„Verkauft sich Marx gut, geht es der Gesellschaft schlecht“ (Die Zeit Online 24.10.2008). Die internationale Finanzkrise, welche seit einem guten Jahr die tägliche Medienberichterstattung dominiert, hat für wieder gestiegenes Interesse an dem Klassiker ‚Das Kapital’ von Karl Marx gesorgt. Schließlich wird das kapitalistische System seit seiner Geburtstunde von Krisen begleitet, beginnend im frühen 19. Jahrhundert im Industriekapitalismus der Länder England, Frankreich, Deutschland und der USA. In der folgenden Arbeit soll der Versuch angestellt werden, die Relevanz der Finanzkrisentheorie bei Marx für die aktuelle Finanzkrise im gegenwärtigen Finanzmarktkapitalismus zu prüfen. Dabei soll zunächst die Marx’sche Krisentheorie beschrieben und mit neueren Krisentheorien verglichen werden, um sie schließlich am gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzmarktsystem auf ihre Aktualität zu prüfen. Entscheidend hierzu ist nicht zuletzt die Frage, ob die Macht des Kapitals durch die Krise nach der Marx’schen Theorie gebrochen werden kann oder die Krise systemimmanent ist und überwunden werden kann.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Krisentheorie bei Marx
2.2 Die verschiedenen krisentheoretischen Ansätze bei Marx
2.3 Kritik an der Marx’schen Krisentheorie
3 Die Finanzkrise und Finanzmärkte der Gegenwart
3.1 Die Globalisierung der Finanzmärkte und Neoliberalismus
3.2 Neue Krisentheorien
4 Die Relevanz von Marx heute
5 Schlussbetrachtung
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
„Verkauft sich Marx gut, geht es der Gesellschaft schlecht“ (Die Zeit Online 24.10.2008). Die internationale Finanzkrise, welche seit einem guten Jahr die tägliche Medienberichterstattung dominiert, hat für wieder gestiegenes Interesse an dem Klassiker ‚Das Kapital’ von Karl Marx gesorgt. Schließlich wird das kapitalistische System seit seiner Geburtstunde von Krisen begleitet, beginnend im frühen 19. Jahrhundert im Industriekapitalismus der Länder England, Frankreich, Deutschland und der USA. In den damals entwickelten kapitalistischen Ländern traten die Krisen etwa in einem zehnjährigen Abstand auf, als Folge auf beschleunigter Akkumulation und hoher Profitraten mit steigenden Löhnen, um nach der Stagnation wieder in einem neuen Aufschwung zu münden (Heinrich (2005): 169). Während die Zyklen der Krisen im 20. Jahrhundert weniger ausgeprägt waren, folgten jedoch größere und langwierige Krisen wie die wirtschaftliche Depression im Jahr 1929 (ebd.: 170). Die Kapitalistische Krise auf dem Weltmarkt, welche nun erneut im Zentrum aller gesellschaftlichen und politischen Aufmerksamkeit steht, besaß schon bei Marx 1866 vorwiegend finanziellen Charakter. Jedoch hat sie sich im Zuge der neoliberal geprägten Globalisierung seit den 1980 stark weiterentwickelt (Kwack (2005): 1).
Die aktuelle Finanzkrise, welche im August 2007 begann, scheint in ihren Ausmaßen, ihrer ökonomischer Reichweite, aber wohl vor allem auch in ihren finanzpolitischen Ursachen, alle letzteren Finanzkrisen, die vor allem in Form von ausländischen Schulden-, Währungs-, und Wechselkurskrisen auftraten, zu übertreffen. Sie ist der Höhepunkt einer in der in den 1980ern begonnenen Phase einer US-amerikanischen Deregulierungspolitik unter Reagan, die in den 1990er Jahren unter Clinton noch weiter verstärkt wurde. Seitdem ist die Bedeutung des Finanzsektors für die internationale Wirtschaft enorm gestiegen, indem es ihm gelang sich einen größeren Teil des Gesamtprofits anzueignen. Auch begannen Unternehmen anderer Sektoren sich am Finanzmarkt zu engagieren und Gewinne zu erzielen (Evans (2008): 514). Wie auch bei vorherigen Finanzkrisen wurde bei der derzeitigen wieder Kapitalismuskritik geübt, in der Gesellschaft und den Medien als auch in der Wissenschaft, angeführt von soziologischen Theoretikern der politischen Ökonomie. Obwohl die Marktgläubigkeit durch die Finanz- und Wirtschaftskrise schwer erschüttert wurde, bleibt zu bezweifeln, dass sich die Hegemonie des Finanzkapitals dem Ende neigt (Scherrer (2008): 556). In der folgenden Arbeit soll der Versuch angestellt werden, die Relevanz der Finanzkrisentheorie bei Marx für die aktuelle Finanzkrise im gegenwärtigen Finanzmarktkapitalismus zu prüfen. Dabei soll zunächst die Marx’sche Krisentheorie beschrieben und mit neueren Krisentheorien verglichen werden, um sie schließlich am gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzmarktsystem auf ihre Aktualität zu prüfen. Entscheidend hierzu ist nicht zuletzt die Frage, ob die Macht des Kapitals durch die Krise nach der Marx’schen Theorie gebrochen werden kann oder die Krise systemimmanent ist und überwunden werden kann.
2 Krisentheorie bei Marx
Angesichts der gegenwärtigen Finanzkrise und den Finanzkrisen der Schwellenländer Ende der 90er Jahre ist eine Diskussion über die Akkumulations-Krisentheorie hochaktuell (Sablowsky (2003): 1). Krisentheoretische Ansätze finden sich bei Marx nicht nur im Kapital, sondern bereits in den Grundrissen und den Theorien über den Mehrwert. Da es sich bei seiner Theorie um ein unvollendetes Projekt handelt, seine krisentheoretischen Ansätze zum teil widersprüchlich sind und die Entwicklung der Aspekte in der Marx’schen Literatur aus sehr unterschiedlichen Perspektiven untersucht wurde (Heinrich 2001: 23), kann im Rahmen dieser Arbeit nur ein Teil der Elemente seiner Krisentheorie vorgestellt werden. In der politischen Ökonomie wurde sich eingehend mit dem Thema der Krisen im kapitalistischen System beschäftigt. In seiner Krisentheorie versuchte Marx zu beweisen, dass Krisen aus dem System der kapitalistischen Produktionsweise heraus entstehen und ein Kapitalismus ohne Krisen nicht möglich ist. Dabei fehlt bei Marx jedoch eine zusammenhängende Krisentheorie, sondern er liefert lediglich eine Reihe von krisentheoretischen Ansätzen und Argumenten, die nach ihm in verschiedene Krisentheorien erweitert wurden (Heinrich (2005): 171 f.). Zudem ist der Inhalt der Marx’schen Krisentheorie innerhalb der marxistischen Diskussion heftig umstritten und es existiert kein Konsens darüber, was als der entscheidende Grund der Krisen anzusehen ist. Weiterhin legt sich Marx in seinen Skripten nicht eindeutig auf die Art von Krisen fest, ob zyklische Krisen oder längerfristige Tendenzen der Entwicklungen der Kapitalakkumulation. Probleme bei der Aufzeichnung der Marx’schen Krisentheorie stellen zum einen dar, dass sie unfertig ist, und zum anderen, dass sich in ihr inhaltlich divergierende Ansätze verbergen. Weiterhin gilt in Betracht zu ziehen, dass Marx den Kapitalismus seiner Zeit untersuchte, in der sich Krisen innerhalb des industriellen Zyklus befanden (Heinrich (2003): 342). Eine weitere Schwierigkeit bei der Rekonstruktion des Marx’schen Krisenkonzepts ergibt sich aus der ständigen Weiterentwicklung seiner krisentheoretischen Ansätze während seiner fortlaufenden Schriften und die Unterschiede seines Krisenkonzepts vor der Darstellung des Kredits und die Krise mit der Darstellung des Kredits und der Spekulation im dritten Band des Kapitals (Candrian (1994): 7). Im folgenden Kapitel sollen nun die wichtigsten krisentheoretischen Ansätze von Marx vorgestellt und dazu zunächst die Entwicklung der Krisentheorie skizziert werden, um anschließend Kritik und Probleme der Marx’schen Krisentheorie zu zeigen.
2.1 Die verschiedenen krisentheoretischen Ansätze bei Marx
Bei Marx gibt es keine einheitliche Definition von der Wirtschaftskrise, jedoch viele einzelne Bestimmungen wie „gewaltsame Unterbrechung des Arbeitsprozesses“ (MEW 23: 221), „Überproduktion“ (MEW 23: 615), „plötzliche Stockung des Produktionsprozesses“ (MEW 25: 260) oder „eine Form der Ausgleichung“ (Freiburghaus/ Müller (1973): 162). Grundsätzlich geht es bei der Diskussion in der ökonomischen Wissenschaft über die Krisentheorien um die Frage, ob Krisen eine durch das System notwendige oder vermeidbare Begleiterscheinung darstellen (Heinrich (2003): 345). Bei Marx wird diese Frage eindeutig beantwortet, da bei ihm die Dynamik im System bereits den kapitalistischen Begriff umfasst. Da das Kapital „als sich verwertender Wert“ (Heinrich (2001): 18) ständig den Grad der Verwertung, also die Steigerung der Mehrwert- und Profitrate, zu erhöhen versucht und es sich um einen „maßlosen und endlosen Prozess“ (MEW 23: 166f.) handelt, können die der kapitalistischen Produktionsweise immanenten Entwicklungen nicht ruhig und gleichmäßig, sondern müssen krisenhaft verlaufen (Heinrich (2001): 18). Die vom Kapital ausgehende Dynamik ist beschreibt Marx durch die „Produktion relativen Mehrwerts“ (ebd.: 19), bei der durch die Steigerung der Produktivkraft der Wert der einzelnen Produkte und letztendlich auch der Wert der Arbeitskraft sinkt. Bei Marx gab es jedoch nie, wie zum teil angenommen, eine eindeutige „Zusammenbruchstheorie“ (Heinrich (2005): 178). In seinen Grundrissen finden sich zwar Andeutungen, indem es heißt, dass Krisen „in ihrer periodischen Wiederkehr immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellt“ (Heinrich (2003): 345), allerdings sah er dies im Zusammenhang mit seiner Revolutionserwartung 1857 und als Voraussetzung für den Erfolg einer proletarischen Revolution (ebd.). Während der Begriff Krise in Marx’ Grundrissen noch abstrakter Form ist, wird er in seinem Manuskript von 1861-63 detaillierter und hat vor allem eine Kritik an der ‚Gleichgewichtstheorien der Klassik’ und an der ‚Unterkonsumtionstheorie’ entwickelt. Dabei stellt er fest, dass eine Überproduktion in der Kapitalakkumulation immer vorausgesetzt ist und eine Basis für das Auftreten von Krisen bildet. Im Gegensatz zu der Klassik besteht er darauf, dass eine in der kapitalistischen Produktionsweise „inhärente Krisentendenz“ (Heinrich (2003): 351) existiert und kritisiert die bürgerlichen Ökonomen, die eine Überproduktion für unmöglich halten. Im Vergleich zu den Grundrissen, in denen Marx noch eine Art „Endkrise“ (ebd.: 354) und die Möglichkeit einer Auflösung der kapitalistischen Produktionsweise beschreibt, betrachtete er die Krise im Manuskript 1861-63, nach der Krise von 1857/58, die nicht das Ende des Kapitalismus bedeutete, als „ständigen Begleiter dieser Produktionsweise (ebd.: 354)“ und betont vor allem die Überproduktion und die Periodizität der Krisen.
Des Weiteren unterscheidet Marx zwischen der ‚Möglichkeit’ und der ‚Wirklichkeit’ der Krise. Der allgemeine Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise besteht zwischen der materiellen Produktion und dem Verwertungsprozess und stellt die Gegensätze zwischen Gebrauchswert und Wert der Ware und zwischen konkreter und abstrakter Arbeit dar. Dieser Widerspruch schließt die abstrakte Möglichkeit der Krise ein, da mit der Entwicklung der Wertform das Geld selbstständig auftritt, zunächst als Zirkulationsmittel. Dadurch können Käufer und Verkäufer in der Warenzirkulation durch das Dazwischentreten des Geldes getrennt werden, Produktions- und Zirkulationsprozess fallen auseinander, und in dieser „Metamorphose der Ware“ (Schmiede (1973): 166) besteht die Möglichkeit des Nichtverkaufs und somit der Krise. Die allgemeine Möglichkeit der Krise hat Marx demnach bereits durch den Tausch des Geldes „bei der Analyse des Geldes als Zirkulationsmittel“ (Heinrich (2005): 171) ausgemacht. Schließlich muss das bei dem Verkauf der eigenen Ware eingenommene Geld nicht zwangsläufig weiterverkauft werden und sobald das Geld festgehalten wird, wird der Reproduktionszusammenhang unterbrochen. Während er also die ‚Möglichkeit der Krise’ auf der Darstellungsebene des Kapitals im Allgemeinen erklärt, findet die ‚Wirklichkeit’ der Krise auf bei der Bewegung des Kapitals mit dem Dazukommen von Konkurrenz und Kredit statt (Heinrich (2003): 357). Allerdings gibt es keinen Mechanismus, der für die Notwendigkeit des Eintretens dieser Formen sorgt. Schließlich ist die kapitalistische Produktion allein auf die Produktion von Mehrwert reduziert und alle konkreten Bedingungen einer Krise können nur als Grenze eintreten. Marx geht daher davon aus, dass die Wirklichkeit der Krise im Zusammenhang stehen muss mit dem Maßstab des Kapitals selbst, der Profitrate (Schmiede 1973: 184). Die ständige Bildung „neuer selbstständiger Kapitale“ (MEW 25: 252) erscheint bedrohlich für die Entwicklung des kapitalistischen Produktionsprozesses und befördert „Überproduktion, Spekulation, Krisen, überflüssiges Kapital neben überflüssiger Bevölkerung“ (ebd.). Jeder Krisenzyklus hat in seiner Fortbewegungsweise einerseits die Wirkung einer Zusammenbruchstendenz, welche wieder durch die Krise modifiziert wird und in der Lage ist, andererseits den Fortschritt den Kapitalismus voranzutreiben (Schmiede 1973: 197). Die Krise und ihr zyklischer Verlauf spielen sich dabei nicht mit einer automatischen Genauigkeit ab, da es weder exakt funktionierende Marktgesetze noch eine voraussehbare Konkurrenz gibt (ebd.: 199).
Für die Beantwortung der Frage, warum der Produktionszusammenhang tatsächlich unterbrochen wird, stellt bei der Marx’schen Krisentheorie vor allem seine Überlegung über das „ Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate “ (MEW 23, Kapitel 8.3), es stellt jedoch nicht allein die Krisentheorie dar (Schmiede (1973): 163). Marx entwickelte seine Analyse der Krisen der kapitalistischen Produktion aus den Widersprüchen, die in dem Gesetz erhalten sind. Diese und weitere theoretische Ansätze sind jedoch in der politischen Ökonomie im Laufe der Zeit immer wieder aufgegriffen und kritisiert worden. Das im 3. Band des Kapital entwickelte Gesetz sagt aus, das in der kapitalistischen Wirtschaft gesetzmäßig, also aufgrund von Eigenschaften des Systems selbst, eine Tendenz zur Verringerung der Profitrate im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt besteht (Schmiede (1973): 84). Marx versucht das Gesetz im Zusammenhang mit der oben beschriebenen „Produktion des relativen Mehrwerts“ (Heinrich (2001): 19), die er bereits im ersten Band ableitet, zu begründen. Das Gesetz besagt, dass durch das Zusammenwirken aller Kapitalisten tendenziell die Profitrate im Durchschnitt sinkt, obwohl jedes Einzelkapital seine Profitrate zu steigern bemüht ist. Dies resultiert aus den Versuchen, die Mehrwertproduktion zu erhöhen, was letztlich zu einer tendenziellen Abnahme des variablen Kapitals - also des Kapitalanteils, der in die Arbeitskraft investiert wird - gegenüber dem konstanten Kapital führt. Da die Lohnarbeit die einzige Quelle des Mehrwerts darstellt, die Lohnarbeiter im Arbeitsprozess aber gezwungen werden, mehr als es diesem Wert entsprechend zu arbeiten, wird sich dadurch die Profitrate auf Dauern verringern. Das Gesetz bezieht sich nicht auf die Profitrate eines Einzelkapitals, sondern auf die gesellschaftliche Durchschnittsprofitrate (Schmiede (1973): 86 f.). Der daraus abzuleitende krisentheoretische Ansatz ist, dass nicht die „Konsumtion des Kapitalisten, sondern die Produktion und Akkumulation des Mehrwerts bzw. Profits Zweck und Motiv kapitalistischer Produktion ist (Heinrich (2003): 365).“ Das Problem der kapitalistischen Produktionsweise zeigt sich in der Realisierung dieses Mehrwerts, da die Tendenz zur ständigen sich Ausdehnung der Produktion und des Marktes der begrenzten Konsumtionskraft der Gesellschaft gegenüber steht, die nur begrenzten Wachstum zulässt.
[...]
- Arbeit zitieren
- Nina Baumann (Autor:in), 2008, Die Finanzkrise und Marx, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146358
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.