Sexuelle Gewalt im Nibelungenlied als Mittel der Artikulation von Herrschaft über Frauen


Seminararbeit, 2004

13 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Einleitung

Das Nibelungenlied[1] ist seit seiner Wiederentdeckung Mitte des achtzehnten Jahrhunderts immer wieder ideologisch Instrumentalisiert worden.

Diente es Anfang des 19. Jahrhunderts zur Befriedigung patriotischer Affekte, so half es nach der gescheiterten Revolution 1848 dem Bürgertum seine Ohnmacht gegenüber dem Staat zu kompensieren, während es unter dem Nationalsozialismus zur Stütze eines blinden Gefolgschaftskultes verwertet wurde.[2]

Auch die neuere Forschung schrak nicht davor zurück, diesen Text zum Beweis ihrer Ideen zu berufen und stilisierte beispielsweise Brünhild zur Zeugin eines untergegangenen Matriarchats[3].

Selbstverständlich ist es nicht unproblematisch, Verbindungen zwischen literarischer Fiktion und der Realität herstellen zu wollen, mir wird es in dieser Arbeit jedoch um ein Phänomen gehen, das sehr wohl einen (leider noch immer aktuellen) Wirklichkeitsbezug aufweist:

Karin Stuchly stellt fest, dass „sexuelle Gewalt [...] nicht sexuellen Zwecken, sondern der Artikulation von Gewalt und auch der Herrschaft über eine Frau [dient].“[4]

Der Begriff sexuelle Gewalt meint: „alle Formen sexueller Bedrohung, Übergriffe, Einmischung und Ausbeutung sowie [...] Belastungen ohne physische Schädigungen[,] oder Penetration“[5].

Ich werde zu zeigen versuchen, dass auch im Nibelungenlied diese Form der Gewalt zu machtpolitischen Zwecken genutzt wird. Besonders werde ich mich dabei auf die Überwindung Brünhilds im Brautgemach konzentrieren.

Diese Figur entspricht nicht dem herkömmlichen Bild einer Frau in der höfischen Dichtung, denn sie ist Regentin eines Landes und gewillt dies zu verteidigen. Gunther wünscht, um seine Macht zu vergrößern (analog zur Einverleibung Siegfrieds in das Personal des Wormser Hofes), ihre Unterwerfung. Da sie eine Frau ist, erfolgt dies in Form einer Ehe.

Bedingt durch seine kulturell tradierte Misogynie sind die Mittel, die er wählt, um der Frau seinen Willen aufzuzwingen, prinzipiell gewalttätig. Sie kulminieren im Gebrauch sexueller Gewalt bzw. in einer Vergewaltigung, deren Folgen für die betroffene Frau gravierend sind.

1. Brünhilds Verteidigung ihrer Integrität

Ez was ein küneginne gesezzen über sê,

ir geliche enheine man wesse ninder mê.

Diu was unmâzen schoene, vil michel was ir kraft.

Si schôz mit snellen degenen umbe mínné den schaft.[6]

Brünhild ist kein adliges Fräulein, wie wir es aus der Beschreibung anderer weiblicher Figuren im Nibelungenlied kennen. Sie wird zwar ebenfalls als unermeßlich schön beschrieben („unmâzen schoene“), ist aber im Gegensatz zu Kriemhild und Gotelind kein Mündel eines männlichen Verwandten, sondern selbst Herrscherin („küneginne“) in Island[7].

Warum eine Frau in Isenstein regiert, ist nicht bekannt. Es ist jedoch zweifelhaft, dass auf Isenstein generell die weibliche Erbfolge oder eine matriarchale Herrschaftsform besteht, denn nach Brünhilds Weggang werden die Regierungsgeschäfte vorläufig einem Onkel („ er was ir muoter bruoder“[8] ) übergeben. Sie ist in dieser Hinsicht also tatsächlich einzigartig (ir geliche enheine man wesse ninder mê[9] ) und nicht Repräsentantin einer matriarchalen Enklave am Rande der Zivilisation.

Über die Königin von Island weiß man in Worms, dass:

swer ir minne gerte, der muose âne wanc

driu spil an gewinnen der frouwen wol geborn.

gebrast im an dem einen, er hete daz houbet sîn verlorn.[10]

Dieser Wettkampf ist keineswegs eine archaische Methode einen ebenbürtigen Mann zu finden, denn in diesem Fall würde keine Notwendigkeit bestehen, alle unterlegenen Bewerber umzubringen. Es muß also andere Gründe dafür geben:

Zu den Funktionen eines Regenten gehört es, sein Land vor Aggression und Fremdherrschaft zu schützen, um stabile Verhältnisse zu gewährleisten. Da in einer mittelalterlichen Ehe das Prinzip „Uxor regitur, et vir regit.“[11] gilt, kann Brünhild nur allein herrschen, d.h. ihre Pflichten als Königin von Island erfüllen, solange sie unverheiratet ist.

Eine Regina regens kann zwar nicht mehr von einem Vormund zur Heirat gezwungen werden, es bestünde jedoch die Möglichkeit, eine alleinstehende Frau mit Gewalt zur Einwilligung in die Ehe zu nötigen. Dies ist in Brünhilds Fall jedoch schwierig, denn „vil michel was ir kraft“[12].

Wenn die Königin von Isenstein annimmt, jemand sei „komen in diz lant / durch willen mîner minne“[13], so ist ihre erste Reaktion darauf: „ez gât im an den lîp. / Ich fürhte in niht sô sêre daz ich wérdé sîn wîp.“[14] Sie plant also sofort denjenigen zu töten und beteuert ihre Furchtlosigkeit.

Dies entspricht Gernots Verhalten, als er von der Kriegserklärung der Sachsen und Dänen erfährt[15] und tatsächlich handelt es sich in beiden Fällen um Angriffe auf die Souveränität eines Herrschers. Es ist demnach im Kontext des Nibelungenlieds weder verwunderlich, noch übertrieben von Brünhild, dem jeweiligen Aggressor mit dem Tod zu drohen.

Die „spil diu starken“[16] sind also, wie auch die Teilung in drei Disziplinen nahelegt, eine reglementierte d.h. höfische Form der Verteidigung gegen Angriffe auf die Integrität der Regentin, die diese bewahren will.

2. Gunthers machtpolitische Beweggründe

Gunther hat kaum von Brünhild gehört, da will er schon „durch ir minne wâgen [s]înen lîp“[17].

Brackert übersetzt diese Passage mit „Aus Liebe zu ihr will ich mein Leben aufs Spiel setzen“[18], doch ist Liebe ein moderner Begriff, der nach heutigem Verständnis kaum auf die Gefühle eines Mannes zu einer Frau, die er nie gesehen hat und nur vom Hörensagen kennt, anwendbar ist.

Es geht ihm einzig darum, eine passende Gattin zu finden, „denn der Erwerb des adäquaten weiblichen Körpers macht ihn zum verlängerten eigenen Leib“[19]. Brünhild ist, wie gesagt, sehr schön und entstammt einem Königsgeschlecht. Das reicht schon aus, um sie zu einer geeigneten Heiratskandidatin zu machen. Gunther will Brünhilds mächtigen Körper als Verlängerung seiner eigenen Macht, deshalb muß er sie sich aggressiv unterwerfen und da sie eine Frau ist, wird als Mittel dazu die Ehe gewählt.

[...]


[1] Die folgende Ausgabe wird von mir verwendet:

Das Nibelungenlied 1. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung. Hrg. v. Brackert, Helmut. 27. Auflage. Frankfurt a. M. 2001.

[2] ebd., S. 2.

[3] Classen, Albrecht: The Defeat of the Matriarch Brünhild in the Nibelungenlied. With Some Thoughts on Matriarchy as Evinced in Literary Texts. In: „Waz sider da geschah“. American- German Studies on the Nibelungenlied. Text and Reception. Hrsg. v. Werner Wunderlich und Ulrich Müller. Göppingen 1992, S. 89-110.

[4] Stuchly, Karin: Frauen auf der Flucht. Das psychische, physische und soziale Befinden von weiblichen Flüchtlingen infolge von Flucht, Vertreibung und den Lebensbedingungen im Asylland. http://www.zebra.or.at/doc/frauen-flucht/sexuelle-gewalt.htm (Zugangsdatum: 02.04.03).

[5] UNHCR: Sexuelle Gewalt gegen Flüchtlinge. Richtlinien zur Vorbeugung und Reaktion. Bonn 1997, Seite 1.

[6] „Jenseits des Meeres hatte eine Königin ihre Burg, der – jedenfalls soweit man wußte – überhaupt keine andere gleichkam: sie war unermeßlich schön, aber außerdem besaß sie noch ungeheure Stärke. Wenn ein tapferer Held ihre Liebe gewinnen wollte, dann maß sie sich mit ihm im Speerwurf.“ (Alle Übersetzungen sind, soweit nicht anders gekennzeichnet, aus der in Fußnote 1 genannten Ausgabe entnommen.) Nibelungenlied 1, Strophe 326.

[7] ebd.

[8] „Er war der Bruder ihrer Mutter“ (meine Übersetzung) ebd., Strophe 523,2.

[9] „Ihr glich, jedenfalls so weit man wußte, keine andere“ (meine Übersetzung) ebd., Strophe 326,2.

[10] „Wer immer um ihre Liebe warb, der mußte in drei Wettkämpfen über die edle Frau siegen. Versagte er auch nur in einem, dann hatte er sein Leben verwirkt.“ ebd., Strophe 327,2-4.

[11] „Die Frau wird regiert, der Mann regiert.“ Summa theologiae, Teil III, Supplementum, Quaestio 64, Articulus 5 (Zitiert nach: Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. 9. Auflage. München 1999, S. 457).

[12] „außerdem besaß sie noch ungeheure Stärke“ Nibelungenlied 1, Strophe 326,3.

[13] „in mein Land gekommen ist und um meine Liebe wirbt“ ebd., Strophe 416, 2.

[14] „dann geht es ihm schlecht. Denn ich fürchte ihn nicht so sehr, daß ich ohne weiteres seine Frau würde“ ebd., Strophe 416, 3-4.

[15] ebd., Strophe 150.

[16] „heiklen Kampfspiele“ ebd., Strophe 424, 2.

[17] „um ihrer Minne willen sein Leben aufs Spiel setzen“ (meine Übersetzung) ebd., Strophe 329,3.

[18] ebd., Strophe 329 (der neuhochdeutschen Übersetzung).

[19] Czerwinski, Peter: Das Nibelungenlied. Widersprüche höfischer Gewaltreglementierung. In: Einführung in die deutsche Literatur des 12. bis 16. Jahrhunderts. Hrg. v. Frey, Winfried u.a. Opladen 1985 (Adel und Hof – 12. /13. Jahrhundert, Bd. 1), S. 49 – 87. hier: S. 73.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Sexuelle Gewalt im Nibelungenlied als Mittel der Artikulation von Herrschaft über Frauen
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
13
Katalognummer
V147399
ISBN (eBook)
9783640570065
ISBN (Buch)
9783656527459
Dateigröße
453 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sexuelle, Gewalt, Nibelungenlied, Mittel, Artikulation, Herrschaft, Frauen
Arbeit zitieren
Anja Schmidt (Autor:in), 2004, Sexuelle Gewalt im Nibelungenlied als Mittel der Artikulation von Herrschaft über Frauen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147399

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