Möglichkeiten der gerechten Kriegführung aus der Sicht Johann Michael Moscheroschs anhand eines ausgewählten Kapitels aus dem Soldatenleben.


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

35 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Satire und menippeische Strukturen im `Soldatenleben`
2.1. Das `Soldatenleben` als Satire
2.2. Menippeische Strukturen im `Soldatenleben`

3. Überblick über das `Soldatenleben` und biographische Hintergründe Moscheroschs
3.1. Die Einordnung des Kapitels „Wie die Soldaten Weiber zur Kirche führen und ein Überfall wegen einer zu kurzen Leiter daneben ging“ in das Gesicht `Soldatenleben`
3.2. Die Hintergründe des `Soldatenlebens` aus der Biographie Moscheroschs

4. Schutz und Sicherheit durch den Glauben an Gott

5. Zusammenfassung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Dreißigjährige Krieg hat durch sein verheerendes Ausmaß wie kein anderer Krieg vor dem Zweiten Weltkrieg die Menschen in Deutschland in Mitleidenschaft gezogen. Dieses Ausmaß wurde um so größer, als dass sich der Krieg nicht mehr nur auf dem Schlachtfeld abspielte, sondern durch die Bedingungen der Kriegführung auf die Gebiete abseits der Kriegsschauplätze verlagerte. Damit einhergehend geschah auch eine Veränderung in den Verhaltensweisen der Soldaten, die mehr und mehr auf ihren Eigennutz bedacht waren, wobei ethische Normen der Kriegführung kaum noch zum Tragen kamen.

Zu den Ausmaßen des Dreißigjährigen Krieges haben sich viele Autoren des 17. Jhs. in unterschiedlicher Art und Weise geäußert. Einer von ihnen war Johann Michael Moscherosch. Er hat das Ausufern des Krieges und die Möglichkeit, dieses Ausufern zu beenden, in dem `Gesicht` `Soldatenleben` beschrieben. Dennoch ist Johann Michael Moscherosch im Gegensatz zu anderen Autoren des 17. Jh., wie z.B. Johann Jacob Christoph von Grimmelshausen, heute kaum noch bekannt. Dies ist überraschend, da sich Moscheroschs Werk mit seinen vielfältigen Thematisierungen im 17. Jh. größter Beliebtheit erfreute.

In der folgenden Arbeit soll das `Soldatenleben` unter besonderer Berücksichtung des Kapitels `Wie die Soldaten Weiber zur Kirche führen und ein Überfall wegen einer zu kurzen Leiter danebenging` analysiert und interpretiert werden. Schwerpunkt ist dabei die Frage, welche Möglichkeiten es aus Moscheroschs Sicht für einen gerechten Krieg gibt. Gerecht heißt hier für Moscherosch nicht, dass es gar keinen Krieg geben darf, sondern dass der Krieg auf dem Schlachtfeld geführt wird und nicht an Nebenschauplätzen, wo es durch die Gier der Soldaten nach persönlicher Bereicherung zu Grausamkeiten aller Art kommt.

Es wird zuerst auf die verwendete Gattung und deren Strukturmerkmale einzugehen sein, um aufzuzeigen, dass Moscherosch als Satiriker des 17. Jahrhunderts gelten kann und die Möglichkeiten der Satire nutzt, um die Intension des Textes umzusetzen. Darüber hinaus soll dies die Analyse und Interpretation des oben genannten Kapitels hinsichtlich der verwendeten Strukturelemente vorbereiten. Dennoch können im Rahmen dieser Arbeit nur ausgewählte Aspekte in die Untersuchung der Strukturmerkmale mit einfließen.

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll dann ein kurzer Überblick des `Soldatenlebens` mit der Einordnung des zu bearbeitenden Kapitels erfolgen. Dies beinhaltet, dass gewisse Aspekte des `Soldatenlebens`, die für die Analyse und Interpretation des Kapitels entscheidend sind, eingehender deutlich gemacht werden müssen. Besondere Beachtung soll dabei dem religiösen Aspekt im `Soldatenleben` geschenkt werden. Hierbei kommt dem Glauben an Gott und der Einhaltung seiner Gebote eine besondere Bedeutung zu. Es wird aufzuzeigen sein, dass Moscherosch sich mit Glauben an Gott als eine Möglichkeit der Reaktion auf die Erscheinungsformen des Krieges auseinandersetzt. Hierin liegt die Antwort auf die Frage, welche Möglichkeiten es für die gerechte Kriegführung gibt. Mit dem Glauben an Gott und dem Einhalten der Gebote können jedoch nicht nur die Missstände des Krieges behoben werden. Es ist darüber hinaus eine für Moscherosch denkbare Alternative die Missstände in der Gesellschaft generell zu beseitigen. Um dies alles aufzuzeigen, trägt der anschließende Exkurs über die biographischen Hintergründe des `Soldatenlebens` entscheidend bei.

In der nun folgenden Analyse und Interpretation des Kapitels `Wie die Soldaten Weiber zur Kirche führen und ein Überfall wegen einer zu kurzen Leiter danebenging` soll aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten speziell im Glauben an Gott zur Eindämmung des Krieges und damit ebenso zur gerechten Kriegführung bestehen. Dabei geht es besonders um den Schutz und die Sicherheit, welche Gott den im Glauben Unbeirrbaren zukommen lässt, wodurch wiederum die Bewältigung der weltlichen Probleme, also des Krieges, möglich wird.

Es wird in diesem Zusammenhang nachzuweisen sein, dass der Text Moscherosch als orthodoxen Lutheraner widerspiegelt. So können die im Text formulierten Denkweisen einerseits an Passagen der Bibel nachgewiesen werden. Andererseits bezieht sich Moscherosch eindeutig auf Luther, was sogar bis zur wörtlichen Übernahme von Textstellen Luthers geht.

Die Literatur zu Moscheroschs `Gesichte des Philanders von Sittewald` ist durch die bisher geringe Beschäftigung mit diesem Werk weitgehend überschaubar. In dieser Literatur wird sich jedoch unter verschiedener Aufgabenstellung größtenteils mit dem gesamten Werk auseinandergesetzt. Dabei fließt das `Soldatenleben` als Ganzes in die Darstellung mit ein. In der Literatur, die sich ausschließlich mit dem `Soldatenleben` beschäftigt, wird dies ebenso als Ganzes unter verschiedenen Aspekten untersucht. Eine eingehende Beschäftigung mit einem einzelnen Kapitel aus dem `Soldatenleben` ist derzeit nicht zu finden.

Damit versteht sich diese Arbeit durch den Versuch einer Analyse und Interpretation eines einzelnen Kapitels unter den oben genannten Fragestellungen als ein Beitrag, diese Situation aufzuarbeiten. Es versteht sich, dass eine Überprüfung und Infragestellung der Aussagen hierzu weitestgehend nicht durch vorhandene Literatur erfolgen kann.

2. Satire und menippeische Strukturen im `Soldatenleben`

Im folgenden Kapitel soll versucht werden, sich der poetologischen Struktur des `Soldatenlebens` zu nähern. Einerseits wird in diesem Zusammenhang auf den Begriff Satire einzugehen sein. Anderseits muss eine spezielle Form der Satire, die Menippea, eingehender betrachtet werden. Im Aufzeigen von Satire und Menippea wird dann versucht, Textbeispiele des `Soldatenlebens` einzubeziehen, die belegen, dass der Text sich diesen Formen zuordnen lässt. Dies soll die spätere Analyse des Kapitels `Wie die Soldaten Weiber zur Kirche führen und ein Überfall wegen einer zu kurzen Leiter danebenging` unterstützen.[1]

Dennoch soll vorab gleich darauf hingewiesen werden, dass es zu Moscheroschs Werk keine vorrangig poetologische Untersuchung gibt. Es werden zwar im Zusammenhang mit inhaltlichen Fragen Formenelemente angesprochen, doch ist dies nur zum Teil ergiebig.[2] Wenn eine Betrachtung der poetologischen Strukturen erfolgt, bezieht sich dies in der Auswahl der Textbeispiele immer auf die gesamten `Gesichte` und vorrangig auf den ersten Teil. Eine Untersuchung eines einzelnen Kapitels lässt sich in der Sekundärliteratur nicht finden.[3]

2.1. Das `Soldatenleben` als Satire

Die Satiretradition hat sich lange vor der Epoche des Barock herausgebildet. Zudem unterscheiden sich die Vorstellungen von Satire im Barock nicht wesentlich von den humanistischen, mittelalterlichen oder gar den spätantiken.[4] Zu allen Zeiten gab es Anlass durch diese Spott- und Strafdichtung die Missstände der Gesellschaft und deren Abweichen von Normen und Werten literarisch zu verspotten. So galt es in den Satiren die gegenwärtigen Laster aufzuzeigen und diese zu tadeln. Also tadeln Satiren Laster.[5]

Wichtig ist dabei, dass der Satire ein gesellschaftlich akzeptiertes Normen- und Wertesystem zu Grunde liegt, damit eine Resonanz beim Lesepublikum überhaupt erzielt werden kann.

Andernfalls sind die zu tadelnden Laster gar nicht zu verstehen. Die Normen und Werte können dabei unterschiedlich akzentuiert sein. So gibt es Schwerpunkte in politischer, religiöser oder auch ideologischer Hinsicht. Immer im Blick ist dabei ein außerliterarischer Kontext, den der Autor und der Leser gemeinsam haben.

Normen und Werte können auf unterschiedliche Art und Weise an den Leser herangetragen werden.

Satiriker des 16. und 17. Jahrhunderts machen in der Regel die Normen explizit, sei es, dass der Autor oder ein satirischer Sprecher in Kommentaren ein Gerüst von Normen etabliert, sei es, dass er indirekt an Figuren (Normenträgern) oder an idealen Gesellschaftsordnungen oder in die Frühzeit der Menschheit projizierten sozialen Lebensformen Normen verdeutlicht.[6]

Doch nicht nur das Tadeln von Lastern auf einem Normenhintergrund ist charakteristisch für die Satire. Ein besonderes Merkmal ist ebenso, dass dieser Tadel durch Scherz und Komik den Leser erreichen soll. Dies fördert eine unterhaltsame Darstellungsweise, wodurch die Intention des Satirikers auf breitere Resonanz stoßen kann. Ebenfalls impliziert ist damit, dass der Satiriker die Möglichkeit hat, verdeckt zu tadeln und so einer eventuellen Zensur zu entgehen. Oft zitiert wird dabei das Gleichnis von der überzuckerten Pille. Das heißt, die bittere Medizin, also die Laster und Missstände der Gesellschaft, wird dem Leser auf angenehme Art und Weise eingeflößt.[7]

Zusätzlich ist der Scherz und die Komik ein Mittel, in der Satire verdeckt zu tadeln. In Bezug auf den verdeckten Tadel spielt darüber hinaus die Ironie eine entscheidende Rolle, um die abweichende Norm zu verdeutlichen.

Die literarische Entwicklung zur Zeit des Barock erlaubt die Darstellungsweise einer Satire in Versform oder in Prosaform. Bei der Prosaform spricht man von der Prosasatire, welche dem satirischen Roman, auch niederer Roman genannt, zuzuordnen ist. Der niedere Roman als solcher wird in den poetologischen Schriften, wie zum Beispiel bei Opitz, allerdings nicht erwähnt. Im Gegensatz zu dieser Situation erfreute sich der niedere Roman in der Praxis großer Beliebtheit. Die Folge aus der Vernachlässigung der Satire und der unzureichenden Satiretradition in Prosaform, denn der Roman in Prosaform gehört nicht zu den seit der Spätantike gepflegten Gattungen, ist, dass diese Gattung im Barock keine poetologischen Vorgaben hat und deshalb an keine feste Form gebunden ist.[8] Vielmehr übernimmt die Satire Formen aus anderen Gattungen, wie der Tragödie, Komödie, Ode und dem Epos. Sie ist so zu sagen gattungslos.[9] Diese Gattungslosigkeit lässt eine Vielzahl von literarischen Formen in der Prosasatire zu. Unter anderem können dies „als die wichtigsten Formen der Prosasatire „Fictiones/Träume/Gesichte/Fabeln“, „Gespräche“, „Briefe“, die „Romaine“ und die Reisebeschreibung“ sein.[10] Dabei sind die erzählenden Formen wie Brief- und Gesprächsliteratur im Barock häufig in einen Handlungsrahmen eingebettet.[11]

Das Ganze zeigt bereits in Ansätzen, wie vielschichtig die Prosasatire des Barock ist und wie schwer es ist, diese genau abzugrenzen. Dennoch kann man beim `Soldatenleben` und damit auch bei dem gesamten Werk Moscheroschs ganz ohne Zweifel von einer Prosasatire sprechen, da sich hier viele der oben genannten Merkmale wiederfinden. Ganz auffällig ist im `Soldatenleben` die überwiegende Prosaform. Die kurzen Einschübe in Versformen werden an anderer Stelle noch zu besprechen sein. Unterteilt wird der gesamte Text wiederum in verschiedene literarischen Formen, die in einen romanartigen Handlungsrahmen eingebettet sind.[12] Die Handlung selbst erfährt immer wieder eine Standortverlagerung, so dass man im gewissen Sinne von einer Reise Philanders sprechen könnte, die hier beschrieben wird und bei der die Stationen bestimmte Missstände der Gesellschaft widerspiegeln. So befindet sich Philander einmal in Frankreich, ein andermal in der Hölle und wieder ein anderes mal in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges. Doch ändern sich die Stationen nicht nur außerhalb der einzelnen Gesichte, sondern zum Beispiel beim `Soldatenleben` auch innerhalb. Die Räuberbande reist ständig in einem mehr oder weniger abgegrenzten Gebiet hin und her. Hiermit verbunden ist ebenso das Zusammenstoßen mit einer Vielzahl von Figuren aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. In diesem Zusammenhang lässt sich durchaus von einer Reisebeschreibung im weitesten Sinne sprechen. Damit und mit der Tatsache, dass dies in die Form von Gesichten oder auch Träumen verlagert wird, die ebenfalls in das romanartige Handlungsgerüst eingeflochten sind, wären gleich zwei literarische Formen der Prosasatire, wie sie oben genannt wurden, nachgewiesen.[13]

Es gibt aber noch bezogen auf das `Soldatenleben` weitere literarische Formen, die sich auf die oben genannten beziehen lassen. So sind zum Beispiel Briefe und Gespräche ebenso als Beweis für die literarischen Formen einer Prosasatire heranzuziehen. Die Briefe und Gespräche werden dann im Soldatenleben auch in einen Handlungsrahmen eingebettet. Ganz deutlich zeigt sich dies in den Briefen des Kapitels `Wie die Soldaten Weiber zur Kirche führen und ein Überfall wegen einer zu kurzen Leiter daneben ging`. Hier wird die Form der Briefe dazu benutzt, um der Unzufriedenheit über die Räuberbande durch die Bürger einer Stadt Ausdruck zu verleihen. Im vorherigen Handlungsverlauf wurde diesen Bürgern durch die Räuber das Vieh gestohlen, was durch Philander berichtet wurde. Eine eingehende Untersuchung zu den angeführten Briefen soll noch aufgezeigt werden.

Weiterhin ist im `Soldatenleben` ein eindeutiger Normenhintergrund gegeben, der am Erscheinungsbild des Krieges diskutiert wird. Es wird an späterer Stelle aufzuzeigen sein, um welchen Normenhintergrund es sich hierbei handelt. Auffällig ist dabei aber, dass die Normen immer durch verschiedene Figuren aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten als auch durch Kommentare des Philanders ausgedrückt werden. So kommen im `Soldatenleben` unter anderem ein Abt, ein Schultheiß, Bürger einer Stadt, ein Pfarrer und andere mehr zu Sprache, die hier die Missstände am Krieg aus verschiedenen Perspektiven aussprechen und so ein breites Spektrum des sozialen Lebens widerspiegeln.

Unterbrochen werden die bisweilen naiv anmutenden Auftritte und Äußerungen Philanders [und der verschieden moralisierenden Figuren] durch ein kommentierendes Erzähler-Ich, das häufig im Anschluß an neue Erfahrungen des Protagonisten oder bei bedeutenden moral- ethischen Postulaten wertend eingreift. Die Übergänge der Erzählhaltung sind meistens fließend und nur zum Teil erkennbar, können jedoch im Gegenzug in bisweilen abruptem Wechsel das Geschehen um den figuralen Erzähler in moralisierenden Einschüben erläutern.[14]

Dies kommt auch im `Soldatenleben` zum Ausdruck. Und die Wahrheit zu sagen, so muß ich bekennen, dass der Bauer recht geredet hat. Denn seit diesem Schreiben sind wir, wo uns eine Streife des Feindes aufstieß, abseits gegangen, sie hingegen auch auf der anderen Seite, und wir haben einander nimmer angegriffen, bis uns der Teufel am Ende arg beschissen hat. Auf beiden Seiten aber mussten die Bauern herhalten, wo sie etwas hatten, oder wo wir ihr Vieh erwischen konnten.[15]

Dabei sind die moralisierenden Einschübe als auch die Kommentare immer in den Handlungsrahmen eingebettet. Die moralisierenden Figuren im ´Soldatenleben` reagieren auf das Unwesen der Räuberbande.

Wenn in der Prosasatire Scherz und Komik für die Unterhaltsamkeit ein wesentliches Merkmal bilden, so kann dies für das `Soldatenleben` als nicht zutreffend beschrieben werden. Hier herrscht ein ernster Tonfall, der mit der Situation des Krieges und dem moralischen Anliegen übereinstimmt.[16] Die Unterhaltsamkeit entsteht hier durch die Schnelligkeit der Handlung, dem häufigen Stationswechsel und der detaillierten Beschreibung der Vorgehensweise der Räuberbande. Gelegentlich finden sich aber auch Bemerkungen im `Soldatenleben`, die als scherzhaft gelten können. Diese unterliegen aber ebenso der Absicht, die negativen Erscheinungen des Räuberlebens darzustellen.

Einige Tage saßen wir so stocksteif, als ob wir die Seligkeit durch Saufen hätten erwerben wollen.[17]

Der vorwiegend ernste Tonfall, durch den z.B. die Folter von Bauern und die Plünderung von Klöstern und Städten geschildert wird, kann durch diese Bemerkungen aber nicht aufgehoben werden.

Es ist bereits erwähnt worden, dass das `Soldatenleben` als Bericht eines Ich-Erzählers, nämlich Philander, gesehen werden kann, der als Beobachter verschiedenster Erlebnisse in Erscheinung tritt. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass Philander durch Kommentare nach moralischen Einschüben wertend eingreift. Dennoch kann bei dem Ich-Erzähler nicht von einer Figur gesprochen, deren psychologisches Innenleben beleuchtet wird. Es geht hier nicht um Philanders Seelenleben. Vielmehr vermittelt er die Ereignisse und dient als Verbindung zwischen den einzelnen, nur lose miteinander verbundenen Gesichten.

2.2. Menippeische Strukturen im `Soldatenleben`

Moscherosch hat die `Gesichte` nach der Vorlage von Quevedos `Soen?os` geschrieben. Dies lässt den Schluss zu, dass es sich bei den `Gesichten um eine Sonderform der Satire, nämlich der Menippea, handelt, da Quevedos Werk zur Menippea gehört.[18]

Es gibt eine Reihe von Merkmalen, die typisch für diese Form der Satire sind. Diese Merkmale beruhen auf einer Tradition, welche bereits seit der Antike besteht.[19] Trotzdem bleibt zu sagen, „der Komplex menippeischer Dichtung ist allerdings kein ganz einfacher Untersuchungsgegenstand - und dies nicht nur, weil er zu mindestens im Bereich der deutschen Literatur bislang wenig erforscht ist, sondern auch, weil er Schwierigkeiten eigener Art bietet.“[20] Deshalb soll an dieser Stelle auch nur ein kurzer Exkurs über einige Strukturelemente erfolgen.[21] Weiterhin soll versucht werden, mögliche Strukturelemente auf das `Soldatenleben` in Ansätzen zu beziehen.

Untersucht man die stilistischen Mittel der Menippea, so wird deutlich, dass die Betrachtung des ganzen ersten Teils als auch des zweiten Teils von Moscheroschs `Philander von Sittewald`, also das Werk in seiner Gesamtheit, wesentlich effektiver ist. Hier spielt Moscherosch an verschiedenen Stellen „ mit den Elementen der menippeischen Satire und stellt diese durch moraldidaktische Einschübe vor den Hintergrund der Moralsatire.“[22] Das heißt, hier verfeinert Moscherosch die Prosasatire durch Elemente der Menippea.

Aus der Vielzahl von Strukturelementen der Menippea treten einige immer wieder deutlich hervor. „Neben dem Strukturmerkmal des Prosimetrums und dem unkonventionellen Wechsel verschiedener Gattungen ist die Überprüfung und Infragestellung gesellschaftlich etablierter Normen und Regeln aus unkonventionellen Perspektiven das eigentliche Charakteristikum der Menippea“[23] Damit geht also die Menippea über die Prosasatire hinaus, indem sie ihr bestimmte Strukturen vorgibt. Dennoch sind diese Strukturen nicht starr, sondern können auf vielfältige Art und Weise variieren. Es wurde bereits bei den Ausführungen zur Prosasatire weiter oben angemerkt, dass hier eine gewisse Gattungslosigkeit vorliegt und deshalb die Strukturelemente aus den anderen Gattungen übernommen werden. Die Menippea gibt jetzt vor, dass dies in einem unkonventionellen Wechsel zu geschehen hat. Dabei sind die Form der Prosa, also aus der Gattung der Epik, und die des Verses, also aus der Gattung der Lyrik, im Merkmal des Prosimetrums vereint. Plötzliche Einschübe von Versen in die ansonsten vorrangige Prosaform sind keine Seltenheit bei der Menippea.

Es sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass mit einem Wechsel der Gattungen ebenso der Wechsel zwischen den oben angeführten Formen, Motiven und Techniken sein kann, die hier variiert und kombiniert werden.[24] Das heißt, der Wechsel zwischen der Beschreibung der Handlung in der Ich-Form, Briefen und Gesprächen, aber auch zwischen verschieden Formen der Lyrik wäre hier für die Menippea möglich.

[...]


[1] Als Textvorlage dient in dieser Arbeit das Buch: Unter Räubern. Johann Michael Moscherosch `Soldatenleben` hrsg. v. Walter E. Schäfer, Karlsruhe 1996. Diese Übersetzung ist in Kapitel mit Überschriften (Zwischentitel) unterteilt, die im Originaltext nicht vorkommen und von W. E. Schäfer selbst gesetzt und betitelt wurden.

[2] Bubernik, Claudia: „Ich bin, was man will“: Werte und Normen in Johann Michael Moscheroschs Gesichten Philanders von Sitewald, S. 221. Bubernik betont, dass eine vorrangig poetologische Untersuchung zu den unterschiedlichen Textformen in Moscheroschs Werk weitere Erkenntnisse liefern könnte.

[3] Walter Ernst Schäfer: Der Dreißigjährige Krieg aus der Sicht Moscheroschs und Grimmelshausens, aus: Morgen - Glanz, Heft 9/99, analysiert zwar intensiv das `Soldatenleben`, jedoch geschieht dies vorrangig an inhaltlichen Gesichtspunkten. Strukturelemente finden in diesem Aufsatz keine Berücksichtigung.

[4] Siehe auch Trappen, Stefan: Grimmelshausen und die menippeische Satire, S.90. Trappen führt in dieser Arbeit ausführlich die historischen Voraussetzungen der Prosasatire im Barock aus.

[5] siehe Anm. 4.

[6] Schäfer, W. E.: Moral und Satire, S.50.

[7] siehe Anm. 4, S. 101.

[8] siehe dazu auch Anm. 4, S.129.

[9] siehe dazu Trappen, Stefan: Grimmelshausen und die menippeische Satire, S. 87. Diese Gattungslosigkeit mit ihren vielfältigen Erscheinungsformen bereitet der Forschung einige Probleme bei der Einordnung der Satire. Siehe dazu auch Bubernik, Claudia: „Ich bin, was man will“: Werte und Normen in Johann Michael Moscheroschs Gesichten Philanders von Sitewald, S.22.

[10] Trappen, Stefan: Grimmelshausen und die menippeische Satire, S. 127.

[11] Siehe dazu Trappen, Stefan: Grimmelshausen und die menippeische Satire, S. 128.

[12] Ebenda S. 195.

[13] Ebenda S. 193. Trappen bezeichnet die Aneinanderreihung von verschiedenen Standorten nicht als Reise Philanders, sondern als Revue. Allerdings spricht auch er von einer Episodenstruktur der einzelnen Gesichte und von einer zusätzlichen Binnenstruktur. Diese „Reihungstechnik“ hängt allerdings immer mit einer Standortverlagerung zusammen, weshalb es durchaus ebenso einer Reise und dessen Beschreibung entspricht.

[14] Bubernik, Claudia: „Ich bin, was man will“: Werte und Normen in Johann Michael Moscheroschs Gesichten Philanders von Sitewald, S. 62.

[15] Unter Räubern, S. 91.

[16] Siehe dazu auch K. G. Knight: J.M. Moscherosch. Satiriker und Moralist des siebzehnten Jahrhunderts. S. 116.

[17] Unter Räubern, S. 83.

[18] Siehe dazu auch Trappen, Stefan: Grimmelshausen und die menippeische Satire, S. 191.

[19] Trappen, Stefan: Grimmelshausen und die menippeische Satire, hat sich sehr eingehend mit der Menippea und ihrer Tradition befasst.

[20] Trappen, Stefan: Grimmelshausen und die menippeische Satire, S. 135.

[21] Dieser Exkurs über die Strukturelemente der Menippea erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ausführlichere Erläuterungen zur Untersuchung von Strukturelementen der Menippea lassen sich bei Trappen und Bubernik finden.

[22] Bubernik, Claudia: „Ich bin, was man will“: Werte und Normen in Johann Michael Moscheroschs Gesichten Philanders von Sittewald, S. 46.

[23] Ebenda, S. 40.

[24] siehe dazu auch Trappen, Stefa n: Grimmelshausen und die menippeische Satire, S. 136. Weiterhin Gero v. Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur, S. 320. Hier wird der Begriff Gattung in zwei grundsätzlich zu unterscheidende Gruppen definiert: 1. die drei Naturformen der Poesie und 2. Dichtarten o. Untergattungen o. Genres.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Möglichkeiten der gerechten Kriegführung aus der Sicht Johann Michael Moscheroschs anhand eines ausgewählten Kapitels aus dem Soldatenleben.
Hochschule
Universität Potsdam  (Germanistik)
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
35
Katalognummer
V14684
ISBN (eBook)
9783638200158
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Möglichkeiten, Kriegführung, Sicht, Johann, Michael, Moscheroschs, Kapitels, Soldatenleben
Arbeit zitieren
Steven Engler (Autor:in), 2003, Möglichkeiten der gerechten Kriegführung aus der Sicht Johann Michael Moscheroschs anhand eines ausgewählten Kapitels aus dem Soldatenleben., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14684

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