Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitungsgedanke
2. Hauptteil
2.1 Fähigkeiten und Fertigkeiten für den Schriftspracherwerb
2.2 Die phonologische Bewusstheit
2.3 Diagnostik von Defiziten in der Phonologischen Bewusstheit
2.4 Förderungsmöglichkeiten
2.4.1 Das Würzburger Trainingsprogramm „Hören- Lauschen- Lernen“
2.4.2 Kritik am Würzburger Trainingsprogramm
2.4.3 Das Trainingsprogramm „Leichter lesen und schreiben lernen mit der Hexe Susi“
2.5 Wissenschaftliche Untersuchungen
3. Schlussgedanke
4. Bibliographie
1. Einleitungsgedanke
Selten machten sich Wissenschaftler so viele Gedanken über die deutschen Schulsysteme und die Förderung von Kindern wie in den Zeiten von PISA und IGLU. Angefangen bei der Diskussion, ob die deutschen Kinder im internationalen Vergleich zu spät eingeschult werden, bis hin zur Frage nach Ganztagsschulen- seit der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse aus der PISA- Studie sind diese Themen heiß diskutiert, sicherlich mit Berechtigung.
Die IGLU- Studie, in der deutschen Bezeichnung „Internationale Grundschul- Lese- Untersuchung“, testete 2006 die Leseleistung von Schülern als Schlüsselqualifikation und notwendige Kulturtechnik. Unter Einbeziehung soziokultureller Hintergründe wurde hierbei auch das deutsche Schulsystem genauer betrachtet. Mit dem Ziel, die Unterrichtsqualität zu sichern und zu verbessern, setzte man den Fokus auf die Grundschulzeit, deren Aufgabe in der Vermittlung von grundlegenden Fähigkeiten, wie Lesen, Schreiben und Rechnen liegt.
Vor allem der Schriftspracherwerb stellt eine der wichtigsten Aufgaben dar, denn die Lese- und Schreibfähigkeit ermöglicht Kindern einen Zugang zur öffentlichen Welt, zu ihrer Kultur.
Doch gerade beim Erlernen der Schriftsprache gibt es bei Kindern häufiger Schwierigkeiten, sei es durch das Aufwachsen der Kinder in einem anregungsarmen Milieu und dadurch bedingte Sprachdefizite, oder durch genetisch bedingte Faktoren, wie beispielsweise ein erhöhtes Legasthenierisiko in einer Familie.
Aus diesen Gründen stellte man sich die Frage, ob es Einflussfaktoren gibt, die das Erlernen der Schriftsprache erleichtern. In den Vordergrund tritt hierbei der Begriff der Phonologischen Bewusstheit, die als eine der Vorläuferfähigkeiten für das Erlernen der Schriftsprache eine bedeutende Rolle einnimmt, da sie bei Kindern durch ein gezieltes Training gefördert werden kann.
In meiner Arbeit möchte ich aufzeigen, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten ein Kind zum Erlernen der Schriftsprache benötigt, in welchem Zusammenhang die Phonologische Bewusstheit von Bedeutung ist und wie diese gefördert werden kann. Ebenso werde ich die Fördermöglichkeiten kritisch hinterfragen.
2. Hauptteil
2.1 Fähigkeiten und Fertigkeiten für den Schriftspracherwerb
Damit ein Kind das Lesen und Schreiben erlernen kann, muss es bestimmte Fähigkeiten, d.h. geistige Grundfunktionen mitbringen, die es zum Verstehen, Lernen und Lösen von Problemen befähigen. Ebenso wichtig sind die Fertigkeiten, gemeint sind Techniken, Wissen und Kenntnisse, die ein Kind dabei unterstützen, die Schriftsprache zu erlernen. In der pädagogisch- psychologischen Forschung hat man herausgefunden, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten für den Schriftspracherwerb von tragender Bedeutung sind.
Die Intelligenz eines Kindes stellt die Basis für den Schulerfolg dar und ist somit auch grundlegend für das Lesen und Schreiben lernen. Sie wirkt unspezifisch und indirekt, d.h. sie beeinflusst das ganze Spektrum der Schulleistungen und beeinflusst indirekt auch viele Faktoren, die wiederum die Schulleistungen mitbestimmen, wie beispielsweise das Gedächtnis. Ob ein Kind in der Schule erfolgreich ist, hängt jedoch noch von weiteren Faktoren ab, denn selbst das intelligenteste Kind kann große Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb haben, wenn ihm andere wichtige Fähigkeiten fehlen.
Ebenso wichtig wie die Intelligenz ist die frühe Schriftkenntnis eines Kindes. Wenn Kinder schon früh mit Sprache und Schrift in Kontakt kommen, fällt es ihnen leichter, mit Buchstaben umzugehen und sie sind zugleich motivierter. Entscheidend ist hierbei jedoch, ob das Kind ein Verständnis für das alphabetische Prinzip und den Zusammenhang zwischen Laut und Buchstabe entwickelt oder ob es lediglich Buchstaben auswendig lernt, was keinerlei positive Auswirkungen auf das Erlernen der Schrift hat. Bei der Förderung von Legasthenie- Risikokindern setzen Fachleute diese Erkenntnis ein, indem sie mit den Kindern in der Vorschule einzelne Buchstaben erlernen, um ihnen einen frühen Einblick in das alphabetische System und um ihnen, damit verbunden, eine gezielte Förderung zu ermöglichen.
Ein weiterer Faktor ist die visuelle Aufmerksamkeit eines Kindes, d.h. die Genauigkeit und Sicherheit mit der ein Kind visuelle Materialien, wie Bilder, Muster, Formen etc. verarbeitet.
Hier ist der Bezug zum Erlernen der Schrift folgender: Je genauer ein Kind Dinge visuell wahrnimmt, desto leichter wird es sich tun, die Buchstabensymbole zu erkennen und zu erlernen. Gerade ähnliche Buchstaben wie das b, d, q und das p sind häufig Fehlerquellen, da sie sich lediglich in ihrer Raumlage unterscheiden. Hier ist die visuelle Aufmerksamkeit besonders bedeutend.
Damit Kinder dazu in der Lage sind, sich die grafischen Gestaltungen der Buchstaben überhaupt merken zu können, ist die Gedächtnisleistung wichtig. Vor allem während des Schreibens muss ein Kind sich das Wort, das es schreiben möchte, merken und es anschließend, Buchstabe für Buchstabe abrufen. Dies ist Aufgabe des Kurzzeit- Gedächtnisses. Aber auch das Langzeit- Gedächtnis ist gefragt, denn gerade beim Wiedergeben von sog. Lernwörtern, d.h. Wörtern, die sich das Kind zu einem früheren Zeitpunkt erarbeitet und gemerkt hat, ist die Gedächtnisleistung des Kindes ausschlaggebend.
Die fünfte Grundlage, die ein Kind zum Erlernen der Schriftsprache benötigt ist die Phonologische Bewusstheit. (vgl. Küspert, 2001, S.74-82)
Da diese Fähigkeit immens wichtig für den Schriftspracherwerb ist und zugleich das Hauptthema meiner Arbeit darstellt, möchte ich sie im folgenden Kapitel näher ausführen.
2.2 Die Phonologische Bewusstheit
Der Begriff „Phonologie“ bedeutet „Lehre von der Funktion der Sprachlaute“ und gehört zur sprachwissenschaftlichen Terminologie. (vgl. Küspert, 2001, S. 83)
„Die Phonologische Bewusstheit ist die Fähigkeit, Sprache losgelöst von ihrem Inhalt zu betrachten, ihre lautlichen Einheiten wahrzunehmen und damit analytisch und synthetisch umzugehen.“ (Cloudt/ Gerwalin, 2003, S.1)
Man unterteilt sie in zwei verschiedene Bereiche. Die Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne bezieht sich auf größere Einheiten der gesprochenen Sprache, wie beispielsweise die Fähigkeit zum Reimen und zur Silbengliederung. Die Phonologische Bewusstheit im engeren Sinne bezeichnet den bewussten Umgang mit den kleinsten Einheiten der gesprochenen Sprache, den sog. Phonemen (Lauten).
Die Fähigkeiten zur Silbengliederung und zum Reimen zeigen Kinder bereits im Alter von drei oder vier Jahren. Diese treten zumeist spontan auf. Die Kinder erfassen die Silben-gliederung über den Sprechrhythmus und erlernen das Reimen in Kinderreimspielen und Liedern in Form von Spielhandlungen. Sie haben also einen indirekten Zugang zu den lautlichen Aspekten der Sprache, der intuitiv verläuft. Ab ca. fünf Jahren sind Kinder zunehmend in der Lage, sich bei ihren Sprachleistungen von sprechrhythmischen oder inhaltlichen Bezügen zu lösen. Mit diesem Reifungsprozess erkennen die Kinder, dass Wörter aus einzelnen Sprachlauten bestehen. Sie besitzen die Fähigkeit zur Lautanalyse, d.h. zum Zerlegen der Wörter in seine einzelnen Laute und zur Lautsynthese, d.h. das Verbinden einzelner Laute zu einem Wort. (vgl. Cloud/Gerwalin, 2003, S.1)
Die Phonologische Bewusstheit im engeren Sinn entwickelt sich üblicherweise erst im Zusammenhang mit der schulischen Anleitung beim Schriftspracherwerb, nämlich dann, wenn Kinder zum ersten mal damit konfrontiert werden, einzelne Laute in Wörtern erkennen zu müssen, um ihnen die entsprechenden Buchstaben zuordnen zu können. Diese Fähigkeiten entwickeln sich nicht wie das Reimen oder die Silbengliederung intuitiv. Um den Kindern die Hürden der Lautsynthese und – analyse, die extrem wichtige Vorläuferfähigkeiten für den Schriftspracherwerb darstellen, zu nehmen, ist die Förderung dieser Fähigkeiten bereits im Bereich der vorschulischen Erziehung von großer Bedeutung.
Die Bedeutung, die die Phonologische Bewusstheit für das Lesen und Schreiben lernen trägt, lässt sich aus dem Aufbau unseres Schriftsystems erkennen. Im Deutschen gibt es eine Lautschrift, d.h. wir schreiben, indem wir den Sprachlauten eines Wortes Buchstaben zuordnen und wir lesen, indem wir den gelesenen Buchstaben Sprachlaute zuweisen und sie zu einem Wort verbinden. Bei diesen Schritten spielt die Phonologische Bewusstheit im engeren Sinne die entscheidende Rolle, denn hier betreibt der Leser oder der Schreiber Lautsynthese, bzw. Lautanalyse. Das Lesen und Schreiben basiert also vornehmlich auf den Kenntnissen der Buchstaben- Laut- Zuordnung und den Regeln, gesprochene Laute in Buchstaben zu übersetzen und umgekehrt. Ein Kind, das Schreiben und Lesen lernt, kann zu Beginn das Geschriebene nur lesen, wenn es dies laut vorliest, beim Schreiben spricht es sich die Wörter laut vor. Es vollzieht bei jedem Wort den Prozess der Lautanalyse und –synthese, den auch ein geübter Leser und Schreiber ständig durchführt, nur in automatisierter Form.
Die psychologischen Hintergründe, die dazu geführt haben, dass man der Phonologischen Bewusstheit eine so große Bedeutung für den Erfolg im Schriftspracherwerb zugesteht, erklärt Prof. Wolfgang Schneider folgendermaßen: Die Phonologische Bewusstheit ist eine Teilfertigkeit der Phonologischen Informationsverarbeitung. Die Phonologische Informations-verarbeitung setzt sich aus den Bereichen „phonologisches Rekodieren beim Zugriff auf das semantische Lexikon“, „phonetisches Rekodieren ins Arbeitsgedächtnis“ und der „Phonologischen Bewusstheit“ zusammen. Er geht davon aus, dass der Erfolg oder Misserfolg eines Kindes beim Erwerb der Schriftsprache davon abhängt, ob es im Vorschulalter Kompetenzen in der phonologischen Informationsverarbeitung erworben hat.
Er folgert daraus, dass die Förderung von Teilfertigkeiten in der Phonologischen
Informationsverarbeitung den Schriftspracherwerb vor der Einschulung positiv beeinflussen kann. Da sich aber alle Teilbereiche außer der, der Phonologischen Bewusstheit als unzugänglich erwiesen haben, stützt man sich auf deren gezielte Förderung, um den Schriftspracherwerb zu erleichtern. (vgl. Schmid- Barkow, 2003, S. 38)
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