Waren die Maßnahmen der kommunalen Wohnungspolitik im Kaiserreich ein geeignetes Mittel, die Wohnungsnot der städtischen Unterschicht grundlegend zu verbessern?


Hausarbeit, 2008

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Hauptteil
1. Entwicklung der Wohnungsfrage im Kaiserreich 1871-1914
2. Instrumente kommunaler Wohnungspolitik
2.1 Eigenbau
2.2 Subventionierung
3. Widerstände gegen die kommunale Wohnungspolitik

III. Fazit

I. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit der Frage, ob die Maßnahmen der kommunalen Wohnungspolitik im deutschen Kaiserreich ein geeignetes Mittel waren, die Wohnungsnot der städtischen Unterschichten grundlegend zu verbessern. Die Wohnungsnot wird dabei nicht nur als das Fehlen von ausreichend Wohnraum angesehen, vielmehr werden auch die qualitativen Hygienestandards bezüglich der Gesundheit und Sittlichkeit bereits vorhandener Wohnungen berücksichtigt.

Um diese Leitfrage beantworten zu können, richte ich mein Hauptaugenmerk auf repräsentative Kennzahlen und Entwicklungen des gesamten Kaiserreiches. Da den Städten und Gemeinden vom Staat so gut wie keine Richtlinien oder Gesetze zum Wohnungsbau auferlegt wurden, entwickelten sich die unterschiedlichsten Modelle der kommunalen Wohnungspolitik, so dass es keine repräsentative Kommunalpolitik einer bestimmten deutschen Stadt für das gesamte Reich gibt. Zur Verdeutlichung greife ich allerdings auch auf Beispiele deutscher Großstädte zurück. Um den Umfang und damit den Erfolg der kommunalen Maßnahmen bewerten zu können, werde ich zudem Statistiken des privatwirtschaftlichen Wohnungsbaus vergleichend hinzuziehen.

Zur zentralen Forschungsliteratur dieser Arbeit zählen zunächst die Aufsätze von Krabbe1, dank derer die Idee zu dieser Leitfrage entstanden ist. Zudem die Monographie von Zimmermann2 und der Aufsatz von Steitz3, die einen Überblick über das breite Spektrum der kommunalen Wohnungspolitik im Betrachtungszeitraum geben. Ferner die Monographie von Hafner4 und der Aufsatz von Brede/Kujath5, die aufschlussreiche Kennzahlen zur Finanzierung des kommunalen Wohnungsbaus liefern.

Über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg fanden Diskussionen innerhalb der Städte und Gemeinden über die Zuständigkeit und die zu treffenden Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnbedingungen der Unterschichten statt. Diesen Prozess der Wohnungsfrage, von den Debatten bis zur aktiven Wohnungspolitik, werde ich nachfolgend darstellen. Anschließend erläutere ich die wichtigsten Instrumente kommunaler Wohnungspolitik, den Eigenbau der Städte und Gemeinden, die Subventionierung mittels Krediten, Hypotheken, Darlehen, Steuerermäßigungen etc. sowie die Bodenpolitik. Weitere Maßnahmen bleiben entweder aufgrund des geringen Umfangs oder, im Falle der Bauordnungen, wegen der Zuständigkeit der Polizei und somit des Staates unberücksichtigt. Darauf folgt als letzter Untersuchungsgegenstand der breite Widerstand gegen eine kommunale Wohnungspolitik, der über den gesamten Betrachtungszeitraum festzustellen ist. Am Ende meiner Arbeit werde ich die wichtigsten Ergebnisse in einem Resümee zusammenfassen und die Leitfrage dieser Arbeit beantworten.

II. Hauptteil

1. Entwicklung der Wohnungsfrage im Kaiserreich 1871-1914

Mit der Geburt des Deutschen Kaiserreiches 1871 wurde die Wohnungsfrage, das heißt die Debatte über die Lösung des Problems der Unterversorgung mit ausreichendem und hygienisch annehmbarem Wohnraum, in erster Linie für die arbeitende Unterschicht der deutschen Städte bereits von Wohnungsreformern und sozialistischen Kreisen diskutiert. Die eng mit der zunehmenden Industrialisierung und Urbanisierung in Verbindung stehende Wohnungsnot, 1871 lebten erst 4,8% der Bevölkerung in Städten über 100.000 Einwohnern, 1910 bereits 21,2%6, zeigte sich nicht nur an einem quantitativen Mangel an Kleinwohnungen für die in die Städte ziehenden Arbeiter, sondern vielmehr auch an weiteren qualitativen Merkmalen. Dazu zählte in erster Linie eine hohe Wohndichte, also eine Vielzahl von Personen in einem Haus, auf einem Stockwerk oder innerhalb einer Wohnung. So lebten 1861 zum Beispiel 25% der Einwohner Berlins in überbevölkerten Wohnungen.7 Zudem florierten aufgrund der hohen Mieten das Schlafgänger- und Untermieterwesen, was wegen der Sittlichkeits- und Moralvorstellungen angemahnt wurde, sowie Krankheiten durch mangelnde Beheizbarkeit der Räume, schlechte Durchlüftung, feuchte Wände und mangelhafte Abfallentsorgung.8

In der ersten von drei Phasen der Diskussion und wohnungspolitischen Aktivität seitens der Kommunen, dem Erkennen der Wohnungsfrage von 1870-1889, wie Steitz die Periode bis zum 1. Weltkrieg gliedert9, herrschte unter den kommunalen Städte- und Gemeindevertretungen eine deutlich liberale „laissez-faire“ Haltung. Demnach sei der Wohnungsbau Aufgabe der Privatindustrie und ließe sich einzig durch Regulierung von Angebot und Nachfrage über Märkte ordnen.10 So erkannten die meisten Gemeindevertreter in den deutschen Städten einerseits zwar ein Wohnungsproblem der städtischen Unterschichten, lehnten aber andererseits zunächst sogar den kommunalen Eigenbau für städtische Angestellte ab, da „die Stadt als Konkurrent gegenüber der privaten Bauwirtschaft und dem privaten Hausbesitz auf[trete]“.11 Bauordnungen für Mindeststandards an Wohnqualität und Fluchtlinienpläne für ausreichend Bauland in Kombination mit dem Walten der Privatindustrie sollten den Wohnungsmarkt zufrieden stellend regulieren.12

Dass diese Haltung der breiten Mehrheit der Kommunalpolitiker bis in die 1890er Jahre eine klare Fehleinschätzung der realen Verhältnisse darstellte, zeigen die Diskussionen der Wohnreformer, wie dem „Verein für Socialreform“. So zum Beispiel Gustav Schmollers „Mahnruf in der Wohnungsfrage“ von 1887. „Die besitzenden Klassen müssen aus ihrem Schlummer aufgerüttelt werden; sie müssen endlich einsehen, daß, selbst wenn sie große Opfer bringen, dies nur (…) eine bescheidene Versicherungssumme ist, mit der sie sich schützen gegen die Epidemien und gegen die sozialen Revolutionen, die kommen müssen, wenn wir nicht aufhören, die unteren Klassen in unseren Großstädten durch ihre Wohnungsverhältnisse zu Barbaren, zu thierischem Dasein herabzudrücken“.13 Den Reformbewegungen ging es dabei in erster Linie um eine aktive Wohnungspolitik der Städte, zur Förderung von Hygiene, Gesundheit und des Erhalts der Arbeits-, Volks- und Wehrkraft.14 Die Diskussionen innerhalb der Reformbewegungen drangen mehr und mehr in die Öffentlichkeit, zusätzlich war ein zunehmendes Problembewusstsein innerhalb der Bevölkerung erkennbar, wie von Saldern argumentiert.15 Auch Zimmermann konstatiert für den Zeitraum von 1860 bis 1880 die schlechtesten wohnhygienischen Bedingungen im Betrachtungszeitraum.16

Die zweite Phase, die Diskussion unter Berücksichtigung der Zuständigkeit der Kommunen von 1890-1905 ist von einem Konsens über die Zuständigkeit der Städte- und Gemeindevertretungen geprägt, auf dessen Grundlage geeignete Maßnahmen diskutiert wurden. Neben dem Problem der hohen Mietpreise, von 1871 bis 1895 sanken die Löhne stärker als die Mietpreise17, war auch das Scheitern der privaten Wohnungsindustrie unübersehbar. Die Wohnungsbauwirtschaft orientierte sich nicht etwa am Bedarf, um flexibel auf Nachfrageerhöhungen reagieren zu können, sondern an der überregional dimensionierten Struktur des Hypotheken- und Geldmarktes.18 Zusätzlich stagnierte der Wohnungsbau besonders in Phasen der Hochkonjunktur, wie sie ab 1895 vorherrschte, da Pfandbriefe im Vergleich zu höherverzinslichen Anleihen unattraktiver waren.19 Der besonders große Zustrom an benötigten Arbeitskräften während einer Hochkonjunktur vergrößerte den Wohnungsmangel nachhaltig. Außerdem wurden Hausbesitzer mit mehreren Steuern belastet, der Wertzuwachs-, Grund-, Haus- und der Umsatzsteuer. Auch die Kreditvergabe war durch verschiedene Reichs- und Landesgesetze erschwert, die die Beleihungsgrenze auf 50 bis maximal 60% des Immobilienwertes vorsahen.20 Besonders der für die Unterschichten bedeutsame Bau von Kleinwohnungen wurde von der privaten Bauwirtschaft vernachlässigt. Gründe für diesen Sachverhalt seien der überdurchschnittlich schnelle Wertverlust durch rücksichtslose Beanspruchung der Mieter wegen Überbelegung und hoher Fluktuation. Ferner sei die Einbringung des Mietzinses unsicher und die Verwaltung mühsam. Dies führte dazu, dass der Besitz, die Verwaltung und die Vermietung unbeliebt waren.21

Mit dem zunehmenden Einfluss der SPD in den Stadtverordnetenversammlungen, in München zum Beispiel erhöhte sich die Anzahl der Stadtverordneten von 1 (1893) auf 9 (1905), wurde aus den theoretischen Diskussionen zunehmend eine aktive Wohnungspolitik. Auch der Münchener Bürgermeister von Borscht sah seine Gemeinde im Februar 1900 „zu einer Beteiligung an der Verbesserung der Wohnsituation verpflichtet“.22 Die Wohnsituation der städtischen Unterschichten hatte sich seit 1871 durch zyklische Mieterhöhungen beziehungsweise Lohnsenkungen, Citybildung, sprich Umwandlung innerstädtischen Wohnraums in gewerblich nutzbaren Raum, Baurückgang aufgrund konjunktureller Schwankungen und des Desinteresses der privaten Bauwirtschaft am Bau von unrentablen Kleinwohnungen und schließlich der enormen Verstädterung, in München stieg die Einwohnerzahl beispielsweise von 89.000 (1850) auf 500.000 (1900), drastisch verschlechtert.23

In der dritten und letzten Phase, der Entscheidungs- und Umsetzungsphase der Kompromisslösungen, von 1905 bis zum Ausbruch des 1.

[...]


1 Krabbe, Wolfgang, Die Anfänge des „sozialen Wohnungsbaus“ vor dem Ersten Weltkrieg. Kommunalpolitische Bemühungen um eine Lösung des Wohnungsproblems, in: Vierteljahrsschrift für Sozialund Wirtschaftsgeschichte 71, 1984, S.30-54. Krabbe, Wolfgang, Die Wohnungsfrage in der Kommunalpolitik deutscher Großstädte vor dem Ersten Weltkrieg: Ursprünge des Sozialen Wohnungsbaus, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 36, 1985, S.426-438.

2 Zimmermann, Clemens, Von der Wohnungsfrage zur Wohnungspolitik, Göttingen 1991.

3 Steitz, Walter, Kommunale Wohnungspolitik deutscher Großstädte 1871-1914, in: Teuteberg, Hans Jürgen (Hg.), Homo Habitans. Zur Sozialgeschichte des ländlichen und städtischen Wohnens in der Neuzeit, Münster 1985.

4 Hafner, Thomas, Kollektive Wohnreformen im Deutschen Kaiserreich (1871-1918). Anspruch und Wirklichkeit, Stuttgart 1992.

5 Brede, Helmut u. Kujath, Joachim, Finanzierung und Wirtschaftlichkeit des Kleinwohnungsbaus. Zu den Marktwiderständen und der Reformökonomie bis 1914, in: Rodriguez-Lores, Juan u. Fehl, Gerhard (Hg.), Die Kleinwohnungsfrage. Zu den Ursprüngen des sozialen Wohnungsbaus in Europa, Hamburg 1987.

6 Von Saldern, Adelheid, Kommunale Wohnungs- und Bodenpolitik in Preußen 1890-1914, in: Rodriguez-Lores, Juan u. Fehl, Gerhard (Hg.), Die Kleinwohnungsfrage. Zu den Ursprüngen des sozialen Wohnungsbaus in Europa, Hamburg 1987, S.74.

7 Zimmermann, S.85.

8 Krabbe (1984) S.33.

9 Steitz, S.433.

10 Krabbe (1984), S.430.

11 Steitz, S.428f.

12 Rodriguez-Lores, Juan, Die Zonenplanung - Ein Instrument zur Steuerung des Kleinwohnungsmarktes?, in: Rodriguez-Lores, Juan u. Fehl, Gerhard (Hg.), Die Kleinwohnungsfrage. Zu den Ursprüngen des sozialen Wohnungsbaus in Europa, Hamburg 1987, S.159.

13 Schmoller, Gustav, Ein Mahnruf in der Wohnungsfrage, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 11, 1887, S. 425-448.

14 Von Saldern, S.80.

15 Ebd. S.74.

16 Zimmermann, S.88.

17 Ebd. S.123.

18 Ebd. S.139.

19 Krabbe (1984), S.34f.

20 Ebd. S.49.

21 Zimmermann, S. 129.

22 Krabbe (1984), S.46.

23 Ebd. S.36-39.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Waren die Maßnahmen der kommunalen Wohnungspolitik im Kaiserreich ein geeignetes Mittel, die Wohnungsnot der städtischen Unterschicht grundlegend zu verbessern?
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie)
Veranstaltung
Die Geschichte der Stadt im Zeitalter der Urbanisierung 1830-1930. Deutschland und England im Vergleich
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
17
Katalognummer
V145388
ISBN (eBook)
9783640549450
ISBN (Buch)
9783640551569
Dateigröße
438 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Waren, Maßnahmen, Wohnungspolitik, Kaiserreich, Mittel, Wohnungsnot, Unterschicht
Arbeit zitieren
Hendrik Paulsen (Autor:in), 2008, Waren die Maßnahmen der kommunalen Wohnungspolitik im Kaiserreich ein geeignetes Mittel, die Wohnungsnot der städtischen Unterschicht grundlegend zu verbessern?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145388

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