Fritz Martini nennt Rilke "scheinbar zeitfern". Walter Euchner konstatiert "Rilkes Abneigung [gegenüber] gesellschaftlichen Realia". So sind es auch in den Sonetten an Orpheus die überzeitlichen Themen, denen Rilke sich widmet: Tod, Spiritualität, der Kreislauf des Lebens, Harmonie und Schönheit der Natur und die Kunst. Verdeutlich werden diese Themen immer wieder an Orpheus, dem mythischen "Gott mit der Leier" aus Ovids Metamorphosen.
Die Wortwahl der Sonette wird bestimmt von Göttern, Leiern, Blumen und Tempeln. Die Sonette an Orpheus scheinen sich damit in rückwärtsgewandte Traditionen der romantischen und romantisch beeinflussten deutschen Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts einzuordnen. Ein Zeitgenosse wertete die Sonette an Orpheus so auch als "spätromantische Nachgeburten".
Wie Fremdkörper treten daneben aber im weiteren Verlauf der Sonette Wörter wie Maschine, Apparat, Dampfkessel und Fabrik hinzu, Wörter, die zunächst nicht zu Thematik und Duktus der Sonette und zu ihrer klassisch orientierten Formgebung passen wollen.
Die Maschine steht metonymisch für die Industrialisierung. Sie wird in den Sonetten 1/XVIII und 2/X zentral behandelt. In zweiten Terzett des Sonetts 1/XXIV wird sie ebenfalls angesprochen. Diese drei Sonette möchte ich nach Ernst Leisi Maschinensonette nennen. Durch nähere Betrachtung dieser drei Sonette soll diese Arbeit die dichterische Verarbeitung der Industrialisierung und die Position der Sonette dazu klären.
Ein Überblick über das Technikverständnis der deutschen Literatur vom Beginn der Industriellen Revolution bis zum Zeitpunkt der Niederschrift der Sonette an Orpheus soll hierzu geboten werden, um die Position der Sonette an Orpheus gegenüber der Industrie in die Literaturgeschichte einzuordnen. Da Mythologie und mythologischem Denken in den Sonetten an Orpheus ein besonderer Stellenwert zukommt, unter anderem auch in Bezug zum Thema Maschine, soll das Verhältnis von Mythologie und Industrie angesprochen werden. Geistige Vorbilder und Verwandtschaften bei der Darstellung von Industrie in den Sonetten sollen benannt werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Maschinensonette
- Sonett 1/XVIII
- Sonett 1/XXIV
- Sonett 2/X
- Die Position der Sonette zur Industrialisierung
- Spiritualitätsverlust
- Geschichtsverlust
- Naturentfremdung
- Verzweckung und Mechanisierung des Lebens
- Traditionen der Industrialisierungsdeutung
- Die Mythologie
- Die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts
- Von der Neuromantik zur Neuen Sachlichkeit
- Andere Industrialisierungsdeutungen
- Ergebnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der dichterischen Verarbeitung der Industrialisierung in Rilkes „Sonetten an Orpheus“ und untersucht insbesondere die Bedeutung der Maschine in drei ausgewählten Sonetten, die als „Maschinensonette“ bezeichnet werden.
- Die Rolle der Maschine als Symbol für die Industrialisierung und ihre Auswirkungen auf den Menschen.
- Die Auseinandersetzung mit den Themen Spiritualitätsverlust, Geschichtsverlust und Naturentfremdung im Kontext der Industrialisierung.
- Die Einordnung der „Sonette an Orpheus“ in die Traditionen der Industrialisierungsdeutung in der deutschen Literatur.
- Die Bedeutung von Mythologie und mythologischem Denken in der Interpretation der „Sonette an Orpheus“ im Zusammenhang mit dem Thema Maschine.
- Die Analyse des Technikverständnisses in der deutschen Literatur vom Beginn der Industriellen Revolution bis zur Entstehung der „Sonette an Orpheus“.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Problematik der „Sonette an Orpheus“ im Kontext der Industrialisierung dar und führt die zentralen Themen der Arbeit ein. Kapitel 1 untersucht die drei „Maschinensonette“ und analysiert die Rolle der Maschine als Symbol für die Industrialisierung. Kapitel 2 beleuchtet die Auswirkungen der Industrialisierung auf die Spiritualität, die Geschichte und die Natur. Kapitel 3 setzt sich mit den Traditionen der Industrialisierungsdeutung in der deutschen Literatur auseinander.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Themen der Industrialisierung, den „Sonetten an Orpheus“ von Rainer Maria Rilke, der Maschine als Symbol für die Industrialisierung, Spiritualitätsverlust, Geschichtsverlust, Naturentfremdung und der Einordnung der Sonette in die Traditionen der Industrialisierungsdeutung in der deutschen Literatur. Besondere Aufmerksamkeit wird der Bedeutung von Mythologie und mythologischem Denken im Zusammenhang mit dem Thema Maschine gewidmet.
- Quote paper
- Dirk Kranz (Author), 2009, Die Industrialisierung in Rilkes "Sonette an Orpheus", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146129