Paul Fleming

Ein Dichter der sein Handwerk versteht


Hausarbeit, 2007

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 Vorwort

2 Regelpoetik

3 Gedichtanalyse
3.1 Inventio
3.1.1 Das Betrachten der Umstände
3.1.2 Das System der Loci
3.2 Die Dispositio
3.3 Die Elocutio - Formale Aspekte

4 Resümee

5 Anhang

6 Literaturnachweis

1 Vorwort

Das 17. Jahrhundert ist bekannt für seine ausgereiften Regelwerke und Lehren, die dem Dichter an die Hand gegeben wurden, um poetisch wertvolle Gedichte zu schaffen. Allerlei Bestimmungen mussten gelernt, und viele große Vorbilder nachgeahmt werden. Auch Paul Fleming, von dem der vorliegende Stammbucheintrag verfasst wurde, kannte sich damit bestens aus und wurde schon in seiner Jugendzeit damit vertraut gemacht. Im Seminar über Flemings Gelegenheitsgedichte entwickelte sich bei der Betrachtung eben dieses Stammbucheintrages die These, dass es sich hierbei um ein hoch konstruiertes und ausgereiftes Werk handelt, das nach allen Regeln der Kunst erdacht und geschrieben wurde. Dieser These soll im Folgenden nun auf den Grund gegangen werden. Dabei ist es vonnöten im Wesentlichen drei Untersuchungsteile zu unterscheiden. Zu Beginn soll jedoch erst einmal der Konflikt zwischen Regeln und dichterischem Können diskutiert werden um dann bei der eigentlichen Gedichtanalyse auf die Prozesse der Inventio, der Dispositio und der Elocutio einzugehen, die ein Dichter beim Verfassen seiner Werke nacheinander durchlaufen muss. Dabei sollen zum einen eine Biografie über Paul Fleming und zum anderen eine Zusammenfassung der wichtigsten, damals gültigen, Regeln und Anweisungen als Analysehilfen herangezogen werden. Der letzte Schritt, den ein Dichter gehen kann, ist die Umsetzung in der Imitatio. Da bei einem Stammbucheintrag jedoch davon ausgegangen werden kann, dass die Gedichte nicht rezitiert wurden, kann diese vernachlässigt werden, womit sich für die Analyse nur die oben schon erwähnte Dreiteilung ergibt.

2 Regelpoetik

„Ließ aber das 17. Jahrhundert so etwas wie dichterische Begabung überhaupt gelten? War es nicht vielmehr die Zeit, in der die Regelpoetik auf dem Höhepunkt ihrer Herrschaft stand?“ (Entner 1989, 122)

Heinz Entner spricht in dieser Frage an, was nahe liegend scheint, betrachtet man die ausführlichen Anleitungen und Regelwerke, die es zur Anfertigung und zum Vortrag allerlei Arten von Gedichten gab. Ganze Abhandlungen wurden verfasst um dem Poet von der Themenfindung, über die Umsetzung bis hin zum Vortrag, Richtlinien zu geben, denen er folgen solle um dem Anspruch der Dichtung gerecht zu werden. Benötigt ein Dichter nun noch Talent, wenn er alle Puzzelteile vorgelegt bekommt und sie nur noch zusammensetzen muss? Ausgehend von der damaligen Überzeugung, dass die Dichtung ein Sonderfall der Rede sei und damit, ebenso wie etwa das Plädoyer vor Gericht, bestimmten Regeln der Rhetorik unterworfen ist, und der Tatsache, dass man für jegliche Gattung ein ideales Modell erstellen könne, löst sich aber die scheinbare Spannung zwischen Regeln und Talent. Ein Poet, der allen Regeln folgend versucht ein Gedicht zu schreiben, benötigt laut Entner trotzdem noch die Fähigkeit „abstraktes Wissen überhaupt in konkrete Gestaltung umzusetzen“ (Entner 1989, 122). Beide Faktoren, der Fleiß beim Lernen der Regeln und das Glück, des in die Wiege gelegten Talentes spielen also eine gleichsam bedeutende Rolle.

Entner ist sich sicher, dass Paul Fleming schon sehr früh, nämlich bereits in der Lateinschule in Mittweida, die Regeln der Rhetorik und der Gattungspoetik, sowie des lateinischen Versbaus kennen lernte und später in der Tomasschule noch vertiefte. Auch an der Universität zu Leipzig soll er noch Poetikvorlesungen besucht haben. Es war außerdem üblich, die Lektüre der Musterdichter immer und immer wieder zu lesen, gar auswendig zu lernen und nachzuahmen um den eigenen Sprachschatz zu vervollkommnen und die Regeln in Fleisch und Blut übergehen zu lassen. (Vgl. Entner 1989, 125.)

Eine Analyse solcher Regelsysteme finden wir bei Wulf Segebrecht, der sich in seiner „Vollständige[n] und deutliche[n] Anleitung zur Anfertigung von Carmina auf allerhand Gelegenheiten“ (Segebrecht 1977, 111) mit den verschiedenen Anweisungen beschäftigt. Dabei spezialisiert er sich, wie der Titel schon verrät, auf das Verfassen von „Carmina in der Modephase der Casuallyrik“ (Segebrecht 1977, 111). In seinem Vorwort schreibt Segebrecht, dass er den Weg, den ein Poet beim Verfassen eines Gelegenheitsgedichtes gehen muss, so genau wie möglich nachzugehen versucht. Er verschafft uns damit einen Einblick in das wahrscheinliche Arbeiten von Paul Fleming, auch wenn es nach Segebrechts Aussage kaum der Praxis entsprach, alle Regeln genauestens zu verfolgen und manche eben auch unbewusst eingehalten wurden.

Im folgenden Teil soll nun versucht werden, Flemings Gelegenheitsgedicht, dass er „In ein Stammbuch Herrn Kolbens von Mutschen“ geschrieben hat, nach den allgemeinen Richtlinien in Segebrechts zusammengestellter Arbeit und nach der Biografie Heinz Entners zu analysieren.

3 Gedichtanalyse

3.1 Inventio

Segebrecht greift die übereinstimmenden Meinungen der damaligen Poetiklehrer auf und schreibt, dass die Grundlage eines jeden Gelegenheitsgedichtes die Inventio zu sein hat, also die Erfindung des Stoffes überhaupt. Dazu ist der Dichter angehalten sich im „Meditieren und Nachsinnen“ (Segebrecht 1977, 113) zu üben um die bestmögliche Umsetzung der eigenen Absichten kunstvoll zu erzielen. Verschiedene Denkmodelle sollten hierbei hilfreich sein:

3.1.1 Das Betrachten der Umstände

Die erste Anweisung lautet, sich genauestens über die Gelegenheit zu informieren, zu der das Gedicht verfasst werden soll. „Das ist nötig, weil er [der Autor] nur über diese Umstände zu den > Realia < gelangt, aus denen er Erfindungen entwickeln kann.“ (Segebrecht 1977, 113). Bevor also auch nur ein Wort niedergeschrieben werden konnte, musste der Dichter eine gründliche Recherche betreiben. Wollte er beispielsweise ein Hochzeitsgedicht verfassen und dem Brautpaare damit gratulieren, so musste er zumindest über die Namen des Paares, den Ort und die Zeit Informationen einholen. Segebrecht gibt insgesamt sieben Umstände an, die dem Dichter zum eigentlichen Gedicht verhelfen sollten, wobei die drei eben genannten die wichtigsten Informationsquellen darstellten. Weiterhin können noch „die Umstände des Ereignisses selbst (4.), seiner Ursache (5.), seines Zweckes (6.) und seiner Art und Weise (7.)“ (Segebrecht 1977, 114) beobachtet werden. Nach Beendigung dieser Arbeit liegt dem Poet ein Realienkatalog vor, der alle wichtigen Daten enthält und Grundlage für den späteren Prozess der Erfindung ist.

Verlangt nun die Aufgabenstellung den Weg des Poeten nachzugehen, so muss man ihn vom Ende zum Anfang hin beschreiten, denn der Dichter selbst steht zur bereitwilligen Auskunft über seine Gedankengänge leider nicht zur Verfügung. Nur anhand der im Gedicht gegebenen Informationen und Themen ist es möglich, Rückschlüsse auf den Prozess der Materialsammlung, der Erfindung und der eigentlichen Umsetzung zu ziehen. Beim vorliegenden Gedicht wird uns die Arbeit nicht allzu schwer gemacht, denn man kann schon an der Überschrift erkennen, welchen Zweck es erfüllen soll: es handelt sich hierbei um einen Stammbucheintrag. Allerdings wäre es wahrscheinlich weitaus schwieriger diesen Stammbucheintrag als solchen zu identifizieren, wenn es die Überschrift, die vermutlich erst später bei der Veröffent-lichung des Werkes außerhalb des Stammbuches des Herrn Kolbens von Mutschen hinzugefügt wurde, nicht gäbe. Heinz Entner erklärt in seiner Biografie über Fleming, dass ein solches „Buch der Freunde“ (lat.: album amicorum) dazu diente, es Menschen, an denen einem lag, oder die man sehr schätzte, vorzulegen und eintragen zu lassen. Manche schrieben persönliche Worte ein, andere Zitate, Pfennigweisheiten oder sogar selbst verfasste Zeilen und blieben so dem Besitzer des Büchleins in guter Erinnerung. (Vgl. Entner 1989, 151-152.) Betrachtet man allerdings den von Fleming verfassten Text, so lassen sich keinerlei persönliche Bemerkungen, Freundschaftsbekundungen, gute Wünsche oder Ähnliches feststellen, weshalb eine Identifizierung wohl scheitern würde. Aber betrachten wir doch erst einmal alle weiteren Umstände, die zu diesem Eintrag geführt haben könnten. Die Jahreszahl in der Überschrift verrät, dass er am 15. März 1631 in Leipzig verfasst wurde. Ein Blick in die Biografie macht schnell deutlich, dass Fleming zu dieser Zeit in der Universität zu Leipzig immatrikuliert war. „Unter den Gelehrten und solchen, die es werden wollten, besaß praktisch jeder ein solches Büchlein“ (Entner 1989, 152). Damit könne man, laut Entner, beweisen, bei welchen angesehenen Dozenten man Vorlesungen besucht hat und wer einem freundschaftlich gesinnt war. Geht man nun davon aus, dass ein solches Buch sehr oft herumgereicht und gelesen wurde, kann ein Eintrag, den zum Beispiel Fleming verfasst hat, auch als Beweis des eigenen Könnens gelten, der dann bewundert und gelobt werden kann. Sieht man dieses Gedicht demnach als einen Leistungsnachweis, erklärt sich das eher allgemein gehaltene Thema und die fehlenden persönlichen Worte: Fleming wollte sein gesammeltes Wissen in den Grunddisziplinen der Rhetorik, Philosophie und Poetik unter Beweis stellen. Außerdem ist dieses Gedicht, wie wir später noch feststellen werden, in Form und Ausdruck sehr ausgereift und nach allen Regeln der Kunst konstruiert.

Das Ereignis, oder der Grund warum dieses kleine Gedicht verfasst wurde, ist also der Wunsch nach einem Stammbucheintrag. Die Frage, die sich nun unwillkürlich stellt ist: Wer ist Herr Kolben von Mutschen? Denn glaubt man Segebrechts Ausführungen, so liefert die Betrachtung der Person und ihrer Lebensumstände reichliches Material zum Verfassen von Carmina. War er also vielleicht ein Kommilitone in Flemings Philosophiestunden, mit dem er über den Lauf der Welt nachsinnte und dem dieser Eintrag als Erinnerung an ein sehr ergötzendes Gespräch dienen sollte, oder einer seiner Professoren, der ihm sein Büchlein gegeben hat, weil er von Flemings Gedankengängen oder seiner Schreibkunst beeindruckt war, oder war er einfach nur ein entfernter Bekannter, der von Flemings Können gehört hatte und sein eigenes Buch mit einem Eintrag von ihm schmücken wollte? Am wahrscheinlichsten halte ich die dritte Variante, da sich besagter Herr Kolben von Mutschen in der Biographie nicht auffinden lässt und als guter Freund sicherlich Erwähnung gefunden hätte.

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Paul Fleming
Untertitel
Ein Dichter der sein Handwerk versteht
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Casuallyrik
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
15
Katalognummer
V146075
ISBN (eBook)
9783640569588
ISBN (Buch)
9783640570249
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Hausarbeit umfasst eine umfassende Analyse eines Gelegenheitsgedichtes von Paul Fleming. Die aufeinanderfolgenden Schritte und strikten Regeln, die ein Dichter im 17. Jahrhundert beim Verfassen von Casuallyrik beachten musste, werden nachvollzogen und detailiert beschrieben. Man könnte die Hausarbeit durchaus auch als Anleitung zum Schreiben von solchen Gelegenheitsgedichten verstehen.
Schlagworte
Paul, Fleming, Dichter, Handwerk
Arbeit zitieren
Katrin Schubert (Autor:in), 2007, Paul Fleming, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146075

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