw. physischen Reiz aufnimmt und verarbeitet. ,,Empfindung ist daher identisch mit Perzeption" (S.136). Fur Jung bezieht sich die Empfindung nicht allein auf einen auBeren Reiz, sondern vermittelt auch die Perzeptionen, die aus dem eigenen Korper resultieren wie z.B. von den Organen (Jung, 2003). Jung charakterisiert die Empfindung in folgender Weise:

Sie [die Empfindung] ist einerseits ein Element des Vorstellens, indem sie dem Vorstellen das Perzeptionsbild des auBeren Objektes vermittelt, andererseits ein Element des Gefuhls, indem sie durch die Perzeption der Korperveranderung dem Gefuhl den Affektcharakter verleiht. (Jung, 2003, S.136)

Vereinfacht ausgedruckt ist die Empfindung diejenige Funktion, welche die auBeren (und inneren) Reize wahrnimmt und verarbeitet.

Die Intuition ist nur schwer intellektuell zu erfassen. Bei ihr handelt es sich namlich um einen transzendenten Faktor, der unmittelbar in Interaktion mit dem Unbewussten steht, in dem Sinne, dass eine Situation als ganzes erfasst werden kann. Die Intuition beschreibt Jung (2003) als diejenige Funktion, welche eine Wahrnehmung auf unbewusstem Weg vermittle, wobei Gegenstand dieser Wahrnehmung sowohl auBere, wie auch innere Objekte oder deren Zusammenhange betreffen konne. Allerdings sei die Intuition weder Sinnesempfindung, noch Gefuhl, noch intellektueller Schluss, konne aber ebenso in diesen Formen auftreten; sie vermittle eine Wahrnehmung, die groBtenteils unbewusst sei und zum Beispiel durch die Denkfunktion oder eine andere Funktion in etwas konkretes, greifbares gefasst werde. Anders formuliert ist die Intuition ein sehr schneller, subtiler Berechnungsvorgang, der sich auf ein angesammeltes Wissensrepertoire bezieht. Zum Beispiel wird ein Physiker der mit der »Materie« vertraut ist, am ehesten gewisse Ideen und Einfalle haben, die zu seinem Bereich gehoren und vielfach komplexer sind als bei einem Laien, der kaum Kenntnisse uber Physik besitzt. Zur Erscheinung der Intuition sagt Jung folgendes:

Die I. [Intuition] tritt auf in subjektiver oder objektiver Form; erstere ist eine Wahrnehmung unbewuBter psychischer Tatbestande, die wesentlich subjektiver Provenienz sind, letztere eine Wahrnehmung von Tatbestanden, die auf subliminalen Wahrnehmungen am Objekte und auf durch sie veranlaBten subliminalen Gefuhlen und Gedanken beruhen. (Jung, 2003, S.152)

Fur die Belange dieser Arbeit genugt es, die Ansicht Jungs uber die Funktionen vorerst bei diesen Ausfuhrungen zu belassen, denn eine erschopfende Darstellung der Grundfunktionen, wurde den Rahmen dieser Arbeit um ein Vielfaches sprengen. Es bleibt allerdings noch zu erwahnen, dass jeweils zwei der Funktionen miteinander inkompatibel sind in dem Sinne, dass bei Tatigkeit einer Funktion, die andere unterdruckt werden muss (Jung, 2003; s. Abbildung 5 ).

Wie im Abschnitt 3.4.3 noch erlautert werden wird, ist im Bewusstsein nicht nur eine Funktion dominant, sondern zwei relativ parallel zueinander, wobei beide benutzt werden konnen, aber nur eine als Hauptfunktion gilt. Die andere Funktion hingegen dient der Unterstutzung der Hauptfunktion, um Informationen an diese zu vermitteln (Jung, 2003). Es ist hier noch erwahnenswert, dass fur den auBeren Betrachter die Hauptfunktion nicht diejenige ist, welche am starksten erscheint, sondern diejenige mit der das Individuum seine Beziehungen zum Objekt bewaltigt und wahrnimmt (Dieckmann, 2002). Im nachsten Abschnitt wird nun genauer auf die beiden Hauptklassifizierungsmerkmale der Jungschen Typolologie, namlich Extraversion und Introversion, eingegangen.

3.4 Extraversion und Introversion

Der eine laBt sich durch die Tatsache, daB es drauBen kalt ist, sofort veranlassen, seinen Oberzieher anzuziehen, der andere aber findet dies aus Grunden seiner Abhartungsabsicht uberflussig. (Jung, 2003, S.30)

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Abbildung 5. Bewusstseinsfunktionen anhand derer sich das Individuum orientiert. Zwei der Funktion schlieRen sich gegenseitig aus, so konnen Denken/Fuhlen und Empfindung/Intuition nicht gleichzeitig aktiv sein. Das Individuum benutzt eine Haupt -und eine Hilfsfunktion zur Orientierung. (Quelle: Jung et al., 1964/1993, S.58)

Dieses Zitat ist ein schones Beispiel fur zwei unterschiedliche Arten von Menschen. Jung (2003) veranschaulicht in seinem typologischen Prinzip zwei verschiedene Typen, die u.a. unterschiedliche intrinsische Motivationen bei der Art und Weise der Auswahl ihrer Handlungen besitzen. Er vermutete, ahnlich wie Hans Eysenck, dass diese Einstellungen zum groBen Teil aus angeborenen Strukturen resultieren und mit der entsprechenden physiologischen bzw. neurophysiologischer Tatigkeit ebenso eine bestimmte Weltanschauung einhergeht und damit auch eine bestimmte Art zu denken und zu handeln. Die Konstrukte - welche Jung zur Klassifizierung dieser Typen verwendet, bezeichnete er als Extravertiert und introvertiert. Beide sind in der wissenschaftlichen Literatur und Diagnostik reichlich belegt, man denke hierbei an Testverfahren wie z.B. das Freiburger Personlichkeitsinventar oder den GieBen-Test. Jung (2003) spricht von einem Typus, wenn ,,eine Einstellung habituell ist und dadurch dem Charakter des Individuums ein bestimmtes Geprage verleiht" (S.191).

Der Extravertierte orientiere sich seiner Meinung nach an der auBeren Tatsache, wahrend sich der Introvertierte eine Ansicht reserviere, die vorwiegend auf subjektiven Tatsachen beruhe. Der Introvertierte sei ferner standig darauf bedacht (naturlich ist ihm das nicht bewusst) sich vom objektiven Einfluss zuruckzuziehen, wohingegen der Extravertierte diesen nicht scheue9 (Jung, 2003). Zentner (1993) stellt eine Reihe von Untersuchungen in Anlehnung an Kagan vor, die die biophysiologischen und neurologischen Korrelate der beiden Konstrukte nun auch empirisch untermauern. Hierbei wurden zwei Gruppen von Kleinkindern beobachtet, die 20-30 % der amerikanischen Population ausmachen und bereits im 2. Lebensjahr durch diejenigen Merkmale auffallen, die Jung als Extravertiert und Introvertiert bezeichnete und das nicht nur in Bezug auf psychologische Faktoren, sondern ebenso in Bezug auf ihr „neurophysiologisches Profil"10 (S.56).

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Abbildung 6. Personlichkeitseigenschaften, die mit Extraversion und Introversion einhergehen. Die Eigenschaften sind hier nicht erschopfend aufgelistet, sondern stellen nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielfalt der moglichen Qualitaten dar. (Quelle: Bents, R. & Blank, R., 2003, S.57)

Es sollte jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass diese Konstrukte die alleinigen unter den psychischen Funktionen darstellen. Jungs Forschungen basierten hauptsachlich auf einer empirischen Analyse von mehreren hundert Patienten, wobei Wille und Gedachtnis von Jung explizit nicht weiter in den Blickpunkt seiner Untersuchungen einbezogen wurden, aber dennoch immanente Eigenschaften der menschlichen Psyche darstellen konnen (Jung, 2003). Ebenso erwahnt Zentner (1993), dass die Dimensionen Extraversion/Introversion lediglich eine unter mehreren Kategorien des Temperaments wie z.B. der , Bewegungsdrang oder auch die sensorische Empfindlichkeit" (S.65) seien. Abbildung 6 verdeutlicht einige Personlichkeitseigenschaften beider Typen, wobei kein Anspruch auf Allgemeingultigkeit erhoben werden kann, denn diese beziehen sich auf sprachliche Begrifflichkeiten, die dem Charakter des jeweiligen Typen nicht annahernd gerecht werden konnen.

3.4.1 Extraversion

In diesem Abschnitt wird naher auf den extravertierten Typus eingegangen. Zuerst werden die Eigenschaften des Bewusstseins und des Unbewussten naher ausgefuhrt. Danach wird etwas genauer auf die unterschiedlichen Typen eingegangen werden, die sich durch die jeweils ausgepragte Grundfunktion ergeben.

3.4.1.1 Einstellung des Bewusstseins

Die Einstellung des Bewusstseins innerhalb der extravertierten Einstellung richtet sich nach dem Objekt, also nach dem objektiv gegebenen (Jung, 2003). Je nach dominierender Funktion (z.B. Denken), basieren die AnstoBe der Denkvorgange auf auBerlichen Objekten und Tatsachen (z.B. Politik, Mathematik, Physik). Dies steht im Gegensatz zur introvertierten Einstellung, die sich am subjektiv gegebenen orientiert. Hiermit soll jedoch keineswegs ausgedruckt werden, dass der Extravertierte ausschlieBlich extravertiert ist, denn bei jedem Individuum sind beide Einstellungen vorzufinden. Von einer habituellen Einstellung spricht Jung (2003) nur dann, wenn einer der beiden Mechanismen dominant ist bzw. uberwiegt:

Wenn nun die Orientierung am Objekt und am objektiv Gegebenen vorwiegt in der Weise, daB die haufigsten und hauptsachlichsten Entschlusse und Handlungen nicht durch subjektive Ansichten, sondern durch objektive Verhaltnisse bedingt sind, so spricht man von einer extravertierten Einstellung (Jung, 2003, S.31).

Das bedeutet, der Extravertierte verwendet das Objekt, d.h. die objektiven Tatsachen als determinierende GroBe in seinem Bewusstsein, welche den subjektiven untergeordnet sind und in seiner Entscheidungsfindung eine wesentlich geringere Rolle spielen. So beschreibt Jung (2003) im Weiteren die gefahrliche Einseitigkeit des extravertierten Typus, welche durch eine entsprechende Kompensation von Seiten des Unbewussten ausglichen werden musse. Denn die Orientierung des Bewusstseins dieser Art von Typus gehe so weit nach au&en, dass sogar die ,,sinnfalligste aller subjektiven Tatsachen, namlich das Befinden des Korpers" (Jung, 2003, S.32), als zu wenig objektiv, zu wenig im AuBen nicht genugend in Betracht gezogen werde; er verdrange dadurch namlich seine subjektiven Bedurfnisse und Notwendigkeiten, wodurch diese sich im Unbewussten ansammeln und das physische Wohlbefinden beeintrachtigen. In seiner Typologie geht Jung (2003) davon aus, dass die unterdruckten subjektiven Bedurfnisse einen introvertierten, entgegengesetzten Charakter annehmen und die kompensatorische Funktion des Unbewussten determinieren. Ein Extravertierter besitzt namlich die Tendenz unmittelbar im Objekt »aufzugehen«, was insofern gefahrlich ist, als dass daraus korperliche und funktionelle Storungen entstehen konnen, die Jung als kompensatorisch auffasst. Diese dienen dem naturlichen Zweck, das Subjekt (bzw. den Menschen) auf das Befinden des eigenen Korpers zuruckzwingen und die Aufmerksamkeit wieder auf die eigensten Bedurfnisse zu lenken (Jung, 2003). Wer krank ist, nimmt notwendigerweise mehr Rucksicht auf sich selbst (oder sollte es zumindest).

In diesem Teil wurde die kompensatorische Bedeutung bei den Typen schon etwas hervorgehoben. Die Einseitigkeit der extravertierten Einstellung wird durch strategische Mechanismen bzw. Ausgleichsstrategien des Unbewussten kompensiert11. Dies alles geschieht im Sinne eines homoostatischen, das psychische Gleichgewicht aufrecht erhaltenden Prozesses.

3.4.1.2 Einstellung des Unbewussten

In diesem Abschnitt geht es um die Einstellung des Unbewussten in der extravertierten Einstellung. Diese ist von kompensatorischem Charakter und demzufolge introvertiert, wie dies im vorhergehenden Abschnitt schon kurz angedeutet wurde. Das bedeutet, dass Unbewusste kompensiert den Anteil subjektiver Empfindungen, Stimmungen, Gefuhle und Gedanken, die im Bewusstsein zu wenig Beachtung finden und unterdruckt werden (Jung, 2003). Die Tatigkeit des Unbewussten konzentriert sich sozusagen auf ,,den subjektiven Moment" (S.35). Dies habe - laut Jung (2003) - jedoch eine Ansammlung all dieser Tendenzen im Unbewussten zur Folge, die abhangig von der Starke ihrer Unterdruckung einen regressiven, infantilen und archaischen Charakter einnehmen. Diese subjektiven Tendenzen sind dem Individuum verborgen, auBern sich jedoch in einer gewissen Haltung dem Objekt gegenuber, die auch ein extremes MaB annehmen kann - namlich dann - wenn das Unbewusste in »Opposition« geht. Dies geschieht, wenn die Einseitigkeit bzw. Radikalitat des bewussten Standpunktes in anormaler Weise zunimmt. Jung auBert sich hierzu folgendermaBen:

Kommt es aber zu einer Obertreibung des bewuBten Standpunktes, so tritt auch das UnbewuBte symptomatisch zutage, das heiBt, der unbewusste Egoismus, Infantilismus und Archaismus verliert seinen ursprunglichen kompensatorischen Charakter, indem er in eine mehr oder weniger offene Opposition gegen die bewuBte Einstellung tritt. (Jung, 2003, S.36)

Auch hier erwahnt Jung wieder das Prinzip der Kompensation durch unbewusste Faktoren, welches zu einer Opposition wird. Wie in spateren Abschnitten noch deutlicher werden wird, handelt es sich bei der Beziehung zwischen Bewusstsein und Unbewusstem um eine homoostatische, eine Ausgleichsbeziehung. Unter einer oppositionellen Einstellung des Unbewussten versteht Jung (2003) eine kontrastierende Haltung des Unbewussten gegenuber dem Bewusstsein, welche bei extremer Einseitigkeit der bewussten Orientierung die Oberhand ubernehme. Dies konne zu psychischen Storungen fuhren.

Nun ist es anhand dem geschilderten nicht sehr leicht nachzuvollziehen, wie ein solcher Fall in alltaglichen Leben aussieht. Die Worte Jungs sollen das bisher gesagte etwas deutlicher machen:

So hatte sich zum Beispiel ein Buchdrucker in zwei Jahrzehnte langer harter Arbeit vom bloBen Angestellten zum selbststandigen Besitzer eines sehr ansehnlichen Geschaftes emporgearbeitet. Das Geschaft dehnte sich immer mehr und mehr aus, und er geriet mehr und mehr hinein, indem er allmahlich alle seine Nebeninteressen darin aufgehen lieB. Dadurch wurde er aufgeschluckt, und dies gereichte ihm in folgender Weise zum verderben: unbewuBt wurden zur Kompensation seiner ausschlieBlichen Geschaftsinteressen gewisse Erinnerungen aus seiner Kindheit lebendig. Damals hatte er namlich eine groBe Freude am Malen und Zeichnen. Anstatt daB er nun diese Fahigkeit als balancierende Nebenbeschaftigung an und fur sich aufgenommen hatte, kanalisierte er sie in sein Geschaft und begann von einer >>kunstlerischen<< Ausgestaltung seiner Produkte zu phantasieren. Unglucklicherweise wurden die Phantasien Wirklichkeit: Er begann tatsachlich nach seinem eigenen primitiven und infantilen Geschmack zu produzieren, mit dem Erfolg, daB nach wenigen Jahren sein Geschaft zugrunde gerichtet war. (Jung, 2003, S.36)

Hier wird sehr schon veranschaulicht, inwiefern die subjektiven Neigungen von der Einstellung des Typus aufgesogen und in das Objektive integriert werden. Dies basiert auf demselben Prinzip wie wenn man sich bei einer korperlichen Erkrankung nicht angemessen schont, man riskiert eine chronische Erkrankung! Eine bestandige Opposition der restitutiven Krafte kann von sehr destruktivem Charakter fur das Individuum werden, vor allem in Bezug auf die Anforderungen der Gesellschaft, aber auch bezuglich des eigenen Wohlbefindens. Jung (2003) meint hierzu, dass dies alles im Dienste des psychischen Gleichgewichts geschehe.

Die nun folgenden Erlauterungen dienen der Illustration der einzelnen Auspragungen des extravertierten Typen. Diese lassen sich namlich in der Jungschen Typologie noch weiter differenzieren, je nachdem welche Grundfunktion im Bewusstsein vorherrschend ist. So wird im nachsten Abschnitt naher auf den extravertierten Denktypus eingegangen, welcher als Haupteinstellung die Extraversion und als Hauptfunktion das Denken habituiert hat.

3.4.1.3 Extravertierter Denktypus

Das Denken in der extravertierten Einstellung orientiert sich am Objekt bzw. am objektiv gegebenen. Dieses Denken ist im hohen MaBe von den ,,objektiv vermittelten Daten" (Jung, 2003, S.39) abhangig und wird dadurch determiniert12. So ist auch das Handeln des extravertierten Denktypus von auBen bestimmt und orientiert sich uberwiegend an auBeren Verhaltnissen. Jung (2003) auBert hierzu, dass eine Beurteilung, ob ein Denken extravertiert sei oder nicht, zunachst in der Frage bestehe nach welchem MaBstab sich das Urteil richte, also ob es von auBen vermittelt werde oder subjektiven Ursprungs sei.

Besitzt das Denken die Dominanz unter den Bewusstseinsfunktionen, bezeichnet Jung (2003) diesen Typus als einen extravertierten Denktypus. Das bedeute, dass das Individuum den groBten Wert auf intellektuelle Schlusse lege, die sich in letzter Linie an auBeren Tatsachen oder allgemeingultig erscheinenden Ideen orientieren und fur diesen Typus die Formulierung reinster objektiver Tatsachen darstellen. Jung (2003) spricht hier von einer ,,intellektuellen Formel" (S.44), welche fur diesen Typ als MaBstab fur die Beurteilung der Welt gelte. Dieser Formel werde alles unterworfen. Dadurch kommt es- so Jung (2003) - zu einer Unterdruckung des subjektiven Anteils des Denkens, der im alltaglichen Leben dann verloren sei. Das Denken werde quasi >>sterilisiert<<, in das Objekt aufgesogen und darin assimiliert, wodurch die Denkfunktion personliche Empfindungen, Meinungen, Ansichten uberwiegend an den auBeren Tatsachen ausrichte. Dies habe zur Folge, dass das Denken sich auf ein bloBes „Nachdenken" (S.43) im Sinne von Imitation beschranke, welches letztendlich nichts anderes besage, als was schon offensichtlich und unmittelbar ersichtlich sei. Der Umstand, dass es jedoch keine intellektuelle Formel gebe, welche die Fulle des Lebens und seine Moglichkeiten in sich fassen und ausdrucken konne, bewirke zudem eine Verdrangung bestimmter Lebensweisen und Gefuhlsaspekte von Seiten des Bewusstseins oder - wie Jung es ausdruckt - eine „Hemmung anderer wichtiger Lebensfunktionen und Lebensbetatigungen" (2003, S.45), die einen Gefuhlsaspekt im Leben besitzen wie z.B. asthetische Betatigungen, Geschmack, Kunstsinn etc. Von der Verdrangung sei bei diesem Typus also hauptsachlich das Gefuhl betroffen (Jung, 2003). Im Dienste einer Homoostase, erfolgt daraufhin ein Ausgleich (negatives Feedback) durch das Unbewusste im Mantel der Gefuhlsfunktion, bei dem die Abweichung der rigiden Denkfunktion ausgeglichen wird und sich im alltaglichen Leben auf subtile Weise bemerkbar macht:

Gelingt die Verdrangung, so entschwindet es [das Gefuhl] dem BewuRtsein und entfaltet dann unter der Schwelle des BewuRtseins eine den bewuRten Ansichten zuwiderlaufende Tatigkeit, welche unter Umstanden Effekte erzielt, deren Zustandekommen dem Indivdiuum ein volliges Ratsel ist. So wird zum Beispiel der bewuRte, oft auRerordentliche Altruismus durchkreuzt von einer heimlichen, dem Individuum selbst verborgenen Selbstsucht, welche im Grunde genommen uneigennutzigen Handlungen den Stempel der Eigennutzigkeit aufdruckt. (Jung, 2003, S.46)

Nun beschreibt Jung (2003) den Charakter der verdrangten Gefuhlsfunktion etwas genauer. Hier wird sehr deutlich, welchen Einfluss die kompensatorische bzw. ausgleichende Funktion auf den gewohnten Ablauf des Bewusstseins hat. Denn wegen der hohen Unpersonlichkeit der bewussten Einstellung seien die Gefuhle unbewusst auRerordentlich empfindlich und verursachen gewisse heimliche Vorurteile und Ansichten, zum Beispiel eine entgegengesetzte Meinung als personlichen Angriff zu werten. Dies diene dem Ziel die Argumente des »Gegners« von vorneherein zu entwerten und das eigene Ideal zu schutzen. Aufgrund des hohen Grades der Unterdruckung von subjektiven Gefuhlswerten, werden diese anfalliger gegenuber auBeren Einflussen und verursachen eine gewisse Labilitat des Denkens, d.h. das sonst so starre und logisch-

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7. Auspragung der dominanten und unterdruckten Bewusstseinsfunktion beim extravertierten Denktypus.Dieser Typus hat die Denkfunktion am meisten in seinem Bewusstsein ausgepragt. Dadurch entsteht im Unbewussten ein kompensatorischer Gegenpol, namlich die Fuhlfunktion, die in hohem MaBe introvertiert ist. Die grunen Ringe bezeichnen ein Normalniveau auf dem das Unbewusste heilsam ausgleicht. Die roten Ringe deuten an, dass die Einstellung dieses Typen ein extremes MaB angenommen hat, wodurch das Unbewusste in eine oppositionelle Haltung ubergeht. Die Zahlen sind fiktiv gewahlt und sollen das relative Niveau beschreiben auf dem sich eine Funktion bewegt. rationale Denken wird durch den Einfluss des unbewussten Faktors geschwacht. Je starker die Dominanz des Denkens ist, desto mehr entsteht ein unbewusstes Gegengewicht, welches die Dynamik von Gefuhlsvorgangen besitzt und ungleich machtiger ist als das Bewusstsein. Anders verhalt es sich nun bei dem extravertierten Fuhltypus.

[...]


1 Die Psychologie von C. G. Jung: Eine Einfuhrung in das Gesamtwerk

2 Dieser von Jung formulierte Begriff, beschreibt Bundel aus miteinander Assoziierten und eng verbundenen Erfahrungen und emotionalen Inhalten. Zum Beispiel wird jeder Erfahrung mit der Mutter, im Mutterkomplex gespeichert. Diese Komplexe mussen allerdings nicht immer von pathologischer Natur sein.

3 Das Unbewusste definiert Jung, kurz gesagt, als all diejenigen Inhalte, die dem Ich nicht bewusst sind.

4 Es ist nun nicht so, dass das Unbewusste aufhort zu kompensieren. Die Tatigkeit des Unbewussten ist ein bestandiges registrieren und justieren, vergleichbar mit den physiologischen Regelmechanismen unseres Korpers.Auch dort wird jede Abweichung vom Idealniveau permanent registriert und diesem entgegengewirkt.

5 Man sollte sich dennoch im Klaren sein, dass eine oppositionelle Haltung des Unbewussten - aus der Perspektive eines pathologisch orientierten Klassifikationssystems, eine psychische Storung zur Folge haben kann und meistens auch hat. Der Zweck dieser Haltung allerdings, ist eine Regulierung und Ausgleichung der bewussten Tatigkeit hin zu einem Normalniveau. In spateren Abschnitten wird dieses Normalniveau auch als sogenannter »steady state<< oder relatives Gleichgewicht bezeichnet.

6 Jung wahlte diese Begriffe, da er aus langjahriger praktischer Erfahrung feststellen konnte, dass diese sich nicht aufeinander reduzieren lassen. So sei fur ihn beispielweise das Prinzip des Denkens absolut verschieden vom Prinzip des Fuhlens und mit diesem nicht vereinbar (vgl. Jung, 2003).

7 Jungs Verstandnis vom Denken ist noch etwas weiter gespannt, so unterscheidet er wiederum zwischen einem gerichteten (Intellekt) und einem ungerichteten (intellektuelle Intuition) Denken. Diese Unterscheidung ist jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter erwahnenswert.

8 Jungs Verstandnis vom Fuhlen ist wiederum sehr weit gefasst. Er differenziert weiterhin zwischen einem konkreten und einem abstrakten Fuhlen. Diese Differenzierung ist jedoch fur die spateren Ausfuhrungen ebenfalls nicht von Wichtigkeit. Es genugt hier eine kurze Charakterisierung des Fuhlens zu geben.

9 Jung beobachtete schon bei kleinen Kindern eine unterschiedliche Art und Weise, sich unbekannten Objekten gegenuber zu verhalten, was ihn dazu veranlasste, eine angeborene Struktur dahinter zu vermuten.

10 Jung raumt jedoch auch ein, dass es einen unbestimmten Typus gibt, den erals »Mittelgruppe« bezeichnet (vgl. Zentner, 1993). Ebenso bezweifelt er, dass der Einfluss der Biologie alleinentscheidend fur die Entwicklung des Individuums sei. So sei es durchaus moglich die Einstellung zu wechseln.

11 Im systemtheoretischen Kontext wird diese Art der Kompensation spater als sog. negatives Feedback bezeichnet, eine Restabilisierung des Systems.

12 Als Beispiel fur einen solchen Typus nennt Jung Charles Darwin.

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Homöostase und Persönlichkeit
Untertitel
Das Kompensationsprinzip in der Typologie von C.G. Jung in Bezug auf das Konzept der Homöostase in Psychologie und Systemtheorie
Hochschule
Hochschule Magdeburg-Stendal; Standort Stendal
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
91
Katalognummer
V144701
ISBN (eBook)
9783640548736
ISBN (Buch)
9783640551842
Dateigröße
2155 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Systemtheorie, Homöostase, Analytische Psychologie, C.G. Jung, Luhmann, Kompensation, Typologie, Psychodynamik
Arbeit zitieren
David Hofmann (Autor:in), 2009, Homöostase und Persönlichkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144701

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