Missverhältnis von objektiven und subjektiven Wahrscheinlichkeiten

Über Würfel, Münzen, Kugeln und Ziegen


Hausarbeit, 1999

27 Seiten

Gerrit Stäbe (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Zur geschichtlichen Entwicklung der Wahrscheinlich­keitsrechnung - Ein kurzer Überblick, wichtige Namen, ein Teilungsproblem und seine Lösung

2. Was bedeutet Wahrscheinlichkeit?
2.1 Zur lexikalischen Deutung
2.2 Zur Definition der Wahrscheinlichkeit nach Laplace
2.3 Zur statistischen Definition
2.4 Zur axiomatischen Definition

3. Was bedeutet „objektive“ Wahrscheinlichkeit?

4. Was bedeutet „subjektive“ Wahrscheinlichkeit?

5. Betrachten von ausgewählten Aufgabenstellungen zu subjektiven Wahrscheinlichkeiten
5.1 Ziehen aus einer Urne
5.2 Fußballspiel
5.3 Mehrfacher Münzwurf
5.4 Lotto „6 aus 49“
5.5 Das Ziegenproblem
5.5.1 Empirischer Beweis
5.5.2 Erster, argumentativer Beweis
5.5.3 Zweiter, argumentativer Beweis
5.5.4 Ein Ziegenproblem mit Fifty-fifty-Spielregel

6. Abschlussbetrachtung

7. Verwendete Literatur

1. Zur geschichtlichen Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsrechnung - Ein kurzer Überblick, wichtige Namen, ein Teilunqsproblem und seine Lösung

Schon der Urmensch in prähistorischer Zeit muss sich mit einfachen Formen des Zählens und ersten mathematischen Fragestellungen auseinandergesetzt haben. Wie viele Speere waren für die nächste Jagd anzufertigen, wie viele Tiere mussten erlegt werden? Die Klärung dieser und ähnlicher Fragen konnte lebenswichtig sein.

Von nachweislich hohem Niveau war im 3. Jahrtausend v. Chr. das mathema­tische Wissen der alten Ägypter, insbesondere in den Bereichen Arithmetik und Geometrie.

Im Vergleich dazu ist die Wahrscheinlichkeitsrechnung eine recht junge ma­thematische Disziplin. Ihre Wurzeln liegen im Frankreich des 16. Jahrhunderts. Dort waren Glücksspiele, vor allem Würfelspiele, sehr in Mode. Geronimo Car­dano (1501-1576) veröffentlichte zum Thema Würfelspielprobleme ein Buch namens „Liber de ludo aleae“.[1]

1654 tauschten sich Blaise Pascal (1623-1662) und Pierre de Fermat (1601­1665), die von vielen Historikern als Begründer der Wahrscheinlichkeitsrech­nung gesehen werden, in einem Briefwechsel über Fragen zur mathemati­schen Behandlung von Glücksspielen aus.[2]

Ausgangspunkt der Fragenstellungen waren so genannte Teilungsprobleme: Wie soll der Einsatz eines mehrsätzigen Glücksspieles gerecht aufgeteilt wer­den, wenn das Spiel vorzeitig abgebrochen wird?

Ein Beispiel: Zwei Spieler, A und B, würfeln um die Wette. In jeder Runde wür­felt jeder Spieler einmal, der jeweils höhere Wurf bringt einen Punkt ein. Den Gewinneinsatz erhält, wer als erstes 5 Punkte erreicht. Als Spieler A 4 Punkte und Spieler B 3 Punkte hat, wird das Spiel vorzeitig abgebrochen. Wie soll nun der Einsatz (anteilig) gerecht aufgeteilt werden?[3]

Berühmte Mathematiker vor Pascal meinten fälschlicherweise, Spieler A stün­den 2/3 zu, weil A in zwei von drei möglichen Fällen gewinnen kann: entweder beim Stand von 5 zu 3 für A, oder beim Stand von 5 zu für A. Spieler B hinge­gen hat nur eine einzige Chance auf den Gewinn, nämlich beim Spielstand von 5 zu 4 für B. Daher solle Spieler B 1/3 des Einsatzes bekommen.

Richtig ist hingegen folgende Überlegung: Spieler B hat dann gewonnen, wenn er beim nächsten und zusätzlich beim darauf folgenden Wurf punktet. Die Chance dafür liegt gemäß der Multiplikationsregel bei 1/2 • 1/2, also bei 1/4. Daher ist es gerecht, wenn Spieler B 1/4 des Einsatzes bekommt. Für Spieler A verbleiben somit 3/4 des Gewinns.[4]

Natürlich kann man auch von Spieler A ausgehend diese Aufteilung begrün­den: Gewinnt A beim nächsten Wurf, hätte A das gesamte Spiel gewonnen. Die Chance dafür liegt bei 1/2. A gewinnt aber auch dann, wenn B zunächst ausgleicht (Spielstand 4 zu 4) und A dann den nächsten Punkt macht. Für die­sen Ausgang gilt die Wahrscheinlichkeit 1/2 • 1/2, also 1/4, und beide Wahr­scheinlichkeiten addiert ergeben 3/4. Blaise Pascal erkannte die mathematisch korrekten Lösungswege für derartige Teilungsprobleme.[5] Auch der Holländer Christiaan Huygens, der von dem Briefwechsel zwischen Pascal und Fermat wusste, über seinen Inhalt aber wenig Konkretes in Erfah­rung bringen konnte, fand unabhängig von Pascal eine Lösungsmethode für die Teilungsproblematik und veröffentlichte im Jahre 1657 sein Buch „De ratio- ciniis in ludo aleae“.[6] Der Autor HINDERER bezeichnet diese Veröffentlichung als das vielleicht erste Buch über Wahrscheinlichkeitsrechnung[7], während RICHTER im vom Niederländer Jakob Bernoulli (1654-1705, —► Das schwa­che Gesetz der großen Zahl) verfassten Werk „Ars conjectandi“ das erste Lehrbuch zur Wahrscheinlichkeitsrechnung sieht.[8]

Ein weiteres, bedeutsames Werk zur Wahrscheinlichkeitsrechnung mit dem Ti­tel „The doctrin of chances“ (1718) publizierte der Gelehrte Abraham de Moi- vre (1667-1754, —► Sonderfall des zentralen Grenzwertsatzes).[9]

Pierre Simon de Laplace (1749-1827) brachte die Entwicklung der Wahr­scheinlichkeitsrechnung durch sein Lehrbuch „Theorie analytique des probabi- lites“ (1812) wesentlich voran. Man begann damit, Theorien und Ideen aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung auch auf Wirtschafts- und Sozialbereiche sowie auf Felder der Physik und der Biologie zu übertragen.[10] Noch in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts standen die meis­ten Mathematiker der Wahrscheinlichkeitsrechnung skeptisch gegenüber, es fehlte ein „mathematisch exaktes und genügend inhaltsreiches Begriffssys­tem“.[11] [12] Eine größere Anerkennung erfuhr die Wahrscheinlichkeitsrechnung schließlich durch die Axiome von Kolmogorow (siehe Gliederungspunkt 2.4).

2. Was bedeutet Wahrscheinlichkeit?

Obwohl uns der Begriff „Wahrscheinlichkeit“ allen geläufig scheint, ist es nicht unbedingt einfach, diesen Begriff aus dem Stegreif zu erklären, ohne dabei auf das abgeleitete Wort „wahrscheinlich“ zurückzugreifen.

2.1 Zur lexikalischen Deutung

Der Brockhaus umschreibt die Wahrscheinlichkeit als „ein Grad für das Maß der Möglichkeit noch unverwirklichter Ereignisse“.[13]

Obwohl das Lexikon im Rahmen seiner Umschreibung der Wahrscheinlichkeit auf das Wort „Maß“ zurückgreift, werden Wahrscheinlichkeiten grundsätzlich ohne Maßeinheiten angegeben. Bezifferte Angaben zur Wahrscheinlichkeit sind also keine mathematischen Größen im eigentlichen Sinne.[14] Eine Münze sei 10 Gramm schwer, habe einen Durchmesser von 2 Zentimetern, und rei­che für den Kauf von 0,33 Litern Wasser aus, das innerhalb von 2 Minuten aufgetrunken wird. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass diese Münze bei einem Wurf auf der Wappenseite liegen bleibt, beträgt 1/2 - ohne Maßeinheit! Als ei­ ne Art Behelf für eine fehlende Maßeinheit könnte das Ausdrücken von Wahr­scheinlichkeiten in Prozent verstanden werden. „Die Chance, bei einem Münz­wurf Wappen zu erhalten, liegt bei 50%“. Sprachlich erscheint diese Formulie­rung möglicherweise exakter, mathematisch gesehen wurde aber die Wahr­scheinlichkeit 1/2 lediglich mit dem Faktor 100 multipliziert und dieser neue Wert durch ein Prozentzeichen (Prozent = pro Hundert) markiert. Im Prinzip stellt die Angabe 50% also einen ungekürzten Bruch dar, nämlich 50/100.

2.2 Zur Definition der Wahrscheinlichkeit nach Laplace

Die klassische Definition, die „Urformel“ für Wahrscheinlichkeitsberechnung, ist die Darstellung nach Laplace:[15]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[16]

Die Wahrscheinlichkeit, bei einem einmaligen Münzwurf das Ergebnis „Wap­pen“ zu erhalten, wird nach Laplace mit einem Wert von 1/2 berechnet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] vgl. Hinderer, S. 18

[2] vgl. Hauser, S. 15 / vgl. Randow, S. 19

[3] vgl. Randow, S. 20

[4] vgl. Randow, S. 20. Zur Multiplikationsregel bei (unabhängigen) Ereignissen siehe Richter, S. 28.

[5] vgl. Hauser, S. 15 / vgl. Hinderer, S. 19. Zur Additionsregel siehe Richter, S. 51.

[6] vgl. Hinderer, S. 19

[7] vgl. Hinderer, S. 19

[8] vgl. Richter, S. 13

[9] vgl. Hinderer, S. 19

[10] vgl. Hinderer, S. 19

[11] Hinderer, S. 20

[12] vgl. Hinderer, S. 20. „Kolmogorow“ wird auch in den Schreibungen Kolmogoroff oder Kolmogorov realisiert.

[13] vgl. Brockhaus, S. 791

[14] Eine Größe besteht aus einer Zahl in Verbindung mit einer Maßeinheit, z.B. „2 km“. Synonym wird auch der Begriff „benannte Zahl“ verwendet.

[15] vgl. Richter, S. 14 f. / vgl. Randow, S. 15

[16] vgl. Randow, S. 15. Seine Erläuterungen zur Laplace’schen Formel sind jedoch oben teilweise in einer abge­wandelten Interpretation dargelegt.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Missverhältnis von objektiven und subjektiven Wahrscheinlichkeiten
Untertitel
Über Würfel, Münzen, Kugeln und Ziegen
Hochschule
Universität Vechta; früher Hochschule Vechta
Veranstaltung
Ausgewählte Beispiele aus der Geschichte und Grundlagendiskussion der Mathematik
Autor
Jahr
1999
Seiten
27
Katalognummer
V147352
ISBN (eBook)
9783640581276
ISBN (Buch)
9783640581733
Dateigröße
1181 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mathematik, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Stochastik, Kombinatorik, Ziegenproblem, Statistik, Wahrscheinlichkeit
Arbeit zitieren
Gerrit Stäbe (Autor:in), 1999, Missverhältnis von objektiven und subjektiven Wahrscheinlichkeiten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147352

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Missverhältnis von objektiven und subjektiven Wahrscheinlichkeiten



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden