Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Richter und Teufel im Mittelalter
2.1 Der Teufel
2.2 Der Richter im Rahmen von göttlicher und weltlicher Rechtsprechung
3. „Der Richter und der Teufel“
4. Fazit
Literaturverzeichnis:
1. Einleitung
Im Rahmen dieser Hausarbeit möchte ich anhand der Stricker-Märe ‚Der Richter und der Teufel’ das Motiv des Teufels in der mittelalterlichen Literatur darstellen. Der Schwerpunkt soll daher auf der Konzeption des Teufels liegen, doch vor dem Hintergrund der Märe ‚Der Richter und der Teufel’ ist es unabdingbar auch auf die ungewöhnliche Gestaltung der Richterfigur einzugehen. Um erklären zu können, weshalb der Stricker den beiden genannten Figuren ihre spezifischen Züge verliehen hat, werde ich mithilfe der Werke ‚Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter’ von Julius Wilhelm von Planck und ‚ Höfische Kultur’ von Joachim Bumke; insbesondere das Kapitel ‚Recht’; die Verknüpfung von Rechtsprechung und Theologie im Mittelalter darstellen und erläutern welche Anforderungen an den mittelalterlichen Richter gestellt wurden und diese schließlich mit dem tatsächlichen Verhalten des Richters in der Märe vergleichen. Da die Literatur einer bestimmten Zeit diese immer in einem gewissen Maße widerspiegelt, sei es bezogen auf das Motiv oder die Struktur des Textes, ist es für das Verständnis des Textes und dessen Interpretation unerlässlich die Umstände zu kennen, die den Autor, in diesem Fall also den Stricker, bei seinem Werk beeinflusst haben. Daher werde ich einen kurzen Überblick über die für die Interpretation bedeutsamen Ereignisse während des 13. Jahrhunderts, also der Schaffensperiode des Strickers, geben. In diesem Kontext drängt sich auch die Frage auf, warum die Vorstellung der Hölle und des Teufels gerade im Mittelalter ihren Höhepunkt erreicht. Um diese Frage klären zu können, werde ich auf die historischen Gründe für die Entstehung von Höllenvisionen und den Glauben an den Teufel eingehen. Ich beziehe mich dabei sowohl auf allgemeine Nachschlagewerke wie den ‚ dtv-Atlas Weltgeschichte’, als auch Fachliteratur, wozu Georges Minois ‚ Hölle – Kleine Kulturgeschichte der Unterwelt’ und Gustav Roskoffs Werk ‚Geschichte des Teufels’ zählen. Für die Untersuchung eines Motivs ist es außerdem wichtig die Entwicklung der Stoffgeschichte zu betrachten. Dazu werde ich mich sowohl des Textes als auch insbesondere des Kommentars von Lutz Röhrich in seinem Werk ‚Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in Literatur und Volksdichtung bis zur Gegenwart’ bedienen. Den mittelhochdeutschen Text mit neuhochdeutscher Übersetzung entnehme ich ‚ Erzählungen, Fabeln, Reden’ vom Stricker, werde ihn mit Hilfe des ‚ Mittelhochdeutschen Taschenwörterbuchs’ von Matthias Lexer analysieren und ihn im Rahmen meiner Interpretation mit den Ergebnissen der bereits vorgestellten Punkte verknüpfen, um abschließend ein Fazit zu ziehen.
2. Richter und Teufel im Mittelalter
2.1 Der Teufel
Woher kommt die Vorstellung vom Teufel, der Hölle und ihren Qualen? Welche Stellung nimmt die Figur des Teufels innerhalb des Christentums und der Literatur ein? Auf diese Fragen möchte ich im Folgenden eine Antwort geben. Bereits im Alten Testament wird der Teufel als gefallener Engel dargestellt, der den Menschen nicht als Ebenbild Gottes anerkennen wollte. Aus Neid übt der Teufel seitdem Rache am Menschen und nutzt verschiedenste Listen um den Menschen zu versuchen Böses zu tun und somit gegen das Gebot Gottes zu verstoßen. Egal, ob man ihn als Belzebub, Mephisto oder Meisterchen kennt, wird er also seit jeher als eine dunkle und böse Figur verstanden, die es mit großer Macht versucht, Böses zu tun, Gutes zu zerstören und menschliche Seelen für die Hölle zu gewinnen. Die Feindschaft zwischen Menschen und Teufel ist auf den Beginn der Menschheitsgeschichte zurückzuführen, da die ersten Menschen, Adam und Eva, schon durch den Teufel in Gestalt einer Schlange dazu verführt wurden gegen das Gebot Gottes zu verstoßen. Doch der Teufel birgt mehr in sich, als auf den ersten Blick scheint. Als ‚Magister’[1] bezeichnet wird zum Beispiel der lehrhaften Aspekt, den er vor allem auch in der Literatur einnimmt, unterstrichen. In den verschiedensten Moralitäten, so auch in der Märe ‚Der Richter und der Teufel’ hat die Figur des Teufels daher ihren Eingang gefunden. Innerhalb der Literatur gibt es außerdem eine Vielzahl berühmter Werke, wie z.B. Goethes Faust, in denen der Teufel in manchen Szenen als eine lustige, verlachte Figur auftritt. Der Kontrast, der scheinbar in der Figur des Teufels selbst verankert ist, hängt damit zusammen, dass der Teufel auf der einen Seite von der Kirche als böse Macht dargestellt wird, der es zu widerstehen gilt, auf der anderen Seite erlangt die Figur des Teufels jedoch ihre Possenhaftigkeit dadurch, dass sie stets bemüht sein wird, die Gleichheit mit Gott zu erlangen, stattdessen jedoch für alle Ewigkeit nur dessen Willen ausführen wird. Die Konzeption des Teufels durch die Kirche und die Instrumentalisierung dieser wird durch die Darstellung des historischen Kontextes bestätigt: Seit etwa dem zwölften Jahrhundert nimmt Gott die Funktion eines Richters im Rahmen des höchsten Gerichts ein, indem er in einer Art Prozess darüber entscheidet, welche individuelle Bestrafung die Sünder erfahren. Letztlich ist er damit nicht nur Richter sondern auch Ankläger, da die Sünden gegen ihn begangen wurden.[2] Durch die seit 1215 obligatorische Beichte[3] wird die Machtposition der Kirche weiter gestärkt, da es der Geistlichkeit obliegt Sünden zu vergeben und somit den Schlüssel zum Paradies in der Hand hält.
„Das Konzil von Florenz 1439 verkündet schließlich offiziell, was die Theologen schon seit langem lehrten: ‚Die heilige Römische Kirche glaubt fest, bekennt und verkündet, daß kein Heide, kein Jude, kein Ungläubiger und niemand, der von der Einheit [mit Rom] getrennt ist, am ewigen Leben teilhaben wird. Vielmehr wird er in das ewige Feuer stürzen, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist, wenn er sich nicht vor dem Tode wieder mit ihr verbindet.’“[4]
Der Nutzen, den die Kirche aus der Höllenvision ziehen konnte, liegt auf der Hand: Die Drohung mit einer letztendlichen Strafe war eine Möglichkeit die Menschen weiter an die Kirche und an Gott zu binden.
„Für viele ist es auch wichtig, das Los der Verdammten zu kennen, das heißt all jener, die sich nicht dem wahren Glauben angeschlossen haben und die von dieser irdischen Existenz profitieren. Das Verlangen nach Rache ist dieser Neugier keineswegs fremd: Die Opfer, die in diesem Leben von den Gläubigen verlangt werden, müssen einerseits von einer glücklichen Zukunft kompensiert werden und andererseits durch die Bestrafung jener, denen in dieser Welt das Glück lachte.“[5]
Auch die bekannten Höllenqualen spiegeln das Verlangen nach Vergeltung an den Mächtigen und in diesem Leben Glücklichen wider: Die Diebe z.B. haben während ihres irdischen Lebens anderen ihr Hab und Gut genommen. In der Hölle wird ihnen deshalb ihre Persönlichkeit genommen und sie müssen sich immer wieder verwandeln.[6] Die Sünder erleiden folglich genau das Schicksal, das sie selbst gewählt haben und das der Art ihrer Sünden voll und ganz entspricht.[7] Die Vorstellung vom Teufel oder der Hölle ist eher individueller Natur, was dem Schriftsteller oder Maler eine gewisse künstlerische Freiheit lässt und die Möglichkeit eröffnet, die Figur des Teufels immer wieder neu zu erschaffen und nach eigener Vorstellung zu formen. Egal, ob er als hässlicher Mann oder mit Schwanz und Hörnern auftritt; in den meisten Fällen ist der Teufel als solcher deutlich erkennbar[8] und meist wird versucht die Bösartigkeit durch eigenartige, oft hässliche Merkmale zu visualisieren.
2.2 Der Richter im Rahmen von göttlicher und weltlicher Rechtsprechung
Im zwölften Jahrhundert verändert sich die Perspektive auf die göttliche Gerichtsbarkeit des Menschen weitestgehend: Man erwartet nicht länger das Jüngste Gericht, das mit dem Ende der Welt einhergehen sollte, sondern konzentriert sich vielmehr auf das Leben nach dem Tod jedes Einzelnen und wendet sich so dem Individualgericht zu[9], was nicht zuletzt die Einteilung in ‚gute’ und ‚böse’ Menschen ermöglichte. Die Vorstellung vom ‚göttlichen’ Prozess nähert sich außerdem immer mehr an die weltliche Rechtsprechung an, indem nach einer regelrecht mathematischen Aufrechnung von guten und bösen Taten im Leben auf Erden verurteilt wird. Die juristische Färbung spiegelt sich auch darin wider, dass Gott als Richter dargestellt wird und Apostel und Engel, sowie Maria und Johannes am Prozess teilnehmen[10]. In Conques, einem französischen Dorf, findet man außerdem die Inschrift ‚Judex’ auf Christus Heiligenschein, was zeigt, dass auch Christus die Rolle des Richters zugeschrieben wird[11]. Die Verwobenheit von weltlicher und geistlicher, also im weitesten Sinne göttlicher, Rechtsprechung zeigt sich auch darin, dass Kleriker im frühen Mittelalter oft Doktoren sowohl der Theologie, als auch des weltlichen Rechts[12] waren. Das hängt damit zusammen, dass ein Kleriker ein ‚litteratus’, also des Schreibens und Lesens kundig, war und somit eine Ausnahme innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft darstellte. Nur wer lesen und schreiben konnte war fähig sich in die Gesetzestexte einzuarbeiten und Prozesse zu führen. Die Errungenschaften des Investiturstreits gegen Ende des elften Jahrhunderts zwischen geistlicher und weltlicher Macht waren unter anderem, dass Rechtsangelegenheiten, die die Geistlichkeit betrafen auch nur von dieser verhandelt werden durften[13]. Dieses Zugeständnis ermöglichte erst die Entstehung von Ketzerverfolgung und Ähnlichem. Unter die Verschmelzung von geistlicher und weltlicher Rechtsprechung fällt auch die Entstehung der Inquisition im Mittelalter. 1231 wird die Inquisition durch Papst Gregor IX. geschaffen und die Todesstrafe für Häretiker in Frankreich und Deutschland eingeführt[14]. Inquisitionen wurden jedoch nicht nur vom Papst selbst aufgestellt, sondern auch von einzelnen Bischöfen oder Inhabern weltlicher Ämter, wobei diese wohlmöglich eher politische Motive für die Verfolgung bestimmter Gruppen gehabt haben mögen. Durch die Inquisition veränderte sich auch das Rechtswesen entscheidend. Die Verfolgung und die anschließenden Prozesse stützten sich nicht länger auf Beweise wie das „Gottesurteil“ oder Ähnliches, sondern bedienten sich der Befragung von Zeugen. Die Aussagen wurden des Weiteren in Anwesenheit vom Inquisitor selbst und zwei weiteren Personen schriftlich festgehalten. Angeklagte, die nicht der Häresie abschwören wollten, wurden im schlimmsten Fall zum Tode – unter anderem auf dem Scheiterhaufen – verurteilt. Die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen hat wiederum offensichtlich einen sehr großen Bezug zum Höllenmotiv. Um das Idealbild eines Richters und die Anforderungen, die an diesen gestellt worden sind zu klären, habe ich mich auf Plancks Werk ‚Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter’ bezogen, da es unter anderem auf dem Sachsenspiegel und somit auf einem der wichtigsten Werke der Rechtsprechung des Mittelalters beruht. Dort steht geschrieben, dass „der ausschließliche Träger der Gerichtsgewalt […] der Richter“[15] ist und seine Aufgabe besteht darin „das bestehende Recht zu verwirklichen: Recht zu stärken und Unrecht zu kränken.“[16] Die dort angegebenen Voraussetzungen dafür sind, dass er sich in der Gesetzeslage auskennt, also Recht und Unrecht zu unterscheiden vermag und die Macht besitzt dieses Recht auch durchzusetzen. Im mittelalterlichen Idealbild eines Richters vereinen sich also sowohl das Wissen um das Recht, als auch das Können zur tatsächlichen Umsetzung des bestehenden Rechts[17]. Das Rechtsverständnis der mittelalterlichen Gesellschaft geht jedoch auch auf den Fall des ungerechten Richters ein, indem es gesetzlich festlegt, dass jedem das Recht zugesprochen wird, sich einem „gegen [das] Recht weigernden Richter“ zu widersetzen[18] und ihn sogar zu verklagen. Trotz der Trennung von geistlicher und weltlicher Rechtsprechung wird einem jeden zugestanden, wenn es darum geht Recht zu bekommen, dass es sogar möglich ist den Geistlichen vor weltlichem Gericht und umgekehrt zu verklagen[19]. Das entspricht auch der Weiterentwicklung des Gerechtigkeitsbegriffes zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert, da man im Gegensatz zur gängigen Praxis eine ideale und damit unparteiische und vor allem uneigennützige Restsprechung anstrebt[20].
[...]
[1] vgl. Schnyder, S. 95.
[2] vgl. Minois (2000), S. 74.
[3] vgl. ebd., S. 74.
[4] ebd., S. 78.
[5] ebd., S. 60.
[6] vgl. ebd., S. 93.
[7] vgl. ebd., S. 93.
[8] vgl. Robert E. Lewis, S. 126.
[9] vgl. Vorgrimmler, S. 198.
[10] vgl. Minois (1994), S. 228.
[11] vgl. ebd., S. 227.
[12] vgl. ebd., S. 226.
[13] vgl. Planck, S. 1.
[14] vgl. Kinder/Hilgemann, S. 149.
[15] Planck, S. 87.
[16] ebd., S.87.
[17] vgl. ebd., S. 90.
[18] vgl. ebd., S. 112.
[19] vgl. ebd., S. 3.
[20] vgl. Minois (1994), S. 227.