Herrschaftliche Legitimierung im frühmittelalterlichen Bayern auf der Grundlage der Lex Baiuvariorum


Seminararbeit, 2000

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Prologos

2. Die handschriftlichen Überlieferungen der Lex Baiuvariorum

3. Das Ende des agilolfingischen Herzogtums in Bayern
3.1. Das Genus Agilolfingarum
3.2. Der schwäbische Ursprung Herzogs Odilo von Bayern (736-748)
3.3. Die Absetzung Tassilos III. durch Karl den Großen

4. Gerolde in der bayrischen Präfektur

5. Die Herkunft der Luitpoldinger

6. Epilogos

7. Quellen- und Literaturverzeichnis
7.1. Quellen
7.2. Monographien, Zeitschriftenaufsätze und Lexikonartikel:

1. Prologos

Den Ausgangspunkt für die folgende Untersuchung bildet die Lex Baiuvariorum [1], eine Schrift des Rechts aus dem frühmittelalterlichen Bayern. Eingeteilt in drei große Abschnitte beschäftigt sie sich unter anderem mit dem Verhältnis von rex und dux im bayrischen Herzogtum.[2] Dazu überliefert Titulus III, 1 folgendes: Dux vero qui praeest in populo, ille semper de genere Agilolfingarum fuit et debet esse, quia sic reges antecessores nostri concesserunt eis; qui de genere illorum fidelis regi erant et prudens, ipsum constituebant ducem ad regendum populum illum. Es existiert im bayrischen Recht demnach ein verbindlicher Passus, der dem Genus Agilolfingarum einen erbrechtlichen Anspruch auf das Amt des Herzogs in Bayern garantiert. Die Geschichtsbücher erzählen uns nun, daß mit der Absetzung Tassilos III. als Herzog auf dem Hoftag von Ingelheim (788), initiiert durch König Karl den Großen, die Herrschaft der Agilolfinger über Bayern endet.

Betrachtet man aber die Überlieferungsgeschichte der Handschriften der Lex Baiuvariorum, fällt auf, daß die ältesten uns erhaltenen Codices aus dem 9. Jahrhundert stammen, also aus einer Zeit nach 788. Trotzdem überliefern die meisten dieser Handschriften weiterhin den Herrschaftsanspruch der Agilolfinger in der oben zitierten Form.

Warum dieser Abschnitt auch weiterhin tradiert und nicht aus der Lex Baiuvariorum rasiert wurde, läßt sich heute nicht mehr gänzlich ermitteln. Es scheint allerdings möglich, das nachfolgende Herrscher die Legitimität ihrer eigenen Führung über Bayern zusätzlich durch eine verwandtschaftliche Beziehung zum Geschlecht der Agilolfinger und somit auch durch die Lex Baiuvariorum begründen wollten und auch konnten.

Mit dieser Arbeit will ich versuchen, mögliche genealogische Verbindungen zwischen den Agilolfingern und ihren Nachfolgern darzustellen. Dabei konzentriere ich mich auf das Verhältnis der Agilolfinger zu den Karolingern, auf den familiären Hintergrund der in Bayern als gräfliche Statthalter eingesetzten Gerolde[3] und die Herkunft der ab 893 in Bayern regierenden Luitpoldinger. Zu Beginn allerdings will ich mich zur Überlieferung der Lex Baiuvariorum äußern, um die oben getroffenen Äußerungen zu präzisieren.

2. Die handschriftlichen Überlieferungen der Lex Baiuvariorum

Die Lex Baiuvariorum war und ist in vielerlei Hinsicht Bestandteil der wissenschaftlichen Debatte. Insbesondere die Art und Weise ihrer Entstehung und damit zusammenhängend ihre Datierung war neben ihrer Einordnung als Stammes- oder Volksrecht kontroverser Gegenstand der Forschung.[4] Der Prolog der Gesetzesschrift macht Dagobert I. (623-639) als letzten in einer Reihe von merowingischen Königen zu ihrem Urheber: Haec omnia Dagobertus rex gloriosissimus [...] renovavit, et omnia vetera legum in melius transtulit, et unicuique genti scriptam tradidit, quae usque hodie perseverant. Hält man den Prolog für glaubwürdig, könnte man diesen als Beleg für eine stufenförmige Entstehung der Lex Baiuvariorum anführen. Rudolf Buchner dagegen schließt sich den Untersuchungen von Karl August Eckhardt und Konrad Beyerle an, die eine Redaktion der Lex in ihrer heutigen Form im Kloster Niederaltaich in den Jahren 741-743 annehmen, wobei er den Kern des Gesetzes für älter hält.[5] Nicht unmaßgeblich bestimmt wird die Entstehungsdebatte auch durch inhaltliche Übereinstimmungen der Lex mit anderen Gesetzestexten, darunter die Lex Alamannorum und der Edictus Rothari.

Bis in die Gegenwart sind über dreißig vollständig oder fragmentarisch erhaltene Handschriften überliefert. Johannes Merkel teilte diese Handschriften in seiner ersten Edition der Lex Baiuvariorum nach sprachlichen Gesichtspunkten in sieben Klassen ein (A-G), wobei die sogenannten Antiqua- und die Emendatahandschriften die Hauptgruppen bildeten.[6] Eine andere Einteilung der Handschriften nimmt Raimund Kottje vor, der die Handschriften entsprechend ihrer Provenienz katalogisiert.[7] R. Kottje unterscheidet zuerst eine Gruppe von fünfzehn Handschriften, die aus Bayern stammen und außer der Lex Baiuvariorum kein anderes Recht vollständig enthalten. Vier dieser Handschriften wurden R. Kottje zufolge im 9. Jahrhundert angefertigt, die anderen zumeist zwei und drei Jahrhunderte später, teilweise sogar erst im 15. Jahrhundert.[8] Eine weitere Gruppe bilden die Handschriften, welche dem heutigen Oberitalien zuzuordnen sind. Diese Überlieferungen haben ihren Ursprung im 9.-11. Jahrhundert, wo sie zusammen mit der Lex Langobardorum, der Lex Salica und anderen in sogenannten Legessammlungen aufbewahrt wurden. Die Zusammenführung der verschiedenen Gesetzestexte erfolgte, „um über Rechtsangelegenheiten von Angehörigen der verschiedenen Stämme des Frankenreiches gemäß ihrem Recht richten zu können“.[9] Die letzte Gruppe bilden die Handschriften aus dem Gebiet des heutigen Frankreich, deren älteste aus dem 9. Jahrhundert und deren jüngste aus dem 11. Jahrhundert entstammen.[10] Nach R. Kottje sind also alle überlieferten Handschriften erst mehrere Jahre nach dem Sturz der Agilolfinger in Bayern entstanden. Trotzdem wurde noch immer der Anspruch der Agilolfinger auf das Herzogsamt postuliert. Genaue Untersuchungen, inwieweit die einzelnen Handschriften den Tit. III,1 enthalten, gibt es meines Erachtens nach nicht. Deshalb kann ich nur vermuten, daß dieser Passus in besonderem Maße in den handschriftlichen Überlieferungen fränkischer Provenienz nicht auftaucht. Ebenfalls kann ich nur annehmen, daß der Tit. III, 1 nicht in Kombination mit Tit. II 8a überliefert ist, einem Zusatzkapitel über die Aberkennung des Herzogswürde bei Untreue gegenüber dem König.[11] Sicher aber scheint mir, daß besonders in Handschriften bayrischer Herkunft das agilolfingische Recht auf den Herzogsthron bis über den Zeitraum der Gültigkeit des Rechts hinaus überliefert wurde.

3. Das Ende des agilolfingischen Herzogtums in Bayern

3.1. Das Genus Agilolfingarum

Habe ich im letzten Abschnitt die fortdauernde Überlieferung des rechtlichen Anspruchs dargestellt, will ich nun auf die historischen Umstände eingehen, die zum Ende der Agilolfingerherrschaft in Bayern geführt haben.

Meiner Meinung nach bildet die Absetzung Tassilos den Höhepunkt der langjährigen Auseinandersetzung zwischen dem Geschlecht der Agilolfinger und dem der Karolinger. Das Geschlecht der Agilolfinger war von altem, fränkischem Adel mit gleichzeitigen Wurzeln im westgotischen wie auch im senatorischen Adels des Imperium Romanums.[12] Diese Familie erarbeitete sich eine herausragende Stellung innerhalb der frühmittelalterlichen Adelschicht und verfügte über weitgestreute und umfangreiche Besitzungen. Man hatte erblich vergebene Spitzenämter besetzt, konnte sich einer großen Königsnähe rühmen und wußte durch eine kluge Heiratspolitik die eigene Stellung über Jahre hinweg zu sichern oder noch zu stärken. Die Gens der Agilolfinger hatte diese überragende Position noch vor den Karolingern erreicht, die erst im Begriff waren, die Macht im Frankenreich an sich zu ziehen.[13] Für die aufstrebenden fränkischen Hausmeier war das Genus Agilolfingarum mit seinen weitgestreckten Verpflechtungen in alle gesellschaftlichen Bereiche der Konkurrent schlechthin. Die Rivalität zwischen diesen beiden Geschlechtern kann man nicht nur an den Auseinandersetzungen zwischen Karl dem Großen und Tassilo nachvollziehen. Auch die politischen Umstände während der Herrschaft des Herzogs Odilo sind ein Beispiel dafür.

[...]


[1] Editionen: Leges Baiuwariorum, ed. Johann Merkel (MGH LL III), Stuttgart 1863, S. 183-496.; Leges Baiwariorum, ed. Ernst von Schwind (MGH LL nat. Germ. 5,2), Hannover 1926.; Lex Baiuvariorum. Lichtdruckwiedergabe der Ingolstädter Handschrift des bayrischen Volksrechts mit Transskription, Textnoten, Übersetzung, Einführung, Literaturübersicht und Glossar, ed. Konrad Beyerle, München 1926.; Lex Baiuvariorum, ed. Karl August Eckhardt (Hrsg.) in: Germanenrechte Bd. 2, Die Gesetze des Karolingerreiches II., Weimar 1934, S. 74-187 (danach wird zitiert). Allgemein: Schmidt-Wiegand, Ruth, s.v. Lex Baiuvariorum, in: LMA 5, 1991, 928.; Siems, Harald, s.v. Lex Baiuvariorum, in: HRG 2, 1978, 1887-1901.

[2] In den anderen Abschnitten werden Kirchenrechte und Volkssachen überliefert.

[3] Gerold I. (788-799) und Gerold II. (811-832).

[4] Vgl. dazu: Gastroph, H. L. Günter, Herrschaft und Gesellschaft der Lex Baiuvariorum, München 1974, S. 66-69.

[5] Vgl. Buchner, Rudolf, Die Rechtsquellen (Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittel-alter.Vorzeit und Karolinger, Beih.), Weimar 1953, S. 26-27.

[6] Siehe oben S.3 Fußnote 1.

[7] Kottje, Raymund, Die Lex Baiuvariorum - Das Recht der Baiern, in: Überlieferung und Geltung normativer Texte des frühen und hohen Mittelalters (Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter 4), Sigmaringen 1986, S. 9-23.

[8] Vgl. Kottje, Recht der Baiern, S. 12.

[9] Ebd. S. 15.

[10] Zum Alter der Handschriften der 2. u. 3. Gruppe vgl. insbes. Kottje, Recht der Baiern, S. 20f.

[11] K. A. Eckhardt vermutet die Einfügung von Tit. II 8a um 787 im Zusammenhang mit der Erneuerung des Lehnseides durch Tassilo III. gegenüber Karl.

[12] Werner ordnet die Agilolfinger eindeutig nur merowingisch-fränkischem Adel zu (Vgl.: Werner, Karl Ferdinand, Bedeutende Adelsfamilien im Reich Karls des Großen, in: Braunfels, Wolfgang [Hrsg.], Karl der Große [Band I: Persönlichkeit und Geschichte, hrsg. v. Helmut Beumann], Düsseldorf 1965, S. 83-142.), während Jarnut auch auf senatorische und westgotische Abstammung verweist. (Vgl. Jarnut, Jörg, Agilolfingerstudien [Monographien zur Geschichte des Mittelalters 32], Stuttgart 1986, S 28f., S. 88.) Zöllner vermutet einen burgundischen Ursprung. (Vgl. Zöllner, Erich, Die Herkunft der Agilulfinger, MIÖG 59, 1951, S. 245-264.)

[13] Vgl. Jarnut, Agilolfingerstudien, S. 85-90.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Herrschaftliche Legitimierung im frühmittelalterlichen Bayern auf der Grundlage der Lex Baiuvariorum
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2000
Seiten
15
Katalognummer
V147649
ISBN (eBook)
9783640572090
ISBN (Buch)
9783640572281
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tassilo, Agilolfinger, Geroldinger, Das Recht der Bayern
Arbeit zitieren
Sebastian Rosche (Autor:in), 2000, Herrschaftliche Legitimierung im frühmittelalterlichen Bayern auf der Grundlage der Lex Baiuvariorum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147649

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