Leseprobe
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Der Funktionalismus
Die Kritik durch John R. Searle
Literaturverzeichnis
Der Funktionalismus
Hält man im Gegensatz zum Dualismus an der lückenlosen kausalen Geschlossenheit der physischen Welt und zugleich an der kausalen Wirksamkeit mentaler Ereignisse fest, so stößt man bei dem Versuch, das Leib-Seele-Problem zu lösen, auf den Lösungsweg des soge-nannten Funktionalismus. Dabei werden die geistigen Zustände nicht, wie dies im reduktiven Materialismus der Fall ist, mit physiologischen Zuständen des Gehirns gleichgesetzt und auf diese reduziert. Zwar leugnet der Funktionalismus nicht, daß die Ereignisse, die mit dem alltagspsychologischen Vokabular zum Ausdruck gebracht werden (z.B. „ich habe Schmerzen“) mit den Ereignissen zusammenfallen, die mit dem physikalischen Vokabular benannt werden (z.B. Stromimpulse bestimmter Nerven). Aber die mentalen Zustände des Menschen werden identifiziert mit funktionalen Zuständen. „[...] das definierende Merkmal jedes beliebigen Erlebnisses [ist] seine kausale Rolle [...] Die definierende kausale Rolle eines Erlebnisses kann durch eine endliche Menge von Bedingungen ausgedrückt werden, welche die typischen Ursachen und Wirkungen angeben, die dieses Erlebnis unter verschiedenen Umständen hat."1 Das soll bedeuten, daß die mentalen Eigenschaften des Menschen ihre Definition dadurch erhalten, daß sie bestimmte kausale Rollen in einem Netzwerk von kausalen Beziehungen einnehmen. Daß z.B. Schmerz bei der überwiegenden Zahl der Menschen (den sogenannten „normalen Menschen“) mit bestimmten neurophysiologischen Zuständen verbunden ist, ist zwar für den Menschen ein Faktum, aber für den Zustand „Schmerz“ an sich, also den Begriff „Schmerz“, unrelevant, weil nicht notwendig. Ausschlaggebend für das mentale Ereignis Schmerz ist demnach zunächst einmal die kausale Rolle in den Verknüpfungen hinsichtlich von Verursachung (im Sinne der Verletzung) und der auslösenden Wirkung (im Sinne des Abstellens schädigender Einflüsse bzw. der
Maßnahmen zur Wiederherstellung des heilen Zustandes). D.h. die Erlebnisqualität Schmerz kann auch in einem anderen System als dem neuronalen Gehirn realisiert werden. Entscheidend ist lediglich, daß dieses Ereignis die selbe Funktion im jeweiligen Gesamtsystem übernimmt, die der Schmerz beim Menschen einnimmt. Dem Funktionalismus zufolge handelt es sich hierbei dann auch nicht um einen Schmerz im analogen Sinn, sondern um wirklichen Schmerz. So schreibt Lewis: „Wir können sagen, daß ein Zustand relativ zu [...] einer Gruppe eine kausale Rolle innehat; die Gruppe mag sich dabei gänzlich in unserer wirklichen Welt, zum Teil in anderen Welten; sie mag sich auch gänzlich in anderen Welten befinden. Wenn der Begriff des Schmerzes der Begriff eines Zustandes ist, der diese Rolle innehat, dann können wir sagen, daß ein Zustand in [...] einer Gruppe Schmerz ist.“2 Somit sind auch Marsmenschen in der Lage, den mentalen Zustand Schmerz zu verwirklichen, da dieser Zustand zunächst unabhängig von der physikalischen Struktur desjenigen Systems ist, in der Schmerz sich durch Einnehmen seiner kausalen Rolle verwirklicht.
Blickt man in einem zweiten Schritt auf den tatsächlich verwirklichten Schmerz, so wird bei Lewis hingegen die Vergleichsgruppe der gleichartigen physischen Systeme wichtig. Ein Marsmensch ist dann im Zustand Schmerz, wenn sein Zustand die kausale Rolle einnimmt, die in der Gruppe, zu der er gehört (also die Marsmenschen) diese kausale Rolle einnimmt. Und an diesem Punkt ist der Marsmensch doch darauf verwiesen, daß auch seine physische Struktur einen solchen Zustand zeigt, der bei Marsmenschen Teil einer sinnvollen Verknüpfung im Gesamten eines bestimmten Geschehens ist, die dann die Funktion „Schmerz“ einnehmen kann. Diese Verknüpfung von mentalem Ereignis und physischer Realisierung darf für den mentalen Zustand an sich somit nur kontingent gesehen werden. In
der Vergleichsgruppe hingegen ist sie sehr wohl als unabdingbar zu werten.3
[...]
1 Lewis: Die Identität, S.12
2 Lewis: Die Identität, S.46
3 vgl. Lewis: Die Identität, S.40f.