Der Gründungsmythos der DDR - Katalysator für den Legitimationsverlust des Regimes?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

17 Seiten, Note: 2

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Gründungsmythos der DDR

3. Der Gründungsmythos als politischer Mythos
3.1 Der Einfluss der Generationen

4. Konsequenzen
4.1 „Schwachstellen“ des politischen Mythos
4.2 Konsequenzen für die Bevölkerung
4.3 Konsequenzen für das DDR Regime

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde in der sowjetischen Besatzungszone ein dogmatisches Konzept, dessen Grundzüge ideologisch geprägt waren, verfolgt und etabliert. Mit der Staatsgründung der DDR (07.03.1949) wurde es zum Gründungsmythos des ostdeutschen Staates. Der Gründungsmythos griff im Wesentlichen auf drei Bestandteile zurück. Zunächst sind dies die Bezugnahme auf die Befreiungskriege des Jahres 1813 und der Rückgriff auf die frühbürgerlichen Revolutionen.1 Zum anderen gehört dazu aber auch der direkte Bezug auf den Antifaschismus und damit auf die nationalsozialistische Vergangenheit des ostdeutschen Staates.

Meine Hausarbeit knüpft hier an und geht der Frage nach, ob und inwiefern der Teil des Gründungsmythos, der sich auf die nationalsozialistische Vergangenheit bezog, Einfluss auf den Legitimationsverlust der DDR nahm. Dazu werden zunächst Grundzüge des Gründungsmythos geschildert, um in einem weiteren Schritt die Auswirkungen auf das gesellschaftliche und politische Leben erkennen zu können.

Von 1945 bis 1957 etablierte sich eine zweite deutsche Geschichtswissenschaft in der DDR.2 Festzustellen bleibt jedoch, dass die ostdeutsche Geschichtskultur noch nicht hinreichend erforscht wurde (trotz zahlreicher Publikationen zu dem Thema). So konnte die gesamte Tragweite des Problembereichs noch nicht erschlossen werden.3

2. Der Gründungsmythos der DDR

Das nationalsozialistische Regime verlor mit dem Ende des zweiten Weltkrieges als staatliches Ordnungselement seine Legitimation.4 Seit 1945 war es das Ziel der sowjetischen Besatzer einen glaubhaften Neubeginn für die ostdeutsche Bevölkerung zu schaffen, der auf entsprechenden Wurzeln in der Vergangenheit fußen sollte. Es galt die Vergangenheit, sowie das mit ihr verknüpfte Unrecht so zu deuten, dass eine ostdeutsche Besatzungszone bzw. ein ostdeutscher Staat nachhaltig legitimiert werden konnte.

Die Ursache des Zweiten Weltkrieges lag nach offizieller Ansicht der UdSSR bei den mächtigen Vertretern des „Monopolkapitals“. Ihr expansiver Drang gipfelte in dem Versuch ökonomische und politische Macht gegen die anderen europäischen Großmächte militärisch durchzusetzen. Die ideologisch eingefärbte Vergangenheitsdarstellung schloss ebenso den ersten Weltkrieg, sowie die Zwischenkriegszeit und die Machtergreifung der Nazis mit ein. Der erste Versuch des deutschen Imperialismus die Weltherrschaft zu erringen scheiterte nach diesem Verständnis mit der Novemberrevolution und infolge der russischen Revolution. In der Weimarer Republik hätten sich dann erneut die Kräfte des deutschen Monopolkapitals gesammelt, um zum zweiten Mal nach der Weltherrschaft zu greifen. Die KPD (unter der Führung von Ernst Thälmann) sei unterdessen zu einer starken Gegenmacht heran gewachsen. „Das Angebot der KPD an die Sozialdemokratie scheitert an der SPD Führung.“5 So habe Hitler die deutschen Arbeiter schließlich ein zweites Mal verführen können. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sei letztlich der zweite Griff des deutschen Monopolkapitals nach der Weltherrschaft misslungen.6 Ausdruck fand dieses Bild der Vergangenheit u.a. in „Dokumentarfilmen“, welche später in der DDR entstanden und deren Argumentationsstruktur einer platten Kapitalismuskritik folgte. Es fehlte eine differenzierte, historische Betrachtungsweise.

Aufbauend auf diesem ideologisch verklärten Geschichtsverständnis entwickelten sich dogmatisch anmutende Schlussfolgerungen in Bezug auf Gegenwart und Zukunft des ostdeutschen Volkes. So handele es sich mit der Staatsgründung der DDR um eine „Reparatur der Geschichte.“7 8 Die Niederlage des Volkes wurde in einen Sieg umgedeutet. Das deutsche Volk sei demnach durch die Sowjets vom Faschismus befreit worden. Dies impliziert auch, dass die Ostdeutschen nicht Täter, sondern Opfer eines totalitären, barbarischen Regimes gewesen sind. Dieses Volk der Opfer wurde aus kommunistischer Sicht schließlich gar zu Helden, welche aufopferungsbereit im Widerstand aktiv gewesen sind. Der Widerstand gegen das NS Regime wurde jedoch konsequenterweise auf den kommunistischen Anteil reduziert.9 Die Umdeutung der Niederlage erfolgte bereits während des Krieges durch deutsche Kommunisten im russischen Exil.10 Der Widerstand habe letztlich sein Ziel in der

Befreiung durch die Rote Armee gefunden. (Erst durch den geleisteten Widerstand habe sich das „gepeinigte“ deutsche Volk der „Befreiung“ als würdig erwiesen.) Diese Sichtweise implizierte eine Dankbarkeit, der die moralische Pflicht innewohnte sich der UdSSR in Zukunft erkenntlich zu zeigen und nicht nur Wiedergutmachung materieller Art zu leisten, sondern sich auch loyal gegenüber dem „Befreier“ zu verhalten.11

Das deutsche Volk jedoch in der Rolle der Opfer und gar Widerstandskämpfer zu sehen, war nicht selbstverständlich. Besonders in den ersten Nachkriegsjahren war die Meinung der Kommunisten, die Deutschen hätten geschichtlich versagt, weit verbreitet. Wer also eine deutsche Volksherrschaft verlange, fordere die Herrschaft eines Tätervolkes, das die Nazis erst möglich gemacht habe.12 Die Enteignung der Kapitalisten und Großgrundbesitzer sei Voraussetzung, damit ein eigenständiger, ostdeutscher Staat dauerhaft bestand haben könne. Eine sozialistische (Erziehungs-) Diktatur sei nötig, um sicherzustellen, dass die Deutschen kontrolliert werden können. Proteste gegen die kommunistische Herrschaft wurden in diesem Kontext als faschistisch degradiert.13

Die Bewältigung der NS Vergangenheit war gleichgesetzt mit der Beseitigung des Kapitalismus. Im Ergebnis wurde das deutsche Volk von seiner nationalsozialistischen Schuld frei gesprochen, indem einzelne Vertreter des Kapitalismus als Sündenböcke herhalten mussten. Die Schuldzuweisung entlastete die machtlose Masse und machte sie zu Opfern, die nun an der kommunistischen Zukunft des Landes mitwirken konnten.14 Der „Antifaschismus“ wurde zu einem festen Bestandteil der Legitimation der DDR. Dadurch gehörte der Nationalsozialismus nicht mehr zur Eigengeschichte der DDR, verlor an Referenzcharakter und wurde auf die BRD projiziert. So prangerte die DDR Regierung beispielsweise an, dass unter der Regierung Adenauer Kriegsverantwortliche geduldet und sogar gefördert wurden.15 Die Vorwürfe gingen noch weiter: So hätten Vertreter des Monopolkapitalismus wie Friedrich Flick nach dem Ende des Krieges in der BRD noch größere Vermögen anhäufen können. Entsprechend habe die BRD die Ursachen einer nationalsozialistischen Herrschaft nicht beseitigt und stelle eine faschistische Gefahr dar. In der Konsequenz propagierte die UdSSR, dass sich das friedliche Lager des Kommunismus weltweit ausdehnen müsse. Den friedlichen Teil Deutschlands (DDR) galt es gegen den westlichen Imperialismus zu beschützen und die DDR trug die Verantwortung für die Zukunft in Form eines antifaschistischen, sozialen Staates.16 So zeichnete sich eine Distanzierung zu den ehemaligen Verbündeten immer deutlicher ab. Bald nach Kriegsende wurde betont, dass GB und die USA nicht die Absicht hatten Europa von den Nazis zu befreien, sondern ein antisowjetisches Bollwerk zu errichten. Damit verblieb die UdSSR als einzig wahrer Kämpfer gegen den Faschismus schon während des Krieges. So wurde die frühere Allianz umgedeutet.17 „'Widerstand' gegen Krieg und Faschismus bedeutete jetzt die Ablehnung der westdeutschen Wiederbewaffnung; das Engagement im Kalten Krieg galt als Akt der Vergangenheitsbewältigung, und der Begriff 'Faschismus' bezog sich ebenso sehr auf die Bundesrepublik der fünfziger Jahre wie auf die NS-Vergangenheit.“18 Die NS Vergangenheit zu bewältigen, bedeutete also die Außen- und Militärpolitik der UdSSR zu unterstützen.

Die ideologischen Normen und politischen Ansprüche der sozialistischen Diktatur bestimmten die Verständigungsebenen der Vergangenheit in Bezug auf Denkmuster, Deutungskonzepte und Ausgrenzungen.19 So zogen die Junikrise 1953 und der „Neue Kurs“ der Parteiführung eine Flurbereinigung in der Kulturpolitik nach sich. „Vorgaben der SED- Führung für die Geschichtsforschung, Museen und andere Einrichtungen aus den Jahren 1951 und 1955 zielten darauf ab, die 'revolutionäre Führung der deutschen Arbeiterklasse' historiographisch zu dokumentieren, wissenschaftlich abzusichern und zu popularisieren.“20

3. Der Gründungsmythos als politischer Mythos

Der Gründungsmythos wurde zu einem wesentlichen Bestandteil der DDR. Zwar lagen seine Wurzeln in der Vergangenheit, doch zentrale Aspekte nahmen wesentlichen Einfluss auf das Verständnis von Gegenwart und Zukunft. Ebenso wurden gegenwärtige Aspekte der Gesellschaft und deren Weltsicht rückwirkend auf den Gründungsmythos projiziert. Durch die stetige Präsens des Gründungsmythos in der gegenwärtigen Gesellschaft wurde dieser zu einem politischen Mythos. Er bot den Bezugsrahmen für die politische Kultur der DDR.

3.1 Der Einfluss der Generationen

Die unterschiedlichen Generationen, welche in der DDR lebten, schufen wesentliche Voraussetzungen für Kontinuität und Wandel in der politischen Kultur. So wie der Gründungsmythos Einfluss auf das politische und ideologische (Selbst-) Verständnis der DDR Bürger ausübte, prägten die Generationen wiederum die inhaltliche Ausgestaltung und

Deutung des politischen Mythos in unterschiedlichem Maße.

Die „erste politische Generation“ der DDR durchlebte den Zweiten Weltkrieg noch als erwachsene Personen. Nach der Niederlage des Hitler-Regimes zeigten sich die zurückkehrenden Emigranten Dankbar gegenüber der UdSSR.21 Die Sowjets wurden als Befreier gefeiert. Ihren Landsleuten brachten die Rückkehrer jedoch Wut, Scham und Bitterkeit entgegen. Vor allem in den ersten Nachkriegsjahren lässt sich bei dieser „Gründergeneration“ eine sakrale Dimension des politischen Mythos verorten: die Aufopferungsbereitschaft für das neue Gemeinwesen.22

Die „Aufbaugeneration“ bezeichnet jene DDR Bürger, welche Ende der 20er bis Anfang der 30er Jahre geborenen wurden. Diese, zur Zeit des Nationalsozialismus noch junge Generation, wurde von der älteren Generation zwar als verblendet dargestellt, doch waren sie noch zu jung gewesen, als dass man ihnen persönliche Verbrechen hätte ankreiden können. Sie sollten juristisch und moralisch nicht zur Verantwortung gezogen werden.23

Geprägt wurde die „Aufbaugeneration“ noch im Nationalsozialismus. Nun waren die Familien dieser Generation jedoch aus den verschiedensten Gründen nach Kriegsende zerrüttet, so dass das Elternhaus keine Orientierungshilfe in praktischen, geistigen und seelischen Fragen bieten konnte. Gleichzeitig wurde eine massive Umorientierung zum neuen Gedanken- und Gefühlskosmos der DDR (und damit zu einem neuen Freund- Feindbild) von den Jugendlichen verlangt.24 Hierzu waren einfache, einprägsame und sozialpsychologisch leistungsstarke Erzählungen erforderlich. Ein versöhnliches Muster von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektiven wurde notwendig.25 Die Idee eines polaren Geschichts- und Weltverständnisses war dieser Generation bereits aus der NS Zeit bekannt.26

Scheinbar aufeinander angewiesen, kam es zur „Adoption“ der zweiten politischen Generation durch die Erste. Während die „Gründergeneration“ Halt und Sinn innerhalb der DDR zu bieten hatte, konnte die „Aufbaugeneration“ dabei helfen den Sozialismus zu etablieren und zu erhalten. Die „betrogene Generation“, die von den Nationalsozialisten geblendet wurde, hatte nun die Chance zu einem eigenen Neuanfang. Die DDR bot ihnen hierfür eine gesicherte Zukunft.

[...]


1 Weiterführende Informationen: Cord Arendes, „Mythen und Legenden in der DDR,“ Zeitschrift für Geschichtsdidaktik (2005): 31.

2 Martin Sabrow, „Die DDR-Historie im Rückblick,“ Zeitschrift für Geschichtsdidaktik: (2005): 20.

3 Harmut Voit, „Vorüberlegungen zum Umgang mit der Geschichte in der DDR,“ Zeitschrift für Geschichtsdidaktik (2005): 11.

4 M. Rainer Lepsius, „Das Erbe des Nationalsozialismus und die politische Kultur der Nachfolgestaaten des 'Großdeutschen Reiches',“ Kultur und Gesellschaft: Verhandlungen des 24. Soziologentages und des 8.Kongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie in Zürich 1988, ed. Max Haller, Hans Joachim Hoffmann-Nowotny and Wolfgang Zapf (Frankfurt; New York: Campus Verlag, 1989) 352.

5 tatsächlich stellte die „Sozialismus-These“ der KPD heraus, dass es notwendig war die Sozialdemokratie als Hauptfeind zu bekämpfen. Thomas Heimann, „Lehren aus der deutschen Geschichte: Wahrheitstreue und Propaganda im DEFA- Dokumentarfilm Du und mancher Kamerad,“ Geschichtswissenschaft und Geschichtskultur im 20. Jahrhundert: Band 1, Verwaltete Vergangenheit, Geschichtskultur und Herrschaftslegitimation in der DDR, ed. Martin Sabrow (Leipzig: Akademische Verlagsanstalt, 1997) 205.

6 Heimann 195-196.

7 Lepsius 249.

8 Monika Flacke and Ulrike Schmiegelt, „Aus dem Dunkel zu den Sternen: Ein Staat im Geiste des Antifaschismus,“ Mythen der Nationen: 1945- Arena der Erinnerungen, ed. Monika Flacke (Berlin: Philipp von Zabern, 2004) 173.

9 Heimann 206.

10 Flacke 174.

11 Jeffrey Herf, Zweierlei Erinnerung: Der Genozid im Gedächtnis der Völker (München: Propyläen, 1993) 52.

12 Herf 49.

13 Herf 51.

14 Herf 49.

15 Heimann 195.

16 Flacke 174.

17 Herf 141.

18 Ulbricht zu Honecker, „Erinnerung und Politik in Ostdeutschland,“ Zweierlei Erinnerung: Der Genozid im Gedächtnis der Völker, ed. Jeffrey Herf (München: Propyläen, 1993) 212.

19 Martin Sabrow, „Geschichtskultur und Herrschaftslegitimation: Der Fall DDR,“ Geschichtswissenschaft und Geschichtskultur im 20. Jahrhundert: Band 1, Verwaltete Vergangenheit, Geschichtskultur und Herrschaftslegitimation in der DDR, ed. Martin Sabrow (Leipzig: Akademische Verlagsanstalt, 1997) 12.

20 Heimann 189.

21 Herf 40.

22 Cord 29.

23 Silke Satjukow and Rainer Gries, „Die ostdeutsche Aufbaugeneration im Widerstreit zwischen Freund- und Feindbildern,“ Zeitschrift für Geschichtsdidaktik (2005): 49.

24 Satjukow 51.

25 Satjukow 55.

26 Satjukow 59.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Der Gründungsmythos der DDR - Katalysator für den Legitimationsverlust des Regimes?
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Didaktik der Geschichte)
Veranstaltung
Europäische Geschichte als Gegenstand und Problem der Geschichtsdidaktik
Note
2
Jahr
2008
Seiten
17
Katalognummer
V146782
ISBN (eBook)
9783640576296
ISBN (Buch)
9783640576388
Dateigröße
450 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Monika Flacke, Gründungsmythos, DDR, Legitimationsverlust, BRD, Legitimation
Arbeit zitieren
Anonym, 2008, Der Gründungsmythos der DDR - Katalysator für den Legitimationsverlust des Regimes?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146782

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