Die Ausbildung von Identität, Kultur und Sprache, sind neben einer guten Bildung elementare Bestandteile, um sich in einer Gesellschaft selbstbewusst entwickeln, bewegen und integrieren zu können. Dieses gilt für Personen mit und ohne Migrationshintergrund, unabhängig von dem sozioökonomischen Status oder der Bildungsnähe der Herkunftsfamilie.
Soziale Integration von Personen mit Migrationshintergrund erfolgt nicht nur durch Anpassung bzw. Angleichung an Werte und Normen der kulturellen Geschaffenheit der Aufnahmegesellschaft, dem alphabetisierten Spracherwerb und der Ausprägung der Lesekompetenz in der Landessprache, sondern ebenfalls durch die Akzeptanz der Herkunftskultur und der Wissensvermittlung deren Besonderheiten, wie auch durch Förder- und Forderung der Herkunfts- bzw. Familiensprache der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund bzw. nichtdeutscher Herkunftssprache.
Der Fokus der Arbeit richtet sich auf die Bedeutung von Identität, Kultur und Sprache in Bezug auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund bzw. mit nichtdeutscher Herkunftssprache.
Zunächst wird jeder Bereich der drei Elemente erläutert, um
anschließend in Kürze die bilinguale Staatliche Europaschule Berlin (SESB) in ihrer Konzeption und Zielsetzung vorzustellen, um schlussendlich darzulegen, ob eine bilinguale Schulausbildung in einer heterogenen Gesellschaft positiv wirksam auf die individuelle Entwicklung von Kindern und Jugendliche mit Migrationshintergrund beziehungsweise mit nichtdeutscher Herkunftssprache sein kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Identitätsbegriff und hybride Identität
2.1 Identität
2.1 Hybride oder binationale Identität
3. Kultur und Leitkultur
3.1 Kultur
3.1 Leitkultur und Herkunftskultur
4. Sprache und Mehrsprachigkeit
4.1 Spracherwerb der Landessprache - Problematiken
4.2 Mehrsprachigkeit
5. Staatliche Europa-Schule
5.1 Staatliche Europaschule Berlin – Allgemein
5.2 Zielsetzungen der Staatlichen Europa-Schule
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Ausbildung von Identität, Kultur und Sprache, sind neben einer guten Bildung elementare Bestandteile, um sich in einer Gesellschaft selbstbewusst entwickeln, bewegen und integrieren zu können. Dieses gilt für Personen mit und ohne Migrationshintergrund, unabhängig von dem sozioökonomischen Status oder der Bildungsnähe der Herkunftsfamilie. Von den in Deutschland lebenden Personen mit Migrationshintergrund leben 83% gerne in Deutschland, 42% von ihnen sehr gerne. 82% dieser Personengruppe fühlen sich mit Deutschland und 68% gleichzeitig mit ihrem Herkunftsland eng verbunden. Demzufolge schlie1en sich die beiden Merkmale, d.h. die Verbundenheit mit dem Herkunftsland wie auch mit dem Aufnahmeland Deutschland nicht wechselseitig aus (Wippermann/Flaig 2009:5). Viele Angehörige der Personengruppe mit Migrationshintergrund, insbesondere in soziokulturell modernen Lebenswelten, weisen ein bi-kulturelles Selbstbewusstsein auf und verstehen sich selbst nicht als Migranten, sondern als selbstverständliche Mitglieder der deutschen Gesellschaft und Kultur. Migrationshintergrund und Mehrsprachigkeit gilt vielfach als individuelle und gesellschaftliche Bereicherung (Wippermann/Flaig 2009:6). Allerdings werden Individuen mit Migrationshintergrund, in der ersten zweiten oder dritten Generation in Deutschland lebend, vielfach noch immer als eine besondere Gruppe der Gesellschaft angesehen, obwohl sie Teil einer multikulturellen, von Diversität geprägten Gesellschaft darstellt (Wippermann/Flaig 2009:5). Soziale Integration von Personen mit Migrationshintergrund erfolgt nicht nur durch Anpassung bzw. Angleichung an Werte und Normen der kulturellen Geschaffenheit der Aufnahmegesellschaft, dem alphabetisierten Spracherwerb und der Ausprägung der Lesekompetenz in der Landessprache, sondern ebenfalls durch die Akzeptanz der Herkunftskultur und der Wissensvermittlung deren Besonderheiten, wie auch durch Förder- und Forderung der Herkunfts- bzw. Familiensprache der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund bzw. nichtdeutscher Herkunftssprache. Hinsichtlich des Sprachgebrauches sei zu erwähnen, dass ungefähr ein Drittel aller Grundschüler in Deutschland mehrsprachig aufwächst, das hei1t, dass in der familiären Kommunikation mindestens eine andere Sprache neben Deutsch gesprochen wird (Schröder 2007:6). Gegenseitige Toleranz, Akzeptanz und gleichwertiges Ansehen bedingen den Zusammenhalt einer heterogenen Gesellschaft und fördert gleicherma1en eine selbstbewusste, identifikatorische Entwicklung der Individuen.
Vor diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, „Welche Bedeutung hat Identität, Kultur wie auch der Spracherwerb und Sprachgebrauch der Herkunfts- und Landessprache für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund und welchen Beitrag kann eine bilinguale Schulausbildung an der Staatlichen Europaschule (SESB) für die Ausbildung der drei Faktoren leisten?“
Diese Fragestellung ergibt sich aus bestimmten Problematiken heraus, mit denen Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund konfrontiert werden. In Bezug auf den Faktor Sprache haben Wippermann und Flaig für Deutschland angegeben, dass bei 65% der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Familie Deutsch gesprochen wird. 34% von ihnen kommunizieren ausschließlich oder hauptsächlich in der deutschen Sprache miteinander. In 31% der Familien ziehen sowohl Deutsch als auch eine andere Sprache zur Kommunikation heran. 35% der Familien kommunizieren ausschließlich (17%) oder überwiegend (18%) nicht in der deutschen Sprache (Wippermann/Flaig 2009:5). Hinsichtlich der Sprache des Freundeskreises geben Wippermann und Flaig an, dass 82% der Kinder und Jugendlichen mit ihren engsten Freunden Deutsch sprechen. Untergliedert ist dieses wiederum dahingehend, dass 30% von ihnen ausschließlich, 17% überwiegend und 35% sowohl Deutsch als auch eine andere Sprache zur Kommunikation nutzen. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sind zumeist direkt mit Bedingungen der Mehrsprachigkeit konfrontiert. Dem gegenübersteht, dass von 18% ausschließlich (6%) oder überwiegend (11%) im engen Freundeskreis eine andere Sprache gesprochen wird (Wippermann/Flaig 2009:5). Nach Farwick weisen Migranten mit wenig Sprachkenntnissen, sowie geringer formaler Bildung, einen niedrigen Anteil an Freundschaften zu Personen deutscher Herkunft auf (Farwick 2008:216).
Die Problematik beim Spracherwerb für Kinder und Jugendlichen mit nichtdeutscher Herkunftssprache liegt darin, insbesondere für die Gruppe in deren Familien und Freundeskreis die Herkunftssprache in der Nutzung dominiert, dass die Landessprache Deutsch wenig bis gar nicht genutzt wird und dass die Strukturen und Komplexität der Landessprache von Grund auf neu erlernt werden müssen. In der Schule setzen die auf Immersion ausgerichteten Methoden der Lernprozesse voraus, dass durch das sprachliche Wissen und Können Inhalte verstanden bzw. erfasst werden können, um dem Unterricht zu folgen. Für viele Schülerinnen und Schüler trifft dieses aufgrund mangelnder Vokabelkenntnisse nicht zu, wodurch häufig die Leistungen nicht erbracht werden. Zwei- oder mehrsprachige Kinder und Jugendliche erwerben und erweitern zwar umgangssprachliche Fähigkeiten in der Schule, sind jedoch häufig nicht in der Lage den spezifischen Sach- und Fachanforderungen zu folgen. Für die betroffenen Schüler ist es mitunter schwierig, durch die außerschulische Umgebung die Landessprache aktiv zu nutzen, insbesondere, wenn kein direkter Kontakt zu Kindern mit deutscher Muttersprache besteht, die als Sprachvorbilder fungieren. Das Heranziehen von Sprachvorbildern ist besonders schwierig, wenn eine Schule mehr als 80% an Schülern mit nichtdeutscher Herkunftssprache aufweist. Dann ist es fraglich, ob das Anordnen nur die Landessprache in der Kommunikation zu nutzen, den erwarteten Erfolg mit sich bringt, d.h., dass der Spracherwerb gefördert wird. In Bezug auf den Spracherwerb stellen vor allem Kinder der zweiten oder dritten Generation eine Problemgruppe dar. Oft beherrschen sie weder die Muttersprache noch die Sprache des Aufnahmelandes korrekt und es kommt zu Sprachvermischungen. Für sie dient oft das Nutzen der Herkunftssprache dazu, auch wenn diese nicht vollständig beherrscht wird, einer Gruppe zugehörig zu sein und die eigene Identität zu untermalen. Begründet ist dieses Verhalten mitunter darin, dass 17% nicht wissen, in welche Kultur sie gehören (Wippermann/Flaig 2009:6) und sie weder im Aufnahmeland bzw. im Geburtsland noch in der Heimat der Eltern heimisch sind. Sie sind Grenzgänger zwischen Kulturwelten, da sie in keinem Land als vollwertiges Mitglied akzeptiert werden. In dem Aufnahmeland der Eltern, das häufig ihr Geburtsland ist, werden sie als „Ausländer“ aufgrund äußerlicher Merkmale kategorisiert, in dem elterlichen Herkunftsland sind es mangelnde Sprachkenntnisse und abweichende kulturelle Gebräuche, die sie als „Ausländer“ von der gesellschaftlichen Teilhabe ausschließen. Demzufolge haben Migranten oft aufgrund von sprachlicher und kultureller Barrieren Orientierungsprobleme, wodurch Integrationshemmnisse auftreten können. Zu Integrationshemmnissen gehören neben mangelnden Sprachkenntnissen Identitätsverlust und Perspektivlosigkeit.
In der vorliegenden Arbeit richtet sich der Fokus auf die Bedeutung und Ausbildung dieser drei Bereiche in Bezug auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund bzw. mit nichtdeutscher Herkunftssprache. Zunächst wird jeder Bereich der drei Elemente erläutert, insbesondere dahingehend, welche Bedeutung er für in Deutschland lebende und aufwachsende Personen mit Migrationshintergrund hat.
Anschließend wird in Kürze die bilinguale Staatliche Europaschule Berlin (SESB) in ihrer Konzeption und Zielsetzung vorgestellt, um schlussendlich darzulegen, dass eine bilinguale Schulausbildung in einer heterogenen Gesellschaft positiv wirksam auf die individuelle Entwicklung von Kindern und Jugendliche mit Migrationshintergrund beziehungsweise mit nichtdeutscher Herkunftssprache sein kann.
2. Identitätsbegriff und hybride Identität
2.1. Identität
In Hinsicht auf die Identität gilt es zwischen der Außen- und eine Innenperspektive zu unterscheiden, denn Identität zu haben heißt gleichzeitig, sich selbst zu erkennen und von anderen erkannt und anerkannt zu werden. Es ist eine Kombination von Merkmalen und Rollenerwartungen, durch die andere das Individuum für sich kenntlich, identifizierbar machen. Außenperspektivische Identität schließt Typisierung ein (Battaglia 2000:185). In anderen Worten ausgedrückt ist Identitätsfindung ein steter Prozess, der zwischen dem Selbstbild, das der Einzelne von sich entwirft und dem Bild entsteht, das sich soziale Interaktionspartner in wechselnden Zusammenhängen von ihm machen“ (Foroutan/Schäfer 2009:14). Die Bildung von Identität ist eine persönliche Syntheseleistung, die auf der Verarbeitung äußerer und innerer, aktueller und gespeicherter Erfahrungen beruht. Es ist das subjektive Empfinden des Individuums hinsichtlich seiner Situation, Kontinuität und Eigenart in Bezug auf die Gesellschaft. Eine Person ist bei der Herstellung von indivividueller Identität über sich selbst auf die, von der Außenwelt vorgenommenen Wahrnehmungen, angewiesen. Individualität entwickelt sich allmählich und ist das Resultat von verschiedenen sozialen Erfahrungen (Battaglia 2000:185). Für Individuen, die einen Migrationshintergrund aufweisen, dieser durch Äusserlichkeiten oder mittels anderer Merkmale, die für die Gesellschaft als Merkmal für eine andere Herkunft charakteristisch sind, erkennbar sind, ist es vielfach relativ schwierig, eine Identität auszubilden. Problematisch ist es insbesondere dann, wenn negative Erfahrungen die Persönlichkeit prägen.
2.2. Hybride oder binationale Identität
Der Begriff „Hybride Identität“ oder binationale Identität bedeutet, dass ein Mensch, zumeist mit Migrationshintergrund, sich zwei oder mehreren kulturellen Räumen gleichzeitig zugehörig fühlt (bsp.: deutsch/muslimisch, deutsch/türkisch, deutsch/russisch etc.) und als inter-, trans- oder multikulturell gilt (Foroutan/Schäfer 2009:11). Nationalität oder Staatsbürgerschaft wird alltagstheoretisch als eine Einheit aus Staatsbürgerschaft, Ethnie und Kultur begriffen, wobei diese Faktoren bei Binationalen mehrwertig sind. (Battaglia 2000:190). Gerade durch diese Mehrwertigkeit kommen binationale Individuen häufig in die Lage, sich entscheiden zu sollen, wo bei ihnen der emotionale Schwerpunkt nationaler Bezüge verortet ist, z.B. ob sich die Person mehr türkisch/russisch/französisch etc. oder deutsch fühlt (Battaglia 2000:192). Es wird eine Entscheidung zwischen der Herkunftsidentität und der Landesidentität erwartet (Keupp 2008:176), die nicht einfach zu geben ist. In diesem Sinn ist es zum Beispiel für binationale Jugendliche nicht einfach, sich ab einem bestimmten Alter für eine Staatsangehörigkeit entscheiden zu müssen. Vielfach wird dieses wie eine moralische Prüfung oder ein Bekenntnis zur oder gegen die deutsche Kultur wahrgenommen (Keupp 2008:176).
Individuen mit binationalen oder hybriden Identitäten sind in der Regel deutsche Staatsbürger, in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert, sprechen die Sprachen beider Eltern, die eine mehr oder weniger gut, haben häufig Namen, Gesichter, Haut-und Haarfarbe, die ihre nichtdeutsche Herkunft für andere „erkennbar“ machen (Foroutan/Schäfer 2009:12, Battaglia 2000:185). Die Kombination aller unterschiedlichen Ausprägungen umreißt die Komplexität binationaler oder hybrider Identität (Battaglia 2000:187). Derartige individuellen „Auffälligkeiten“ haben vielfach zur Folge, dass vor allem die in Deutschland geborenen Angehörigen der zweiten und dritten Migrantengeneration, Hürden zu überwinden haben und dadurch häufig der Zugang zu der kollektiven Identität Deutschlands erschwert wird (Foroutan/Schäfer 2009:13). Über die Identität von Menschen binationaler Abstammung wird in alltäglichen Situationen verhandelt, da diese sich erklären und Annahmen wie auch Vorurteile des Gegenübers begründen oder widerlegen müssen (Battaglia 2000:183).
Häufig leben Individuen der zweiten und dritten Einwanderergeneration zwischen zwei Kulturen, empfinden sich jedoch einem gewissen Zwang der einseitigen kulturellen Selbstverortung ausgesetzt, nämlich sich für eine Kultur entscheiden zu müssen. Daraus resultiert für die hier geborene, aufgewachsene und sozialisierte zweite und dritte Generation eine spezifische Problematik beziehungsweise ein individueller Konflikt. Stellung zu ihrer Identität zu beziehen, bedeutet für Binationale, in einen Konflikt zu geraten, abwägen zu müssen, zwischen dem Ziel als die gesellschaftlichen Mittglieder erkannt und anerkannt zu werden, die sie sind (Battaglia 2000:197). Vor allem durch die Frage nach ethnischer Identität und deren Anerkennung, gilt als Moment, durch den die Konflikte besonders problematisch werden (Weiß 2001:88).
Binationale oder hybride Individuen sehen sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass zum einen eine Entfremdung von der großelterlichen oder elterlichen Herkunftskultur entsteht wie auch ein Schwinden der Sinnhaftigkeit bestimmter traditioneller Werte und Normen. Zum anderen erfahren Angehörige der zweiten und dritten Generation oft Ausschluss aus der Gesellschaft und erleben das Gefühl der Randständigkeit in der Gesellschaft (Foroutan/Schäfer 2009:13). Derartiges erleben besonders muslimische Migrantinnen und Migranten der zweiten und dritten Generation, wodurch ein Identifikationsdilemma entsteht, das primär aufgrund der gesellschaftlichen Nichtanerkennung ihrer Identität erfolgt. Einerseits besteht, von der einstigen Aufnahmegesellschaft ihrer Eltern oder Großeltern ausgehend, ein äußerer Assimilationsdruck, ohne implizite Garantie dafür, dass die Identität von der Mehrheitsgesellschaft als deutsch anerkannt wird. Andererseits bedeutet Assimilation gleichermaßen eine Verneinung und Loslösung von elterlichen Werte und somit der Verlust traditioneller Sicherheiten, familiärer Bindungen und sicherer Identität (Foroutan/Schäfer 2009:13).
Bedeutungsvoll ist die kulturelle Dimension der Identität ferner dann, wenn sich Individuen aufgrund der ethnischen bzw. multikulturellen Herkunft diskriminiert und benachteiligt fühlen, woraus eine deutlich andere Wahrnehmung über sich entsteht, als andere Jugendliche (Keupp 2008:174). Demzufolge bedeutet es, dass eine gelingende Identitätsfindung auf die Anerkennung durch die Anderen angewiesen ist. Misslingt dieser Prozess (Foroutan/Schäfer 2009:14). Als Ergebnis des Dilemmas um die Identität, ist eine Identitäskrise möglich, die wiederum zu einer Flucht in eine negative Identität führen kann. Von Identitätskrisen und Identitätsverlust sind insbesondere Individuen jener Generation betroffen, die sich am weitesten von dem Herkunftskontext befinden, sich jedoch noch nicht in dem Aufnahmeland, das zumeist ihr Geburtsland ist, verankert fühlen. Das Annehmen einer negativen Identität weist darauf hin, dass das erfahrene Gefühl sozialer Minderwertigkeit als negatives Selbstbild veinnerlicht wird. Häufig führt der Identitätsverlust oder eine Identitätskrise zu Selbstverachtung und auch zu Aggressionen gegenüber der Außenwelt (Foroutan/Schäfer 2009:14). Um aus dieser Identitätskrise, mit negativer Selbstbetrachtung herauszukommen, kann auffälliges, von der Gesellschaft abweichendes Verhalten, bewusst oder unbewusst, als Auswege herangezogen werden (Foroutan/Schäfer 2009:13). Somit kann das Kreieren von Gegenidentitäten als Reaktion auf mangelnde Integrationsleistungen der Gesellschaft angesehen werden. Individuen, die sich ausgeschlossen und nicht der Gesellschaft zugehörig und anerkannt fühlen, finden sich vielfach in Kollektiven beziehungsweise Gruppen zusammen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Nach dem bereits erfahrenen mehrheitsgesellschaftlichen Ausschluss, grenzen sich derartige Kollektive wiederum nach außen ab, um ihrer inneren Verbundenheit und Identität Ausdruck zu verleihen (Foroutan/Schäfer 2009:14). In anderen Worten formuliert schafft die Artikulation kollektiver Identitäten ein Zugehörigkeitsgefühl, durch das andere gleichzeitig ausgeschlossen werden (Oswald 2007:101). Es hängt von dem Kalkül und von den Empfindlichkeiten der Gruppe ab, ob sie die Konzentration auf religöse Gründe oder auf bestimmte sprachliche oder kulturelle (ethnische) Differenzen richtet (Oswald 2007:101). Problematisch ist dieser zwangsläufige und doch selbst gewählte Abgrenzungsmechanismus, wenn in diesen Gruppierungen Feindbilder von ethnisch anderen, nämlich von der Mehrheitsgesellschaft, konstruiert werden und dieser die vollständige Verantwortung für die Desintegrations- und Ausgrenzungserfahrung zu Teil wird. Für Mitglieder derartiger Gruppierungen besteht aufgrund der Schuldabweisung die Möglichkeit, dass selbst radikalisierte Personen ein positives Selbstbild aufrecht erhalten können. Zudem werden vielfach traditionelle Muster der Herkunftskultur verklärt und verherrlicht und verstärkt herangezogen, um eine vermeintliche Stärke und Selbstbewußtsein zu erlangen (Foroutan/Schäfer 2009:14).
[...]
- Arbeit zitieren
- Andrea Roy (Autor:in), 2010, Bedeutung von Identität, Kultur und Sprache für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146322
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.