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1 Wesentliche Anregungen zur Befestigung des neuartigen Ansatzes – der sich
vorrangig den religiösen Einstellungen größerer gesellschaftlicher Gruppen widmet – lieferten
die Vertreter der französischen ‚Annales‘-Schule um GEORGE DUBY und JACQUES LE
GOFF.2 Im deutschsprachigen Raum wandte sich vor allem PETER DINZELBACHER jenem
Gegenstand zu. DINZELBACHER sah Anfang der 1990er Jahre ein erfüllbares Desiderat
darin, ein interdisziplinär angelegtes, sechsbändiges Handbuch der Religiosität für die verschiedenen
Epochen der deutschen Geschichte zu erarbeiten. Entgegen der üblichen Reihenfolge
erschien seither zuerst der zweite Band, der den offensichtlich leichter zu
bewältigenden Abschnitt des Hoch- und Spätmittelalters behandelt.3 Dagegen steht der
erste Band zur Religiosität des Frühmittelalters bezeichnenderweise noch aus. Für das
Frühmittelalter stellt sich das Problem, dass die Quellenbasis zur Erforschung der Volksfrömmigkeit
und der Spiritualität der Laien im Allgemeinen nur spärlich beschaffen ist. Daher
haben, wie DINZELBACHER vermerkt, für diesen Zeitabschnitt gerade
personengeschichtliche Einzelstudien einen nicht zu unterschätzenden Erkenntniswert. Allerdings
existieren bisher nur wenig derartige Spezialuntersuchungen auf personenhistorischem
Gebiet.4 Die vorliegende Arbeit zur Religiosität Ottos III. möchte nun einen Beitrag zur
Behebung jenes Missstandes leisten.
1 DINZELBACHER, PETER, Mittelalterliche Religiosität, in: Frömmigkeitsstile im Mittelalter, hg. v.
WOLFGANG HAUBRICHS (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 80, 1990), Göttingen
1991, S. 14–34, hier S. 14.
2 Siehe z. B. LE GOFF, JACQUES, Les mentalités – une histoire ambigue, in: Faire de l’histoire. Noveaux
problèmes. Nouvelles approches. Nouveaux objets, hg. v. JACQUES LE GOFF u. a., 3 Bde., Paris
21986; DUBY, GEORGE, Histoire des mentalités, in: L’histoire et ses methodes, hg. v. CHARLES
SAMARAN, Paris 1961; LE GOFF, JACQUES (Hg.), Histoire de la France religieuse, bisher 4 Bde., Paris
1988–1992.
3 DINZELBACHER, PETER, Handbuch der Religionsgeschichte des deutschsprachigen Raumes, Bd. 2:
Hoch- und Spätmittelalter, Paderborn / München 2000.
4 DINZELBACHER, Mittelalterliche Religiosität, S. 15 u. S. 16.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Religiöse Sozialisation: Vorbedingungen und Einflüsse auf Otto III.
- 1.1. Zeitgeist: monastische Spiritualität
- 1.1.1. Erneuerungsbestreben: cluniazensische und lothringische Klosterreform
- 1.1.2. Persönliche Läuterung: Aufblühen der Eremitenbewegung in Italien
- 1.1.3. Antriebsfeder zu aktivem Handeln: Intensivierung der Endzeiterwartung?
- 1.1.4. Zusammenfassung
- 1.2. Erziehung und Erwartungshaltung: religiöse Prägung Ottos III.
- 1.2.1. Erziehung: Hofkapelle, Lehrer und Beichtväter
- 1.2.2. Vorbilder: herausragende Vertreter der ottonischen Dynastie
- 1.2.3. Erwartungshaltung: christliches Sakralkönigtum und Fürstenspiegel
- 1.2.4. Zusammenfassung
- 2. Persönliche Religiosität Ottos III.
- 2.1. Quellen: allgemeine Aussagen zur religiösen Haltung
- 2.1.1. Das Bild Ottos III. bei zeitgenössischen Autoren
- 2.1.2. Das Bild Ottos III. in Selbstzeugnissen
- 2.2. Einstellungen und Handlungen: konkrete Ausformung der Religiosität
- 2.2.1. Anfertigung von Handschriften religiösen Inhalts
- 2.2.2. Verhältnis zu den herausragenden Vertretern der religiösen Strömungen
- 2.2.3. Stiftungstätigkeit und Heiligenverehrung
- 2.2.4. Sündenbewusstsein und Askese
- Die religiöse Sozialisation Ottos III. im Kontext der monastischen Spiritualität, der Eremitenbewegung und der Endzeiterwartung
- Die prägenden Einflüsse der Erziehung, der ottonischen Vorbilder und des christlichen Sakralkönigtums auf Ottos religiöse Haltung
- Die konkrete Ausformung der persönlichen Religiosität Ottos III. in seinen Handlungen, wie z. B. der Anfertigung religiöser Handschriften, seinem Verhältnis zu bedeutenden religiösen Persönlichkeiten, seiner Stiftungstätigkeit und seiner Askese
- Die Frage, inwieweit sich Ottos Religiosität in die allgemeine Religiosität der politisch-geistlichen Elite des 10. Jahrhunderts einfügt oder sich davon abhebt
- Die Relevanz der Religiosität Ottos III. für das Verständnis seiner Herrschaft und seiner Renovatio Imperii-Pläne
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit verfolgt das Ziel, die Religiosität Ottos III. im Kontext der gesellschaftlichen Erwartungen und seines persönlichen Anspruchs zu untersuchen. Sie beleuchtet, wie der Kaiser durch seine Erziehung, seine Zeit und seine Vorbilder geprägt wurde und wie sich seine Religiosität in seinen Handlungen und Einstellungen niederschlug.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die Relevanz der Erforschung der mittelalterlichen Religiosität und stellt die Person Ottos III. als Untersuchungsobjekt vor. Sie definiert die Forschungsfrage und skizziert die Zielsetzung der Arbeit.
Kapitel 1 behandelt die religiöse Sozialisation Ottos III. Es werden die prägenden Einflüsse seiner Zeit, insbesondere die monastische Spiritualität, die Eremitenbewegung und die Endzeiterwartung, dargestellt. Des Weiteren werden die Erziehung Ottos III. durch Hofkapelle, Lehrer und Beichtväter sowie die Erwartungen an einen christlichen Herrscher in diesem Kontext beleuchtet.
Kapitel 2 analysiert die persönliche Religiosität Ottos III. Es werden Quellen, wie z. B. zeitgenössische Autoren und Selbstzeugnisse, ausgewertet, um ein Bild von Ottos religiösen Einstellungen zu gewinnen. Die konkrete Ausformung seiner Religiosität wird anhand von Handlungen wie der Anfertigung von Handschriften, der Beziehung zu bedeutenden religiösen Persönlichkeiten, der Stiftungstätigkeit und der Askese untersucht.
Schlüsselwörter
Religiosität, Otto III., Mittelalter, Monastische Spiritualität, Eremitenbewegung, Endzeiterwartung, Erziehung, Sakralkönigtum, Fürstenspiegel, Handschriften, Stiftungstätigkeit, Heiligenverehrung, Askese, Persönliche Religiosität, Gesellschaftliche Erwartungen.
- Citar trabajo
- Corina Walther (Autor), 2003, Die Religiosität Ottos III. - Ein mittelalterlicher Herrscher im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Erwartung und persönlichem Anspruch, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14616