Silence is sexy

Stille als positive Gestalt


Seminararbeit, 2007

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


1. Einfuhrung

Es ist unmoglich, nicht zu kommunizieren, lautet sinngemaft Paul Watzlawicks sogenanntes „metakommunikatives Axiom“. Ubertragen auf Sound Studies bzw. „Akustische Kommunikation", ware also auf tonaler (akustischer) Ebene die entsprechende Form der Nicht-Kommunikation - die Stille - eben auch eine Form der Kommunikation, nur offenbar eine bisher selten untersuchte. In der vorliegenden Arbeit soll nun auf drei unterschiedliche Arten versucht werden, jeweils eine neue bzw. originellere Herangehensweise an dieses Phanomen, an diese besondere Form der akustischen Kommunikation, zu wagen. Die Arbeit ist inhaltlich eher als Sammlung von Texten und Textarten konzipiert, soll in ihrer Gesamtheit also weder rein wissenschaftlich noch ausschlieftlich essayistisch funktionieren, sondern vielmehr einen Eindruck, ein Gefuhl, eine Empfindung vermitteln daruber, was ihr Anliegen ist.

Der erste Teil („Betrachtungen“) beschaftigt sich zunachst kurz mit den eventuell bereits bekannten Sichtweisen auf die Stille - Physik bzw. Akustik, Bedeutungsebenen und Beispiele werden hier angefuhrt. Im zweiten Abschnitt („Essays“) hingegen erfolgt eine freiere Beschaftigung mit dem Thema, in Form dreier Aufsatze uber Stille im weitesten Sinn: in der Musik, in der Wahrnehmung und im Gesprach. Der letzte Abschnitt („Ideen“) schlieftlich schlagt einige neue, konstruktivere und moglicherweise unubliche Moglichkeiten vor, mit Stille umzugehen, mit Stille zu arbeiten oder Stille wahrzunehmen.

2. Betrachtungen

a. Stille Akustik (~ klassisch)

Schall ist, physikalisch, eine sich ausbreitende Welle. Die Akustik als Teilfach der Physik definiert ein Gerausch gemeinhin als sich wellenformig ausbreitenden wahrgenommenen Druck- oder Dichteunterschied eines Materials innerhalb eines elastischen Mediums - das Nichtgerausch, die Stille also, als das Nichtvorhandensein eines solchen Druckunterschieds, als das Nichtvorhandensein einer Schwingung, oder als die Nichtwahrnehmung einer eventuell vorhandenen Schwingung, aber auf akustisch wahrgenommener Ebene besteht hier kein Bedeutungsunterschied. Da jede noch so kleine Auslenkung zumindest theoretisch bereits ein Gerausch erzeugt, ist vollkommene Bewegungslosigkeit Voraussetzung fur Stille. Das Material muft sich in Ruhe befinden, eine Amplitude darf nicht vorhanden sein.

Die menschliche Horschwelle ist jedoch frequenzabhangig. Sie liegt bei einer Frequenz von 2kHz bei 0dB, etwas hoher bei anderen, tieferen und hoheren, Frequenzen. Ein Schalldruck, der unter dieser Horschwelle liegt, wird nicht als Gerausch wahrgenommen. Ein bestimmter existierender Schalldruck kann also als subjektiv still bezeichnet werden, wenn sich sein Schalldruckpegel noch unter dieser Horschwelle befindet, in physikalischer Hinsicht liegt aber keine Stille vor.

All diese Begriffsdefinitionen haben gemein, daft sie den Begriff Stille negativ definieren: um Stille zu erreichen, wird vom Gerausch (von der Schwingung, von der Bewegung, von der Lautstarke, ..) etwas entfernt. Der Grundzustand ist dabei das Gerausch. Auch Wikipedia ordnet den Begriff eher vage ein, als „empfundene Lautlosigkeit“ und „Abwesenheit jeglichen Gerauschs“. Auch im Alltag wird dies deutlich: HiFi-Verstarker benutzen eine Negativskala, ausgehend von der Maximalverstarkung, um die Lautstarke (besser: die Verringerung der eingesetzten Verstarkung) zu regulieren. Eine positiv formulierte Definition von Stille scheint, vor allem in technischer Hinsicht, aber auch bereits auf semantischer Ebene, eher ungewohnlich zu sein.

b. Stille Bedeutungen (~ relativ & absolut)

Auch im sogenannten „schalltoten Raum“ (der eigentlich lediglich ein reflexionsarmer Raum ist, also Schallwellen fast vollstandig absorbiert und dessen Nachhallzeit gegen Null tendiert) ist die Empfindung selten die der vollkommenen Stille. Statt dessen berichten Personen hier oft von einer eher unangenehmen Verstarkung der eigenen Korpergerausche - Herzschlag, Blutkreislauf, Zentrales Nervensystem werden wahrgenommen, weil sie auf einmal horbar gemacht werden. Nicht zuletzt von John Cage wird folgendes berichtet:

.. but the crux of the issue is that Cage heard two sounds in that presumably ‘silent room’ - one, high, his ‘nervous system in operation’ [tinnitis], the other, low, his ‘blood in circulation’ [heartbeat]. I informed the students that from this discovery, Cage correctly proclaimed that there is no such thing as ‘silence’ within the range of the normal human hearing. (Cross 2006, 2)

Eine absolute Stille scheint also unerreichbar, zumal jene - in all ihrer Radikalitat, und wahrscheinlich genau deswegen - in der Natur auch nicht vorkommt:

Absolute Stille gibt es nicht. Denn bei purer Schallosigkeit kame die Bewegung zum Erliegen und damit letztendlich Leben. (Stabler 1992)

Es bietet sich also vielmehr an, statt dessen von einer relativen Stille zu sprechen, womit nicht die individuelle Stille-Erfahrung gemeint sein soll, die von Person zu Person unterschiedlich ausfallt, sondern jene, die von Situation zu Situation sinngemaft und angepaftt verwendet wird. Die empfundene Lautstarke bei einer Pause in einem Musikstuck beispielsweise, in einer Melodie, kann, auf diese Musik bezogen, durchaus als still bezeichnet werden, auch wenn wahrenddessen noch Umgebungsgerausche wahrnehmbar sind. Eine bestimmte spannende Szene in einem Horrorfilm vielleicht, in einem Kino mit wahrnehmbar rumpelnder Klimaanlage angesehen, wird bezuglich der Akustik von den meisten Zuschauern in diesem Moment als still wahrgenommen werden, weil der Bezugsraum der beiden Gerausche bzw. Nichtgerausche jeweils ein anderer ist.

Als Arbeitsdefinition fur Stille konnte unter diesem Aspekt also beispielsweise die relative und auf den jeweiligen Kontext bezogene Nicht- oder Minimalwahrnehmung von Gerausch formuliert werden.

Im ubertragenen Sinn existiert der Begriff Stille nicht nur in der Musik. Bestimmte Farben konnen die Wirkung von Stille oder Ruhe transportieren (auch hier: je nach Kontext und Kulturkreis meist Schwarz oder Weift, selten aber auch andere Farben); Personen konnen einen stillen oder ruhigen Charakter haben; Gebaude und Umgebunden konnen bereits ohne aktive Bezugsgerausche still wirken allein aufgrund ihrer baulichen Gegebenheiten (das „stille Fleckchen im Grunen“, usw.). All diese Bedeutungsebenen haben jedoch gemein, daft mit ihnen nie eine absolute/radikale Form der Stille gemeint ist, sondern immer nur eine relative/kontextbezogene.

Auch in der Informationstheorie wird einem Signal mit konstanter Stille der gleiche Entropiewert zugeordnet wie einem durchgehend gleichformigen Gerausch: die

Informationsdichte (der Informationsgehalt) der beiden Signale unterscheidet sich nicht. Erst bei einer Anderung eines Signals, von Stille zum Gerausch oder in die entgegengesetzte Richtung, entsteht „Information“.

Die Stille existiert durch das Gerausch - und umgekehrt (vgl. dazu Abschnitt 4.c).

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Silence is sexy
Untertitel
Stille als positive Gestalt
Hochschule
Universität der Künste Berlin
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V148096
ISBN (eBook)
9783640588428
ISBN (Buch)
9783640588312
Dateigröße
460 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sound Studies, Stille, Funktionale Klänge, Pause
Arbeit zitieren
Frank Lachmann (Autor:in), 2007, Silence is sexy, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148096

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