Über die Widersprüchlichkeiten der Postmoderne wurde so viel geschrieben, über Sinn und Unsinn von Definition, Gegenstand und Diskurs, dass der Begriff selbst sich in völliger Sinnentleerung jeder seriösen Beschäftigung entzogen hat. In guter Gesellschaft ist sie damit allemal: Um ihren terminologischen Antipoden, „die Moderne“, steht es nicht viel besser. „Moderne-Begriffe, Moderne-Inhalte, Moderne-Parolen sind [...] höchst divergent“, schreibt Wolfgang Welsch immer wieder, und Klaus Milich merkt an: „Zu welchen terminologischen Verwirrungen das Versäumnis einer klaren Differenzierung beider Begriffe führen kann, wird daran deutlich, daß etwa Thomas Mann oder William Faulkner vom Dadaismus, Marcel Proust von André Breton’s Surrealismus und Rainer Maria Rilke vom russischen Konstruktitismus stilbegrifflich nicht mehr zu unterscheiden sind.“ Noch dramatischer liese sich hinzufügen: Anders als im „wohltemperierten Miteinander von Gemütlichkeiten“ ihres nominalen Erben schließen sich die verschiedenen Modernen sogar regelrecht aus. „Jede Berufung auf eine Moderne impliziert unweigerlich die Ablehnung einer anderen“ argumentiert Welsch keineswegs polemisch. Ich möchte im Folgenden die Heterogenität und Komplexität des „modernen Denkens“ nachzeichnen, das in Form der avantgardistischen Künste zu Beginn des Jahrhunderts schon gleichwertig nebeneinander existiert hat. Gleichwohl die vorgenommene Dreiteilung ebenfalls ein Nacheinander, im Sinne weitergedachter Impulse, impliziert, sind viele der philosophischen Gedanken erst später artikuliert worden. Die verschiedenen Künste der Moderne boten dafür einen Pool an Positionen, dessen Reichhaltigkeit hier zu skizzieren ist. Die Vorstellungen von Rationalität, die daraus geweils an die Gesellschaft getragen wurden, divergieren derart weit, dass Anschlussfragen (wie nach Postmoderne oder gar Zweiter Moderne) als Epiphänomene in den Hintergrund treten. Aus den potentiell zahllosen Möglichkeiten zur Demarkation werde ich drei Konzepte herausarbeiten, die unter den plakativen Schlagworten „Heroische“, „Kritische“ und „Ikonoklastische Moderne“ ein möglichst divergentes Feld ästhetischer Strategien abdecken, da sie sich jeweils wechselseitig – unter bestimmten Fragestellungen –komplementär auszuschließen scheinen. Mein Interesse wird um die Thematisierung von Rationalitätskonzepten durch Mittel der Künste kreisen und ein kakophonisches Neben-, Mit-, und Durcheinander der drei Pole behaupten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Drei Modernen
2.1 Eine Heroische Moderne
2.2 Eine Kritische Moderne
2.3 Eine Ikonoklastische Moderne
3. Wege aus der Moderne
4. Quellenverzeichnis:
1. Einführung
Kakophonie der Begriffe
Über die Widersprüchlichkeiten der Postmoderne wurde so viel geschrieben, über Sinn und Unsinn von Definition, Gegenstand und Diskurs, dass der Begriff selbst sich in völliger Sinnentleerung jeder seriösen Beschäftigung entzogen hat. Eine begriffliche Auflösung ihrer selbst mag der Postmoderne als suizidale Ironie oder auch als Letztbeweis gewertet werden, in guter Gesellschaft ist sie damit allemal: Um ihren terminologischen Antipoden, „die Moderne“, steht es nicht viel besser. „Moderne-Begriffe, Moderne-Inhalte, Moderne-Parolen sind [...] höchst divergent. Daher ist es geboten, jeweils genau anzugeben, was man unter „Moderne“ versteht, wenn man für oder gegen sie spricht“[1], schreibt Wolfgang Welsch immer wieder, und Klaus Milich merkt an: „Zu welchen terminologischen Verwirrungen das Versäumnis einer klaren Differenzierung beider Begriffe führen kann, wird daran deutlich, daß etwa Thomas Mann oder William Faulkner vom Dadaismus, Marcel Proust von André Breton’s Surrealismus und Rainer Maria Rilke vom russischen Konstruktivismus stilbegrifflich nicht mehr zu unterscheiden sind.“[2] Noch dramatischer liese sich hinzufügen: Anders als im „wohltemperierten Miteinander von Gemütlichkeiten“[3] ihres nominalen Erben schließen sich die verschiedenen Modernen sogar regelrecht aus. „Jede Berufung auf eine Moderne impliziert unweigerlich die Ablehnung einer anderen“[4] argumentiert Welsch keineswegs polemisch, und anderswo: „ein und derselbe Autor kann (sogar im gleichen Text) einerseits gegen die Moderne zu Felde ziehen –„Diese moderne Welt also, zum Teufel!“, heißt es bei Breton im ersten Manifest des Surrealismus – und kann dann keine fünf Seiten später die surrealistische Geisteshaltung selbst als „spezifisch modern“ beschreiben“[5] Um dem begrifflichen Wildwuchs Herr zu werden perspektiviert Welsch den Begriff historisch und grenzt eine cartesianische, neuzeitliche Moderne des 17.Jahrhunderts von einer ökonomisch-industriellen von 1800, einer Baudelairischen „Modernité“ um 1850, und schließlich von den diversen „Avantgarden“ vom Beginn des 20.Jahrhunderts ab[6]. Anders Martin Seel, der in seinem Plädoyer für eine zweite Moderne die ideengeschichtliche Transformation und Permutation des Vernunftbegriffs von der „klassischen Moderne“, über die „nachklassische Moderne“ bis in die „Postmoderne“ hinein verfolgt[7]. Beiden Ansätzen ist ein evelutorisches Denken zu Eigen, das trotz Eingeständnis und Betonung von Überlappungen und mangelnder Trennschärfe nicht ohne philosophische Chronologie und Abfolge auskommt. Ich möchte im Folgenden die Heterogenität und Komplexität des „modernen Denkens“ nachzeichnen, das in Form der avantgardistischen Künste zu Beginn des Jahrhunderts schon gleichwertig nebeneinander existiert hat. Gleichwohl die vorgenommene Dreiteilung ebenfalls ein Nacheinander, im Sinne weitergedachter Impulse, impliziert, sind viele der philosophischen Gedanken erst später artikuliert worden. Die verschiedenen Künste der Moderne boten dafür einen Pool an Positionen, dessen Reichhaltigkeit hier zu skizzieren ist.
„Aus diesem Avanciertsein der Kunst erklärt sich auch das hohe Identifikationspotential, das ihr in diesem Jahrhundert zukam. Wer einen Zugang zu den neuen Wirklichkeitsverhältnissen und Verstehensweisen der Gegenwart gewinnen wollte, war gut beraten, sich mehr der Kunst als der Philosophie zuzuwenden. [...] Die eigentlich philosophische Aufgabe der Gegenwarts-verständigung wurde von der Kunst weit eher und besser wahrgenommen als von der Philosophie.“[8]
Die Vorstellungen von Rationalität, die daraus geweils an die Gesellschaft getragen wurden, divergieren derart weit, dass Anschlussfragen (wie nach Postmoderne oder gar Zweiter Moderne) als Epiphänomene in den Hintergrund treten.
Um diskursiv vorgehen zu können, muss man die Welt der Erscheinungen symbolisch gliedern und begriffliche Idenditäten bilden. Die Erzeugung jeder binären Oppositionen, etwa „Einheit gegen Vielfalt“, stellt immer eine gewaltsame Vereinheitlichung dar. Dessen bewusst, werde ich aus den potentiell zahllosen Möglichkeiten zur Demarkation drei Konzepte herausarbeiten, die unter den plakativen Schlagworten „Heroische“, „Kritische“ und „Ikonoklastische Moderne“ ein möglichst divergentes Feld ästhetischer Strategien abdecken, da sie sich jeweils wechselseitig – unter bestimmten Fragestellungen –komplementär auszuschließen scheinen. Semantisch nähern sich die drei Annäherungen auf den ersten Blick Seels Unterscheidungen von „klassischer“, „nachklassischer“ und „postmoderner“ Vernunft – der Fokus und die Schlüsse aber weichen davon ab: Mein Interesse wird um die Thematisierung von Rationalitätskonzepten durch Mittel der Künste kreisen und ein kakophonisches Neben-, Mit-, und Durcheinander der drei Pole behaupten. Dazu sei der gleiche hermeneutische Kniff eingestanden, den auch Wolfgang Welsch einräumt:
„ Ich betrachte die moderne Kunst – wer könnte es anders? Und wer könnte ohne Selbstblindheit daraus einen Einwand schmieden? – nicht neutral, sondern bereits durch eine bestimmte Brille. Ich weiß und sage es ausdrücklich: Ich visiere sie aus der Perspektive postmodernen Denkens an.“[9]
2. Drei Modernen
Welche Moderne man auch heranzieht, immer beschreibt sie den Mensch in einem, durch technologische und sozio-ökonomische Bedingungen veränderten Lebensraum: Die Säkularisierung und Rationalisierung der politischen und ideologischen Kräfte sind der Hintergrund, vor dem es zu den ungeheuren technologischen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts kommen konnte. Diese Moderne ist also das Echo einer Entwicklungskette, die mit Descartes angestoßen wurde und heute unter den Begriffen „Aufklärung“ und „Neuzeit“ zusammengefasst wird: Das Projekt, alle Kräfte des Universums unter universellen, allgemeingültigen Prinzipien zu erklären und zu strukturieren, zuerst in den Bereichen der Mathemathik und theoretischen Philosophie, später mit Spinoza in der Ethik und mit Hobbes in der Politik[10]. Als unmittelbare Konsequenz daraus geht ein radikaler Bruch mit dem Althergebrachten hervor, ein Fortschrittsdenken, das technologischen Revolutionen neben ihrem wissenschaftlichem Gehalt auch axiologischen Wert zuspricht, da rationale Kräfte zur Universalisierung des (erhellenden) Leitprinzips der Vernunft beitragen sollen, und das Individuum als vernunftbegabtes Wesen mit anderen und der Gesellschaft versöhnt wird. Gemeinsam ist allen Spielarten der Moderne somit eine generelle Skepsis gegenüber Transzendenz-Vorstellungen und Metaphysik, sie beschreiben eine Hinwendung zu materialistischen Weltbildern, die am Bedürfnis des Menschen ausgerichtet sind. Trotz des cartiesianischen Dualismus aus Geist und Materie, Subjekten und Objekten, bildet die Vorstellung einer übergreifenden Rationalität von Verstand und Naturgesetzen den Fokus der Versöhnung, der die Welt der Phänomene unter messbarer Einheitlichkeit zusammen führen soll.
2.1 Eine Heroische Moderne
Paradebeispiel in den Künsten und Kronzeuge hierfür ist die Moderne Architektur, deren Sonderstellung als Ausformulierung des cartesianischen Neuzeitdenkens betont werden muss. In einem Schulterschluss aus logischem Positivismus in der Philosophie und internationalistischem Stil in der Architektur standen sich die beiden Projekte bis zur Ununterscheidbarkeit nahe[11].
„Gebauter Cartesianismus“[12] beschreibt darum Wolfgang Welsch den Bauhaus-Stil von Architekten wie Walter Gropius und Le Corbusier, und meint damit das Einheitsversprechen eines Funktionalismus, der in geometrischer Strenge Klarheit und Einfachheit evoziert. Das zentrale Credo lautet „form follows function“: Geprießen werden die „Gesetze des Universums“, der „Einklang mit der Weltordnung“[13], jeder subjektive Ästhetizismus wird im Namen dieser „rationalen“ Objektivität ausgetrieben. Damit bricht Le Corbusier auch eine Lanze für das philosophische Unterfangen des Wiener Kreises, das alle Spekulation, und alle Metaphysik, aus der Philosphie bannen und ihre Aufgabe auf die Überprüfung der Zulässigkeit verifizierbarer Fakten festschreiben wollte.
Zwei Momente sind dabei zu unterscheiden: Die Universalisierung und Vereinheitlichung der Bauten und Gebrauchsgegenstände von exemplarischen Gestaltern wie Le Corbusier, Gropius und Mies van der Rohe richtet sich zunächst nicht gegen Pluralität und Vielfalt, sondern gegen völkischen Nationalismus und zerspaltenden Seperatismus rechter Ideologien. „One fits all“ wendet sich gegen mythologisch aufgeladene Propaganda der politischen Vereinnahmung[14]. Der Internationalismus des Bauhaus ist also im Kern ein Humanismus: Funktionalismus orientiert sich an den Bedürfnissen des Menschen, nicht an der ihm zugeschriebenen ideologischen Rolle – der bauliche Ausdruck ornamentsloser Zweckungebundenheit dient, so wurde oft genug betont[15], der Formung eines neuen Menschentypen, der die Ideale der Aufklärung in der Versöhnung von Individuum und Gesellschaft, Kunst und Wissenschaft verwirklicht. Dieses Telos ist auf die Zukunft gerichtet, der die Moderne mit Hilfe von Technologie und Wissenschaft mutig entgegenschreitet. Martin Seel verwendet daher den Begriff der Heroischen Moderne[16].
Mindestens problematisch wird damit die Rolle der anderen Künste. Zwar sind Zweckhaftes und Zweckfreies nie klar zu trennen, wie Adorno an dem praktischen Nutzen von Geselligkeit oder Erbauung zeigt[17]. Doch wenn Positivisten wie Rudolf Carnap jede Dichtung aus der Philosophie verdrängen, und der Architekt Adolf Loos der Architektur jedes Ornament austreiben wollen, schrecken sie nur knapp vor dem eigentlich naheliegenden Umkehrschluss zurück, Dichtung als Beeinträchtigung ihres Anliegens per Se zu schmähen und jede Kunst zu bannen, deren „Dasein, nach den Kriterien der praktischen Welt, Ornament wäre“[18]. An die Stelle des Künstlers tritt „der Handwerker, der nichts als den Zweck vor augen und material und werkzeug vor sich hat“[19]. Anstatt an dieser Stelle aber die Annäherungen von Kunstströmungen wie etwa Neuer Sachlichkeit oder dem Konstruktivismus an das universelle Vernunft-, und Fortschritts-Denken der Heroischen Moderne zu untersuchen, soll stattdessen eine ästhetische Rochade beschrieben werden, die der moderne Künstler aus seiner problematischen Stellung heraus vollzogen hat: Die Wende der Vernunft gegen sich selbst, in Form einer kritischen Befragung ihrer Prämissen.
Adornos 1966 vorgebrachter Einwand gegen eine holistische Allvernunft, die gesellschaftlichen Prozesse verliefen in ihrem Inneren, aller funktioneller Logik zum Trotz, nach wie vor planlos und irrational[20], reagiert nur auf eine tiefer sitzende Aporie im Vernunftsdenken selbst. Das Ideal der Ganzheitlichkeit der Moderne scheint nämlich im Widerspruch zur tatsächlichen Realität des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu stehen, die sich mit einer zunehmenden, alle Bereiche des Lebens umfassenden Partikularisierung und Ausdifferenzierung beschreiben lässt:
[...]
[1] Welsch (1993): S.51
[2] Milich (1998): S.51
[3] Vgl. Seel (1989): S.44
[4] Welsch (2003): S.79
[5] Welsch (1991): S.58
[6] Welsch (1993): S.47
[7] Seel (1989): S.39 ff.
[8] Welsch (2003): S. 103
[9] Ebd. S.84
[10] Welsch (1991): S. 61 f.
[11] „Tatsächlich versuchten Kernmitglieder der jeweiligen Gruppe der logischen Positivisten sowie des Bauhauses bewußt eine Sichtweise auf die Welt zu artikulieren, in der beide eine wesentliche Rolle spielen würden“ Galison (1995): S.653
[12] Welsch (1991): S. 63
[13] Le Corbusier, zitiert nach ebd. S.66
[14] Vgl. Galison (1995): S. 654 & S.673
[15] z.B. Adolf Loos nach Welsch (1991): S.65
[16] Seel (1989): S. 40. In Seels Terminologie stellt die heroische Moderne eigentlich nur ein Spezialfall der „klassischen Moderne“ dar, die sich zwar auch durch ihren universalistischen Vernunftbegriff kennzeichnet, Teleologie und Fortschrittsbegeisterung jedoch nicht immer mit der heroischen Moderne teilen muss. Zur Herausarbeitung möglichst heterogener Pole werde ich von der heroischen Moderne ausgehen.
[17] Adorno (1977): S.378
[18] Ebd., S.379
[19] Loos, nach Adorno, 384).
[20] Adorno (1977) S:379
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