Kulturelle Aspekte musikalischer Improvisation


Hausarbeit, 2009

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kulturbegriff

3. Improvisation – Komposition
3.1 Kurzer geschichtlicher Abriss der Improvisation
3.2 Improvisation und Kultur
3.2.1 Kontextuelles Verständnis von Kultur und Improvisation

4. Fazit

5. Bibliographie

1. Einleitung

Improvisation begegnet uns in allen Lebensbereichen. In der Musik jedoch hat sie eine oft unterschätzte Bedeutung. Jeder Musiker wird Situationen kennen, in denen er freiwillig oder aber auch von äußeren Umständen gezwungen improvisiert hat, je nachdem, wie eng der Begriff Improvisation gesteckt ist. Viele Abhandlungen gehen von einem strengen Improvisationsbegriff als Gegensatz zur Komposition aus. Es ist aber hilfreich, eine offene Haltung einzunehmen und sich nicht zu eng an eine Definition zu binden. Ein Untersuchungsgegenstand der folgenden Seiten soll die Komplexität dieses Themas sein und es soll die Problematik einer solchen antithetischen Sichtweise reflektiert werden.

In Anbetracht der Kürze dieser Arbeit kann diese aber nicht dem Kriterium der Vollständigkeit genügen. Es handelt sich hierbei um eine kursorische Beleuchtung des Improvisationsbegriffs in einer Vielzahl seiner Facetten - bei weitem können aber nicht alle relevanten Aspekte behandelt werden. Der Schwerpunkt soll bei dem Verhältnis von Improvisation und dem Kulturbegriff liegen. Sowohl das europäische Verständnis als auch Musikpraktiken in außereuropäischen schriftlosen Kulturen sollen Berücksichtigung finden und insbesondere soll die Schwierigkeit, mit dem Begriffspaar Improvisation – Komposition kulturübergreifend zu arbeiten in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt werden. Dabei wird im weiteren Verlauf der Forschung ständig die Frage ein Begleiter sein, welche Bedeutung Kultur für die Improvisation hat beziehungsweise ob Improvisation überhaupt frei von Kultur sein kann. Eine noch zentralere Bedeutung soll der hier aufgestellten These zukommen, Kompositionen seien Kultur prägend, Improvisation hingegen sei kulturgeprägt.

2. Kulturbegriff

Wie bereits eingangs erwähnt kann in dieser Arbeit nicht der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Das gilt auch für den Kulturbegriff, den ich für das weitere Verständnis in dieser Arbeit aber dennoch kurz nach relevanten Kriterien umreißen möchte. Dass es sich dabei nicht um eine Definition handeln kann, die kulturwissenschaftlichen Standards genügt, soll im weiteren nicht verhindern, einen gewissermaßen abgesteckten Kulturbegriff zu finden, mit dem sich eine adäquate Analyse von Kultur und Improvisation durchführen lässt.

Die Standarddefinition, die sich in den meisten Wörterbüchern finden lässt, besagt, Kultur sei die Gesamtheit des vom Menschen Geschaffenen und damit wesentlicher Teile seiner Lebenswelt. Demnach ist alles Tun des Menschen Kultur. Eine solche Definition ist aber zu weit gefasst und zu trivial für diese Arbeit. Beginnt man mit der Suche nach der etymologischen Bedeutung von Kultur, wird man bei dem lateinischen Wort cultura fündig, das unter anderem so viel heißt, wie Pflege, Übung und Bearbeitung. Diese Herangehensweise soll uns Kriterien aufzeigen, mit denen im weiteren Verlauf gearbeitet werden kann. Das lateinische Wort cultura impliziert, dass in der regelmäßigen Wiederholung einer Sache (Übung) ein kultureller Prozess stattfindet. Genauer genommen handelt es sich hierbei gleichermaßen um die Entstehung als auch die Überlieferung von kulturellen Gehalten, beispielsweise bei bestimmten Ritualen. Die Wiederholung ist eine erste wichtige Charakteristik des Kulturbegriffs für die Untersuchung von Improvisation in dieser Hausarbeit.

Die zweite Bedeutung des Wortes cultura, die Bearbeitung, zeigt sich in der Systematisierung der gesamten Umwelt. So findet sich in dem Handbuch der Kulturwissenschaften die Definition:

[...](Kultur) schafft auch Sinnstrukturen und Ordnungssysteme, die dem zufällig (Kontingenten) und ungeordnet Gegebenem einen Ort in der Welt des Menschen verschaffen. D.h. der Mensch versucht im Prozess der Kultur dem Zufälligen und Ungeordneten eine Struktur zu geben, es wieder erkennbar, symbolisch kommunizierbar oder nutzbar zu machen. (Vgl. Jaeger/Liebsch 2004:10f.)

Eine weiterer Aspekt des Kulturbegriffs liegt darin, dass sich der Mensch Kultur aneignet. Es ist ein Vorgang, der im Gegensatz zum Lernen automatisch verläuft. Er beginnt, sobald der Mensch auf die Welt kommt und verläuft ohne vorherige Unterweisung (Vgl. Hall 1992:30). Wir haben also drei für uns wichtige Kriterien von Kultur gefunden: Wiederholung, Schaffung von Ordnung und Sinn und die automatische Weitergabe und Überlieferung durch den Prozess der Aneignung.

3. Improvisation – Komposition

In der Musikwissenschaft werden die Begriffe Improvisation und Komposition in der Regel als Antonyme benutzt, so zum Beispiel bei Curt Sachs:

„Denn in ihrem Wesen nach steht die Komposition als das durchdacht, vorbereitet, ausgearbeitet Geschaffene und als solches Niedergeschriebene primär im Gegensatz zur Improvisation, der spontanen (künstlerischen) Hervorbringung aus dem Stegreif, d.h. ohne tatsächliche Vorfixierung, aber auch (bis zur Entwicklung exakterer Schallaufzeichnungstechniken ab 1877) ohne die Möglichkeit und Absicht genauer Reproduktion.[1] “ (Sachs nach Lichtenhahn 2003:154)

Doch wie bereits in der Einleitung vermerkt ist diese Ansicht eine verkürzte Darstellung der Begriffe. Durch die antonyme Betrachtung der Begriffe entsteht der fälschliche Eindruck, es würde sich bei der Improvisation um eine minder ästhetisch wertvolle Form der Musik handeln (Vgl. Lichtenhahn 2003:162). Gleichwohl dient Sachs Definition einer ersten Annäherung, von der ausgehend weitere Aspekte ins Feld geführt werden sollen sowie die Dichotomie des Wortpaares aufgelockert werden soll.

Die Improvisation wurde gezwungenermaßen in die Gegenüberstellung mit der Komposition katapultiert, dabei hat sie oftmals ganz andere Motive, sodass ein wertender Vergleich nicht adäquat erscheint. So ist eine weitere Facette der Improvisation die meditative Selbsterfahrung und die Selbstbeschäftigung der Improvisatoren. Lediglich der Moment des Musizierens ist von Bedeutung und der akute innere Dialog des Musikers ist Zentrum des Geschehens. Bedürfnisse werden befriedigt und persönlichen Emotionen wird freier Lauf gelassen, sehr oft in rebellischer Form durch das Missachten jeglicher Gesetze und Regeln (Vgl. Fähndrich 2003:206f.). Dieser Moment ist vergänglich und kann nicht wiederholt werden und folglich kann die Musik im ursprünglichen Sinn zum Zeitpunkt der Entstehung nicht verfälscht werden. Edward T. Hall sieht die freie Improvisation ähnlich als „eine Art Rebellion oder - wie Bram vorgeschlagen hat – als ‚absichtsvolles schlechtes Benehmen’“ (Hall 1992:36). Jedoch wird die Paradoxie außer Acht gelassen, dass gerade der zwanghafte Versuch, alle Regeln zu vermeiden, eben selbst eine Regel aufstellt.

Die Situationsbezogenheit der Improvisation bringt zwei weitere Aspekte mit sich. Zum einen sind das die Einmaligkeit und Neuartigkeit jeder Darbietung, wie sie von John Baily als Kriterien für Improvisation genannt werden (Vgl. Lichtenhahn 2003:156). Die Neuartigkeit und Einmaligkeit können jedoch im Prinzip nur sicher über einen längeren, vergleichenden Zeitraum festgestellt werden, wären also nur bei Kompositionen oder auf eine andere fixierte Art der Improvisation feststellbar, die dann wiederum nicht mehr per se als Improvisation bezeichnet werden könnte (ebd.). Zum anderen geht die Fixierung auf den Moment und die Situation mit einer doppelten Aktivität des Spielers einher. Die Ausführenden sind gleichzeitig schöpferisch aktiv musizierend und zuhörend. Sie treffen in jedem Moment spontan Entscheidungen über den weiteren Fortgang der Musik. Durch die Gleichzeitigkeit von Spielen und Zuhören ist der Spieler erheblichem Stress ausgesetzt. Diese Situation veranlasst Edward T. Hall, von einer “High-Context-Kommunikation“ zwischen den Musikern zu sprechen:

Dies bedeutet, dass ein Grossteil der Informationen in den beteiligten Personen vorhanden ist, während die explizit übermittelte Botschaft nur wenig Anteil an diesen Informationen aufweist. Für einen Improvisator wird demnach vorausgesetzt, dass er diese High-Context- Informationen verstehen kann, da er sonst die übermittelten Botschaften in der vorgegebenen Geschwindigkeit nicht aufnehmen und weiterentwickeln könnte (Lichtenhahn 2001:46).

[...]


[1] Freie Improvisation wird nach Pauli als Antwort auf die Reproduzierbarkeit durch Elektrifizierung und Verschriftlichung von Kompositionen aufgefasst. Durch diese technischen Neuerungen ist es möglich, Musik aus ihrem Sinn prägenden Kontext in neue zu versetzen (Vgl. Pauli 87) – bei der freien Improvisation bleibt der Sinn prägende Kontext im Moment der Aufführung einzigartig. Sie wehrt sich gegen diese Dekontextualisierung und Rekontextualisierung.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Kulturelle Aspekte musikalischer Improvisation
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Musikwissenschaft)
Veranstaltung
Musikalische Improvisation
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
16
Katalognummer
V148176
ISBN (eBook)
9783640588114
ISBN (Buch)
9783640588046
Dateigröße
451 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Improvisation, Komposition, THeorie, Kultur, Musik, Musikwissenschaft
Arbeit zitieren
Stephan Jung (Autor:in), 2009, Kulturelle Aspekte musikalischer Improvisation , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148176

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