Heiligenviten waren im Mittelalter keine Seltenheit und spielten für den Heiligsprechungsprozess eines Menschen eine wichtige Rolle. Im Rahmen dieser Arbeit wird untersucht, wie verschiedene Autoren die Lebensgeschichte Elisabeths von Thüringen (1207-1231) verfassten. Dafür wird auf den Begriff der "Ästhetisierung" von Anja Besand und Martin Seel zurückgegriffen, welche zu Beginn der Arbeit vorgestellt und für den Zweck derselben bereitet wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Die Begriffe „Ästhetik“ und „Ästhetisierung“
2. DieKindheitserzählung beiWalter Nigg(1235)
2.1. Allgemeines zur Kindheitserzählung Walter Niggs
2.2. Biografische Daten zu Konrad von Marburg
2.3. „Über den Lebenswandel der sel. Elisabeth als Kind,junges Mädchen und Jungfrau“
3. DieKindheitserzählung beiCaesariusvonHeisterbach (1236)
3.1. Zur Biografie von Caesarius von Heisterbach
3.2. Elisabeths Kindheit aus der Sicht Heisterbach
4. DieKindheitserzählungbeiDietrichvonApolda(1289)
4.1. Zur Biografie von Dietrich von Apolda
4.2. „Von Elisabeths wundersamer, unschuldiger Kindheit“
5. Zusammenfassung undRückschlüsse
6. Literaturliste
6.1. Primärliteratur
6.2. Sekundärliteratur
1. Die Begriffe „Ästhetik“ und ..Ästhetisierung“
Da im Zusammenhang mit Lebensgeschichten von Heiligen selten von „Ästhetik“ bzw. „Ästhetisierung“ die Rede ist, erscheint es mir sinnvoll am Anfang diese beiden Begriffe zu erläutern. Dabei werde ich mich an Anja Besands „Ästhetik - Versuch einer begrifflichen Grundlegung“1 orientieren.
Zuerst ist festzustellen, dass es bei „Ästhetik“ und „Ästhetisierung“ nicht um Verschönerung oder eine Gleichstellung mit Emotionalität geht, diese Begriffe aber auch nicht mit Irrationalität gleichzusetzen sind2. Was aber ist „Ästhetik“ und wie kann sie mit der Kindheitsgeschichte einer Heiligen verknüpft werden?
Für eine Annäherung an diese Frage benutze ich Martin Seels Beispiel des Salzstreuers:
„So wird der Salzstreuer, den ich täglich benutze und den ich in einem ästhetisch wachen Moment für plump befinde, um ihn fürderhin wie gewohnt zu benutzen, meiner Wahrnehmung für diesen Moment durchaus zum ästhetischen Gegenstand.“[3]
Hier wird deutlich, dass es bei einer ästhetischen Wahrnehmung nicht nur um die bloße optische (in anderen Fällen auch akustische oder andere) Sinneswahrnehmung geht, sondern gerade um eine „bestimmte beurteilende Betrachtung“4, wobei das Urteil selbst, also ob der Salzstreuer als schön oder hässlich empfunden wurde, uninteressant ist.
Ein anderes Beispiel: Das Lesen eines Buches an sich ist kein ästhetisches Verhalten. Nehme ich jedoch, in einem „ästhetisch wachen Moment“5, die Gestaltung des Textes, den Sprachgebrauch oder die Gedankenwelt des Textes auf eine Weise wahr, wie es mir beim bloßen Lesen des Textes nicht geschieht, habe ich das Buch ästhetisch wahrgenommen, oder anders gesagt, ich habe die „Ästhetik“ des Buches wahrgenommen.
Dies ist auch ein erster Bezug zu den Kindheitsberichten Elisabeths. Es zeigt sich, dass nicht nur Gegenstände oder Personen ästhetisch wahrgenommen werden können, sondern auch die Inhalte, eben zum Beispiel die Gedankenwelt des Textes. Dies ist jedoch noch nicht der Punkt, der für meine Arbeit von zentraler Bedeutung sein soll. Mir geht es nicht um die Ästhetik der Kindheitsberichte, sondern um deren Ästhetisierung. Deshalb muss jetzt noch geklärt werden, was der Begriff „Ästhetisierung“ meint.
Bei der „Ästhetisierung“ geht es um einen handelnden Prozess. Ein nichtästhetisches Objekt wird als ästhetisches Objekt wahrgenommen und verändert. Die Veränderung oder, anders ausgedrückt, die Gestaltung eines Objektes in Folge der Wahrnehmung dieses Objektes als ästhetisches Objekt wird „Ästhetisierung“ genannt6. Ästhetisierung kann somit eine Veränderung der Wahrnehmung eines Objektes, aber auch eine Veränderung des Objektes selbst sein. Außerdem kann es sich statt um Objekte auch um Prozesse, Verfahren oder Laute und so weiter handeln.
Wichtig ist hierbei, dass „Ästhetisierung“ nicht auf die Oberflächenstruktur begrenzt ist, sondern tiefer geht. So ist es zum Beispiel nicht nur wichtig, welche Lebensgeschichte Elisabeths später vorgelesen wird, sondern auch der Ton, die Mimik oder die Gestik spielen hier eine wichtige Rolle und können ästhetisiert sein, also gezielt eingesetzt worden sein, um bei der Bevölkerung eine bestimmte Reaktion zu erzeugen.
Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt darauf, welche Worte die Autoren benutzen, welche Stimmung sie an welcher Stelle erzeugen und vor allem, was sie beim Leser damit erreichen wollen? Wie beeinflussen sie den Leser und warum?7 Um dies angemessen zu beurteilen, wird es wichtig sein die politischen Hintergründe genauso in Betracht zu ziehen wie die Biografien der einzelnen Persönlichkeiten.
Es geht also nicht darum zu sagen, welche Variante richtig ist und welche falsch beziehungsweise welche glaubwürdiger ist. Vielmehr geht es darum die Intentionen der Autoren für ihre Formulierungen zu ergründen und aufzuzeigen.
2. Pie Kindheitserzählung bei Walter Nigg
2.1. Allgemeines zur Kindheitserzählung Walter Niggs
Walter Nigg druckt in seinem Werk „Heilige der ungeteilten Christenheit dargestellt von den Zeugen ihres Lebens“8 den Text der längeren Fassung des „Büchlein über die Aussagen der vier Dienerinnen“ von wahrscheinlich 1244 ab. Er bemerkt, dass er die späteren Ergänzungen zum Originaltext kursiv gedruckt hat, so dass es einfach ist, daraus das Original zu rekonstruieren. Von diesem Original, verfasst 1235, gehe ich hier aus, um von ihm als Basis die weitere Entwicklung der Kindheitsgeschichte zu analysieren.
Wie Walter Nigg schreibt, ist das „Büchlein über die Aussagen der vier Dienerinnen“ einer der grundlegenden Texte für den Heiligsprechungsprozess Elisabeths von Thüringen9, welcher noch im Erscheinungsjahr 1235 von Papst Gregor IX. abgeschlossen wurde10. Es handelt sich hierbei um eine hagiographische Vita, also um die „Lebensbeschreibung eines (...) zur Kanonisierung empfohlenen heiligmäßigen Menschen“11. Dies muss bei der Beurteilung der Quelle bedacht werde, da sich damit eine bestimmte Intention verbindet, eben die Darstellung eines nach den Regeln der heiligen Kirche geführten Lebens.
Vom 12. bis zum 15. Jahrhundert werden die Heiligenviten von Frauen häufiger12. In dieser Zeit entsteht auch die Vita der Elisabeth von Thüringen. Die erste Voruntersuchung zum gesamten Heiligsprechungsverfahren wurde von Konrad von Marburg geleitet13.
2.2. Biografische Daten zu Konrad von Marburg
Ich werde hier keine komplette Biografie Konrads von Marburg wiedergeben, sondern lediglich die für diese Hausarbeit wichtigen Fakten, die seine Arbeit als Teil der Untersuchungskommission zur Kanonisierung Elisabeths, welcher er auf päpstliche Veranlassung seit Oktober 1232 angehörte14, beeinflusst haben dürften.
Das Geburtsdatum Konrads ist unbekannt, er dürfte aber wohl zwischen 1180 und 1190 geboren worden sein. Er war Priester und Magister und nahm zwischen 1216 und 1227 im päpstlichen Auftrag an den Kreuzzügen teil, nach denen er 1227 von Papst Gregor IX. mit der Visitation der deutschen Klöster beauftragt wurde. Seit 1224 war Konrad von Marburg eine der wichtigsten Köpfe der Ketzerverfolgung, für die er 1231 von Gregor IX. große Vollmachten erhielt. 1225/26 wurde Konrad von Marburg an den thüringischen Hof beordert, wo er unter anderem Beichtvater Elisabeths wurde. Nach ihrem Tod betreibt Konrad von Marburg nicht nur die monetäre Absicherung des Hospitals Elisabeths, sondern er bemüht sich auch um dessen geistliche Ausrichtung sowie um die Kanonisierung Elisabeths.15 Es zeigt sich somit, dass Konrad von Marburg sowohl als Inquisitor arbeitete, als auch als Beichtvater von Elisabeth von Thüringen aktiv um ihr Seelenheil bemüht war. Sein Bestreben um die Kanonisierung Elisabeths dürfte somit das „Büchlein über die Aussagen der vier Dienerinnen“ positiv beeinflusst haben, da die Vermutung nahe liegt, dass er mit ihr seine “Musterheilige“ beschreiben wollte, mit der er als Vorbild weiter gegen die Ketzer ziehen konnte. Ob dies im Text nachzuweisen ist, wird die Textanalyse zeigen.
Dafür werde ich im Folgenden zuerst den zugrunde liegenden Text inhaltlich zusammenfassen und anschließend, im Vergleich mit den späteren Texten, auf Besonderheiten hinweisen und diese deuten. Mein Hauptaugenmerk wird dabei, wie oben beschrieben, auf der Frage liegen, was der einzelne Autor mit seinenjeweiligen Worten zum Ausdruck bringen wollte und warum die Worte so benutzt wurden beziehungsweise welche Wirkung von ihnen ausgehen.
[...]
1 Besand, Anja: Ästhetik. Versuch einer begrifflichen Grundlegung, in: dies., Angst vor der Oberfläche. Zum Verhältnis ästhetischen und politischen Lernens im Zeitalter neuer Medien, Schwalbach/Ts., 2004, S.16-28.
2 Vgl.: Ebd., S. 16.
3 Seel, Martin: Die Kunst der Entzweiung. Zum Begriff der ästhetischen Rationalität, Frankfurt/Main 1985, S. 181.
4 Besand, Anja: Ästhetik. Versuch einer begrifflichen Grundlegung, in: dies., Angst vor der Oberfläche. Zum Verhältnis ästhetischen und politischen Lernens im Zeitalter neuer Medien, Schwalbach/Ts., 2004, S. 17.
5 Seel, Martin: Die Kunst der Entzweiung. Zum Begriff der ästhetischen Rationalität, Frankfurt/Main 1985, S. 181.
6 Vgl.: Besand, Anja: Ästhetik. Versuch einer begrifflichen Grundlegung, in: dies., Angst vor der Oberfläche. Zum Verhältnis ästhetischen und politischen Lernens im Zeitalter neuer Medien, Schwalbach/Ts., 2004, S. 20.
7 Die Mimik und Gestik kann dabei natürlich keine Rolle spielen, da es sich um einen Text und nicht um ein Bild oder einen Film geht.
8 Nigg, Walter: Elisabeth von Thüringen, in: Nigg, Walter; Schamoni, Wilhelm. (Hrsg.), Helige der ungeteilten Christenheit dargestellt von den Zeugen ihres Lebens, Düsseldorf, 1963
9 Vgl.: Ebd.: S. 69.
10 Vgl.: Krafft Ottfried: Elisabeth von Thüringen, in: ders., Papsturkunden und Heiligsprechungen. Die päpstliche Kanonisation vom Mittelalter bis zur Reformation, Köln, Weimar, Wien, 2005, S. 385.
11 Vgl.: Vita, 1. Hagiographische Vita, in Lexikon des Mittelalters, 10 vols (Stuttgart: Metzler, [1977]- 1999), 8, cols 1751-1752, in Brepolis Medieval Encyclopaedias - Lexikon des Mittelalters Online <http://www.brepolis.net.ubproxy.ub.uni-frankfurt.de/bme> [Accessed 30 June 2007].
12 Vgl.: ebd.
13 Vgl.: Krafft Ottfried: Elisabeth von Thüringen, in: ders., Papsturkunden und Heiligsprechungen. Die päpstliche Kanonisation vom Mittelalter bis zur Reformation, Köln, Weimar, Wien, 2005, S. 385.
14 Vgl.: Ebd.
15 Vgl.: Dienst, Karl: Konrad von Marburg, in: Biographisches-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band IV,Herzberg, 1992, Spalten418-419.
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