Das Konzept der „neuen Kriege“ und die „Ökonomie der Gewalt“ am Beispiel des Afghanistan-Konflikts


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Kulturgeographische Analyse Afghanistans
2.1 Geopolitische Entwicklung
2.2 Kulturelle Identität
2.2.1 Territorium
2.2.2 Ethnizität
2.3 Zwischenfazit

3 Das Konzept der „neuen Kriege“
3.1 Zum Wandel des Krieges
3.2 Was ist neu am „neuen Krieg“?
3.3 Die „Ökonomie der Gewalt“

4 Afghanistan - ein „neuer Krieg“?
4.1 „Warlords“ und „Gewaltmärkte“
4.2 Privatisierung, Asymmetrierung, Autonomisierung

5 Fazit und Aussicht

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Afghanistan (19. Jahrhundert)

Abbildung 2: Afghanistan (Topographisch)

Abbildung 3: Afghanistan (Volksgruppen)

Abbildung 4: Warlords in Afghanistan (2002-2004)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Die größten Volksgruppen nach Sprache, Religion und Bevölkerungsanteil

Tabelle 2: Einkünfte aus Gewaltökonomien (2002)

1 Einleitung

„... Die hören sollen, sie hören nicht mehr, vernichtet ist das ganze Heer.

Mit dreizehntausend der Zug begann, Einer kam heim aus Afghanistan.“1

Das „Trauerspiel von Afghanistan“, welches bereits 1859 von Theodor Fontane beschrieben wurde, scheint auch 150 Jahre später noch von Aktualität zu sein: Acht Jahre nach dem Einmarsch internationaler Truppen ist das Land immer noch nicht befriedet, geschweige denn demokratisiert. In diesem Jahr starben so viele Menschen, wie seit Beginn der Intervention nicht.2 Doch während hohe Opferzahlen auch schon zu Fontanes Zeiten Kennzeichen afghanischer Kriege waren, hat sich eines grundlegend verändert: Nicht die afghanische Armee oder ein bestimmter Staat wird bekämpft - der Gegner ist gesellschaftlich integriert und agiert nach unbekanntem Muster. Die hochgerüsteten Armeen und bewährten Sicherheitsstrategien westlicher Militärmächte bleiben nahezu wirkungslos. Der Charakter des Krieges scheint sich grundlegend verändert zu haben.

In diesem Zusammenhang trat in der Wissenschaftsdebatte der vergangenen Jahre vermehrt der Begriff der „neuen Kriege“ auf. Darüber hinaus wurde in vielen Krisengebieten der Erde eine „Ökonomie der Gewalt“ festgestellt. Was es mit dieser Entwicklung auf sich hat und inwieweit diese auch auf den Afghanistan-Konflikt zutrifft, soll wesentlicher Gegenstand dieser Arbeit sein. Die zentrale Fragestellung lautet daher:

Inwieweit lässt sich das Konzept der „neuen Kriege“ auf Afghanistan anwenden und liegt in einer „Ökonomie der Gewalt“ ein Grund für die Entstehung bzw. Länge des Konflikts?

Da der Afghanistan-Konflikt von kulturellen, politisch-historischen, ökonomischen sowie natürlichen Bedingungen abhängt, werden ihm monokausale Erklärungsansätze kaum gerecht. Um alle wesentlichen Faktoren zu berücksichtigen, die die aktuelle Situation des Landes beeinflussen, liegt der Fokus meiner Arbeit daher zunächst auf der kulturgeographischen Betrachtung Afghanistans (Kapitel 2). Es wird sich zeigen, dass erst nach der Untersuchung geopolitischer und kultureller Aspekte das notwendige Grundlagenwissen besteht, das den Einstieg in die theoretische Analyse ermöglicht.

Dieser erfolgt dann mit der allgemeinen Vorstellung des Konzepts der „neuen Kriege“ (Kapitel 3), welches im weiteren Verlauf auf den Afghanistan-Konflikt angewandt wird (Kapitel 4). Abschließend folgen das Fazit sowie ein kurzer Ausblick in die zukünftige Entwicklung.

2 Kulturgeographische Analyse Afghanistans

Die Islamische Republik Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Etwa siebzig Prozent der rund 32 Millionen Einwohner zählenden Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze, was in Betracht eines nun mehr dreißig Jahre andauernden Kriegszustandes kaum verwunderlich scheint.3 Um sich den komplexen Ursachen dieser trostlosen Lage bewusst zu werden, erfolgt zunächst eine kulturgeographische Betrachtung des Landes. Denn „Kulturgeographie ... untersucht, inwieweit Raum, Ort und natürliche Umwelt die Kultur prägen und ihrerseits durch Kultur geprägt werden.“4 Der Kulturbegriff soll dabei als „Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Eigenschaften ... eine[r] Gesellschaft oder eine[r] soziale[n] Gruppe“ verstanden werden, „der Formen des Zusammenlebens, Wertesysteme, Traditionen und Überzeugungen umfasst.“5

Im folgenden Kapitel wird zunächst die staatshistorische Entwicklung Afghanistans nachgezeichnet sowie anschließend die kulturelle Identität des Landes skizziert.

2.1 Geopolitische Entwicklung

Die Lage Afghanistans zwischen Orient und Okzident war stets von großer geopolitischer Bedeutung. Nach Jahrhunderten der Gebietskämpfe zwischen Persern, Usbeken und anderen Volksgruppen bekam die Region unter dem persischen Herrscher Nadir Schah Anfang des 18. Jahrhunderts erstmals eine einheitliche politische Gestalt. 1747 folgte die Gründung des afghanischen Staates durch Ahmed Schah Durani, unter dessen Herrschaft das Land an politischem Gewicht zulegen und das Staatsgebiet zeitweise bis hin zum indischen Ozean expandieren konnte.6 Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Afghanistan dann zum Mittelpunkt zweier kollidierender Kolonialinteressen. Die angestrebten Machtausdehnungen Großbritanniens (vom indischen Subkontinent gen Mittelasien) und Russlands (von Mittelasien Richtung indischer Ozean) machten das Land zu einem „Pufferstaat“ im sogenannten „Great Game“ zweier imperialistischer Weltmächte.7 Nachdem die Briten in den 1840er Jahren das Land besetzen konnten, kam es in den folgenden Jahrzehnten mehrfach zu

Konflikten zwischen der afghanischen Bevölkerung und den Besatzungsmächten. Aufgrund der anhaltenden Aufstände wurde das Land von den Briten durch die sogenannte „Durand-Linie“ getrennt und der südöstliche Teil in die indische Kronkolonie eingegliedert.

Die daraus resultierende „Pufferfunktion“ Afghanistans verdeutlicht sich besonders anschaulich im äußersten Nordosten des Landes, wo ein schmaler Landstrich bis hin zur chinesischen Grenze den direkten Kontakt von britischem und russischem Einflussgebiet verhinderte (siehe Abbildung 1). Dieser vollkommen willkürlich gezogene Grenzverlauf, der das ursprüngliche Territorium Afghanistans fast halbierte und das Land somit zu einem Binnenstaat machte, hat bis heute Bestand.8

Abb. 1: Afghanistan (19. Jahrhundert)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Militärgeschichtliches Forschungsamt 2009.

Die fremdbestimmte Teilung war zunächst von überraschender Beständigkeit und sorgte auch während der beiden Weltkriege sowie des kalten Krieges weitgehend für Stabilität innerhalb der Region.9 Erst 1973 sorgte der Sturz des Staatsoberhauptes Sahir Schahs - einem direkten Nachkommen des Staatsgründers Ahmed - für bürgerkriegsähnliche Unruhen innerhalb Afghanistans. Sechs Jahre später führte der Einmarsch der Sowjetunion das Land dann endgültig in den Kriegszustand und zerstörte sämtliche institutionelle Strukturen. Es entstand ein Machtvakuum, in das lokal oder ethnisch organisierte Milizen traten. Infolge dessen waren jedoch weder einzelne Führer, noch die Mudschaheddin, die 1992 in Kabul einmarschierten, gewollt oder in der Lage, das erodierte staatliche Gewaltmonopol wiederherzustellen. Infolge der Machtübernahme der Taliban kam es ab 1996 zu einer bewussten Forcierung der lokalen Zersplitterung und darüber hinaus zu Kooperationen mit terroristischen Gruppen wie Al-Kaida. Letzteres führte nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 und dem daraufhin ausgerufenen NATO-Bündnisfall zum Einmarsch internationaler Truppenverbände. Seit diesem vorerst letzten Fixpunkt eines nun mehr dreißig Jahre andauernden Kriegszustandes, ist die gesellschaftliche Fragmentierung des Landes auf ein Höchstmaß gestiegen.10

2.2 Kulturelle Identität

Um diese gesellschaftliche Zersplitterung des heutigen Afghanistans verstehen zu können, gilt es die kulturelle Identität dieses Landes und die seiner Bewohner genauer zu analysieren. Diese „umfasst Gemeinsamkeiten, wie Klima und Geographie, Sprache oder Religion ... und ist verbunden mit einer institutionellen Ordnung und sozialen Gruppen, aus denen sie besteht. Das kann eine Identifikation mit einem Territorium sein oder die Zugehörigkeit zu einer legal konstituierten Form, z.B. die eines Staates.“11

2.2.1 Territorium

Das Territorium ist „der von einer Person, einer Gruppe oder einer Organisation (z.B. Staat) erfolgreich angeeignete und durch Machtausübung kontrollierte Raum.“12 Afghanistan verfügt seit seiner Teilung durch die „Durand-Linie“ weder über einen Zugang zum Meer, noch über große Vorkommen an natürlichen Ressourcen und Rohstoffen. Die Topografie des Landes ist durch die schwer zugänglichen Gebirgslandschaften des Hindukusch geprägt, dessen Massiv sich vom Nordosten (aus Pakistan) bis in die zentralen Hochebenen im Landesinneren zieht (siehe Abbildung 2). Dieser Hochgebirgscharakter stellt ein natürliches Hindernis für die Erschließung und wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans dar, von dessen Staatsfläche nur knapp fünf Prozent agrarisch nutzbar ist.13 Lediglich in den von Gebirgen umgebenen Beckenlandschaften im Osten (z.B. Kabul, Dschalalabad) und Tälern im Norden (z.B. Baghlan, Kundus) kann zivile Landwirtschaft betrieben werden - hier befinden sich daher auch die wichtigsten Siedlungsräume des Landes. Des Weiteren ist die Landschaft durch die Extreme des kontinentalen Klimas geprägt, welches sich durch eine hohe Trockenheit und starke Temperaturunterschiede auszeichnet. Weite Teile des Südens und Südwestens sind daher von (Halb-)Wüsten bedeckt.14

Abb. 2: Afghanistan (Topografisch)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung 2009.

Ebenso konträr wie die klimatischen Verhältnisse stellen sich die Unterschiede zwischen den einzelnen Siedlungsräumen bzw. der Lebensart der Bevölkerung dar. Während ein Viertel der Afghanen in Städten lebt, ziehen weitere 25 Prozent als Nomaden durchs Land.15

2.2.2 Ethnizität

Die Ethnizität einer Gruppe basiert auf einem „gesellschaftlich geschaffenen Regelsystem ... und auf tatsächlichen oder gedachten Gemeinsamkeiten wie Sprache oder Religion“.16 Ausgehend von dieser Definition ist Afghanistan ein äußerst heterogener Vielvölkerstaat. Die Bevölkerung gliedert sich in 33 verschieden große und bedeutende Volksgruppen, die sich teils in ihrer Sprache und teils in ihrer islamisch­religiösen Ausrichtung unterscheiden.17

Bei der aufgezwungenen Grenzfestlegung im 19. Jahrhundert fanden die traditionellen Lebens- und Wirtschaftsräume der Afghanen keinerlei Berücksichtigung. Es entstand ein Staat, der nur wenig attraktive Lebensräume bot und andererseits viele verschiedene Ethnien beheimaten musste.18 Wie Abbildung 3 verdeutlicht, ist deren Verbreitung daher äußerst zerstreut und somit auch kaum bestimmten Regionen zuzuordnen.

Abb. 3: Afghanistan (Volksgruppen)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Mit über 40 Prozent stellen die Paschtunen den größten Anteil der afghanischen Bevölkerung. Das Verbreitungsgebiet dieser Volksgruppe - der auch der Staatsgründer Schah angehörte - lag ursprünglich im südlichen Afghanistan. Durch die „Durand­Linie“ wurde deren Bereich jedoch geteilt und liegt heute zur Hälfte im östlichen Nachbarland Pakistan.19 Infolge der neu ausgerichteten Staatsgrenzen wurden die ehemals hauptsächlich nomadisch lebenden Paschtunen gezielt in die ertragsreicheren Wirtschaftsbereiche der nördlichen Peripherie umgesiedelt. So wurde es ihnen möglich, alle formellen und informellen Ökonomien des Landes – wie Transportwege und (il)legale Handelsgeschäfte – zu kontrollieren und somit ihren staatstragenden Einfluss zu bewahren. Bis heute stellen sie stets die Regierung sowie den Großteil der militärischen Führungselite.

[...]


1 Auszug aus „Das Trauerspiel von Afghanistan“ von Theodor Fontane (1859). Das Gedicht ist in voller Länge dem Anhang beigefügt.

2 Vgl. Herold 2009.

3 Vgl. Scholz 2002, S. 67.

4 Knox/Marston 2001, S. 234.

5 UNESCO 2001.

6 Vgl. Behrooz o.J.

7 Vgl. Scholz 2002, S. 68.

8 Vgl. Behrooz o.J.

9 Vgl. Scholz 2002, S. 68.

10 Vgl. Schetter 2004, S. 9ff.

11 Vgl. Ungermann 2003.

12 Lexikon der Geographie 2002, S. 339.

13 Vgl. Scholz 2002, S. 67.

14 Vgl. Brockhaus 2001, S. 172.

15 Vgl. Scholz 2002, S. 67.

16 Knox/Marston 2001, S. 258.

17 Vgl. Tab. 1, S. 8.

18 Vgl. Scholz 2002, S. 69.

19 Vgl. Scholz 2002, S. 70 sowie Abb. 1, S. 4.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Das Konzept der „neuen Kriege“ und die „Ökonomie der Gewalt“ am Beispiel des Afghanistan-Konflikts
Hochschule
Universität zu Köln  (Wirtschafts- und Sozialgeographisches Institut)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
27
Katalognummer
V146952
ISBN (eBook)
9783640568987
ISBN (Buch)
9783640569175
Dateigröße
1340 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Afghanistan, neue Kriege, Kriegsökonomie, Ökonomie der Gewalt, Warlords, Gewaltmärkte, Taliban, Krieg, Konflikt, Paschtunen, Ethnien, Territorium
Arbeit zitieren
Bojan Jurczyk (Autor:in), 2009, Das Konzept der „neuen Kriege“ und die „Ökonomie der Gewalt“ am Beispiel des Afghanistan-Konflikts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146952

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