Die Geschichte um die todkranke Rosalie, welche permanent mit ihrem Schöpfer – dem Autor Leo Richter – darüber verhandelt und zu argumentieren versucht, warum er sie nicht am Leben lassen bzw. ihre Geschichte nicht in eine lebensbejahende umschreiben kann, bietet eine Vielzahl an zu untersuchenden Gesichtspunkten.
In der dritten von insgesamt neun Erzählungen, werden zahlreiche theologische Thematiken, aber auch kontemporäre Probleme des Alltags aufgezeigt – u.a. die des bewusst gewählten Freitods als letzte Lösung, der Glaube an Gott, der damit einhergehende Verhandlungsprozess in puncto Lebensdauer und -qualität, die absolute Abhängigkeit von modernen Verkehrsmitteln und Kommunikationstechniken; die Komplikationen, welche mit deren Ausfall in Verbindung stehen etc. – eine begrenzte Auswahl soll hier folglich der Analyse dienen.
Um einen besseren Zugang zum Stück Rosalie geht sterben zu ermöglichen, sollen zunächst Daniel Kehlmanns Biografie und eine Inhaltsangabe von "Ruhm: ein Roman in neun Geschichten" erfolgen.
Leider ist die gegenwärtige Sekundärliteratur aufgrund des noch nicht allzu lang andauernden Erfolgs des Autors nur schwierig zu sichten. Zwar sind mannigfache Rezensionen, Interviews, Klappentexte u.v.m.. im Internet zu finden, doch wissenschaftliche Ausarbeitungen hinsichtlich Kehlmanns literarischen Schaffens sind nur spärlich vorhanden, so dass wir uns hauptsächlich auf besagte Internetquellen berufen müssen. Ebenfalls kann in diesem Zusammenhang kein Bezug auf autobiografische Details des Schriftstellers genommen werden, da lediglich primäre Fakten seiner Vita publik gemacht wurden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Daniel Kehlmann – Kurzbiografie
3. Ruhm: ein Roman in neun Geschichten – Inhalt
3.1. Stimmen
3.2. In Gefahr
3.3. Rosalie geht sterben
3.4. Der Ausweg
3.5. Osten
3.6. Antwort an die Äbtissin
3.7. Ein Beitrag zur Debatte
3.8. Wie ich log und starb
3.9. In Gefahr
4. Berührungspunkte und Übereinstimmungen in Ruhm: ein Roman in neun Geschichten
4.1. Das Tag-Nacht-Motiv
4.2. Miguel Auristos Blancos
4.3. Der Einfluss moderner Kommunikationsmittel auf ihre Konsumenten
4.4. Leo Richter
5. Rosalie geht sterben – eine Analyse
5.1. Der Mann mit der roten Mütze
5.2. Leo Richter oder Das Göttliche
5.3. Eine theologische Geschichte?
6. Schluss
7. Literaturverzeichnis
7.1. Quellen
7.2. Literatur
1. Einleitung
Grundlage der hiesigen wissenschaftlichen Ausarbeitung bildet das im Blockseminar Biblischer Mythos und Weltliteratur gehaltene Referat zu Daniel Kehlmanns' Geschichte Rosalie geht sterben, aus dem im Januar 2009 erschienenen Roman Ruhm: ein Roman in neun Geschichten.
Die Geschichte um die todkranke Rosalie, welche permanent mit ihrem Schöpfer – dem Autor Leo Richter – darüber verhandelt und zu argumentieren versucht, warum er sie nicht am Leben lassen und die, bzw. ihre Geschichte nicht in eine lebensbejahende umschreiben kann, bietet eine Vielzahl an zu untersuchenden Gesichtspunkten.
In der dritten, von insgesamt neun Erzählungen, werden zahlreiche theologische Thematiken, aber auch kontemporäre Probleme des Alltags aufgezeigt – u.a. die des bewusst gewählten Freitods als letzte Lösung, der Glaube an Gott, der damit einhergehende Verhandlungsprozess in puncto Lebensdauer / -qualität, die absolute Abhängigkeit von modernen Verkehrsmitteln und Kommunikationstechniken; die Komplikationen, welche mit deren Ausfall in Verbindung stehen etc. – eine begrenzte Auswahl soll hier folglich der Analyse dienen.
Um einen besseren Zugang zum Stück Rosalie geht sterben zu ermöglichen, sollen zunächst Daniel Kehlmanns' Biografie und eine Inhaltsangabe bezüglich Ruhm: ein Roman in neun Geschichten erfolgen.
Leider ist die gegenwärtige Sekundärliteratur, aufgrund des noch nicht allzu lang andauernden Erfolgs des Autors, nur schwierig zu sichten. Zwar sind mannigfache Rezensionen, Interviews, Klappentexte u.v.m.. im Internet zu finden, doch wissenschaftliche Ausarbeitungen hinsichtlich Kehlmanns' literarischen Schaffens sind nur spärlich vorhanden, so dass wir uns hauptsächlich auf besagte Internetquellen berufen müssen. Ebenfalls kann in diesem Zusammenhang kein Bezug auf autobiografische Details des Schriftstellers genommen werden, da lediglich primäre Fakten seiner Vita publik gemacht wurden.
2. Daniel Kehlmann – Kurzbiografie
Daniel Kehlmann, Sohn des verstorbenen Wiener Regisseurs Michael Kehlmann und der Schauspielerin Dagmar Mettler kam am 13. Januar 1975 in München zur Welt.
Der gebürtige Wiener Michael Kehlmann, geboren am 21. September 1927, studierte
[...] Germanistik und Philosophie und begann bereits während seiner Studienzeit als Regisseur und Autor zu arbeiten. Von 1950 bis 1953 leitete er das "Kleine Theater im Konzerthaus" und inszenierte an den verschiedensten Häusern in Österreich, Deutschland und der Schweiz, am Theater in der Josefstadt und am Wiener Burgtheater.[1]
Nach den Jahren als Intendant an den unterschiedlichsten Bühnen Europas widmete sich Michael Kehlmann zunehmend der Fernsehregie, wobei sein Hauptaugenmerk dabei auf der österreichischen Literatur und Geschichte lag.[2] Neben zahlreichen Verfilmungen und Spielfilmen war Kehlmann bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1990 Leiter der Fernsehspielabteilung des ORF; und ein überaus geschätzter Kollege: „Prof. Michael Kehlmann zählte als Fernsehspiel-Chef und Regisseur zu den profiliertesten Persönlichkeiten des ORF. Wir verdanken ihm eine Reihe von viel beachteten Produktionen.“[3]
Nach drei Schlaganfällen in den darauf folgenden Jahren erlag Michael Kehlmann am 01.12.2005 seinem Leiden im Alter von 78 Jahren.
Dagmar Mettler, Daniel Kehlmanns' Mutter, ist ursprünglich in Köln am Rhein aufgewachsen, lebt nun aber seit über 20 Jahren in Wien. (Ein genaues Geburtsdatum oder Details aus ihrer Kindheit konnten leider nicht ermittelt werden). Die anfängliche Faszination an der Malerei wich in ihrer Jugend dem Drang Schauspielerin zu werden – nach eigenen Aussagen ihre zweite große Leidenschaft.[4]
Damals entschied ich mich für die Schauspielerei […] und besuchte die Folkwanghochschule für Musik, Theater, Tanz in Essen. Nach der Schauspielschule spielte ich dann unter anderem in Düsseldorf, Darmstadt und Zürich Theater.[5]
Als dann ihr Sohn Daniel das Licht der Welt erblickte, entschied sie sich nur noch für Spielfilme und dergleichen vor die Kamera zu treten, da sie nicht Gefahr laufen wollte, auf lange Zeit von ihrer Familie getrennt zu sein. „Ich wollte nicht für zu lange von meiner Familie getrennt sein, was unweigerlich der Fall gewesen wäre, wenn ich in Deutschland Theater gespielt hätte.“[6] In dieser Zeit entdeckte Dagmar Kehlmann ihre verborgene Liebe zur Malerei wieder, bis diese ganz die Oberhand gewann.[7] Und wie unschwer ihrer Homepage zu entnehmen ist, blieb sie dieser Kunst bis heute treu.
Daniel Kehlmann, wie bereits anfänglich erwähnt, kam am 13. Januar 1975 in München zur Welt und zog sechs Jahre später mit seinen Eltern in die Österreichische Hauptstadt Wien. Da sein Vater gebürtiger Wiener war und der Großvater – der expressionistische Schriftsteller Eduard Kehlmann – dort lebte, fiel die Entscheidung nicht schwer um zu siedeln, da man des permanenten, beruflich bedingten Pendelns des Vaters zwischen Deutschland und Österreich Leid war.[8]
Nach seinem Schulabschluss studierte Kehlmann am Kollegium Kalksburg Philosophie und Literaturwissenschaft und war nebenher als „[...] freier Mitarbeiter der österreichischen Akademie der Wissenschaften[...]“[9] tätig.
Beruflich war er unter Anderem 2001 als Gastdozent für Poetik an der Universität Mainz beschäftigt, bis ihm dann schließlich der internationale Durchbruch im Jahr 2003 mit dem Bestseller Ich und Kaminski g elang. Von da an ging es für Kehlmann die Karriereleiter steil aufwärts. Er erhielt Poetikdozenturen an der Universität Göttingen und an der Fachhochschule Wiesbaden, war fortan „[…] Mitglied der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung [...]"[10] und erhielt zahlreiche Auszeichnungen für seine literarisches Werke. Um nur einige zu nennen: 1998 Förderpreis des Kulturkreises beim Bundesverband der Deutschen Industrie, 2005 den Candide Preis des Literarischen Vereins Minden, 2006 den Heimito-von-Doderer-Preis, den Kleist-Preis und 2008 u.a. den Thomas-Mann-Preis.
3. Ruhm: ein Roman in neun Geschichten – Inhalt
„Geschichten in Geschichten in Geschichten. Man weiß nie, wo eine endet und eine andere beginnt! In Wahrheit fließen alle ineinander. Nur in Büchern sind sie säuberlich getrennt.“[11]
„Ein Roman ohne Hauptfigur! […] Die Komposition, die Verbindung, der Bogen, aber kein Protagonist, kein durchgehender Held.“[12]
Wie der Romantitel bereits ankündigt, besteht Daniel Kehlmanns' Werk aus insgesamt neun einzelnen Geschichten, welche im Roman miteinander verknüpft und doch grundlegend separiert sind. Sie bauen zum Teil aufeinander auf, sind mit- und ineinander verwoben; die einzelnen Protagonisten kennen einander, lieben oder hassen sich und haben doch allesamt ihre ganz eigene Geschichte im Roman.
3.1. Stimmen
Die zentrale Figur in dieser Erzählung bildet der Familienvater Ebeling, der eine suboptimale Ehe führt, zu seinen beiden Kindern keinerlei Beziehung hat und Angestellter in einer Firma für Computerreparatur ist.
Nach längeren Diskussionen mit seiner Familie und Freunden, legt er sich eines Tages ein Mobiltelefon zu, um jeder Zeit erreichbar zu sein. Alsbald mehrere Anrufe eingehen, in denen ihm unbekannte Personen nach einem gewissen Ralf verlangen, ruft Ebeling seinen Mobilfunkanbieter an, um der Möglichkeit nachzugehen, ob seine Telefonnummer zufälligerweise doppelt vergeben wurde, wobei man ihm mehrfach versichert, dass das absolut unmöglich sei. Nach und nach beginnt Ebeling die Rolle des Ralf zu übernehmen und findet gleichsam auch immer mehr Gefallen an diesem Rollenspiel, da besagter Ralf recht wichtig zu sein scheint und dessen Leben erheblich interessanter anmutet als Ebelings' tristes Dasein. „So fühlt es sich also an, wenn man etwas hatte, auf das man sich freute.“[13]
Durch die Telefonate mit fremden Frauen, mit denen er sich allem Anschein nach als Ralf zum Sex verabredet, ist er derartig erregt, dass auch sein eheliches Liebesleben wieder belebt wird. Doch es kommt wie es kommen muss: Ebeling treibt es zu weit und überdenkt weder die persönlichen Konsequenzen, noch die seines Handelns. Das hat u.a. zur Folge, dass er passiv einem Mann am anderen Ende der Leitung dazu rät, sich mittels einer Tablettenüberdosis das Leben zu nehmen und dabei sogar noch pejorative Gefühle für eben jenen hegt. „»Ich tue es wirklich!« Ebeling schaltete das Telefon aus, für den Fall, daß der armselige Mensch ihn zurückrufen würde.“[14]
Als künftig das Telefon bis auf Weiteres stumm bleibt, wird Ebeling depressiv, geht nicht mehr zur Arbeit und macht den Eindruck, dass ihm der Lebensinhalt geraubt wurde. Als sich dann nach zwei versäumten Arbeitstagen sein Chef meldet und ihn beruhigt, dass er ein toller Mitarbeiter sei, auf den man sich verlassen kann, bricht Ebeling in Tränen aus, weil er mutmaßlich erkannt hat, dass es nicht sein Leben war – welches er für kurze Zeit führen durfte – und auch nie sein wird. Bestätigt wird diese Vermutung letztlich durch den Arbeitskollegen, der, nach dem Ebeling beim Essen mehrfach auf sein Handy schaute, meint: „Versteh das jetzt bitte nicht falsch. Aber wer sollte dich schon anrufen?“[15]
3.2. In Gefahr
In dieser Geschichte spielen Leo Richter – ein bekannter deutscher Schriftsteller – und seine Assistentin Elisabeth, welche er erst vor Kurzem kennen lernte und die ebenfalls als seine Geliebte fungiert, die Hauptrollen. Leo ist ein hysterischer, anstrengender, realitätsfremder Mann mittleren Alters, der sich selbst am nächsten zu sein scheint. Elisabeth, die beiläufig erwähnt, dass Leo Richter der Autor von Rosalie geht sterben ist, ähnelt in ihren Wesenszügen, Aussehen und Beruf Leos' fiktiver Heldin Lara Gaspard, die im Laufe des Romans noch mehrfach Erwähnung findet. Beide unternehmen eine Rundreise durch Mittelamerika, bei der Leo als auswärtiger Autor Vorträge an diversen Instituten hält.
Während der Reise entdecken sie Plakate eines gewissen Ralf Tanner, der, wie sich später noch herausstellen wird, besagter Ralf ist, welcher in der ersten Geschichte vergebens am Telefon verlangt wird.[16]
Im Verlauf der Reise kommt es zu einem Eklat zwischen Leo und Elisabeth, als diese ihn und seinen grotesken Charakter kritisiert und ihm unmissverständlich klar macht, dass sie definitiv keine Schablone für die Figur der Lara Gaspard sein möchte. Doch ihr Reisegefährte ignoriert diese Anweisung komplett und fasst sie sogar als neue Inspirationsquelle für weitere Ideen um seine Figur auf.
Im Folgenden beschließt Leo, ganz entgegen seiner Natur, spontan zu handeln und die geplante Reise einfach zu unterbrechen um zu verschwinden. Nach dem anfängliche Skrupel aus dem Weg geschafft wurden, will Leo – nach eigener Aussage – die Pyramiden sehen.
Angekommen und von einem Deutsch sprechenden Führer begleitet, stellt Leo fest, dass an diesem Ort abertausende Menschen ums Leben gekommen sind und man es fühlen kann wenn man die Augen schließt[17] – und plötzlich klingelt das Mobiltelefon und die Geschichte nimmt ein abruptes Ende. Aufgelöst wird an diesem Punkt jedoch nichts – weder, wo sich Leo und seine Gefährtin aufhalten, ob Elisabeth nicht eine ebenso erdachte Figur wie Rosalie und Lara ist, noch wer der Anrufer ist, mit dessen Anruf die Geschichte ihr Ende nimmt. Es bleibt spannend.
3.3. Rosalie geht sterben
Rosalie, eine krebskranke 76-jährige Frau fasst den Entschluss, sich nach einer ruhelosen Nacht voller Tränen und Zweifel, in einer Schweizer Institution für Sterbehilfe[18] anzumelden, um dort ihrem Leben ein Ende zu setzten. Sie will ihren beiden Töchtern von ihrem Vorhaben nichts mitteilen, da sie oft genug über die leidige Thematik ihres Ablebens gesprochen haben und es nun eben Zeit wird. Auch ihren vermeintlichen Freundinnen, mit denen sie sich am nächsten Tag wie gewohnt zum Kaffeetrinken trifft, verheimlicht sie die Anmeldung im Institut. Lediglich ihrer Nichte Lara[19] erzählt sie am Abend bei einem Telefonat von ihrem Entschluss, wobei diese eine entscheidende Bemerkung macht: „»Etwas daran ist falsch. Aber schwer zu sagen, was.« […] Man sagt es anderen nicht, man belästigt keinen damit. Das ist das Falsche daran, das hat ihre kluge Nichte gemeint. Man tut es allein oder gar nicht.“[20]
Der Aspekt des bewusst gewählten Freitods und das damit verbundene Für und Wider soll an künftiger Position diskutiert werden.
Der Ich-Erzähler Leo Richter führt ständige Dispute mit Rosalie über das Umschreiben ihrer Geschichte in eine lebensbejahende Geschichte; lässt sich jedoch nicht von seinem Weg abbringen und gibt Rosalie keine Chance zur Verwirklichung ihrer Änderungswünsche.Ihre Reise nach Zürich wird gebucht und beginnt mit einem Flug, der jedoch schon in Basel, aufgrund der schlechten Wetterverhältnisse endet. Als Ersatz muss sie in den Zug umsteigen, welcher jedoch auch nicht am geplanten Ziel ankommt, da es auf der Strecke einen Personenschaden gibt, so dass alle Passagiere aussteigen und auf Anschluss warten müssen.
Rosalie vertreibt sich die Zeit im angrenzenden Bahnhofslokal, wo sie prompt von einem bizarren Mann angesprochen wird, der sie in einem eigens für sie gestohlenen Auto zu ihrem Ziel, der Klinik für Sterbehilfe bringt. Als der Mann mitten in der Fahrt anhält, Rosalie die Tür aufhält und meint angekommen zu sein, stellt sie erleichtert und doch wütend fest, dass es nicht der richtige Ort ist. In dem Moment, wo sie ihren Fahrer auf jenes Versehen hinweisen will, ist dieser wie vom Erdboden verschluckt und nicht mehr aufzufinden. An spätere Stelle mehr zu diesem ominösen Wegbegleiter.
Die Protagonistin lässt sich per Taxi zur Klinik fahren, wo jedoch Leo Richter auf keinerlei Details eingehen will, bis er – nach eigenen Angaben – seine Geschichte ruiniert und in Rosalies Zimmer erscheint. Dabei lässt er einen Angestellten der Klinik zu Staub zerfallen, erklärt seiner Figur, dass sie nun wieder gesund und erneut 20 Jahre als ist und lässt sie gehen. Rosalie kann ihr Glück kaum fassen und ihr „[...] Dasein erlischt. Von einem Moment zum nächsten. Ohne Todeskampf, Schmerz oder Übergang. Eben noch ein seltsam angezogenes Mädchen, wirr vor Staunen, jetzt nur mehr eine Kräuselung in der Luft […].“[21]
Am Ende bleibt nur noch Leo Richter bestehen, der sich inständig wünscht, dass, wenn er eines Tages in der gleichen Position sein sollte, irgendjemand ihm selbige Gnade zukommen lässt.
3.4. Der Ausweg
Die tragisch-komische Figur ist hier der populäre und allseits gefeierte Schauspieler Ralf Tanner, der aus unerfindlichen Gründen keine Telefonanrufe mehr bekommt.[22]
Als Tanner seinen Namen im Internet sucht, stößt er auf einschlägigen Seiten auf den Skandal mit einer seiner Geliebten in einer Hotellobby, der von umstehenden Personen mittels einer Handykamera aufgezeichnet wurde.[23]
Ralf zieht sich zunehmend zurück, beginnt sich Dingen zu widmen, die vorab nie sein Interesse geweckt hätten und gesteht mehrfach, – berichtet durch den auktorialen Erzähler – dass nach und nach ein Teil von ihm verloren geht, je mehr er durch Kameras abgelichtet wird. „Er hatte schon lange den Verdacht, daß das Fotografieren sein Gesicht abnützte. Sollte es möglich sein, daß jedesmal, wenn man gefilmt wurde, ein anderer entstand, eine nicht ganz gelungene Kopie, die einen aus sich selbst verdrängte?“[24]
Um sich abzulenken geht Tanner in die Diskothek Looppool, in der an diesem Abend Doubles von Prominenten auftreten. Dabei lernt er Nora kennen, die von Anfang an glaubt, dass auch er nur ein Double des berühmten Tanners ist. Tanner tritt als er selbst auf und versagt nahezu auf ganzer Linie – er ist eben noch ein Anfänger in diesem Geschäft. Die Beziehung zwischen Nora und ihm verfestigt sich, so dass er sich in ihrer Nähe eine Wohnung unter dem Namen Matthias Wagner nimmt. Als er seine Person in der Vorschau zu einem neuen Film sieht, kann er sich nicht daran entsinnen, diesen je gedreht zu haben. Im nächstgelegenen Internetcafé beginnt er zu recherchieren und entdeckt dabei Fotos, an deren Aufnahme, geschweige denn an die darauf abgebildeten Personen, er sich ebenso wenig erinnern kann. Als er Nora auf den Film anspricht, verfällt diese in Begeisterungsstürme über Ralf Tanner und erklärt Matthias, bzw. Ralf: „»Ach, so ähnlich siehst du ihm gar nicht. Vielleicht solltest du jemand anderen imitieren. Du bist gut, aber … Er ist nicht der Richtige.«“[25] Um diesen Schock zu verdauen fährt Tanner zu seiner Villa, die sein eigentlicher Wohnsitz ist, wird dort aber barsch von seinen Butler Ludwig abgespeist. Er sei ein Fan wie jeder andere auch und nur weil er Übereinstimmungen hinsichtlich der Physiognomie aufweist, ist er noch längst nichts Besonderes.
Als Ralf Tanner aufgibt, Ludwig zu überzeugen, kommt der wahre Tanner aus dem Haus. Von seiner Erscheinung derartig beeindruckt, gesteht der Abgewiesene, dass, wenn eine Person das Leben als Ralf Tanner verdient hat, dann wohl zu Recht dieser Mann.
Beendet wird die Geschichte damit, dass der angebliche Tanner nun frei ist und nicht mittels eines Bus' den Heimweg antreten will, was wie folgt begründet wird: „Es war jedesmal seltsam, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, wenn man einem Star ähnlich sah.“[26]
Ob dass nun das Eingeständnis des Matthias Wagner ist, dass er sich lediglich in der Rolle des Schauspielers verloren hat, oder ob er, der wahre Ralf Tanner, durch eine nicht ganz gelungene Kopie ersetzt wurde, bleibt offen und bietet viel Platz für Spekulationen.
3.5. Osten
Maria Rubinstein, eine Kollegin Leo Richters, springt für selbigen ein, eine Rundreise durch Zentralasien zu unternehmen, als dieser sich in der zweiten Erzählung entschloss, seinen Pflichten zu entkommen und lieber die Pyramiden zu besichtigen.
Als Maria am Flughafen ihres Zielortes ankommt, wird sie von einem bereits wartenden Mann abgeholt, mit dem sie sich jedoch auf der gesamten Fahrt zum Hotel nicht verständigen kann – weder gestisch, mimisch noch sprachlich. Im Hotel eingefunden, wird sie gebeten, sich in der Lobby einzufinden, wo ihre Reisekollegen bereits auf sie warten. Nach Erklärungsversuchen, dass sie die für Leo Richter eingesprungene Autorin ist – denn nur sein Name erscheint auf der Teilnehmerliste – kann ihr abenteuerlicher Aufenthalt beginnen.
Sie unternimmt mit ihren Kameraden, von denen keiner etwas mit Reisejournalismus zu tun hat, Ausflüge zu diversen Zielen, die jedoch fast alle Großbaustellen oder Fabriken sind.
Im Anschluss an eine Exkursion werden Hotelzimmerschlüssel an die einzelnen Teilnehmer ausgehändigt. Als jedoch für Maria keine Schlüssel übrig bleibt, wird sie allein in einem ausschließlich für sie geöffneten Hotelkomplex untergebracht. Mit der Gruppenleiterin verabredet sie sich für den nächsten Tag vor dem Hotel, doch von der Gruppe ist am darauf folgenden Morgen nichts zu sehen. Ihr Handy kann sie nicht nutzen, da einerseits der Akku beinahe aufgebraucht ist und sie zum anderen keinerlei Kontaktdaten der Reiseveranstalter besitzt.
Nach einer weiteren Nacht im Hotel begibt sie sich auf die Suche nach Hilfe. Da sie die Landessprache nicht beherrscht und ihr alle vorhandenen Sprachkenntnisse nicht weiterhelfen, versucht sie anhand von Gebärden einen Polizisten um Unterstützung zu bitten, der sie prompt auf das nahe gelegene Revier bringt. Dort erklärt man ihr, dass ihr Visum bereits seit zwei Tagen abgelaufen sei und sie nicht auf der Teilnehmerliste der Veranstaltung stehe. Ihre Bemühungen, das Geschehen aufzuklären, scheitern kläglich; woraufhin sie vor die Tür gesetzt wird. Weiter um Mithilfe suchend, kommt Maria zu einer alten Marktfrau, die ihr Brot und Wasser reicht und sie gestisch auffordert, ihr beim Beladen des Lasters zu helfen. Ohne Bitten und Fragen nimmt die Frau Maria mit zu sich nach Hause, wo sie als Gegenleistung für häusliche Arbeiten Verpflegung und einen Schlafplatz bekommt. In der Nacht schmiedet Maria einen Plan, mit dem die Geschichte ihr Ende nimmt:
Sie würde ein Jahr hier leben müssen, vielleicht zwei, kein Suchtrupp würde sie finden, kein Gesandter des Auswärtigen Dienstes plötzlich auftauchen und sie befreien. Sie mußte bleiben und arbeiten, bis sie die Sprache beherrschte. Falls diese Leute sie bezahlten, würde sie etwas Geld zur Seite legen. Irgendwann würde sie sich auf den Weg in die Hauptstadt machen können. Dort würde sie jemanden finden, der ihr half. Sie würde nicht ewig hier sein; sie hatte es besser als diese Menschen, sie würde herauskommen.[27]
Inwieweit ihr Vorhaben gelingt und sie eines Tages Heimat und Familie wieder sieht, bleibt, wie erwartet, ungeklärt.
3.6. Antwort an die Äbtissin
Miguel Auristos Blancos – ein häufig vorkommender Autor, dessen Werke von diversen Figuren im hiesigen Roman oft zitiert, gelesen oder be-, bzw. verachtet werden – arbeitet in seinem Hochhausapartment in Rio de Janeiro an einem seiner neuen Bücher. Seine Publikationen verfolgen alle die gleiche Thematik: lebensbejahende Schriften, in denen dem Rezipienten Mut gemacht wird, an sich selbst zu glauben und in das eigene Handeln zu vertrauen.
Während die Sonne langsam beginnt unter zu gehen, zieht er eine bislang unbenutzte kleinkalibrige Waffe aus einer seiner Schreibtischschubladen hervor, deren Besitz und Beförderung ihm erlaubt ist. Er mag Waffen, hat bisweilen sogar ein Buch über deren beruhigenden Einfluss geschrieben, aber mehr als Spielzeug waren sie bislang nie für ihn.
Auf seinem Arbeitstisch findet er u. a. einen an ihn gerichteten Brief der Äbtissin Sra. Angela João. Darin bittet sie ihn „[...] um einige Worte über die Frage der Theodizee [...]“[28], was Blancos zu wütendem Kopfschütteln veranlasst. Er legt den Brief weg und führt den Lauf der immer noch bereitliegenden Waffe in seine Mundöffnung ein – so wie er es schon einige Male getan hat – und legt sie doch wieder zur Seite, um sich an ein Antwortschreiben für die Äbtissin zu setzten. Nach Beendigung der Replik macht Blancos eine erschreckende Feststellung: „Diese Blätter waren die Rücknahme von allem, die Auslöschung seines Lebenswerks, die knapp und klar formulierte Entschuldigung dafür, daß er es je unternommen hatte zu behaupten, die Welt kenne keine Ordnung und das Leben könne gut sein.“[29]
Er stellt sich vor, was passieren würde, wenn er wirklich den Abzug drückte. „Dies, und nur dies, würde ihn groß machen.“[30] Während er aus seinem Fenster blickt und die Stadt unter sich leben sieht, denkt er über den Verlauf der Kugel nach. Diese würde nicht nur erst seinen Kopf und dann das Fenster durchschlagen, sondern letztlich das gesamte Universum.
„[...] und da begriff er, daß dies die Wahrheit war, daß genau das geschehen würde, wenn er und kein anderer der Welt das Zeichen der Verachtung einbrannte, ein für allemal, wenn er nur die Kraft fand, abzudrücken.“[31]
Die Auflösung, ob Miguel Auristos Blancos, die symbolische Darstellung Gottes, sich wirklich das Leben nimmt, weil er erkannt hat, dass alles woran er bislang geglaubt und seinen Lesern als die absolute Wahrheit vermittelt hat, gänzlich inkorrekt und töricht war, überlässt Kehlmann zweifelsohne auch hier der Fantasie des Lesers.
3.7. Ein Beitrag zur Debatte
Die gesamte siebente Geschichte in Ruhm: ein Roman in neun Geschichten ist ein Forumsbeitrag im Internet, geschrieben von einem Mitte 30-jährigen Mann, der, wie sich im Verlauf der Handlung herausstellt, relativ korpulent ist, mit seiner Mutter zusammen wohnt und in eben jener Mobilfunkfirma arbeitet, in der Herr Ebeling, Protagonist aus der ersten Erzählung, anruft.
Er berichtet in diesem Beitrag den Lesern, was sich am Freitag der vergangenen Woche zugetragen hat. Als er in einem anderen Forum von der eskalierten Situation von Leo Richter und seiner Geliebten in der Hotellobby las[32], wollte auch er seine Meinung posten[33], was ihm jedoch aus ungeklärten Gründen verwehrt blieb. Wütend und verärgert schreibt der Mann am Arbeitsplatz, wo eine private Nutzung des Internets verboten ist, beleidigende Äußerungen über Leo Richter in diverse Internetforen und wird unmittelbar zu seinem Vorgesetzten zitiert. Der erteilt ihm jedoch nicht wie erwartet eine Rüge wegen der Internetnutzung, sondern eröffnet ihm, dass er das kommende Wochenende an einem Kongress teilnehmen wird.
[...]
[1] www.orf.at
[2] Vgl. Ebd.
[3] Ebd. ORF-Generaldirektorin Dr. Monika Lindner über Michael Kehlmann
[4] Vgl. www.mettler-kehlmann.com
[5] Ebd.
[6] Ebd.
[7] Vgl. Ebd.
[8] Vgl. www.wikipedia.org
[9] www.myfanbase.de
[10] www.wikipedia.org
[11] Kehlmann, Daniel. S.201.
[12] Ebd. S. 25.
[13] Ebd. S. 13.
[14] Ebd. S. 21.
[15] Ebd. S. 23.
[16] Hier beginnt allmählich die Verwebung der einzelnen Geschichten Gestalt anzunehmen, als Elisabeth noch nebenbei von einem Skandal um Ralf berichtet, der an späteren Stellen wieder aufgegriffen wird.
[17] Da beschrieben wird, wie die drei einen Berg hinaufsteigen, liegt die Vermutung nahe, dass sie sich nicht in Ägypten befinden, um die Cheopspyramide zu sehen, sondern in Süd- oder Mittelamerika, um Relikte der Inkas, Mayas oder Azteken zu bewundern.
[18] Wahrscheinlich ist hier die Institution DIGNITAS gemeint. Weiterführende Informationen findet man unter www.dignitas.ch
[19] Vielleicht ist Rosalie die Tante der in der vorangegangenen Geschichte erwähnten Figur Leo Richters Lara Gaspard. Denn auch Rosalie ist wie bereits bemerkt nur eine fiktive Figur des Autors. Diese Vermutung bleibt jedoch bis Ende des Buches ungeklärt und somit eine blanke Mutmaßung.
[20] Kehlmann, Daniel. S. 62-63.
[21] Ebd. S. 76-77.
[22] Das kann er auch nicht, da Herr Ebeling aus der ersten Geschichte mutmaßlich die gleiche Telefonnummer zugewiesen bekam und somit alle an Ralf Tanner gedachten Anrufe von ihm entgegen genommen werden. So kommt es dazu, dass die von Ebeling hinters Licht geführte Affäre sich bei Ralf Tanner beschwert, weil dieser sie angeblich versetzt hat.
[23] Von eben jenem Skandal berichtete Elisabeth bereits in der zweiten Geschichte, als sie bei ihrer Rundreise mit Leo Richter ein Plakat des Schauspielers sieht. Auch hier wird wieder deutlich, wie eng die einzelnen Berichte miteinander verflochten sind.
[24] Kehlmann, Daniel. S. 81.
[25] Ebd. S. 89.
[26] Ebd. S. 93.
[27] Ebd. S. 118.
[28] Ebd. S. 127.
[29] Ebd. S. 130.
[30] Ebd. S. 130.
[31] Ebd. S. 131.
[32] Ein Skandal, der wie bereits mehrfach zu lesen war, oft im Buch zitiert wird.
[33] Der Begriff Posten bezeichnet einen Arbeitsplatz, von dem man erwartet, dass er die Existenz des Inhabers in befriedigender Weise sichert und dass er vom Inhaber angemessen ausgefüllt wird.
Außerdem bezeichnet Posten: das Schreiben und Senden von Beiträgen in Newsgroups oder in Internet-Foren. Siehe dazu: www.wikipedia.de
- Arbeit zitieren
- Anna Stöhr (Autor:in), Franziska Weigel (Autor:in), 2009, Daniel Kehlmanns "Ruhm: ein Roman in neun Geschichten." Inhalt – Wirkung – biblische Aspekte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145307
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