„Schriftsteller, Journalisten, Politiker, Manager, Künstler, Medienmacher. Die äußern sich
verkürzt zum Thema und werden statt zu Aufklärern zu Vertuschern und Hetzern“1, antwortet
der Schriftsteller Rafik Schami anlässlich der Anschläge des 11. Septembers auf die Frage,
was er unter „Elite“ verstehe und greift damit einen Begriff auf, der bereits vor fünfzig Jahren
Mittelpunkt einer Theorie war: der Begriff der Aufklärung in der Kulturkritischen Theorie der
Frankfurter Schule. 1947 veröffentlichten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer ihre
Dialektik der Aufklärung und entfachten damit eine Diskussion, deren Schlagworte heute wie
selbstverständlich in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion um die Rolle der
Medien verwendet werden: Macht und Manipulation. Im Laufe des Interviews weißt Rafik
Schami den Medien eine schlechte Rolle bei der Berichterstattung zum 11. September zu.
„Noch nie haben die Herrscher in einer Demokratie die Medien so an den Zügeln gehabt wie
seit dem 11. September. Die Journalisten halten brav still und geben nur das weiter, was die
USA erlauben“2. Schami geht also davon aus, dass die öffentliche Meinung bei uns stromlinienförmig
verläuft und sowohl von den Medienmachern als auch den Rezipienten keine Bereitschaft
vorhanden ist, eine festgefahrene Meinung zu überdenken.
Es ist davon auszugehen, dass auch Adorno und Horkheimer die Berichterstattung zum 11.
September so bewertet hätten. Warum? Das soll am Ende dieser Arbeit gezeigt werden.
Um diese Frage jedoch adäquat beantworten zu können, wird im ersten Teil der Arbeit die
Genese der Kritischen Theorie aufgezeigt. Sowohl wissenschaftliche, als auch gesellschaftliche
Faktoren, die zu Horkheimers und Adornos Sicht der Massenmedien geführt haben, werden
analysiert. Daran anschließend, wird die Kulturkritische Theorie der beiden Autoren mit
ihren Hauptmerkmalen und wichtigsten Begriffen vorgestellt und erläutert, bevor eine Einordnung
der Theorie in die Kommunikationswissenschaft vorgenommen wird. Hierbei sollen
vor allem die Leistungen der Medientheorie der Frankfurter Schule für die Kommunikationsforschung
herausgearbeitet werden. Im letzten Teil werden den Leistungen und Vorzügen die
Kritikpunkte und Schwachstellen dieser Kulturkritik gegenübergestellt, um im Schlussteil
eine abschließende Wertung vornehmen zu können. [...]
1 Rafik Schami in einem Interview von Buck (2001), S. 37.
2 Ebd.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Genese der kritischen Medientheorie
2.1 Das Radio Research Project: Kontakt mit der amerikanischen Forschung
2.2 Mickey Mouse und Massenkultur: das Emigrationsland USA
2.3 Medien und Propaganda: Erfahrungen des Faschismus
2.3.1 Die Antisemitismusforschung
2.3.2 Die Propagandaforschung
3. Das Konzept der Kulturindustrie
3.1 Der Begriff der Kulturindustrie
3.2 Rolle der Massenmedien
3.3 Folgen der Kulturindustrie
3.3.1 Beförderung des Status quo
3.3.2 Übertragung des Profitmotivs auf geistige Gebilde
3.3.3 Desensibilisierung des Individuums
3.3.4 Reproduktion der Arbeitskraft
3.3.5 Aufklärung als Massenbetrug
4. Stellung und Leistung der Kritischen Theorie innerhalb der Kommunikationswissenschaft
4.1 Einordnung der Kritischen Theorie in das Raster der Kommunikationswissenschaft
4.1.1 Zwischen Stimulus und Response
4.1.2 Interdisziplinäre Vermittlungs- und Gesellschaftstheorie
4.2 Leistungen der Kritischen Theorie für die Kommunikationswissenschaft
4.2.1 Beiträge des IfS zur empirischen Kommunikationsforschung
4.2.2 Zukunftsprognosen für die Zukunft der Massenmedien
5. Kritik an der Kulturkritischen Theorie
5.1 Kritik am Gesellschaftsbild der Kritischen Theorie
5.1.1 Negierung der Diversität der Gesellschaft
5.1.2 Negierung der Selektionsfähigkeit der Rezipienten
5.1.3 Tendenz zum Ahistorischen
5.2 Kritik am Medienbild der Kritischen Theorie
5.2.1 Negierung der Diversität der Medienlandschaft
5.2.2 Negierung der positiven Effekte von Medien
6. Zusammenfassung und Ausblick: die Erben der Kritischen Theorie
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Schriftsteller, Journalisten, Politiker, Manager, Künstler, Medienmacher. Die äußern sich verkürzt zum Thema und werden statt zu Aufklärern zu Vertuschern und Hetzern“[1], antwortet der Schriftsteller Rafik Schami anlässlich der Anschläge des 11. Septembers auf die Frage, was er unter „Elite“ verstehe und greift damit einen Begriff auf, der bereits vor fünfzig Jahren Mittelpunkt einer Theorie war: der Begriff der Aufklärung in der Kulturkritischen Theorie der Frankfurter Schule. 1947 veröffentlichten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer ihre Dialektik der Aufklärung und entfachten damit eine Diskussion, deren Schlagworte heute wie selbstverständlich in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion um die Rolle der Medien verwendet werden: Macht und Manipulation. Im Laufe des Interviews weißt Rafik Schami den Medien eine schlechte Rolle bei der Berichterstattung zum 11. September zu. „Noch nie haben die Herrscher in einer Demokratie die Medien so an den Zügeln gehabt wie seit dem 11. September. Die Journalisten halten brav still und geben nur das weiter, was die USA erlauben“[2]. Schami geht also davon aus, dass die öffentliche Meinung bei uns stromlinienförmig verläuft und sowohl von den Medienmachern als auch den Rezipienten keine Bereitschaft vorhanden ist, eine festgefahrene Meinung zu überdenken.
Es ist davon auszugehen, dass auch Adorno und Horkheimer die Berichterstattung zum 11. September so bewertet hätten. Warum? Das soll am Ende dieser Arbeit gezeigt werden.
Um diese Frage jedoch adäquat beantworten zu können, wird im ersten Teil der Arbeit die Genese der Kritischen Theorie aufgezeigt. Sowohl wissenschaftliche, als auch gesellschaftliche Faktoren, die zu Horkheimers und Adornos Sicht der Massenmedien geführt haben, werden analysiert. Daran anschließend, wird die Kulturkritische Theorie der beiden Autoren mit ihren Hauptmerkmalen und wichtigsten Begriffen vorgestellt und erläutert, bevor eine Einordnung der Theorie in die Kommunikationswissenschaft vorgenommen wird. Hierbei sollen vor allem die Leistungen der Medientheorie der Frankfurter Schule für die Kommunikationsforschung herausgearbeitet werden. Im letzten Teil werden den Leistungen und Vorzügen die Kritikpunkte und Schwachstellen dieser Kulturkritik gegenübergestellt, um im Schlussteil eine abschließende Wertung vornehmen zu können. Hierbei steht vor allem die Relevanz der Kulturkritischen Theorie für die heutige Mediensituation und die Beantwortung der oben gestellten Frage im Vordergrund.
Vorausgeschickt werden muss, dass sich diese Arbeit weitgehend auf die Ansätze Horkheimers und Adornos beschränkt und aus Gründen der Übersichtlichkeit andere, für die Kommunikationswissenschaft relevanten Theoretiker der Frankfurter Schule und des seit 1930 von Max Horkheimer geleiteten Instituts für Sozialforschung (IfS) wie Leo Löwenthal und Herbert Marcuse, außen vor lässt. Im Mittelpunkt der Arbeit steht das Kapitel „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“ der Dialektik der Aufklärung, aber auch andere, für die Kultur- und Medienkritik relevanten Aufsätze Adornos und Horkheimers werden herangezogen.
2. Genese der kritischen Medientheorie
2.1 Das Radio Research Project: Kontakt mit der amerikanischen Forschung
„Sie gefallen sich daran, andere zu kritisieren, weil sie Neurotiker oder Fetischisten sind (sic!), aber es fällt Ihnen nicht auf, wieviel Vorschub Sie Ihrerseits solchen Angriffen leisten. [...] Sehen Sie denn nicht, daß die Art, in der Sie lateinische Wörter über den gesamten Text verstreuen, der perfekte Fetischismus ist? [...] Ich habe Sie immer wieder gebeten, eine solidere Sprache zu benutzen, aber Sie waren psychisch offensichtlich nicht in der Lage, meinem Rat zu folgen.“[3]
Mit diesen Worten kommentierte Paul L. Lazarsfeld, Leiter des Radio Research Project in Columbia, den Rausschmiss Theodor W. Adornos aus dem Projekt 1939. Ein Jahr zuvor hatte Adorno die Leitung der musikalischen Abteilung des Projekts übernommen und schon sehr bald zeichneten sich scheinbar unüberbrückbare Differenzen zwischen dem Deutschen und seinen amerikanischen Kollegen ab. „Er sieht genauso aus, wie man sich einen geistesabwesenden deutschen Professor vorstellt, und er benimmt sich so fremdartig, daß ich mir selbst wie ein Mitglied der Mayflower-Gesellschaft vorkomme“[4], kommentierte Lazarsfled bereits nach einer Woche der Zusammenarbeit mit dem Alban Berg-Schüler Adorno.
Dieser widmete sich dem Inhalt der Massenmedien erstmals in musiksozilogischen Studien über den Jazz, die rein ästhetischen Methoden verpflichtete Stimulusanalysen und keine Wirkungsforschung waren. Dieser wissenschaftliche Ansatz Adornos lief der positivistischen, administrativen Forschung Lazarsfelds zuwider, nach deren Zielsetzung Adorno „Rezeptionsforschung betreiben und den Stimulus [im Falle des konkreten Projekts die Rundfunkmusik] bloß als neutralen Reiz betrachten, ihn nicht inhaltlich qualitativ analysieren, ihn nicht mit ästhetischen Kategorien nach Wahrheitsgehalten untersuchen, sondern allenfalls psychoanalytisch nach seiner Wirksamkeit“[5] analysieren sollte. Doch nicht nur die von Adorno vorgelegte qualitative Inhaltsanalyse, auch sein spekulatives Denken galt im Forschungsverständnis des Radio Research Projects als Tabu. Adorno seinerseits konnte sich nicht damit anfreunden, „daß es sich um das Ansammeln von Daten handelte, die planenden Stellen im Bereich der Massenmedien ... zugute kommen sollten“[6].
Trotz dieser Differenzen kommen Douglas Kellner und Martin Jay zu dem Schluss, dass die Zusammenarbeit zwischen Lazarsfeld und dem Institut für Sozialforschung „keineswegs unproduktiv“[7] war. Beide Gruppen erkannten die Vorteile, die sich aus einer Verbindung von empirisch-quantitativer und theoretisch-qualitativer Forschung ergab und legten durch gemeinsame Projekte den Grundstein für die kritische Forschung über Massenkommunikation und Massenkultur in den Vereinigten Staaten.[8]
2.2 Mickey Mouse und Massenkultur: das Emigrationsland USA
Doch ist anzunehmen, dass nicht nur die Konfrontation mit der amerikanischen Forschungsrichtung, sondern vielmehr die gesellschaftliche Wirklichkeit, die Horkheimer und Adorno im Emigrationsland[9] antrafen, zu ihrer Charakterisierung der Massenmedien geführt hat.
„Wenn in ferner Zukunft ein Forscher die populären Zeitschriften des Jahres 1941 als Informationsquelle benutzte, um festzustellen, zu welchen Persönlichkeiten die amerikanische Öffentlichkeit in den ersten Stadien der größten Krise seit Gründung der Union aufgeschaut hat, müßte er zu einem grotesken Ergebnis kommen. Er würde die Welt der Mickey Mouse entdecken!“[10], vermerkte Leo Löwenthal spitzfindig über die aufblühende amerikanische Konsumgesellschaft, für die Massenkommunikation und Massenkultur in den 40er Jahren bereits zur Selbstverständlichkeit geworden war. Für europäisches Verständnis musste dieses „Exil im Glamorland“ wie Brecht es nannte besonders hellhörig machen für die Mechanismen und Auswirkungen der Kulturindustrien. Die Anhänger der Frankfurter Schule erlebten in Kalifornien nicht nur den unaufhaltsamen Siegeszug des Films, sondern auch den gesteuerten Einsatz der Medien wie „Präsident Roosevelts bemerkenswerte Verwendung des Radios zu Zwecken der politischen Überredung“[11].
In der Dialektik der Aufklärung machen Horkheimer und Adorno letztlich die „wirtschaftliche Abhängigkeit des Kontinents von den USA nach Krieg und Inflation“[12] mitverantwortlich für die Welle der Unterhaltungsindustrie, die von Amerika anrollend auch Europa überflutet hat.
2.3 Medien und Propaganda: Erfahrungen des Faschismus
Gerade diese Anzeichen einer Instrumentalisierung der Medien mussten die Exilanten auf den Plan rufen, hatten sie doch selbst in Deutschland erfahren, wie Massenkommunikation und Massenkultur in den Dienst totalitärer Regime treten und zur Propagierung einer bestimmten politischen Ordnung mißbraucht werden kann.
Das Erlebnis des Faschismus und die damit verbundene Erschütterung der Zivilisation hat die Kritische Theorie nachhaltig geprägt, sie kann auch gelesen werden als „Versuch, für diesen lebensgeschichtlichen Schock Worte zu finden“[13]. Wichtig im Hinblick auf ihre Kritik der Massenmedien scheint vor allem die Auffassung Adornos über Kultur, deren Daseinsberechtigung nach Auschwitz er in Frage stellt:
„Alle Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll: Indem sie sich restaurierte nach dem, was ihrer Landschaft ohne Widerstand sich zutrug, ist sie gänzlich zu der Ideologie geworden, die sie potentiell war, seitdem sie, in Opposition zur materiellen Existenz, dieser das Licht einzuhauchen sich anmaßte, das die Trennung des Geistes von körperlicher Arbeit ihr vorenthielt.“[14]
Adorno klagt also die in der humanistischen deutschen Tradition der Klassik stehende Kultur an, die den Faschismus nicht verhindert hat und zur bloßen Ideologie verkommen ist. Auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag: Adorno fordert damit nicht das Ende der Kultur, wie sein bekanntes Diktum „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“[15] vermuten lässt. Was er fordert, ist ein Neuanfang und ein Umdenken. Dies gilt nicht nur für den Bereich der Literatur, sondern bezieht sich bei Adorno auf den gesamten Kulturbetrieb, also auch auf die Massenmedien.
Grundsätzlich lässt sich also festhalten: das Erlebnis des Nationalsozialismus hat bei den Denkern der Frankfurter Schule einen Grundskeptizimus befördert, der die Hervorbringungen der Kultur kritisch betrachtet und größtenteils auch verwirft, denn „die Generation, welche Hitler groß werden ließ, findet ihr angemessenes Vergnügen an den Konvulsionen, welche der muntere Cartoon in seinen wehrlosen Helden auslöst, und nicht bei Picasso, der keine Unterhaltung, keinen irgendwie gearteten Spaß bietet“[16].
2.3.1 Die Antisemitismusforschung
Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Studien hat sich das Institut für Sozialforschung bereits vor der Emigration mit der psychoanalytischen Erforschung autoritären Bewusstseins befasst. Diese sogenannte Antisemitismusforschung kann, so Kausch, als erste Quelle der kritischen Kommunikationsforschung identifiziert werden.[17] Unter dem Arbeitstitel German Workers 1929 - A Survey, it‘s Methods and Results entstand unter der Leitung von Erich Fromm die erste Studie über autoritäres Bewusstsein mit dem Ergebnis, dass von der Arbeiterschaft der Weimarer Republik keine ausreichende Gegenwehr gegen den heraufziehenden Faschismus zu erwarten sei.[18] An der Entwicklung und Durchführung der in dieser Form erstmals angewandten psychoanalytischen Interpretationsmethoden waren bereits amerikanische Wissenschaftler wie Paul F. Lazarsfeld und Herta Herzog beteiligt.
Die zweite große empirische Studie des IfS untersuchte den Zusammenhang zwischen Autorität und Familie. Für den Bereich der Medienforschung geben vor allem Projektskizzen der 1941 geplanten empirischen Untersuchung mit dem Titel Cultural Aspects of National Socialism Aufschluss. Trotz Bemühungen von Harrold Lasswell, einem der Väter der amerikanischen Kommunikationswissenschaft, kam das Projekt nicht zur Durchführung. Vor allem die beiden Teilprojekte von Leo Löwenthal und Theodor W. Adorno erregten das Missfallen des Stipendienausschusses der Rockefeller-Foundation und verhinderten deren Durchführung. Das von Löwenthal und Adorno entworfene methodisch qualitative Forschungsprogramm war einfach nicht zu vereinbaren mit der amerikanischen Auffassung von „administrative research“. Trotzdem lassen sich aus dem Konzept des Projekts interessante Auffassungen der Frankfurter Schule über Massenmedien ablesen. Löwenthal wollte sich im Rahmen seines Teilprojekts über Massenkultur der Analyse faschistischer Standards und dem Druck der Ökonomie in der Weimarer bürgerlichen Presse widmen und damit eine der ersten qualitativen Inhaltsanalysen von Massenmedien leisten.
Adorno plante in seinem Teilprojekt über Literatur, Kunst und Musik eine Analyse der Kunst produzierenden Intelligenz. In den vierziger Jahren erhielt das IfS erneut zwei Forschungsaufträge mit den Titeln Anti-Semitism Among American Labor und Studies in prejudice. Die Ergebnisse dieser Studie, sowie die Analyse der Horoskopspalte der konservative Los Angeles Times führten Adorno schließlich dazu, den Antisemitismus als Massenmedium zu begreifen:
„Antisemitismus ist ein Massenmedium in dem Sinn, daß er anknüpft an unbewußte Triebregungen, Konflikte, Neigungen, Tendenzen, die er verstärkt und manipuliert, anstatt sie zum Bewußtsein zu erheben und aufzuklären. [...] Er ist eine durch und durch antiaufklärerische Macht, trotz seines Naturalismus [...] Diese Struktur hat er gemeinsam mit dem Aberglauben, mit der Astrologie, die ebenfalls versucht, unbewußte Regungen zu verstärken und auszubeuten, und mit aller Propaganda dazu; sie tut stets dasselbe.“[19]
Bereits aus den Ergebnissen der Antisemitismusforschung lässt sich also Adornos und damit auch Horkheimers Auffassung von Massenmedien ablesen: die Massenmedien verstärken, manipulieren und beuten aus durch das Mittel der Wiederholung und Verdopplung.
2.3.2 Die Propagandaforschung
Als zweite Quelle der kritischen Kommunikationsforschung benennt Kausch „Psychological Warfare“, also die Forschung über psychologische Kriegsführung.[20] Die meisten Mitglieder des inneren Kreises des IfS, wie Leo Löwenthal, Herbert Marcuse, Otto Kirchheimer, Franz Neumann und Friedrich Pollock, standen während der Kriegsjahre im Dienst amerikanischer Regierungsstellen und arbeiteten quasi im Staatsauftrag am Entstehen einer breiten Propaganda- und damit Meinungs- und Kommunikationsforschung mit. Die Arbeiten im Rahmen dieser Propagandaforschung führten unter anderem zu der Entwicklung eines diffizilen Instrumentariums der Inhaltsanalyse, neue Interviewtechniken und Laborexperimente wurden erprobt.[21] An diesen neuen methodischen Erkenntnissen war auch das inzwischen nach Frankfurt zurückgekehrte Institut für Sozialforschung mit Horkheimer und Adorno beteiligt. Einige gemeinsame Studien mit amerikanischen Forschern in den 50er Jahren waren das Ergebnis. Hierbei wurde zum Beispiel die Wirksamkeit ausländischer Rundfunksendungen in Westdeutschland sowie die Wirkungsweise des Fernsehens untersucht.[22] Für diese Untersuchungen bediente sich Adorno interpretierender Inhaltsanalysen und eines psychoanalytischen Kategorienapparates. „Adorno suchte also die ferwartetenQ Wirkungen, nicht die realen Einstellungsänderungen bei den Rezipienten zu erforschen. Es handelte sich, wie für Adorno typisch, um eine Stimulus- und nicht um eine Rezeptionsanalyse“[23], beschreibt Michael Kausch diese Adornosche Arbeitsweise.
Zusammenfassend gilt, dass die Zeit im amerikanischen Exil grundlegend war für die Medientheorie, die Adorno und Horkheimer in ihrer Dialektik der Aufklärung formuliert haben. Sowohl die Konfrontation mit der amerikanischen Medienwirklichkeit als auch die Zusammenarbeit mit den Pionieren der amerikanischen Kommunikationswissenschaft hat ein Konzept der Kulturindustrie generiert, wie es nun im folgenden Kapitel vorgestellt werden soll.
3. Das Konzept der Kulturindustrie
3.1 Der Begriff der Kulturindustrie
Im Zentrum der kritischen Medientheorie der Frankfurter Schule steht der Begriff der Kulturindustrie, den Adorno in seinem Aufsatz Ohne Leitbild 1967 wie folgt definiert:
„Das Wort Kulturindustrie dürfte zum ersten Mal in dem Buch Dialektik der Aufklärung verwendet worden sein, das Horkheimer und ich 1947 in Amsterdam veröffentlichten. In unseren Entwürfen war von Massenkultur die Rede. Wir ersetzen den Ausdruck durch >Kulturindustrie<, um von vornherein die Deutung auszuschalten, die den Anwälten der Sache genehm ist: daß es sich um etwas wie spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt von Volkskunst. Von einer solchen unterscheidet Kulturindustrie sich aufs äußerste.“[24]
Nach Adorno und Horkheimer verzichten die authentischen Kunstwerke der letzten Zeit also auf die Illusion einer realen Gemeinsamkeit unter den Menschen und wenden sich somit gegen die ursprüngliche Wortbedeutung von Kultur, wie sie Wilhelm Perpeet aufstellt:
„Benannt ist mit Kultur das gemeinsam erarbeitete und gehütete Würdegefühl einer Gemeinschaft, die aufgrund ihrer Zusammengehörigkeit weiß, was sich gehört, ziemt, was nachahmenswert und anständig ist. Kultur steht für ein Wir-Bewußtsein, das verpflichtet. Wer sich vereinzelt, nur an sich und für sich denkt und lebt, lebt barbarisch, d.h. fern von aller Kultur.“[25].
Dem entgegen sind für die Theoretiker der Frankfurter Schule die Produkte der Kulturindustrie eine „ästhetische Barbarei“[26], „Monumente eines einsamen und verzweifelten Lebens, das keine Brücke zum anderen oder auch nur zum eigenen Bewußtsein findet“[27]. Die ursprüngliche Idee und Aufgabe der Kunst, Gemeinsamkeit zu schaffen, wird also durch die Kulturindustrie geradezu in ihr Gegenteil verkehrt: die Konsumenten der Kulturindustrie sind vereinsamte Individuen, abgeschnitten von der Gesellschaft.
Werner Faulstich unterscheidet dabei drei Begriffe von Kultur.[28] Der erste, vor allem im Medien- und Alltagsbereich gebrauchte, versteht Kultur als Sparte. Kultur wird gebraucht im Sinne von Hochkultur, ein idealistisch fundierter Kulturbegriff also, der seinen Niederschlag im Feuilleton, den Bildungsprogrammen im Rundfunk oder klassischer Musik findet. Der zweite Begriff von Kultur steht diesem Konzept diametral gegenüber. Hier wird Kultur verstanden als Gegenpol zur Natur und umfasst somit alles, was von Menschen geschaffen wird. Die dritte Auffassung von Kultur geht wohl am ehesten mit der Begriffsdefinition der Frankfurter Schule konform. Kultur wird als System verstanden, „ein Legitimationssystem, das den Zusammenhang von Rechten und Pflichten der Gesellschaftsmitglieder begründet“[29].
Aber auch die erste Kategorie von Kultur spielt in den Kulturbegriff Adornos und Horkheimers hinein, denn schon im Ausdruck „Kulturindustrie“ selbst drückt sich diese Abgrenzung zur Hochkultur und der Verrat an dieser aus. Eine „dialektische Ironie“[30], eine „skandalöse Verbindung des angeblich Unvereinbaren“[31], wie sie typisch ist für den Stil der Kritischen Theorie. Eigentlich sollte Kultur als Leistung des Individuums der Industrie und dem Kommerz entgegen stehen. Kulturindustrie tut eben dies nicht. Sie ist Teil einer verwalteten Gesellschaft, eine Ware mit dem Ziel „das, was einmal ein Element der humanistischen Aufklärung und Befreiung war, zu absorbieren und zu einem Instrument der sozialen Kontrolle umzuformen“[32]. Die Industrialisierung der Kunst habe die Grenzen zwischen gehobener Kunst und Volkskunst verwischt.[33]
Der Ansatz Horkheimers und Adorno beinhaltet also eine klare Dichotomie zwischen Kultur „als Ort, wo noch kritische Differenz bewahrt wird“[34], und Kulturindustrie „als Medium ideologischer Verschleierung“[35].
[...]
[1] Rafik Schami in einem Interview von Buck (2001), S. 37.
[2] Ebd.
[3] Zitiert nach Jay (1981), S. 265.
[4] Lazarsfeld zitiert in: Wiggershaus (1986), S. 270.
[5] Kausch (1988), S. 41.
[6] Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 10/2, zitiert in: Waschkuhn (2000), S. 51.
[7] Jay( 1981), S. 228.
[8] Vgl. Kellner (1982), S. 491.
[9] Das Institut für Sozialforschung siedelte1934 von Genf nach New York über und kehrte 1948 nach Frankfurt zurück. Adorno war 1938 in die USA gefolgt. Eine Zeitlang lebten Horkheimer, der die amerikanische Staatsbürgschaft inne hatte, und Adorno in Kalifornien, nicht weit von Hollywood. Vgl. dazu Waschkuhn (2000), S. 17ff und 45ff.
[10] Zitiert nach Kausch (1988), S. 49.
[11] Kellner (1982), S. 482.
[12] Horkheimer/Adorno (1984), S. 154.
[13] Dubiel (2001), S. 15.
[14] Adorno (1982), S. 359.
[15] Adorno (1963), S. 26.
[16] Horkheimer (1941) in: Schöttker (1999), S. 109.
[17] Vgl. Kausch (1988), S. 28ff sowie auch Wiggershaus (1986), S. 171ff und Dubiel (2001), S. 54ff.
[18] Vgl. Kausch (1988), S. 29.
[19] Adorno (1969), zitiert nach Kausch (1988), S. 33.
[20] Vgl. Kausch (1988), S. 52ff.
[21] Vgl. Kausch (1988), S. 58.
[22] Zu nennen sind die Studien Die Wirksamkeit ausländischer Rundfunkendungen in Westdeutschland in Zusammenarbeit mit dem Bureau for Applied Social Reearch der Columbia Universität 1951 und The Effictiveness Of Candid Versus Evasive German-Language Broadcasts Of The VoA 1952, sowie zwei Studien Adornos im Auftrag der Hacker Foundation über Astrologiespalten einer Zeitung bzw. den Inhalt von Fernsehserien. Diese Studien sind detailliert beschrieben in Kausch (1988), S. 59ff.
[23] Kausch (1988), S. 62.
[24] Adorno (1970a), S. 60.
[25] Perpeet (1984), S. 23f.
[26] Horkheimer/Adorno (1984), S. 154.
[27] Horkheimer (1941), zitiert nach Schöttker (1999), S. 108.
[28] Vgl. Faulstich (1998a), S. 44ff.
[29] Faulstich (1998b), S. 45.
[30] Kellner (1982), S. 483.
[31] Faulstich (1998b), S. 48.
[32] Kellner (1982), S. 483.
[33] Vgl. Heinze (1990), S. 19.
[34] Scholz (1981), S. 56.
[35] Scholz (1981), S.56.
- Arbeit zitieren
- Marion Kaufmann (Autor:in), 2001, Medien, Macht und Manipulation. Die Kulturkritische Theorie von Horkheimer und Adorno, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14782
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