„Der Rahmen muss gesprengt werden“: Bertolt Brechts und Kurt Weills Dreigroschenoper


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

24 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Brecht und Weills Dreigroschenoper
1.1 Brecht/Weill: eine Zusammenarbeit auf Zeit
1.2 Die Entstehung der Dreigroschenoper

2. Oper, Operette, Theater oder was?
2.1 Die neue Form bei Brecht und Weill
2.2 Das epische Musik-/Theater nach Brecht

3. Die Songs der Dreigroschenoper
3.1 Die Moritat von Mackie Messer
3.2 Die Seeräuber-Jenny

Fazit

Bibliografie
Primärliteratur:
Sekundärliteratur:

Einleitung

„Sie werden jetzt eine Oper hören. Weil diese Oper so prunkvoll gedacht war,

wie nur Bettler sie erträumen, und weil sie so billig sein sollte, dass Bettler sie

bezahlen können, heisst sie ‚Die Dreigroschenoper’.“ (Bertold Brecht)

Eine Geschichte von Bettlern, Gaunern und Huren, eine Geschichte über eine korrupte bürgerliche Gesellschaft. Auf dem Weg zum eigenen Vorteil scheinen alle Mittel erlaubt und ein Kleinkrieg – zwischen dem Gangster Mackie Messer und dem Bettlerkönig Peachum, ausgelöst durch Mackies Beziehung zu Peachums Tochter Polly – führt alle Typen von Opfern auf, in denen sich das Publikum widerspiegeln kann.[1]

Bertold Brechts Dreigroschenoper ist eigentlich das Produkt der Verbindung Bertold Brecht und Kurt Weill. Ohne die musikalischen Kompositionen Kurt Weills wäre dieses Bühnenwerk wohl kaum derart populär geworden. In zahlreichen Ländern und auf noch mehr Bühnen wurde die Dreigroschenoper in den letzten Jahrzehnten gespielt, nachdem sie am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin, von dem später von Brecht geleiteten Berliner Ensemble, mit sensationellem Erfolg uraufgeführt wurde. Immer wieder finden auch heute, mehr als 50 Jahre nach dem Tod Brechts, neue Versionen des Stückes – wie die von Klaus Maria Brandauer im Jahr 2006[2], zusammen mit dem Punksänger Campino[3] – ihren Weg zum Publikum.

Die Dreigroschenoper ist aber nicht bloß ein ungemein populäres und vergnügliches Stück, vielmehr hat es Brecht einst als eine Sozialkritik geschrieben. Brecht sagte über das Stück:

Die Dreigroschenoper befaßt sich mit den bürgerlichen Vorstellungen nicht nur als Inhalt, indem sie diese darstellt, sondern auch durch die Art, wie sie sie darstellt. Sie ist ein Referat über das, was der Zuschauer im Theater vom Leben zu sehen wünscht. Da er jedoch gleichzeitig auch einiges sieht, was er nicht zu sehen wünscht, da er also seine Wünsche nicht nur ausgeführt, sondern auch kritisiert sieht, […], ist er prinzipiell imstande, dem Theater eine neue Funktion zu erteilen. Da aber das Theater selber seiner Umfunktionierung Widerstand entgegensetzt, ist es gut, wenn der Zuschauer Dramen, die nicht nur den Zweck verfolgen, aufgeführt zu werden, sondern auch den, es zu verändern, selbst liest: aus Mißtrauen gegen das Theater.[4]

Wie genau Brecht und Weill den Zuschauer heranziehen und zum denken anregen, also Sozialkritik üben, soll im Folgenden näher erläutert werden.

Dabei wird zunächst kurz auf die Zusammenarbeit von Bertold Brecht und Kurt Weill eingegangen werden, da diese Verbindung zweier Künstler prägend für das Stück war und Weills Kompositionen aus dem Stück ein neues Genre formten. Des Weiteren wird kurz die Entstehungsgeschichte geschildert werden.

Ferner gilt es zu erörtern, wie und ob sich die Gattungsfrage klären lässt und welche Rolle die Gattung dabei für die Deutung des Stückes spielt. Dabei darf auch Brechts Vorstellung von einem epischen Musiktheater nicht fehlen.

Ein weiteres Augenmerk wird abschließend auf die Musikstücke gelegt werden. Welche verschiedenen Arten von Stücken beinhaltet die Dreigroschenoper und welche Möglichkeiten für eine Sozialkritik bieten sie oder stellen sie bereits dar? An dieser Stelle kann und wird nicht näher auf musikalische Feinheiten eingegangen werden.

1. Brecht und Weills Dreigroschenoper

1.1 Brecht/Weill: eine Zusammenarbeit auf Zeit

Bertold Brecht und Kurt Weill begegneten sich vermutlich zum ersten Mal im März 1927 im Umkreis der Funk-Stunde Berlin[5], wo eine Fassung von Mann ist Mann ausgestrahlt wurde. Weill schien angetan von Brecht und hielt ihn für einen wirklichen Dichter mit kühnem Griff.[6] Kurze Zeit später beschloss Weill Brecht zwecks einer möglichen Zusammenarbeit zu kontaktieren. Bereits Ende April 1927 saßen sich Brecht und Weill zum ersten Mal gegenüber. Zwei Menschen fast gleichen Alters und gleicher Herkunft und doch grundverschiedene Persönlichkeiten begegneten sich mit einer Absicht: Formen des institutionalisierten Theater- und Opernbetriebes sollten aufgebrochen werden, um neue Wege zu gehen. Die erste gemeinsame Arbeit stellte das Stück Mahagonny dar. Weills Musik wurde hierbei von drei Innovationen bestimmt: Der Chor wurde neu zusammengesetzt aus lediglich zehn Musikern[7], ein neuer, sich an der populären Musik orientierender, Gesangsstil wurde geschaffen und die musikalischen Nummern waren in sich geschlossen.[8] Weill sagte zu dieser Zusammenarbeit:

Es gilt eben das neue Genre zu schaffen, das die völlig veränderten Lebensäußerungen unserer Zeit in einer entsprechenden Form behandelt.[9]

Und auch Brecht äußerte sich zu diesem Versuch ein neues Genre zu schaffen:

Wenn man sieht, daß unsere heutige Welt nicht mehr ins Drama paßt, dann paßt das Drama eben auch nicht mehr in die Welt.[10]

Während Brecht und Weill in künstlerischer Hinsicht einen gemeinsamen Weg teilten, gab es kaum Berührungspunkte in weltanschaulichen Fragen. Dies hatte zur Folge, dass sich beide nach etwa vierjähriger gemeinsamer Arbeit voneinander trennten, als Brecht auch in seinen Produktionen marxistische Konsequenzen zog.[11]

1.2 Die Entstehung der Dreigroschenoper

Es war Bertold Brechts Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann, die im Jahre 1927 durch eine Londoner Aufführung auf John Gays Beggars Opera aufmerksam wurde. Sie war so beeindruckt vom Text, dass sie ihn schließlich übersetzte und Bertold Brecht gab. Dieser, zu dem Zeitpunkt eigentlich an anderen Projekten arbeitend, begann dennoch das Stück nebenbei zu bearbeiten.

Zufällig traf Brecht zu diesem Zeitpunkt in einem Berliner Café auf den Schauspieler Ernst Josef Aufricht, der das Theater am Schiffbauerdamm angemietet hatte und auf der Suche nach einem Stück für die Eröffnung im August 1928 war. Nur wenige Szenen beeindruckten ihn so sehr, dass er Brecht engagierte die Bearbeitung und Inszenierung des Stückes – zunächst noch unter dem Titel „Gesindel“ – bis dato fertigzustellen.[12] Brecht sagte zu, stellte aber zur Bedingung, dass er mit Kurt Weill zusammenarbeiten wollte. Innerhalb von nur zwei Monaten waren die Arbeiten am Stück fast abgeschlossen und die Proben konnten beginnen.

Die Entstehung des Stückes, welches unter einem enormen Zeitdruck entstand, verlief nicht völlig reibungslos. Kurz vor der Premiere traten Schauspieler von ihren Rollen zurück, andere wurden krank und manche Songs mussten neu geschrieben werden. Die letzten Tage vor der Premiere waren von Auseinandersetzungen zwischen dem Regisseur und dem Autor über die Songs geprägt, es wurde sogar vorgeschlagen, die Musik ganz zu streichen. Als der Regisseur Erich Engel nach einem Streit um den Schlusschoral entnervt das Handtuch warf, übernahm Brecht in letzter Minute selbst die Regie. Schlussendlich feierte Die Dreigroschenoper am 31.08.1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin erfolgreich seine Premiere.

2. Oper, Operette, Theater oder was?

Die Dreigroschenoper dürfte das einzige Stück sein, dass sowohl in den Schauspielführern, als auch in Opernführern zu finden ist und steht damit zwischen den Gattungen. Während anfangs noch die Tendenz herrschte, das Stück der Oper zuzurechnen – Reclams Opernführer von 1930 versah die Personen des Stückes sogar mit Stimmlagen – bestand später eher die Neigung das Stück als „Schauspiel“ zu betiteln. In einem Aufsatz aus dem Jahr 1986 wird es ein „Schauspiel mit Musik“ genannt.[13] Auf den ersten Blick mag dies zutreffen, so findet sich in Singspielen oder Operetten kein so großer Teil an Sprechtexten. Jedoch sind es – im Gegensatz zur traditionellen Schauspielmusik – die Hauptdarsteller, die singen und keine Chöre oder dergleichen und die Dreigroschenoper enthält keine selbstständigen Instrumentalstücke, bis auf die Ouvertüre. Folglich gibt es keine Musik – unabhängig von einem Text –, die nur zur Erzeugung von Stimmung und Atmosphäre da ist.[14] Die Musik im Stück wirkt nie beiläufig begleitend bzw. stimmungserzeugend, vielmehr hebt sie einzelne Szenen aus dem Stück heraus und steht für sich. Auf diese Weise tritt die Dreigroschenoper näher heran an die Definition einer Oper, und weg vom Schauspiel mit Musik. Allerdings ist in der Dreigroschenoper nicht alleine die Musik Träger der Handlung – wie bei der Oper. Es ist also noch immer nicht geklärt, zu welcher Gattung die Dreigroschenoper zu zählen ist.

Der Titel Dreigroschenoper enthält selbst den Gattungsbegriff „Oper“. Der Titel bezieht sich inhaltlich auf die Vorlage – Beggar’s Opera – und wurde sicherlich auch nicht gedankenlos gewählt, das zeigen die verschiedenen möglichen Titel vor Veröffentlichung des Stückes („Gesindel“, „Die Mörder sind unter uns“). Mit dem Titel der Oper liegt auch die Gattung der Operette nicht ganz fern. So besteht die Operette aus eingängigen Musikstücken, die von gesprochenen Dialogen unterbrochen werden, und ähnelt damit dem Aufbau der Dreigroschenoper, wenn auch in umgekehrter Weise. Brecht selbst sprach sich aber ganz klar gegen die Oper aus und machte daneben klar, dass er nichts mit dem Operettengewerbe zu tun habe:

[...]


[1] Vgl: Günter Berg; Wolfgang Jeske: Bertold Brecht. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 1998,S. 75.

[2] Premiere hatte Brandauers Inszenierung der Dreigroschenoper am 11. August 2006, Brechts 50. Todestag, im Berliner Admiralspalast.

[3] Campino, eigentlich Andreas Frege, ist Sänger und Frontmann der Musikgruppe Die Toten Hosen.

[4] Zit. n. Bertold Brecht, in: Werner Hecht (Hg.): Brechts Dreigroschenoper, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1985, S. 50-51.

[5] Die Funk-Stunde AG Berlin war die erste Rundfunkgesellschaft in Deutschland, die über den gleichnamigen Hörfunksender in Berlin ihr Programm ausstrahlte.

[6] Vgl.: Jürgen Schebera: Kurt Weill. Hamburg: Rohwolt Taschenbuch 2002², S. 53.

[7] Bestehend aus zwei Streichern, sechs Bläsern, Klavier und Schlagzeug.

[8] Vgl.: Schebera: Kurt Weill, S, 55.

[9] Kurt Weill zit.n. Schebera: Kurt Weill, S, 57.

[10] Bertolt Brecht zit. n. Schebera: Kurt Weill, S, 54.

[11] Vgl.: Schebera: Kurt Weill, S, 54.

[12] Vgl.: Attila Csampai; Dietmar Holland (Hg.): Bertolt Brecht/Kurt Weill: Die Dreigroschenoper, Igor Strawinsky: The Rake’s Progress. Texte Materialien Kommentare. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1987, S. 35.

[13] Vgl.: Csampai; Holland, (Hg.): Bertolt Brecht/Kurt Weill: Die Dreigroschenoper, Igor Strawinsky: The Rake’s Progress, S. 9 f.

[14] Vgl.: Csampai; Holland (Hg.): Bertolt Brecht/Kurt Weill: Die Dreigroschenoper, Igor Strawinsky: The Rake’s Progress, S. 10 f.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
„Der Rahmen muss gesprengt werden“: Bertolt Brechts und Kurt Weills Dreigroschenoper
Hochschule
Universität Paderborn  (Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft)
Note
1,7
Jahr
2010
Seiten
24
Katalognummer
V146990
ISBN (eBook)
9783640561377
ISBN (Buch)
9783640561643
Dateigröße
598 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Brecht, Weill, Musical, Dreigroschenoper, Oper, Sozialkritik
Arbeit zitieren
Anonym, 2010, „Der Rahmen muss gesprengt werden“: Bertolt Brechts und Kurt Weills Dreigroschenoper, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146990

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