Zehren von der Substanz: Der Weg der DDR in die Krise von 1989/90


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

30 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

1. Einführung und Fragestellung

B. Hauptteil

2. Systemtheoretische Grundlagen
2.1. System und Umwelt
2.2. Dynamische Systeme: Anreiz, Intervention und Steuerung
2.3. Umweltkomplexität und Ausdifferenzierung

3. Die DDR als System: Ursachen
3.1. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als Stabilitätsproduzenten
3.2. Das politische Subsystem: „Demokratischer Zentralismus“
3.3. Das wirtschaftliche Subsystem: Zentralverwaltungswirtschaft
3.4. Das gesellschaftliche Subsystem: die „sozialistische Gesellschaft“
3.5. Das „System DDR“ und das Prinzip der Nachhaltigkeit

4. Das „Zeitfenster der Transformation“ von 1989/90: Auslöser
4.1. Die DDR als „Kind des Kalten Krieges“?
4.2. Der Fall der Mauer aus Sicht des „rationalen Revolutionärs“
4.3. Die „Resonanzkatastrophe“ im Supersystem der Politik

C. Schluss

5. Bilanz und Ausblick

D. Anhang

6. Verzeichnis der verwendeten Literatur

1. Einführung und Fragestellung

Erst vor dem Hintergrund der Krisen und Konflikte, die die DDR nach 1945 zu bestehen hatte, wird aber auch die Leistung deutlich, die eine politische Führung vollbracht hat, die ohne demokratische Legitimation durch die Bevölkerung eine Gesellschaft und einen Staat gestaltet hat, die sich heute einer bemerkenswerten Stabilität erfreuen.[1] Diese Einschätzung der Stabilität der DDR (und der „Leistung“ der politischen Führung) veröffentlichte Gert-Joachim Glaeßner noch 1989. Nicht einmal ein Jahr später befand sich die DDR in einer tiefen Krise und die „erfolgreiche“ politische Führung war ausgewechselt worden: am 18.10.1989 erfolgte der Übergang von Honecker zu Krenz, am 7. November tritt die Regierung unter Willy Stoph zurück, das Amt des Ministerpräsidenten übernahm am 13. November 1989 Hans Modrow. Am 12. April 1990 wird Lothar de Maizière (CDU), durch die erste (und letzte) frei gewählte Volkskammer der DDR zu seinem Nachfolger bestimmt.. Am 3. Oktober 1990 schließlich war die DDR als eigener Staat aufgelöst und mit Westdeutschland wiedervereinigt. Eineinhalb Jahre nach der Prognose von Glaeßner existierte also die „bemerkenswert stabile“ DDR nicht mehr[2].

Mit dieser Fehleinschätzung stand Glaeßner aber nicht alleine. Vor den Ereignissen 1989 finden sich viele wissenschaftliche Beiträge, die sowohl der DDR als auch den Ostblock insgesamt eine hohe Lebenserwartung prognostizieren[3]. Dabei wurde die hohe Stabilität der DDR mit einer Lebensdauer von 40 Jahren hervorgehoben, vor allem im Vergleich mit den anderen Staaten in der (gesamt)deutschen Geschichte: erreichte doch nur das Kaiserreich mit 47 Jahren eine höhere Lebensdauer, während die Weimarer Republik nur 14 Jahre und das „tausendjährige Reich“ der nationalsozialistischen Herrschaft nur 12 Jahre währte.

Die Geschichte hat aber gezeigt, das eine lange Existenz alleine noch nichts über die weitere Überlebensfähigkeit eines politischen Systems aussagt. Die DDR brach trotz der von vielen Autoren hervorgehobenen Stabilität überraschend zusammen.

Aus diesem Grund ist eine rückblickende Untersuchung interessant im Hinblick auf die Fragestellung: war die DDR stabil? Welche Ursachen für den Zusammenbruch gab es und welche Auslöser? Diese Fragestellungen werden den weiteren Fortgang unserer Untersuchung leiten. Diese Arbeit beschäftigt sich dabei ausdrücklich nicht mit dem Verlauf des Transformationsprozesses, sondern nur mit der Tatsache, dass es zu einer Transformation gekommen ist.

Nach der Fragestellung müssen wir uns der Methode zuwenden, mit der wir an dieses Problem herantreten wollen. Der Bereich der Politikwissenschaft, der sich mit Phänomen des Wandels und Zusammenbruchs von politischen Systemen beschäftigt, die sogenannte Transformationsforschung, hat trotz seiner relativ kurzen bisherigen Lebenszeit eine Vielzahl von theoretischen Ansätzen hervorgebracht[4].

In dieser Arbeit wird das Problem der Stabilität sowie der Ursachen und Auslöser des Zusammenbruches von systemtheoretischer Perspektive betrachtet. Das ist vor allem aus zwei Gründen sinnvoll: erstens hat die Systemtheorie als „Supertheorie“[5] eine strukturierende Funktion und erleichtert vergleichende und allgemeine Betrachtungen, damit also Ansatzpunkte für weiterführende Betrachtungen[6]. Zweitens bietet die Systemtheorie durch ihre Eigenschaft als Metatheorie im besonderen Maße die Möglichkeit, verschiedene theoretische Ansätze zu integrieren und zur Erklärung heranzuziehen. Im Rahmen dieser Arbeit wird das vor allem bei den Überlegungen zum Fall der Mauer in Kapitel 4.2. eine Rolle spielen.

Wir wollen im folgenden so vorgehen, dass wir in einem ersten Schritt grundlegende systemtheoretische Begriffe klären (Kapitel 2), bevor wir darauf aufbauend im dritten Kapitel ein (vereinfachtes) Modell des „Systems DDR“ entwerfen. Im Rahmen dieses Kapitels werden wir auch die Ursachen des Zusammenbruchs der DDR in Form struktureller Defizite analysieren. Anschließend werden wir im vierten Kapitel die konkreten Auslöser des Transformationsprozesses in unser Modell einarbeiten, um damit den Zeitpunkt des Zusammenbruches zu erklären und die Auslöser in ein Verhältnis zu den Ursachen zu setzen. Diese Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick auf weitere Forschungsmöglichkeiten.

Diese Arbeit wird dabei die These vertreten und wissenschaftlich zu belegen versuchen, dass die DDR strukturelle Defizite hatte, die das Ressourcenpotential so nachhaltig erschöpft haben, dass das Eintreten in eine Transformationsphase zwangsläufig erfolgte.

2. Systemtheoretische Grundlagen

Diese Arbeit stellt nicht die Frage, ob es Systeme überhaupt gibt. Wir setzen vielmehr voraus, dass es Systeme gibt[7] und dass die DDR ein solches ist. Die Diskussionen über den ontologischen Status von Systemen werden wir im folgenden ebenfalls vernachlässigen. Systeme sind für uns nicht nur heuristische Elemente, sondern ein analytisches Instrument: ein „System DDR“ existiert nicht nur, sondern gewinnt durch Selbstreferentialität Bedeutung zur Erklärung von Handlungen und Ereignissen. Systemtheorie beschränkt sich damit nicht auf die Beschreibung von Phänomen[8].

2.1. System und Umwelt

Ausgangspunkt eines Systems ist immer die Welt, zu verstehen als die Gesamtheit aller Elemente und aller möglichen Relationen. Durch Selektion bestimmter Elemente und einer bestimmten Relationierung dieser entsteht ein System, dass von einer Umwelt umgeben ist. Die Umwelt umfasst nicht den „Rest“ an Elementen und Relationen, sondern nur die für das System relevanten[9].

Wie ist das nun in unserem Fall zu verstehen? Wir sehen das „System DDR“ als identisch mit dem Staat DDR an. Es ist ganz offensichtlich, dass die DDR weniger ist als die Welt in dem Sinne, dass sie weniger Elemente (in unserem Fall Kommunikationsprozesse) umfasst. Auch sind in der DDR nicht alle möglichen Relationen realisiert, sondern nur ganz bestimmte: es gibt beispielsweise nicht eine Relation zwischen dem Arbeitskollektiv X und der Parteigruppe Y. Diese Selektion von Relationen nennt man Ordnung und ein System bildet immer eine spezifische Ordnung aus.

Wir haben also nun ein System DDR in Abgrenzung zu seiner Umwelt. An dieser Stelle ist es sinnvoll, eine Unterscheidung nach Willke einzuführen, die den Begriff der Umwelt weiter differenziert. Er unterscheidet zwischen Innen- und Außenwelt.

Der Begriff Innenwelt umfasst alle Beziehungen des Systems mit seinen Mitgliedern[10]. Das erscheint insofern seltsam, als man intuitiv ein Systemelement in unserem Falle mit einem Bürger der DDR gleichsetzen würde[11]. Aus systemtheoretischer Perspektive ist diese vereinfachte Betrachtung aber falsch: Elemente sind immer Kommunikationsprozesse und das bedeutet, dass ein Bürger durch die gesellschaftliche Differenzierung von Rollen Mitglied mehrerer Elemente sein kann.

Die Außenwelt wiederum setzt sich aus den übrigen nicht-systemischen Relationen zusammen[12]. In unserem Fall umfasst die Außenwelt der DDR beispielsweise die Systeme der BRD und der Sowjetunion, relevante Ereignisse wie Weltmarktpreise und Konflikte, sowie supranationale Organisationen wie den Warschauer Pakt (WP) oder den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Wenn im folgenden von Umwelt die Rede ist, so ist damit die Außenwelt gemeint, die für unsere Betrachtungen von Bedeutung ist.

Wie gesehen, sind als Elemente von Systemen Kommunikationsprozesse zu verstehen. Das ist in zweierlei Hinsicht erläuterungsbedürftig. Zuerst, der Begriff der sozialen Handlung, der oft als grundlegend für soziale Systeme und ihre Analyse angesehen wird, ist Teilmenge der Kommunikation. Dort, wo soziales Handeln vorliegt, findet auch Kommunikation statt[13]. Zweitens ist die Analyse des Systems DDR im Rahmen dieser Arbeit nur durch relativ grob aggregierte Kommunikationsprozesse möglich. So wird beispielsweise die SED als ein Kommunikationsprozess verstanden, obwohl es kein Element des Systems darstellt.

2.2. Dynamische Systeme: Anreiz, Intervention und Steuerung

Nachdem die Begriffe System und Umwelt nun im ausreichenden Maße geklärt sind, betrachten wir Systeme in ihrer Umwelt und fortschreitender Zeit. Da System und Umwelt durch eine Grenze voneinander getrennt sind, entwickeln sie sich auch unabhängig voneinander. Eine Änderung der Umweltbedingungen beinhaltet beispielsweise nicht zeitgleich (oder überhaupt) eine entsprechende Änderung des Systems.

Neben dieser Geschlossenheit (auf die noch einzugehen sein wird), sind Systeme aber auch immer gegenüber ihrer Umwelt offen. Diese Offenheit von System gegenüber ihrer Umwelt zeigt sich in der Aufnahme von Information und Energie[14]. Dieser „Input“ der Umwelt in das System an Information oder Energie wird als Anreiz verstanden.

Wie einleitend erwähnt, beinhaltet die Umwelt auch andere Systeme, in unserem Fall beispielsweise die Sowjetunion (UdSSR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD). Andere Systeme können insofern Anreize ausüben, als sie ihre Umweltbedingungen ändern und damit indirekt auch die Umweltbedingungen des Systems DDR verändern können. Die Gewährung eines „swings“ im innerdeutschen Handel ist eine Umweltänderung der BRD (in ihrer Umwelt), die auf die DDR als positiver Anreiz aus der „DDR-Umwelt“ wirkt.

Ein Anreiz, der die Funktionalität des Systems begünstigt (beispielsweise die Funktion „Produktion von Gütern“), heißt eufunktional, ein negativer Anreiz dysfunktional. Anreize, die sich nicht auf die Funktionalität des Systems auswirken, nennt man non-funktional.[15]

Neben diesem indirekten Einfluss anderer Systeme aus der Umwelt gibt es auch die Möglichkeit der Intervention[16]. In diesem Fall greift das eine System aus der Umwelt direkt und bewusst in den Ablauf des anderen Systems ein.[17]. Neben dem externen Anreiz und der von außen kommenden Intervention kennt man den Begriff der Steuerung, der eine Selbststeuerung des Systems ist.

Zusätzlich zu den externen Anreizen gibt es interne Anreize. Diese werden von einem Subsystem an das Gesamtsystem oder ein anderes Subsystem abgegeben[18].

Die Bewältigung von Anreizen und das Ausführen von Interventionen oder Steuerung setzt voraus, dass Ressourcen vorhanden sind, um entweder die entstehenden Kosten des Anreizes oder die anfallenden Kosten der anreizneutralisierenden Veränderungen zu bewältigen[19]. Das Ressourcenpotential eines Systems wird verstanden als „die Summe aller in einem System verfügbaren Mittel, Instrumente und Fähigkeiten... die eingesetzt werden können, um die durch die Wirkung eines dysfunktionalen Anreizes entstandenen Kosten zu decken...“[20]

Es ist in der Systemtheorie auch üblich, anstelle von Ressourcen sogenannte Fähigkeiten, zu postulieren[21]. Da jedoch der Begriff der Ressource wesentlich einfacher ist, werden wir ihn im weiteren verwenden (hinzukommt die Tatsache, dass wir eine spätere Definition auf dem Begriff der Ressource aufbauen). Wenn im folgenden von Ressourcen die Rede ist, so sind damit „effektive“ Ressourcen gemeint, die als Ergebnis von Ressourcenpotential und der Fähigkeit, dieses Ressourcenpotential effektiv zu nutzen, verstanden werden.

2.3. Umweltkomplexität und Ausdifferenzierung

Wie gesehen sind Systeme grundsätzlich wesentlich weniger komplexer als die Umwelt. Damit aber kann ein triviales, also einfach strukturiertes System nicht mehr auf jeden möglichen Umweltzustand mit einem adäquaten Systemzustand reagieren[22].

Um angemessen auf eine höhere Umweltkomplexität reagieren zu können, differenziert sich das System nach innen durch Bildung von Subsystemen aus und erhöht so seine Eigenkomplexität[23]: Es wandelt sich zu einem nicht-trivialen System.

Für unsere Arbeit wollen wir die DDR als funktional differenziert in die Subsysteme Politik, Wirtschaft und Gesellschaft betrachten, die ihrerseits wieder Subsysteme (zweiter Ordnung) ausbilden. Diese erhöhte Komplexität verbessert einerseits die Stabilität des Systems, da dieses auf mehr Zustände der Umwelt adäquat reagieren kann, aber zugleich erschwert es die Möglichkeit erfolgreicher Intervention bzw. Steuerung.

Wie eingangs geschildert, zeichnen sich Systeme (und Subsysteme) durch eine begrenzte Anzahl an Elementen und eine begrenzte Anzahl an Relationen aus, also aus der ursprünglichen Komplexität bildet sich eine weniger komplexe Struktur durch Relationierung und Selektion. Das wird durch den Begriff der Ordnung umschrieben, die mit dem systemtheoretischen Begriff des Codes verknüpft ist. Ein Code ist das Ordnungsprinzip eines (Sub)systems, dass selektioniert, relationiert und steuert und Ereignissen Informationswerte zuweist. Wir wollen deshalb im nachfolgenden die Systeme und Subsysteme durch ihren Code charakterisieren[24].

Diese grundlegenden Darstellungen der verwendeten Begrifflichkeiten reichen vorerst aus, so dass wir uns nun der konkreten Entwicklung eines analytischen Modells widmen können. Das wird zugleich unser Verständnis der verwendeten Begriffe fördern.

3. Die DDR als System: Ursachen

Aus systemtheoretischer Perspektive liegt also das „System DDR“ vor, dass sich funktional differenziert hat in die Subsysteme „Politik“, „Wirtschaft“ und „Gesellschaft“.

Eine genaue Abgrenzung der unterschiedlichen Teilsysteme ist nun notwendig. Eine Möglichkeit wäre es, die intuitiven Abgrenzungen sprachlich präzise als Definitionen zu fassen[25]. Da wir jedoch das System aus funktional-strukturalistischer Perspektive und dem Aspekt der Stabilität betrachten, ist es sinnvoll, die Subsysteme danach zu definieren, dass ihre Funktion darin besteht, bestimmte Stabilitätsressourcen zu produzieren. Das Spektrum dieses Ressourcenpotentials reicht nach Sandschneider von „natürlichen Ressourcen (Bodenschätze u.ä.) als Grundlage der Funktionsfähigkeit des Komplementärsystems Wirtschaft, über Legitimität als Ressource zur Stabilisierung des Komplementärsystems Politik bis zu weltanschaulicher Orientierung und Ideologien ... im Komplementärsystem Gesellschaft...“[26] Diese Gedanken werden wir nun näher ausführen und die Definition von Sandschneider dabei an unsere Bedürfnisse anpassen.

3.1. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als Stabilitätsproduzenten

Die Subsysteme unterscheiden sich also durch die Produktion einer bestimmten Stabilitätsressource. Das Subsystem Politik produziert Legitimation[27], die sowohl das eigene Subsystem als auch andere Subsysteme stabilisieren kann. So waren in der Zeit der Weltwirtschaftskrise beispielsweise die Staaten vor Transformation (im Sinne eines Übergangs zur Diktatur) gefeit, die den Ausfall der wirtschaftlichen Stabilitätsressourcen durch politische kompensieren konnten. Die Systeme hingegen, die nur über eine schwache Basis an der Ressource „Legitimation“ verfügten, wie beispielsweise Italien oder Deutschland, konnten den Verlust der wirtschaftlichen Ressourcenpotentiale nicht ausgleichen und verloren in einem Prozess der Ausbreitung dysfunktionaler Anreize ihre Gesamtstabilität[28].

Das politische Subsystem produziert also die Ressource Legitimation. Das wirtschaftliche Subsystem hingegen produziert Güter. Das weicht zwar von Sandschneider ab, ist aber insofern sinnvoll, als eine Wirtschaft nicht durch eine große Anzahl natürlicher Ressourcen stabil ist, sondern immer nur durch Ressourcen und Effizienz in der Verarbeitung, also dem volkswirtschaftlichen „Output“. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Russland ist zwar reich an Ressourcen, aber dennoch nicht in der Lage, soviel an der „Ressource Output“ zur Stabilisierung des Systems zu erzeugen, wie das vergleichsweise rohstoffarme Deutschland. Das wirtschaftliche Ressourcenpotential soll also durch den wirtschaftlichen „Output“ gemessen werden und nicht durch den „Input“.

Der „Output“ teilt sich in Zentralverwaltungswirtschaften ebenso wie in marktwirtschaftlichen Systemen in zwei Aggregatgrößen auf: Konsum und Investitionen. Dabei sind Investitionen unmittelbar zur Stabilisierung des wirtschaftlichen Subsystems verwendete Güter, von denen man zwei Arten kennt: Anlageninvestitonen und Neuinvestitionen. Die für den Konsum verwendeten Güter hingegen stehen dem gesamten System als Stabilitätsressource zur Verfügung.

Die Ressource des Gesellschaftssystems als „weltanschauliche Orientierung“ und „Ideologie“ ist insofern schwierig, als sie verknüpft ist mit dem Begriff der Legitimation aus dem politischen Subsystem. Der Begriff der Legitimation im Sinne einer als rechtens empfundenen Ordnung ist genuin auf das politische Subsystem (eben auf politische Kommunikation!) beschränkt, während eine gesellschaftliche und unpolitische Ideologie fragwürdig scheint und nicht klar abgrenzbar ist gegenüber dem politischen System. Eben dies aber ist notwendig[29].

Deshalb ist es sinnvoll, die Definition „weltanschauliche Orientierung“ als Ressource vorerst beiseite zu lassen und sich dem Problem intuitiv zu nähern. Ehrhart definiert das „Sozialsystems“ als die „Gesamtheit aller Einrichtungen, Verfahren und zwischenmenschlichen Beziehungen, in denen sich wertgebundene Interessen und Bedürfnisse materieller oder ideeller Art entwickeln und in denen Güter und Werte zur Befriedigung dieser Interessen und Bedürfnisse genossen werden.“[30] Das gesellschaftliche Subsystem ist also das System, in dem sich Bedürfnisse entwickeln[31] und in dem die (in anderen Subsystemen) erzeugten Güter zur Bedürfnisbefriedigung konsumiert werden. Der Begriff des „Gutes“ umfasst hierbei natürlich auch ideelle Werte, deren Umsetzung als Befriedigung eines immateriellen Bedürfnisses verstanden wird.

Bedürfnisse und die Bedürfnisbefriedigung sind gesellschaftlich geregelt, in dem Sinne, dass ein spezifischer Wertekomplex bestimmte (asoziale) Bedürfnisse unterdrückt oder abschwächt. Die Vermittlung diese spezifischen Wertekomplexes erfolgt über die Sozialisation: jedes Mitglied der Gesellschaft verinnerlicht einen gesellschaftsumfassenden Wertekomplex.

[...]


[1] Glaeßner 1989, S.31.

[2] Ein chronologische Darstellung der Geschehnisse in der Zeit vom 3. August 1989 bis zum 4. Juni 1990 findet sich bei Spittmann/Helwig 1990.

[3] Eine Ausnahme bildet die Systemtheorie, die aus grundsätzlichen Überlegungen den Zusammenbruch kommunistischer Systeme voraussagte, allerdings konnte auch sie das Zeitfenster nicht näher bestimmen. Siehe hierzu Kollmorgen in Kollmorgen/Reißig/Weiß 1996, S. 289.

[4] Für einen Überblick über die gängigen Paradigmen siehe Kollmorgen in Kollmorgen/Reißig/Weiß 1996 (S. 287 bis 294) oder Merkel 1996 (S. 23 bis 137).

[5] Siehe Luhmann 1987, Seite 19. Gebräuchlicher ist der Begriff der Metatheorie, der im folgenden verwendet wird.

[6] Auf weiterführende Fragestellungen geht der Ausblick in Kapitel 5 ein.

[7] So auch Luhmann 1987, S. 30.

[8] Eine andere Ansicht vertritt beispielsweise Sandschneider 1995, S 104.

[9] Die Relevanz wird dabei durch den „Code“ zugewiesen, genauer gesagt wird die systemspezifische Umwelt durch den Code konstruiert (Krieger 1996, S. 22-23).

[10] Siehe Willke 1993, S. 59 bis 61.

[11] Diese Ansicht findet sich leider auch bei wissenschaftlichen Arbeiten, so zum Beispiel bei Pollack in der Zeitschrift für Soziologie 19, S. 292 bis 307.

[12] Siehe Willke 1993, S. 61 bis 62.

[13] Zum Zusammenhang zwischen Handlung und Kommunikation siehe Luhmann 1987, S. 227.

[14] Diese Aufnahme ist allerdings nicht umfassend, sondern wird durch die Systemgrenze gesteuert.

[15] Sandschneider 1995, S. 126.

[16] Zum Begriff der „politischen Intervention“ eines Subsystems auf andere siehe Willke 1996.

[17] Die Interventionsmöglichkeiten der UdSSR zum Zeitpunkt des Zusammenbruches der DDR waren eher gering ausgeprägt, vor allem durch den fehlenden Willen zur Intervention. Nur für eine historische Gesamtbetrachtung gewinnt dieser Aspekt an Bedeutung.

[18] Die Systemtheorie erschwert (vor allem bei prägnanten Darstellungen!) eine Erklärung, ohne vorzugreifen. Für den Begriff des Subsystems siehe 2.3.

[19] siehe Sandschneider 1995, S. 125 bis 126.

[20] siehe Sandschneider 1995, S. 131.

[21] Zum Begriff der Systemfähigkeiten nach Almond/Powell siehe Ehrhart 1998, S. 69.

[22] Oft wird ein Zustand als adäquat bezeichnet, wenn er optimal ist. In unserer Untersuchung bedeutet adäquat „stabil“. Der optimale Zustand stellt sicherlich einen stabilen dar, aber wir beschränken uns nicht auf diesen einen Sonderfall.

[23] Zum Begriff der Komplexität siehe Willke 1993, S. 91 bis 131. In unserem Zusammenhang wird Komplexität eindimensional durch die Anzahl der Elemente und möglichen Relationen bestimmt.

[24] Ein Code ist natürlich sehr komplex ist. Tatsächlich werden wir ihn nur rudimentär entwickeln können. Siehe zum Begriff des Codes Krieger 1996, S. 22-23.

[25] Siehe hierzu Ehrhart 1998, S. 68 und S. 80.

[26] Sandschneider 1995, S. 131- 132

[27] Der Begriff Legitimation ist gewählt, weil er den Prozesscharakter betont und damit eher in ein systemtheoretisches Modell integriert werden kann.

[28] Nach dieser Betrachtung entspricht also der diffusen Unterstützung nach Easton die Stabilitätsressource Legitimität im politischen System, während spezifische Unterstützung durch die wirtschaftliche Ressource „Output“ dargestellt wird.

[29] Im folgenden werden wir deshalb den Begriff von Sandschneider so modifizieren müssen, dass er für eine Anwendung geeignet ist. Deshalb sind ausführlichere Betrachtungen notwendig.

[30] Das Sozialsystem entspricht bei Ehrhart ungefähr dem, was Sandschneider unter Gesellschaft versteht. Siehe hierzu Ehrhart 1998, S. 80.

[31] Man kann zwischen primären und sekundären Bedürfnissen unterschieden. Primäre Bedürfnisse betreffen die unmittelbare Sicherung des Überlebens, sekundäre sind durch die gesellschaftliche Umwelt produziert. Erstere betrachten wir als erfüllt.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Zehren von der Substanz: Der Weg der DDR in die Krise von 1989/90
Hochschule
Universität Potsdam  (WiSo-Fakultät)
Veranstaltung
Einführung in die Transitionsforschung und der Sonderfall DDR
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
30
Katalognummer
V14631
ISBN (eBook)
9783638199797
ISBN (Buch)
9783656834502
Dateigröße
622 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit untersucht, warum die DDR relativ lange stabil bleiben konnte und wodurch das "Zeitfenster der Transformation" bestimmt wurde. Grundlage ist die Systemtheorie nach Luhmann.
Schlagworte
Zehren, Substanz, Krise, Einführung, Transitionsforschung, Sonderfall
Arbeit zitieren
Markus Roick (Autor:in), 2001, Zehren von der Substanz: Der Weg der DDR in die Krise von 1989/90, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14631

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