„Mau Mau“ im politischen Diskurs des nachkolonialen Kenia


Examensarbeit, 2007

91 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung
1 Fragestellung und Vorgehensweise
2 Forschungsstand und -diskussion

II. Der Mau Mau-Diskurs: Geschichtspolitik, Erinnerungskultur, Mythenbildung

III. Der Mau Mau-Aufstand
1 (Sozioökonomische) Ursachen für den Aufstand
2 Entstehung von Mau Mau und Verlauf des Krieges
3 Die Rolle Mau Maus in der Herbeiführung der Unabhängigkeit

IV. Kenya unter Kenyatta
1 Kenyattas „forgive and forget“
2 Die Herausforderung der KANU durch die KPU
3 Kenyattas Kurs nach Verbot der KPU

V. Der Mau Mau-Diskurs während der Herrschaft Mois
1 Mau Mau als Regierungspropaganda
2 Mau Mau als Diskurs oppositioneller Gruppierungen
3 Mau Mau in der Demokratiesierungsbewegung
4 Mau Mau als Thema in den Wahlkämpfen
5 Mau Mau-Organisationen unter Moi
6 Der Kampf um Reparationen und jüngste Entwicklungen

VI. Die Mungiki

VII. Ergebnisse

VIII.Anhang
1 Karten
2 Abkürzungserklärungen
3 Zeitleiste
4 Literaturverzeichnis

I. Einleitung

1 Fragestellung und Vorgehensweise

Der Begriff „Mau Mau“1 bezeichnet jene zentralkenianische Bewegung in den 1950er Jah-ren, die sich radikal von allen Versuchen, mit der britischen Kolonialmacht friedlich über eine graduelle „Afrikanisierung“ der Politik zu verhandeln, abwandte, und die militärische Auseinandersetzung suchte. Daneben wird die Bezeichnung jedoch synonym auch für die Teilnehmer dieser Bewegung wie auch die miltiärische Auseinandersetzung verwendet.2 Von Lagern in den Bergen herab führten die Mau Mau, rekrutiert aus der Ethnie der Ki­kuyu, zwischen 1952 und 1956 einen Guerillakrieg, bevor sie den überlegenen Kolonial-truppen unterlagen. Der Ausnahmezustand und das Lagersystem, in dem große Teile der Kikuyubevölkerung eingesperrt waren, blieben noch bis 1958 erhalten.

Angesichts des Ausmaßes der britischen Operationen gegen die Bewegung, die letztlich fast jeden Menschen in Zentralkenia auf irgendeine Art erfassten, mag es nicht weiter verwun-dern, dass viele Kenianer ihre ganz eigene Vorstellung von Mau Mau hatten und haben: So fanden sie sich auf der aktiven Seite von Mau Mau als Kämpfer in den Wäldern wieder, als Teil des passiven Flügels in den Reservaten und in Nairobi, oder aber auf der Gegenseite als Mitglied der „homeguards“; der zahlenmäßig größte Teil der Bevölkerung befand sich nach der Zwangsumsiedlung in befestigte „emergency villages“ von 1954 in einer Gemen-gelage zwischen beiden Seiten. Berücksichtigt man dazu die von beiden Kriegsparteien begangenen Gräueltaten, denen zumindest auf britischer Seite zum Teil ein Plan unterstellt werden muss, ist auch der hohe Grad an Emotionalität, sobald in Kenia von Mau Mau die Rede ist, ohne weiteres nachzuvollziehen.3

In seiner nunmehr über 50-jährigen Geschichte unterlagen die dem Begriff Mau Mau zuge-ordneten Wertungen und Inhalte jedoch einem so umfassenden Wandel, dass er für Au-ßenstehende fast nicht nachvollziehbar ist.

Setzte sie Jomo Kenyatta, Kenyas erster Präsident, zuerst mit „Hooligans“ gleich, schmückte er sich schon wenige Jahre später zur Sammlung aller Kikuyu mit Führern der Mau Mau als Aushängeschilder für seine Partei.4 Radikale Linke sprachen Mau Mau den Charakter eines nationalen (und klassenbewussten) Befreiungskampfes zu, während Kon-servative ihn als partikularistischen Aufstand einer einzelnen Ethnie einordneten und ab-werteten.5 Darüber hinaus ist jedoch nicht nur von unmittelbar Betroffenen das Thema immer wieder angesprochen worden. Außer ihnen zitierten auch ihre Kinder, Enkel und Politiker (auch anderer Ethnien) Mau Mau, so dass im Laufe der Zeit ein ganz eigener Dis-kurs entstand, der Mau Mau-Diskurs. Dis /€ urs soll hierbei für diese Arbeit als öffentliche, vor allem politische, Diskussion verstanden werden. Diesem Mau Mau-Diskurs kommt für die kenianische Geschichte eine besondere Bedeutung zu. Speitkamp fasst dies in folgende Worte: „Brisanz und Sprengkraft der Erinnerung konnten noch genutzt werden, als das Ereignis Mau Mau längst Geschichte geworden war und die große Mehrzahl der Lebenden keine persönliche Erinnerung an Mau Mau mehr haben konnte.“6 Der Historiker Elisha Atieno-Odhiambo bestätigt: „For four decades, Mau Mau has been the conjuncture around which Kenya’s pasts and Kenya’s possible futures have been debated, contested and fought over.”7 Dieser Arbeit liegt in diesem Sinne folgende These zugrunde: Der Mau Mau-Diskurs hat in seiner über 50-jährigen Geschichte entscheidende Phasen der postkolonialen politischen Entwicklung Kenias begleitet, sie mitgeprägt und sich ständig neuen Gegeben-heiten angepasst. Er bot dabei Legitimation für Viele und Vieles, sowohl für Herrscher als auch Beherrschte, für Freiheit und Unterdrückung, Gewalt und friedlichen Protest. Wie es im Schlussteil der Arbeit aufgezeigt ist, vermag er es sogar, die Geschichte der kenianischen Republik nachzuerzählen.8

Folgende Fragen will diese Arbeit beantworten: Welche Akteure haben den Mau Mau-Diskurs entwickelt und (weiter-) genutzt? Für welche Themen wurde (und wird) der Mau Mau-Diskurs herangezogen? Wie war (und ist) er inhaltlich aufgeladen? Vor dem Hinter-grund der kenianischen Geschichte werden die Akteure und Zusammenhänge des Mau Mau-Diskurses analysiert. Die zentralen Begriffe Geschichtspoliti /€ und Erinnerungs /€ ultur bie-ten dabei für die Einschätzung der kenianischen Entwicklung die theoretische Grundlage. Der etymologische Ursprung der Wortschöpfung „Mau Mau“ ist und bleibt wohl unge-klärt. Außerdem ist diese Benennung der Aufstandsbewegung allein durch die Briten ge- schehen und wurde erst später von den Aufständischen übernommen.9 Die Briten hatten bis zur Unabhängigkeit die Deutungshoheit im Mau Mau-Diskurs, bevor ab 1963 erste Memoiren von Ex-Kämpfern erschienen und ausländische Wissenschaftler sich kritisch mit der britischen Rolle in Kenia auseinandersetzten.10

Diese Werke waren immer mit einem politischen Anspruch verknüpft: Mau Mau war nicht zuletzt auch eine Bewegung der Verarmten und Landlosen gewesen, die sich als Lohn für ihren Kampf und ihre Mühen eine wirtschaftliche Besserstellung, in erster Linie Landbe-sitz, versprachen. Es ging in den aufkommenden politischen Debatten stets darum, wer die „Matunda ya Uhuru“, also die Früchte der Unabhängigkeit, für sich in Anspruch nehmen dürfe. Schnell hatte sich gezeigt, dass die ehemaligen Mau Mau im Wesentlichen marginali-siert wurden und keine Sonderstellung zugewiesen bekamen. Den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sieg trugen diejenigen davon, die mit den Briten kooperiert hatten. Es handelte sich gewissermaßen um einen zunächst leisen, dann immer lauter werdenden „Protestschrei“, der Ausdruck im Mau Mau-Diskurs fand. Der sich aus den persönlichen Anstrengungen ableitende Anspruch auf die „Matunda ya Uhuru“ wurde auch immer wie-der durch Intellektuelle bestärkt, so insbesondere durch radikale Linke wie Ngugi wa Thi-ong’o, der in seinen Romanen11 auf die Ungerechtigkeit des Vergessens der Bedeutung der Freiheitskämpfer hinwies; oder in den Schriften des marxistischen Geschichtswissenschaft-lers Maina wa Kinyattis, der Mau Mau als nationale (proletarische) Freiheitsbewegung (mit Klassenbewusstsein) interpretierte.12 Führende Politiker und Parteien versuchten häufig, das Erbe von Mau Mau für sich in Anspruch zu nehmen, so zuerst die Kenya’s People Union (KPU), die sich 1966 im Gegensatz zu der Kenyan African National Union (KANU) bildete,13 dann auch Kenyatta selbst. Teilweise wurde die „Währung“ Mau Mau geradezu inflationär gehandelt: Im Wahlkampf 1992 für die ersten pluralistischen Wahlen seit fast 30 Jahren postulierten sich gleich alle Präsidentschaftskandidaten der drei größeren Parteien als die wahren Erben von Mau Mau.14 Noch heute sieht sich eine Bewegung mit Massenunterstüt-zung, die Mungiki, in der Nachfolge Mau Maus und betont dies lautstark, um ihre morali-schen und vor allem materialistischen Ansprüche geltend zu machen. Entstanden aus einer Art Schutztruppe in den intraethnischen Auseinandersetzungen vor den Wahlen 1992, stie-gen sie gegen Ende der 1990er in die Kontrolle von Stadtvierteln und des Transportgewer-bes ein, wurden dabei auch als Kampftruppe in den Auseinandersetzungen der politischen Parteien genutzt.15 Neben ihnen gibt es ein breites Feld von Mau Mau-Organisationen, die auf verschiedenste Arten und für unterschiedliche Zwecke Veteranen, Hinterbliebene, Nachkommen und Sympathisanten vertreten. Diese zentralen Akteure im Mau Mau-Diskurs und die Bedeutung des Diskurses fasst Galia Sabar- Friedman wie folgt zusammen:

„The main participants [...] were Kenyan intellectuals, opposition political figures, the Ki­kuyu people and government personnel, into which were drawn some aging ex-Mau Mau fighters as well. [...] It can be said that, in Kenya, the Mau Mau myth has engendered a multiplicity of interpre­tations, each vying for broad acceptance. When one achieved ascendancy over the others, it reflected a change in the logos of political power and ideological orientation.”16

So spiegelt der Mau Mau-Diskurs die Verschiebungen im Machtzentrum wider, bestimmt sie z. T. sogar mit.17 Bei der Reihenfolge der zu behandelnden Themen wird versucht, eine weitestgehend chronologische Anordnung einzuhalten.

In einem ersten Teil sollen zentrale Begrifflichkeiten geklärt werden sowie die Bedeutung von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur für eine Gesellschaft dargestellt werden, um die innere Logik des Mau Mau-Diskurses besser nachvollziehen zu können. Hier wird der Prozess des (kollektiven) Erinnerns allgemein, sowie Verknüpfungen mit den kenianischen Gegebenheiten, beschrieben. Wesentliches Ergebnis ist, dass Erinnerung zwar oft von den Regierenden angeleitet wird, aber immer auch von Bewegungen auf lokaler Ebene (den „grassroots“) in Frage gestellt werden kann. Weiterhin wird verdeutlicht, dass Geschichts-politik Machtpolitik ist, der Mau Mau-Diskurs ein Diskurs um und über (politische) Macht. Im zweiten Kapitel werden die historischen Ursachen von Mau Mau und die Entwicklung des Mau Mau-Aufstandes in groben Zügen geschildert, um den Gegenstand des Diskurses einzuführen.

Darauf folgt in einem dritten Teil eine Untersuchung des ersten offiziellen Standpunktes Kenyattas (als Vertreter des unabhängigen Kenias) zu Mau Mau, seine Politik des „forgive und forget“. Des Weiteren soll die politische Herausforderung der KANU durch die KPU dargestellt werden, sowie die Antwort der KANU, nämlich eine sich überaus pragmatisch ändernde Position zur Mau Mau-Bewegung, die man für sich zu vereinnahmen suchte.

Die unter dem Regime Daniel arap Mois aufkommende, überaus weit ausgreifende Ver-wendung des Mau Mau-Diskurses wird im vierten Teil beschrieben. In einzelnen Unter-punkten soll sowohl das Verhältnis Mois als auch das verschiedener oppositioneller Grup-pierungen zu Mau Mau dargestellt werden. Hierbei werden die sich seit Ende der 1980er formierenden Parteien, sowie informellere Einheiten wie z. B. MwaKenya, eine vorwiegend marxistische Dissidentenbewegung, die aus der Etablierung des Einparteiensystems von 1982 hervorging, im Blickpunkt stehen. Den Mungiki ist ein eigenes Kapitel gewidmet, da sie als größte Bewegung in der – selbst angenommenen – Tradition Mau Maus ein anschau-liches Beispiel für die immer noch anhaltende Bedeutung des Mau-Mau-Diskurses in Kenia bieten.

Einschränkend muss jedoch an dieser Stelle angemerkt werden, dass die Quellenlage prob-lematisch ist. Die von den Briten durchgeführte Vernichtung von Akten trägt dazu einer-seits bei, wie auch andererseits das von der kenianischen Regierung lange Zeit gewünschte Vergessen. Weiterhin ist das Gros des vorhandenen Materials in den Archiven in Nairobi bzw. England, d. h. für mich nicht zugänglich gewesen.18 Dessen ungeachtet ist die Sekun-därliteratur zum Thema Mau Mau hier in breiter Form vorhanden,19 durch die Online-Archive der kenianischen Zeitungen, die vor allem die Jahre ab 2002 abdecken, ist für die aktuellen Ereignisse in Kenia die Quellenlage wesentlich verbessert.

2 Forschungsstand und -diskussion

Die Bedeutung des Begriffs Mau Mau unterlag zahlreichen Spekulationen. Zuerst inhaltlich besetzt werden konnte er durch die Briten: In Kommissionen und den aus ihnen folgenden Berichten wurde folgende bis mindestens 1963 gültige, kaum angefochtene Erklärung ge-geben: Mau Mau sei eine Krankheit, die fast eine gesamte Ethnie, nämlich die Kikuyu, aus der Bahn der Ordnung geworfen habe. Mau Mau sei ein Atavismus, der sich gegen die Entwicklung zur Moderne in Kenia wandte und gewaltsam eine Rückkehr in die „primiti­ve“ Vergangenheit zu erzwingen suchte.20 Die ersten (Auto-)Biografien über die Zeit im Kenia des Ausnahmezustandes erschienen nach der Unabhängigkeit in schneller Folge: Josiah M. Kariukis „Mau Mau“ Detainee (1963), Karari Njamas Mau Mau from within (1966) sowie Waruhiu Itotes „Mau Mau“ General (1967). Ihre Werke wurden noch von Nicht-Kenianern mitherausgegeben. Besonders Kariukis Werk erzielte allerdings eine große Wir-kung durch die völlig neue Sichtweise auf die Geschehnisse. Zusammen mit der bahnbre-chenden Studie von Carl Rosberg und John Nottingham21 wurde das oben beschriebene britische Konstrukt Mau Mau erstmals umfassend angegriffen: Rosberg und Nottingham entlarvten es als „europäischen Mythos“, der mit der historischen Realität nichts gemein habe. In der Folge gesellten sich zu den ersten Autobiografien noch einige weitere von ehemaligen Mau Mau.22

Robert Buijtenhuijs fasste 1973 in Mau Mau: Twenty Years After. The Myth and the Survivors relativ umfassend zusammen, was bis dahin zu Mau Mau erarbeitet wurde und beschrieb hier auch die bis heute Verwendung findenden Termini „afrikanischer“ und „europäisch-afrikanischer Mythos“, die er zu dem von Rosberg und Nottingham festgestellten „europä-ischen Mythos“ gesellte.23 In den folgenden zehn Jahren blieb es außerhalb Kenias um Mau Mau relativ ruhig. Innerhalb Kenias war es durch die Herrschaft Daniel arap Mois (1978­2002) eher schwierig, zum Thema Mau Mau zu arbeiten.24 Außerdem erging sich die Ge-schichtswissenschaft in dieser Zeit vor allem in einem Disput darüber, ob Mau Mau natio-nalistische Bewegung oder aber nur ethnischer Partikularismus war, und versuchte weniger, Details zu erforschen.25

Seit den späten 1980ern sind zahlreiche neue Werke entstanden, die versuchen, sich dem Phänomen Mau Mau noch einmal grundlegend neu zu nähern: So erschienen in der Serie „Eastern African Studies“ zahlreiche Titel, die die verschiedenen Bereiche der Bewegung untersuchen: Beginnend 1987 mit Tabitha Kanogos Squatters & the Roots of Mau Mau 1905­1961 und Daniel W. Throups Economic & Social Origins of Mau Mau 1945-53 wurden zuerst die sozioökonomischen Ursachen für den Aufstand gesucht, wobei Kanogo den Schwer- punkt auf ihr Untersuchungsgebiet, die „Squatter“ im Rift Valley,26 legt, ihr Buch ist eine Sozialgeschichte der „Squatter“. Throup hingegen bezieht auch die britische Perspektive mit ein und lässt, ausgehend von einem von ihm für 1947 angenommenen Kontrollverlust der Briten, die Ereignisse im Mau Mau-Aufstand kulminieren. Frank Furedi versuchte 1989 mit seinem The Mau Mau War in Perspective die von Kanogo und Throup aufgeworfenen Fragen nach Ursachen der sozioökonomischen Verwerfungen durch eine genaue Beschrei-bung der „Squatter“ und ihrer Lage in den „White Highlands“ zu beantworten.

In einer umfangreichen Sammlung ihrer Artikel zum Thema Mau Mau haben Bruce Ber­man und John Lonsdale in Unhappy Valley. Conflict in Kenya and Africa eine Untersuchung des kolonialen Staates in Kenia und seiner inneren (gewalttätigen) Logik, die in den Mau Mau-Aufstand mündeten, zusammengestellt. Hierauf folgt eine Analyse der „moralischen Ökonomie“ Mau Maus, d. h. der Diskussion von Werten innerhalb der Kikuyu.

Daneben erschienen Werke, die auf lokaler Ebene Interviews führten und aus diesen Ein-zelbeiträgen versuchten, zu rekonstruieren, wie Mau Mau aufgebaut war und funktionierte. Hier sei neben dem genannten Squatters & the Roots of Mau Mau 1905-1961 Kanogos vor allem Greet Kershaws 1997 erschienenes Mau Mau from Below genannt, in dem eine minuti-öse Darstellung der Entwicklungen in zwei kleinen Dörfern in Südkiambu geschieht, ge-stützt durch ihre jahrzehntelange Forschungsarbeit, die schon während des Kriegs begann. Ein Sammelband von 2003, der ebenfalls in dieser Reihe erschien und von Elisha Atieno-Odhiambo und Lonsdale herausgegeben wurde, Mau Mau & Nationhood. Arms, Authority and Narration, stellt Forschungsbeiträge aus verschiedensten Bereichen zuammen.27

Außerhalb dieser Reihe hat erst 1989 Robert Edgerton mit Mau Mau. An African Crucible, danach Wunybari Maloba 1993 mit Mau Mau and Kenya. An Analysis of a Peasant Revolt eine überschaubare Gesamtdarstellung der Bewegung geliefert. Marshall Clough hat 1998 in seinem Werk Mau Mau Memoirs. History, Memory & Politics aus dreizehn der Autobiogra-phien von Mau Mau-Autoren versucht, die Bedeutung dieser Art von Literatur für die Dis-kussion von Mau Mau darzustellen.

Die britische Kolonialverwaltung hat über ihre Befassung mit dem Mau Mau-Aufstand zahlreiche Akten erstellt, hierunter fallen die Akten der Lagerverwaltungen, die Gerichtsak-ten, jene an das „Colonial Office“.28 Durch umfassende Vernichtung dieser Akten29 ist al- lerdings ein sehr verzerrtes Bild von den Taten der Kolonialmacht und ihrer afrikanischen Kollaborateure entstanden, das erst 2005 durch die Arbeiten von Caroline Elkins (Britain’s Gulag. The Brutal End of Empire in Kenya) und David Anderson (History of the Hanged. The Dirty War in Kenya and the End of Empire) umfassend revidiert werden konnte.

Erstere hatte in London noch die Taten einer “zivilisierenden Kolonialmacht” beschrieben gefunden, musste sich dann allerdings in Kenia nach umfassender Recherche in den „Na­tional Archives“ eines Besseren belehren lassen. Systematisch schildert sie die in den La-gern begangenen Gräueltaten in all ihrer planmäßigen Brutalität. Anderson zieht vor allem die umfangreichen Überreste der Gerichtsakten in Nairobi hinzu und kann somit die Ab-hängigkeit der Justiz im Kenia des Ausnahmezustandes von der Kolonialverwaltung, ja sogar ihre Käuflichkeit, nachweisen; er beschreibt das Zentralkenia in der Zeit des Aus-nahmezustandes als „police state“.30

Über die spezifischen Umstände, unter denen in Kenia über oder aber durch (ehemalige) Mau Mau gesprochen wurde, d. h. das Ausmaß des Diskurses und seine Bedeutung, ist dagegen noch sehr wenig geschrieben worden. Außer Clough befasste sich hiermit gezielt ein Aufsatz von Galia Sabar-Friedman (The Mau Mau Myth. Kenyan Political Discourse in Search of Democracy, 1995), einer von Joseph Kariuki (Mau Mau Associations in the 1990s) 2002, sowie von Atieno-Odhiambo: The Production of History in Kenya: The Mau Mau Debate, 1991). Die Diskussion innerhalb der Geschichtswissenschaft Kenias fasst Hartmut Bergenthum (Ge-schichtswissenschaft in Kenia in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Herausforderungen, Vielfalt, Grenzen, 2004) zusammen.31

Über die Mungiki gibt es seit Ende der 1990er eine breite Berichterstattung in Form von Zeitschriftenartikeln und Zeitungsartikeln, so vor allem von Peter Kagwanja, Hervé Mau-peu, aber auch Jean-Christophe Servant und David Anderson.32

Zur allgemeinen Geschichte Kenias seit dem 2. Weltkrieg ist der von Bethwell Ogot und William Ochieng’ herausgegebene Sammelband Decolonization & Independence in Kenya. 1940­93 (1995) grundlegend.

Dass trotz der autoritären Herrschaft Mois so viel hochkarätige Forschung betrieben wer-den konnte, überrascht auf den ersten Blick. Diesen Prozess erklärt Bergenthum, Lonsdale zusammenfassend, folgendermaßen:

“Trotz des politischen Klimas und der erinnerungspolitischen Eingriffe in die akademische Freiheit entwickelten einige Historiker in Kenia sehr differenzierte Sichtweisen zum Thema Mau Mau. Die Mau Mau Debatte in Kenia ist bisher international kaum in ihrer Virulenz und Dauerhaf-tigkeit wahrgenommen worden. Sicherlich gab es eine Kultur des Schweigens in Kenia, und zu be-stimmten Jahren konnten gewisse historiographische Positionen Existenzen bedrohen. Aber, so Lonsdale, die politische Macht war in Kenia sozial so abgesichert und solide etabliert, dass sich die Herrschenden nicht gefährdet fühlten und somit ein Spielraum für Debatten und kontroverse Posi-tionen durchaus bestand. Sie übten eine gewisse „tolerance of the disconcerting potential of the past.“33

Ich werde in meiner Interpretation der Mau Mau-Bewegung vor allem den Thesen Throups dahingehend folgen, dass ich ihre Ursache in erster Linie in den sozioökonomischen Ver-werfungen innerhalb Kenias sehe. Ergänzend werden noch kurz andere Begründungsversu-che wiedergegeben, vor allem jene, die die moralische Diskussion innerhalb der Kikuyu betonen, d. h. in erster Linie Thesen John Lonsdales, sowie Arbeiten, die auf das rassisti-sche Grundverständnis des kenianischen Kolonialstaates abzielen.

Es gibt in der Forschung verschiedene Wertungen des Aufstandes. Die teilweise heftige ideologische Debatte über die Frage, ob Mau Mau regionalistisch-partikularistisch, oder nationalistisch oder sogar kommunistisch war, die vor allem in den 1970ern und 1980ern tobte, hier nachzuzeichnen, halte ich allerdings für wenig sinnvoll, da keinen Gewinn ver-sprechend.34 Der von Buijtenhuijs schon 1973 vorgeschlagene Kompromiss, Mau Mau als „tribalism serving the Nation“ zu werten, ist meiner Ansicht nach immer noch tragbar.35 Über diese ideologisch motivierten Differenzen hinaus sind die Interpretationen der Bewe- gung meiner Ansicht nach nicht kontrovers, sondern im Wesentlichen auch additiv nutz-bar.36

Für die Bedeutung von Geschichtspolitik für eine Gesellschaft bzw. die Erklärung des Pro-zesses des Erinnerns liegen im Wesentlichen Ashplant, Dawson und Roper37 sowie Win-fried Speitkamp,38 die speziell zu Kriegserinnerungen arbeiten, zugrunde. Daneben finden Arbeiten von Edgar Wolfrum und Peter Reichel zu den Begriffen Geschichtspolitik und Erin-nerungskultur Eingang.39

II. Der Mau Mau-Diskurs: Geschichtspolitik, Erinnerungskultur, Mythenbildung

“[...] it is precisely because history is the result of struggle and tells of change that it is per­ceived as a threat by all the ruling strata in all the oppressive exploitative systems. Tyrants and the ty­rannical systems are terrified at the sound of the wheels of history. History is subversive. And it is because it is actually subversive of the existing tyrannical system that there have been attempts to ar­rest it.”40

Die Begriffe Geschichtspolitik und Erinnerungskultur bedürfen des zuerst von Maurice Halb-wachs beschriebenen Konzepts des kollektiven Gedächtnis’.41 Im Gegensatz zum individuellen Gedächtnis, welches eine jede Person konstituiere, geht es im hypothetischen kollektiven Ge-dächtnis um eine Beschreibung dessen, was eine Gruppe erinnert.

Das Gedächtnis kann so als Voraussetzung von Gruppenzugehörigkeit und Leben in der Gemeinschaft verstanden werden, es dient der Identitätsbildung und -sicherung: „Erinnert wird, was dem Selbstbild und den Interessen der Gruppen entspricht.“42 Kollektive Formen der Erinnerung sind seit einigen Jahren verstärkt in den Blickpunkt Forscher verschiedens- ter Disziplinen geraten.43 Knapp zusammengefasst funktioniert der Prozess der Etablierung kollektiver Erinnerungen folgendermaßen: Auf der untersten Ebene tauschen sich Indivi-duen aus, die gemeinsame Erlebnisse aufweisen. Diese werden verallgemeinert, in größeren Gruppen ausgetauscht und wiederum generalisiert, bis die nationale Ebene erreicht ist.44 Zum Erinnern gehört dabei zwangsläufig auch das Vergessen, um Konsistenz der Identität erreichen zu können.45

Diese Arbeit untersucht, wie in Kenia unter Verweis auf die Vergangenheit bis heute Poli-tik gemacht wird; das heißt, wie die Vergangenheit herangezogen wird, um Akteure der Gegenwart zu legitimieren. In der deutschen Sprache haben sich für diesen Vorgang die Begriffe „Geschichts-/ Erinnerungspolitik“ etabliert, wobei Geschichtspolitik ein von Wolfrum neu entwickelter Begriff ist, der die in Deutschland wichtigen Begriffe Geschichts-bewusstsein und Geschichtskultur beinhalten soll.46 Er definiert Geschichtspolitik „[... als ein] Handlungs- und Politikfeld, auf dem verschiedene Akteure Geschichte mit ihren spezifi-schen Interessen befrachten und politisch zu nutzen suchen.“47

Die Untersuchung der Geschichtspolitik müsse danach fragen „wie, durch wen, warum, mit welchen Mitteln, welcher Absicht und Wirkung Erfahrungen mit der Vergangenheit thematisiert und politisch relevant werden.“48 Des Weiteren ist nach Reichel die Ge-schichtspolitik zum Zwecke der „sozialen Binnenintegration, der kulturellen Identitätsbil-dung und der politisch-symbolischen Herrschaftslegitimierung“ zwangsläufig notwendig.49 Geschichtspolitik wird zum Feld von Auseinandersetzungen, mit Geschichtsbildern soll die eigene Position gestärkt werden: „In the national contests for power [...], history becomes a weapon in the struggle for symbolic capital, wielded to acquire legitimacy for one’s own side while delegitimizing the opposition.”50 Dabei muss angemerkt werden, dass die in der Geschichtspolitik benutzten Geschichten der Geschichte nicht den wissenschaftlichen An- sprüchen der Geschichtswissenschaft unterliegen. Die Unterstützung durch die Regierung ist bei der Etablierung nationaler Erinnerung von großer Bedeutung. Sie hat einen großen Einfluss darauf, welche sektionalen Erinnerungen erhoben werden, welche in der Versen-kung verschwinden.51 Je kontroverser jedoch das zu erinnernde Ereignis, desto größer der Einsatz der Akteure, da eine Unterdrückung ihrer Geschichte auch eine Unterdrückung ihrer Interessen bedeutet. So können in solchen Situationen die vom Staate propagierten Erinnerungen angegriffen werden.

Die Erinnerung wird dann zum Protest gegen die Herrschaft:

„An excluded group which feels completely alienated from official memory may, if strong and potentially cohesive enough, seek to mobilize its countermemories into an oppositional narra­tive, mounting a full-scale challenge for political power.“52

Erinnerung ist objektiv nicht feststellbar, lässt sich allerdings am Ehesten in Erinnerungs-kulturen ablesen. Erinnerungskulturen meinen dabei „das Handlungsfeld, das kulturelle Teilsystem, den gesellschaftlichen Prozesscharakter und die ästhetisch-kulturellen Medien der kollektiven Vergegenwärtigung von Vergangenheit.“53 Beispiele hierfür wären Denkmä-ler, Rituale, Symbole und Feiertage.

Die postkolonialen Staaten Afrikas sahen sich nach Erlangen der Unabhängigkeit vor die Aufgabe gestellt, sich mit den aus der Kolonialzeit stammenden Spannungen zwischen Afrikanern und Europäern (und Asiaten), sowie auch zwischen verschiedenen Ethnien, auseinanderzusetzen. Hierfür bedurfte es einer Politik des „nation-building“, die das Schaf-fen einer nationalen Identität, das heißt gemeinsamen Mythen von Herkunft und Abstam-mung, gemeinsamer Geschichte und gemeinsamen kulturellen Symbolen, beinhalten muss-te.54

Zuerst ist von Eric Hobsbwam und Terence Ranger in The Invention of Tradition (1983) auf die große Bedeutung der von den Europäern „erfundenen Traditionen“ hingewiesen wor-den, während in der neueren Forschung, vor allem seit Rangers The Invention of Tradition Revisited. The Case of Colonial Africa (1993) die ungemein hohe Bedeutung der afrikanischen Seite in dem Prozess der Erfindung von Traditionen feststeht: „Traditions imagined by whites were re-imagined by blacks; traditions imagined by black interest groups were re- imagined by others. The history of modern tradition has been much more complex than we have supposed.”55

Ein charakteristischer Zug in der Geschichtspolitik vieler Staaten war die Politik der „Au-thentizität“,56 wie sie Mobutu in Zaire etablierte und sie z. B. in Konzepten der „Négritude“ Senghors ähnlich bestand. Doch blieb sie meist relativ inhaltsentleert und konnte keine große Wirkung erzielen, da die Kolonialzeit, die für die gemeinsamen Symbole herhalten musste, eine Zeit der tiefen Konflikte dargestellt hatte.

„Sie [=die Geschichtspolitik] zeigte streng genommen nicht einmal spezifisch nationale In-halte, sie rief keine nationale Geschichte auf, weil sie keine nationale Identität fixieren konnte und wollte, denn dann hätte sie auch an die konkreten inneren Konflikte der Kolonialepoche erinnern müssen.“57

Aus der Erinnerung dieser inneren Konflikte ergab sich nach Richard Werbner ein Gegen-satz zwischen staatlicher und populärer Erinnerungskultur.58 Der Staat versuchte dabei, Symbole zu finden, die positiv besetzt werden konnten, erfand Traditionen und Geschich-te. Hierfür besann man sich oft auf die nationalen Befreiungskämpfe gegen die Kolonial-macht, wie es Andreas Eckert feststellt:

„Die Geschichte des Widerstandes gegen die Kolonialherrschaft hatte für die gerade unab-hängig gewordenen afrikanischen Staaten eine zentrale Funktion, sie spielte für das öffentliche Selbstverständnis der neuen Staaten und für den Versuch, das politische Bewusstsein und die Wert-vorstellungen der Bevölkerung zu prägen, eine zentrale Rolle.“59

Wo irgend möglich, wurde der Freiheitskampfes als gemeinsames heroisches Erbe etabliert: In Namibia wurde den wechselnden Widerständen gegen Deutsche und Südafrikaner eine große Gedenkstätte, der „Heroes’ Acre“, errichtet, die zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auffordert.60 In Zimbabwe wurden die Führer der im Krieg gegen die Wei-ßen siegreichen ZANU („Zimbabwe African National Union“) unter Mugabe als nationale Helden in die Erzählung der Nation eingeführt, ihnen ist ein nationales Denkmal („Heroes’ Acre“) und ein nationaler Feiertag („Heroes’ Day“) gewidmet, sie erhalten Zahlungen aus einem Fonds.61 Andere Staaten taten sich jedoch mit der Erinnerung schwerer, so hatte es z. B. in Kamerun ähnlich wie in Kenia lange Auseinandersetzungen mit der Kolonialmacht gegeben, die Erinnerung an diese Zeit sollte unterdrückt werden, während die ehemaligen Guerilleros natürlich alles daran setzen mussten, ihrer Taten zu erinnern, um finanzielle Unterstützung zu erfahren.62

Wendet man die hier eingeführten Begrifflichkeiten auf Kenia an, so ist feststellbar, dass die Geschichtspolitik ein Vergessen der Auseinandersetzung in der Kolonialzeit einforderte („forgive and forget“).63 Die Regierungen Kenyattas und Moi haben nach Möglichkeit ver-sucht, Erinnerungskulturen zu Mau Mau nicht entstehen zu lassen, vor allem keine, die nationale Gültigkeit zu beanspruchen drohten.64 Es gibt kaum öffentliche Erinnerung, so gibt es einige wenige Straßen und öffentliche Einrichtungen, die nach Führern der Bewe-gung, so vor allem Dedan Kimathi, dem bekanntesten Führer der Mau Mau, benannt sind. Ein öffentliches Bekenntnis zum Thema in Form einer Gedenkstätte oder eines National-feiertages gibt es jedoch bis heute nicht.

Da jedoch, wie oben beschrieben, Geschichte auch immer von unten gemacht wird, wurde der Mau Mau-Diskurs immer wieder als Gegenerzählung der Nation genutzt, so von Vete-ranen, Intellektuellen und Politikern. Mau Mau wurde gewissermaßen zu einer Chiffre, durch die verschiedenste Inhalte übermittelt werden konnten:

“The Audience that needs the Mau Mau message is an audience in search of power. The history of the Mau Mau is the history of power, how it is attained, or lost, manipulated, controlled. It is a confession that society is still engaged in struggle about power and struggle for accountability as well. The narration of the history of Mau Mau is an accounting process with its profits and losses, and yes, scores to be settled. This accounting needs a language, a metaphor; not just one metaphor, but many, because there are several audiences out there to be addressed and captured.”65

Dabei entstand schrittweise, von der Regierung nicht zu verhindern, ein Mythos „Mau Mau“.66 Wie Mythen allgemein war auch der Mau Mau-Mythos relativ inhaltsbefreit und für die politische Interessensformulierung mit verschiedensten Bedeutungen aufladbar.67

Es lässt sich also zusammenfassend feststellen, dass trotz Versuchen, Mau Mau aus den Erinnerungskulturen zu verdrängen, die Etablierung des Mythos Mau Mau als grundlegen-dem Topos der Geschichtspolitik vonstatten ging. Noch heute bestehen jedoch die Kon- troversen, die aus der Nutzung des Mau Mau-Diskurses erwachsen: “[Mau Mau is a] light­ning conductor of disagreement rather than a focus of compromise”.68

III. Der Mau Mau-Aufstand

1 (Sozioökonomische) Ursachen für Mau Mau

Michael Chege fasst einige wichtige Ursachen für den Aufstand zusammen, die ich in der Folge knapp ausführen werde:

„‚Colonial injustice’ (especially over land policy), the daily racist humiliations und colonial- ism, the closing of advancement to Africans after so much promise during World War II, virtual „enslavement“ and lack of freedom – these sparked the moral outrage that led to violence.”69

Zentrales Problem war die Landfrage: Die Briten enteigneten im Zuge der Bildung der „White Highlands“ sechs Prozent des Besitzes der Kikuyu, es handelte sich hierbei um das fruchtbarste Land.70 Gab es zunächst noch einen Ausgleichsmechanismus in der „Squatter“-Bewegung in das Rift Valley, wo die Kikuyu gegen Arbeit Land von den Briten erhielten, wurden auf Grundlage einiger Bestimmungen (v. a. der Native Ordinance von 1937) seit 1940 massiv Kikuyu vertrieben.71 Zusammengenommen mit der Degradation weiter Teile der Böden sowie der rapide steigenden Bevölkerung (von ca. 0, 8. Mio. 1920 auf ca. 1, 4 Mio. 1948) wurden weite Teile der Kikuyu landlos bzw. verarmten.72 Durch die Einrichtung von festgelegten Grenzen, den „native reservations“, von 1926, wurde dem institutionell verankerten Ausweichsmechanismus der oft als „frontier-Gesellschaft“ be-schriebenen Kikuyu Einhalt geboten. Weiterhin hatten auch einige afrikanische Landbesit-zer ihr Land auf Kosten ihrer „ahoi“ ausgeweitet bzw. nutzten das Land ihres „mbari“ selbst.73 Sie suchten nach Rechten zum Anbau von cash-crops und vermochten sich so wirtschaftlich deutlicher denn je von der übrigen Bevölkerung der Reservate abzusetzen.74 Weitere Probleme in diesem Zusammenhang entstanden aus der Kultur der Kikuyu: Zum einen galt ein Mann nicht wirklich als erwachsen, wenn er kein eigenes Land besaß, er durf-te dann auch nicht heiraten. Zum anderen gab es jenes Wertesystem, das Lonsdale die „moral virtue of labour“ nennt: Ein Kikuyu musste, um etwas zu gelten, arbeiten und (möglichst) reich sein. Arm zu sein, bedeutete faul zu sein.75 Die Bedeutung der Landfrage belegt die Antwort Sam Therebes, eines Ex-Guerillas, auf die Frage, warum er Mau Mau beigetreten sei: „To regain stolen lands and to become an adult.“76 Die „Carter Commis­sion“ von der man sich die Lösung des Problemes erhoffte, kam 1934 zu dem Ergebnis, dass die Rechtstitel der Weißen Gültigkeit besäßen und bot im Ausgleich für die verlorenen Flächen den Kikuyu weniger und deutlich schlechteres Land in entlegenen Gebieten an.77 Zu dem Problem der Landfrage gesellten sich die von Rassismus und Kolonialismus: Grundlegend fand im kolonialistischen System eine tägliche Herabwürdigung der indigenen Bevölkerung statt; die Afrikaner waren für wohlwollende Kolonialisten bloße Kinder, die es zu erziehen galt; für die Hardliner waren sie eher Tiere, die nur die Sprache von Schlägen verstanden.78 Allgemein ist für die Siedlerkolonien eine sehr hohe Gewaltrate anzunehmen, auch auf Kenia trifft diese Annahme zu. Prügelstrafen wurden häufiger angewandt, weitaus mehr Afrikaner wurden für geringe Vergehen eingesperrt als z. B. in den britischen Kolo-nien in Westafrika. Auch die Justiz handelte zum Teil völlig willkürlich.79

Hinzu kamen Perspektivenlosigkeit und Verweigerung von Freiheit: Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten die Kenianer in der „second colonial occupation“ eine Intensivierung der Herrschaft, einen erhöhten Einfluss der Kolonialmacht auf ihr tägliches Leben.80 Die britischen Siedler konnten aufgrund des gestiegenen Bedarfs an Nahrungsmitteln durch den Zweiten Weltkrieg ihre Produktion massiv ausweiten. Sie wandten nun Rechte, die ihre Vertreter von der Kolonialregierung während des Krieges erstritten hatten, an, die ihnen einräumten, die „Squatter“ von ihrem Land zu vertreiben.81

Zwischen 1946 und 1952 wurden mehr als 100 000 „Squatter“, also in etwa jeder fünfzehn-te Kikuyu, aus dem Rift Valley vertrieben.82 Die Afrikaner wurden weiterhin politisch nicht repräsentiert.83 Die vorhanden Parteien wie die KAU wurden von der Regierung nicht an-erkannt, ihren Petitionen und Anträgen kein Gehör geschenkt. Ogot führt weiterhin aus, dass es, da eine nationale Einigung wie sie z. B. durch die KAU versucht worden war, scheiterte, man nach anderen Linien der Mobilisierung, wie z. B. der Ethnie, suchte.84

[...]


1 Ich werde in der Folge auf die Hervorhebung von Mau Mau durch Anführungszeichen verzichten, da sich der Begriff in den letzten Jahrzehnten verselbstständigt und, trotz seiner ungeklärten Herkunft, mittlerweile eine Existenzberechtigung und einen umfassenden Inhalt besitzt, der die Anführungszeichen meiner Ansicht nach überflüssig macht.

2 Hier folgen nur einige kurze Anmerkungen zum Mau Mau-Krieg. Für eine ausführlichere Definition vgl. III. 2. Im Anhang findet sich außerdem neben der Erklärung der im Text verwendeten Abkürzungen zwei Karten sowie eine Zeitleiste, die die Orientierung erleichtern sollen.

3 Vgl. für die Gewaltanwendung der Briten vor allem die umfassende Darstellung des Lagersystems durch Caroline Elkins: Britain’s Gulag, 2005. Die gesamten britischen Maßnahmen zur Bekämpfung von Mau Mau und Erfassung der Kikuyu (militärische, juristische) in ihrem totalitären Ausmaß beschreibt David Anderson: Histories, 2005.

4 Vgl. IV. 2 sowie Marshall Clough: Mau Mau & the Contest for Memory, 2003, S. 257f.

5 Vgl. I. 2 sowie, ausführlicher, Bergenthum: Geschichtswissenschaft, 2004, S. 286-295. Michael Chege: Mau Mau Fifty Years on, 2004, S. 123, beschreibt die politischen Auswirkungen hiervon: „ [...] while the right blames his [= Kenyatta’s] government for using Mau Mau’s questionable contribution to Kenya’s indepen­dence to smokescreen post-independence „Kikuyu domination“ of the country, the left blames Kenya’s pro­blem on Kenyatta’s sacrifice of Mau Mau’s revolutionary aims on the altar of the country’s „neocolonial“ control by foreign capitalists and the Kenyan petit-bourgeoisie who ran the state.”

6 Winfried Speitkamp: Spätkolonialer Krieg, 2000, S. 220.

7 Atieno-Odhiambo: Production, 1991, S. 300.

8 Diese These ist von Galia Sabar Friedmans Aufsatz Mau Mau Myth (1995) inspiriert.

9 So gibt es in keiner der in Kenia existierenden Sprachen ein solches Wort, außerdem haben auch die Ange-hörigen und Führer dieser Organisation als Selbstbezeichnung während des Ausnahmezustandes nie diesen Begriff benutzt, vgl. Keith Kyle: Politics, 1999, S. 48. Die Selbstbezeichnung war zumeist „Uigano wa Muingi“ („The Unity of Community“), vgl. Bruce Berman: Bureaucracy & Incumbent Violence, 1992, S. 228. Weitere Namen waren einfach nur „Muingi“ („Community”) oder „Uigano na Gikuyu na Mumni“ („Gikuyu und Mumbi Unity”), vgl. Clough: Mau Mau Memoirs, 1998, S. 76. John Lonsdale vertritt seit einigen Jahren die Auffassung, der Name sei tatsächlich aus der Zeit der großen Hungersnot im 19. Jahrhundert abgeleitet und bedeute „greedy eaters“, s. ders.: Foreword, 1997, S. XIX.

10 Vgl. hierfür ausführlicher I. 2. Die britische Interpretation wurde maßgeblich durch Louis Leakey geprägt, die erste Autobiografie war die Josiah M. Kariukis („Mau Mau“ Detainee, 1963), die ausländischen Historiker v. a. Carl Rosberg (mit John Nottingham, britischem Kolonialbeamtem: The Myth of „Mau Mau“, 1966) sowie Don Barnett (zuerst mit Karari Njama, Ex-Mau Mau: Mau Mau from within, 1966).

11 So vor allem in Petals of Blood (1977) und Matigari (1986). Der Aufsatz The Price of Freedom. The Story of a Mau Mau Detainee, in: Ders.: Writers in Politics, 1997, S. 99-112, legt die Stellung des Autoren zu Mau Mau dar.

12 Wa Kinyatti: Mau Mau, 1977.

13 Die KANU war die Partei, an deren Spitze zuerst Jomo Kenyatta von 1963-1978, danach Daniel arap Moi bis 2002 Kenia als Präsident regierte. Die KPU war eine Partei mit sozialistischem Programm, die sich 1966 um Oginga Odinga und Bildad Kaggia in Herausforderung der KANU bildete. Vgl. IV. 2 sowie, ausführlich, Bärbel Teubert-Seiwert: Parteiensystem, 1987, S. 195-242.

14 Sabar-Friedman: Mau Mau Myth, 1995, S. 119.

15 Vgl. ausführlicher VI.

16 Sabar-Friedman: Mau Mau Myth, 1995, S. 101f.

17 So wird dies z. B. an dem unter V. 1 beschriebenen Regierungswechsel zu Moi deutlich, als er sich der Unterstützung von Ex-Kämpfern bediente und im selben Zug in der Öffentlichkeit den Mau Mau-Diskurs als positives Identifikationsmuster nutzte, vgl. ebd. S. 10.

18 Im Kenyan National Archive, Nairobi bzw. dem „Public Record Office”, London, sowie der „Rhodes House Library”, Oxford. Auch die Zeitungsartikel aus Kenia, die sich mit dem Thema beschäftigen, habe ich zumeist nur in komprimierter Form in der Sekundärliteratur gefunden, zum Teil waren sogar nur Zitate aus diesen Artikeln greifbar. S. zur Vernichtung der Akten I. 2, Forschungsstand- und diskussion.

19 S. I. 2, Forschungsstand- und diskussion.

20 Dieser Standpunkt wurde vor allem durch die Arbeiten Louis Leakeys: Mau Mau and the Kikuyu, 1952 und ders.: Defeating Mau Mau, 1954; sowie John Carothers’: The African Mind, 1954, befördert. Vgl. hierzu auch Muadi Mukenge: Sensationalism, 1993. Die Mau Mau konnten sich zuerst keine eigene Stimme verleihen, da ihnen keine Akademiker, die über die nötigen Verbindungen verfügt hätten, zur Verfügung standen. Auch

Wissenschaftler aus anderen Ländern waren durch den verhinderten Informationsfluss aus dem Kriegsgebiet auf die selektive und parteiische Darstellung der Kolonialmacht angewiesen. Wenn doch einmal Informatio-nen nach außen drangen, gingen sie in der Mau Mau diabolisierenden Berichterstattung unter.

21 Rosberg u. Nottingham: Myth of „Mau Mau“, 1966.

22 Auch diese wurden zum Teil von Linken mitherausgegeben: Karigo Muchais (The Hardcore, 1973), Ngugi Kabiros (Man in the Middle, 1973) und Mohamed Mathus (The Urban Guerilla, 1974), die von Don Barnett nach Mitschnitten von Interviews geschrieben wurden, oder aber die von Ngugi veranlasste und von wa Kinyatti herausgegebene Biografie Gakaara wa Wanjaus (Mau Mau Author, 1988).

23 Der „europäisch-afrikanische Mythos“ soll die Adaption durch Kenyatta bezeichnen, der „afrikanische Mythos“ steht für die Interpretation Mau Maus als nationale Bewegung.

24 Wie unter V. beschrieben war Mois Herrschaft vor allem seit dem 1982 erfolgten Verbot von Oppositions-parteien von autokratischer Gestalt. Erst die unter V. 3 beschriebene Demokratisierungsbewegung, die Wie-dereinführung des Parteienpluralismus, stellte zumindest wieder eine gewisse Kontrolle der Regierung her.

25 Siehe S. 11.

26 Die „Squatter“ waren die von den Briten als Pächter für das zu erschließende Land in den „White High­lands“ seit 1904 angeworbenen Pächter, vgl. III. 1.

27 So geht es z. B. in dem Beitrag Derek Petersons (Writing in Revolution) um die Versuche, eine eigene (Mau Mau-) Gesellschaft durch Schriftlichkeit zu verfassen, Kennell Jackson (‚Impossible to Ignore their Greatness’) befasst sich mit den Überlebenstechniken der Bewegung während Marshall Clough (Mau Mau & the Contest for Memory) und James Ogude (The Nation & Narration) die Erinnerung bzw. Erzählung der Bewegung schildern.

28 Allein zu den Gefangenen in den Lagern legten vier Abteilungen der Kolonialverwaltung Akten an. Bei mindestens 80.000 Gefangenen müssten also 320.000 Akten vorhanden sein, es finden sich jedoch nur einige

hundert. „Any ministry or department that dealt with the unsavory side of detention was pretty well emptied of its files, whereas those that ostensibly addressed detainee reform, or Britain’s civilizing mission, where left fairly intact”, Elkins: Britain’s Gulag, 2005, S. XI. Weiterhin sind auch viele Akten immer noch nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

29 So in Kenia wohl vor allem von der scheidenden Kolonialmacht bzw. der von ihr beschäftigten Verwal-tung, die zu einem großen Teil im unabhängigen Kenia weiterbeschäftigt wurde. Neben der wissenschaftli-chen Herleitung z. B. bei Elkins (Britain’s Gulag, 2005, S. XII) spricht auch der Volksmund von den tagelan-gen Rauchschwaden, die Nairobi wenige Tage vor der Unabhängigkeit umhüllten, Ergebnis der Akten-verbrennungen, vgl. Kennell Jackson: Book Review, 2006, S. 158. Auch die neue afrikanische Verwaltung habe, den „forgive and forget“-Kurs Kenyattas mittragend, massiv zu der Vernichtung beigetragen, vgl. Ro­bert Buijtenjuijs: Mau Mau: Twenty Years After, 1973, S. 56f.

30 Anderson: Histories, 2005, S. 5.

31 Die Diskussion über Mau Mau handelt er auf den Seiten 284-302 ab.

32 Kagwanja: Eine Frage der Generation, 2003, Facing Mount Kenya, 2003; Maupeu: Physiologie d’un Mas­sacre, 2002, Mungiki, 2002; Servant: Christus, Dreadlocks und Mau-Mau, 2005; Anderson: Vigilantes, 2002.

33 Lonsdale, Foreword, in: Clough: Fighting Two Sides, 1990, S. XII, nach: Bergenthum: Geschichtswissen-schaft, 2004, S. 304.

34 Vgl. hierfür Bergenthum: Geschichtswissenschaft, 2004, S. 286-295. Interessante Beispiele für die Heftig-keit der Auseinandersetzung bieten Kinyatti: Mau Mau, 1977, und Ogot: Politics, Culture and Music, 1977. Höhepunkte der Debatte waren nach der Historikertagung 1981 sowie, noch stärker, der von 1986, vgl. hier-für Atieno-Odhiambo: Production, 1991, S. 300-305. Dass die von wa Kinyatti an Mau Mau herangetragenen marxistischen Begrifflichkeiten das Wesen der Bewegung nicht erfassen können, ist schnell ersichtlich, denn es gab noch keine ausgebildeten Klassen im kolonialen Kenia. Ebenso wenig greifen jedoch die Wertungs-maßstäbe Ogots und anderer aus dieser Zeit, die Nationalismus immer nach europäischem Muster definierten und damit im kenianischen Kontext scheitern mussten, vgl. Speitkamp: Spätkolonialer Krieg, 2000, S. 207f.

35 Buijtenhuijs, Mau Mau, 1973, S. 84. Er stellt lapidar fest: „The question of whether Mau Mau was a tribal or a national movement is a faulty one. Mau Mau was both.”, ebd. S. 85. Dies wird in der Darstellung des Aufstandes und seiner Ursachen unter III. 1 und III. 2 noch verdeutlicht.

36 So betont Throup vor allem sozioökonomische Faktoren, die z. B. Kanogo und Furedi für einzelne Regio-nen und Ereignisse nochmals auf unterster Ebene spezfizieren. Ergänzend zu der auch von Kanogo und Kershaw beschriebenen ideologischen/ moralischen Ebene, der Diskussion um den Aufstand bzw. das „Sich-Auflehnen“ und seine Gründe innerhalb der Kikuyu hat vor allem Lonsdale mit dem Begriff der „moral economy“ gearbeitet und diese analysiert, ders.: Moral Economy of Mau Mau: The Problem, 1992 und Moral Economy of Mau Mau: Wealth, Poverty & Civic Virtue, 1992. Die Folgerungen, die daraus von den einzelnen Wissenschaftlern gezogen werden, so die bloße Kategorisierung als „peasant revolt“ (Barnett u. Njama: Mau Mau from within, 1996, Furedi: Mau Mau War, 1989, und Maloba: Mau Mau, 1993), „civil war“ (z. B. bei Lonsdale: Moral Economy of Mau Mau: The Problem, 1992 ebenso wie bei Ogot: Mau Mau & Nationhood, 2003, und Elkins: Detention, 2003) oder ähnliches sind meiner Ansicht nach unwichtig, denn der Krieg hatte von all dem Anteile und wird doch von keiner einzelnen Definition genau getroffen.

Geringe Unterschiede in den Untersuchungen gibt es z. B. zwischen Furedi und Kanogo, wobei ersterer behauptet, die Multiplikatoren von Mau Mau, die Schwuranleiter, seien im Wesentlichen aus der Gruppe der ländlichen Oberschicht hervorgegangen, letztere jedoch der Ansicht ist, vor allem einfache, landlose Pächter hätten als Multiplikatoren fungiert, vgl. zu dieser Diskussion Kanogo: Squatters, 1987, S. 130-136 sowie Fu-redi: Mau Mau War, 1989, S. 92-99.

37 Timothy Ashplant, Graham Dawson u. Michael Roper: Politics of War Memory, 2000.

38 Speitkamp: Spätkolonialer Krieg, 2000.

39 Wolfrum: Geschichtspolitik, 1999, sowie Reichel: Politik, 1995.

40 Wa Thiong'o: Moving the Centre, 1993, S. 96f.

41 Vgl. Halbwachs: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, 1985 (Original 1925), ders.: Das kollektive Gedächtnis, 1985 (Original 1950).

42 Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis, 2005, S. 17.

43 Wolfrum: Geschichtspolitik, 1999, S. 13-18 Bedeutende Werke sind die von Pierre Nora: Zwischen Ge-schichte und Gedächtnis, 1990, und Paul Ricoeur: Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, 2004 (Original v. 2000). In Deutschland sind neben Speitkamp vor allem Jan Assmann (Religion und kulturelles Gedächtnis, 2000) sowie Aleida Assmann (Erinnerungsräume, 1999) von herausragender Bedeutung.

44 Vgl. Ashplant, Dawson u. Roper: The Politics of War Memory, 2000, S. 22-24.

45 So stellt Speitkamp zu der Situation im postkolonialen Kenia fest: „Das verordnete Vergessen zählte eben-so zur Erinnerungspolitik wie das propagandistische Gedenken.“ Ders.: Einleitung, 2000, S. 13.

46 Vgl. Wolfrum: Geschichtspolitik, 1999, S. 19-32. Geschichts- und Erinnerungspolitik werden von mir in dieser Arbeit deckungsgleich verstanden. Das leichte politikwissenschaftliche Übergewicht der Erinnerungs-politik hat mich dazu bewogen, auf die Begrifflickeiten Wolfrums zurückzugreifen. Einen Überblick über den Begriff Geschichtskultur bietet Jörn Rüsen: Was ist Geschichtskultur?, 1994; zum Geschichtsbewusstsein Karl-Ernst Jeismann: Geschichtsbewusstsein, 1985. Geschichtsbewusstsein meint danach vor allem die Iden-titätskonstruktion von Individuen und Gruppen durch die Verortung des Ich vermittels Vergangenheitsdeu-tung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektiven, während Geschichtskultur die Artikulation dieses Bewusstseins in einer Gesellschaft darstellt (analog zu dem von mir verwandten Begriff Erinnerungskultur).

47 Wolfrum: Geschichtspolitik, 1999, S. 25.

48 Ebd. S. 26-28.

49 Reichel: Politik mit der Erinnerung, 1995, S. 21.

50 Friedman u. Kenney: Introduction, 2005, S. 2.

51 Dabei haben insbesondere autoritäre Regime einen relativ hohen Einfluss. In Demokratien herrscht eher eine Kultur der Diskussion, so dass kontroverse Erinnerungen erhöhte Chance haben, Einfluss zu gewinnen. Wolfrum beschreibt: „Geschichtspolitik ist eine situativ verwendbare Waffe, die der Politiker unentwegt handhabt.“, ders.: Geschichtspolitik, 1999, S. 29.

52 Ashplant, Dawson u. Roper: The Politics of War Memory, 2000, S. 21.

53 Reichel: Politik, 1999, S. 17.

54 Benedict Anderson: Imagined Communities, 1999.

55 Ranger: The Invention of Tradition Revisited, 1993, S. 81.

56 Vgl. zum Konzept der „Politik der Authentizität“: Speitkamp: „Authentizität“, 2005.

57 Speitkamp: „Authentizität“, 2005, S. 242.

58 Richard Werbner: Beyond Oblivion, 1998, S. 1. Weiterhin stellt er fest: “[...] in postcolonial Africa, the memorial complex has continued to be politicised in postwars of the dead, in conflicts over appropriation of their memories and identities.”, ders.: Smoke from the Barrel of a Gun, 1998, S. 72. Dies findet sich auch im postkolonialen Kenia wieder, wo die Ansprüche auf das Erbe der Mau Mau erbittert geführt wurden.

59 Eckert: Widerstand, 1997, S. 129.

60 Vgl. für die Geschichtspolitik in Namibia Kössler: Erinnerungspolitik, 2003.

61 Vgl. Werbner: Smoke, 1998. Er beschreibt jedoch außerdem, wie die ZAPU (Zimbabwe African Peoples Union), die ebenfalls an den Auseinandersetzungen mit der rhodesischen (weißen) Regierung beteiligt war, in der Erinnerung ebenso verdrängt wurde wie die einfachen Guerilleros. Genau wie die Mau Mau in Kenia werden sie vernachlässigt und erhalten keinerlei Vergünstigungen. Auch sie wandten sich gegen die staatliche Geschichtspolitik und versuchten, eigene Erinnerungskulturen zu etablieren, vgl. ebd. S. 91-99.

62 Vgl. zur Geschichtspolitik in Kamerun: Eckert: Dekolonisationskrieg, 2000, S. 180: „Das politisch geför-derte nationale Gedächtnis sollte die Konflikte aussparen, der Staat suchte das Vergessen durchzusetzen und zu organisieren.“ Diese Feststellung trifft auch auf die kenianischen Entwicklungen zu. Allgemein war jedoch die kamerunische Politik des Vergessens erfolgreicher, ausgehend von der autoritären Regierung des Landes und ihrer Deutungshoheit, vgl. ebd. S. 180-189.

63 Zu Kenyattas „forgive and forget“ vgl. IV. 1.

64 Auf regionaler bzw. lokaler Ebene wurde, so insbesondere in der Zentral-Provinz in Zeiten der politischen Auseinandersetzungen, begrenzte Erinnerung an Mau Mau gestattet bzw. sogar gefördert, vgl. z. B. die Aus-einandersetzung der KANU mit der KPU unter IV. 2.

65 Atieno-Odhiambo: Production, 1991, S. 305.

66 Wie ihn Sabar-Friedman: Mau Mau Myth, 1995, annimmt.

67 Dies verdeutlicht folgendes Zitat: „Mythen sind in ihrer Aussage nicht eindeutig. [...] Politische Mythen zeichnen sich also dadurch aus, dass sie unterschiedliche Handlungsoptionen legitimieren können. [...Sie] dienen dazu, aus einer mythisch gedeuteten Geschichte die Gegenwart zu verstehen und Zukunft einzufor-dern.“, Dieter Langewiesche: Krieg, 2003, S. 10f. u. 17.

68 Atieno-Odhiambo u. Lonsdale: Introduction, 2003, S. 3.

69 Chege: Mau Mau, 2004, S. 134.

70 Zu der Aneignung des Landes durch die Europäer, die vor allem durch Rinderpest und andere Krankheiten erleichtert wurde, vgl. Kyle: Politics, 1999, S. 8-10.

71 Vgl. zu der Besiedlung, vor allem zwischen 1904 und 1920, sowie der Vertreibung seit 1940, Anderson: Histories, 2005, S. 23-26.

72 Zahlen nach Anderson: Histories, 2005.

73 Ein „mbari“ ist, vereinfacht dargestellt, eine Gruppe, die sich verwandschaftlich durch ihre gemeinsamen Vorfahren definiert und ein gewisses Stück Land besitzt. Das Land, das ebenfalls diesen Namen trägt, ist im gemeinschaftlichen Besitz dieser Gruppe, jedoch nach Familien aufgeteilt. Neben den eigentlich zum „mbari“ gehörenden Familien gibt es in Abhängigkeit lebende Familien, die zwar meist seit Generationen das gleiche Land eines „mbari“ beackern, jedoch keine Besitztitel haben, die „ahoi“. Diese individuellen Besitztitel, „githaka“ genannt, machen den eigentlichen Unterschied zwischen den Besitzenden und den „ahoi“ aus, vgl. Anderson, Histories, 2005, S. 141-143. Die trotzdem vorhandenen, vor allem moralischen Rechte der „ahoi“ an ihrem Land, die von den Briten nicht anerkannt wurden, sollen zu den Auseinandersetzungen im Rift Valley, in Olenguruone und später dem Massaker in Lari maßgeblich beigetragen haben.

74 Die wachsenden sozioökonomischen Unterschiede und die daraus folgenden moralischen Verwerfungen, die durch die Schwüre behoben werden sollten in den Reservaten beschreibt z. B. Peterson: Writing in Revo­lution, 2003, S. 83-88.

75 Dieses Thema hat Lonsdale sehr ausführlich untersucht und aufgezeigt, wie die innerhalb der Kikuyu aus-getragenen Konflikte sich immer wieder um die „moral virtue of labour“ drehten, vgl. ders.: The Moral Eco­nomy of Mau Mau. Wealth, Poverty & Civic Virtue, in Kürze zusammengefasst auf S. 355 sowie bei Ker­shaw: Mau Mau, 1997, Kapitel 6.

76 In: “No Easy Walk: Kenya”, Acacia Productions for Channel Four Television, broadcast 5 Sep. 1987, zi-tiert nach Lonsdale: The Moral Economy of Mau Mau. Wealth, Poverty & Civic Virtue, S. 326.

77 Vgl. Kershaw: Mau Mau from Below, 1997, S. 101-104 sowie, ausführlicher: Monone Omosule: Assess­ment, 1981 (ohne Seitenangaben). Er vertritt die These, die Landkommission habe massgeblich den Aufstand herbeigeführt.

78 Vgl. zu der Erbitterung, die diese Behandlung bei den Kenianern hervorruf die englische Übersetzung des Pamphletes Gakaara wa Wanjaus „Mageria No Mo Mahota“ („The Spirit of Manhood and Perseverance of Africans“) von 1951, in der er die täglichen Herabwürdigungen in allen Lebensbereichen darstellt, abgedruckt in: wa Wanjau: Mau Mau Author, 1998, Anhang 4, S. 227-243. Berman führt die besondere Rolle der paterna-listisch agierenden Kolonialverwaltung in den Reservaten aus, die ohne wirkliche Koordination mit der Zen-trale und ihren festgefahrenen Einstellungen, sie wüssten, was für die Afrikaner gut sei, bestehende Probleme in den Reservaten verschärft hätten, vgl. Bermans Aufsatz „Bureaucracy & Incumbent Violence“, 1992, sowie ausführlich Berman: Control & Crisis, 1990.

79 Das Grundverständnis des Verhältnisses der weißen Bevölkerung zu den Kenianern als rassisch geprägtes beschreibt auch Anderson: Histories, 2005, S. 83f. Nach Elkins ist dann auch von der britischen Seite wäh-rend des Mau-Mau-Krieges die Idee des Rassenkrieges vorhanden gewesen. Versuche der britischen Führung hätten auf die Dezimierung oder sogar Auslöschung der Kikuyu gezielt: „I now believe there was in late colo­nial Kenya a murderous campaign to eliminate Kikuyu people, a campaign that left tens of thousands, per­haps hundred of thousands, dead.“, Elkins: Britain’s Gulag, 2005, S. XIV. Auch wenn dies eine starke An-

schuldigung ist, die ich in dieser Härte nicht wiederholen würde, ist die Brutalität und Menschenverachtung der Kolonialisten bzw. ihrer Polizei, Armee und Verwaltung erschreckenserregend.

80 Den Begriff „second colonial occupation“ haben Lonsdale u. David Low eingeführt: Introduction. To­wards the New Order, 1976, v. a. S. 12-16.

81 Vgl. Anderson: Histories, 2005, S. 82f. Rechtliche Grundlage für Einschränkung der Squatter-Rechte bis hin zur Vertreibung bildete die Resident Native Labourers Ordinance von 1937. Umsetzung dieser und Reak-tionen der Squatter beschreibt Kanogo: Squatters, 1997, S. 97-105.

82 Die Verbleibenden erlangten in den jährlichen „squatter contracts“ immer schlechtere Abschlüsse, sie wurden in einer Art moderner Sklaverei gehalten oder ganz vertrieben.

83 Die Gestaltungsrechte in „Local Native Councils“ bzw. „Municipal African Advisory Councils“ waren äußerst gering, vor allem letztere rein beratender Natur, vgl. Berman: Control & Crisis, 1990, S. 216-18 u. 312f. Die vier afrikanischen Repräsentanten im Legislative Council nach 1946 waren bloß ernannt, nicht von der Bevölkerung gewählt. Sie galten als bloße „yes-men“, vgl. ebd. S. 9f.

84 Die KAU hatte nie Massenbasis erlangen können, vgl. Ogot: Mau Mau & Nationhood, 2003, S. 19.Vgl. allgemein zur KAU Lonsdale: KAU’s cultures, 2000, sowie Spencer: KAU and „Mau Mau“, 1977.

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
„Mau Mau“ im politischen Diskurs des nachkolonialen Kenia
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
91
Katalognummer
V147600
ISBN (eBook)
9783640583218
ISBN (Buch)
9783640583638
Dateigröße
1714 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mau“, Diskurs, Kenia
Arbeit zitieren
Marten Odens (Autor:in), 2007, „Mau Mau“ im politischen Diskurs des nachkolonialen Kenia, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147600

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