Machtkonstellationen und Bürokratie in Kafkas "Das Schloß?"

"Freiheit aus selbstverschuldeter Unfreiheit?"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Das SchloB: Macht durch Burokratie?

2. Die Begriffe Burokratie, Macht und Herrschaft
2.1. Geschichte der Burokratie
2.2. Herrschaft und Macht
2.3. Der Begriff Burokratieroman

3. Die Parteien und der Dritte
3.1. Storenfried K.
3.1.1. Der Landvermesser
3.1.2. Der Fremde in der Fremde
3.2. Frieda und die Gehilfen
3.3. Die Barnabas-Familie
3.4. Klamm und die Beamten

4. Das Tabu Graf Westwest

5. Die Macht des Schlosses
5.1. Die Struktur der Behordenwelt
5.2. Machtinstrumente
5.2.1. Amtssprache
5.2.2. Der Telefonapparat
5.2.3. Schriftliche Scheinkommunikation
5.3. Bedeutung der Traum und Schlafzustande

6. Nutzlosigkeit des Schlosses als Buro

7. Literaturverzeichnis
7.1. Primar liter atur
7.2. Sekundarliteratur

Machtkonstellationen und Burokratie in Kafkas „Das Schlofi“ - „Freiheit aus selbstverschuldeter Unfreiheit“?

1. Das Schlofi: Macht durch Burokratie?

Bernhard Shaw schrieb einmal „Wir leben nicht vom Eigentum, wir leben vom Diensf4.[1] Auf diesem Satz kann im Grunde die ganze Verbindung der Dorfbewohner zum Schloss reduziert werden. Schon im ersten Kapitel werden die Verhaltnisse klar aufgezeigt, indem das Dorf als Besitz des Schlosses bezeichnet wird[2]. Selbst fur eine Ubernachtung wird eine offizielle grafliche Erlaubnis benotigt.

Handelt es sich aber wirklich um ein feudales System mit dem Grafen Westwest an der Spitze, das die Belange des Dorfes bestimmt? Im ganzen Roman ist immer nur von Beamten die Rede, von Kastellanen, Schreibern oder dem Gemeindevorsteher. Man fuhlt sich eher an die klischee- behaftete, unbestechliche, immer vorschriftsmaBig arbeitende Burokratie in deutschen Behorden erinnert als an eine aristokratische Herrschaft, die die Aufsicht uber seine Lehnsmanner fuhrt.

Seit den Anfangen der Entwicklung von zivilisierten Volkern, bestimmt Burokratie das Leben der Menschen. „Kafka hat in seinem Roman ,Das SchloB’ eine [...] in totaler Unterdruckung le- bende Gesellschaft beschrieben“.[3]

Die Frage, die sich nun stellt, ist, kann der Landvermesser K. als oppositionelle Gegenbewe- gung die Verhaltnisse im Dorf durchbrechen oder geht er an seinem Kampf zu Grunde und ver- schwindet er in der Anonymitat der Gesellschaft? Diese Frage soll im Folgenden untersucht wer- den. Die Begriffe Macht und Burokratie sollen hierzu erlautert, die Protagonisten sollen in ihre Funktion untersucht und die Verhaltnisse zwischen Dorf und Schloss analysiert werden.

2. Die Begriffe Burokratie, Macht und Herrschaft

Macht und Herrschaft sind Begriffe, die durch die Soziologie[4] gepragt wurden. Redet man von Herrschaft, muss das Komplementar Macht mit betrachtet werden. Hinzu kommt, dass es bezug- lich des Schlossromans notig ist, burokratische Formen der Machtausubung zu berucksichtigen. In Kafkas Roman spielt die Burokratie eine essentielle Rolle in den Machtverhaltnissen.

2.1. Geschichte der Burokratie

Burokratie existiert schon, seit sich in den ersten Staatgebilden auch Staatsamter herausbildeten. „Im republikanischen Rom wurden die offentlichen Amter als Burgerpflicht ausgeubt, wahrend in der Kaiserzeit die Ausubung einer Staats- oder Beamtenstelle eine Karriere begrundete“.[5] Das Beispiel zeigt zwar, dass die Formen der Burokratie recht unterschiedlich aussahen, die komple- xen Strukturen und ihre Funktionen waren jedoch bereits im romischen Reich vorhanden.

Der Begriff Burokratie wurde aber erst im 18. Jahrhundert durch Vincent de Gournay[6] gelaufig. Ausloser war, dass sich der Staat zunehmend in der Wirtschaft einmischte. In Deutschland wurde der Ausdruck „Burokratie“ Anfang des 19. Jahrhunderts zum Schlagwort des damals aufkom- menden Wirtschaftsliberalismus gegen die Staatsautoritat. Die Liberalen betrachteten die Buro­kratie als der Demokratie widersprechend. Ein rasanter Aufstieg der Burokratie in Deutschland entstand nach 1870. Der Boom wurde in erster Linie durch die VergroBerung des Postbetriebes ausgelost. „Der Anteil der Staatsbediensteten an den Beschaftigten stieg von 7,2 Prozent (1882) auf 10,6 Prozent im Jahre 1907. Am Ende des 19. Jahrhunderts betrug die Beschaftigtenzahl im offentlichen Dienst rund 1,2 Mio.“[7] Durch den ersten Weltkrieg stieg dieser Anteil noch einmal deutlich an, da neue Institutionen gegrundet wurden wie die Kriegsrohstoffabteilung im Kriegs- ministerium, Kriegsgesellschaften, das Reichsarbeitsamt und das Kriegsamt[8].

Max Weber sah burokratische Herrschaft sogar als die effektivste Herrschaftsform. Er begrun- dete eine klassische Burokratietheorie, die sich am Vorbild der preuBischen Burokratie des 19. Jahrhunderts orientiert. Insgesamt gibt es vier Theorien: Webers klassische Theorie, die moderne Organisations- und Burokratietheorie, den Policy-Science-Ansatz und die polit-okonomischen Burokratietheorien.

Nach Webers Theorie sind die Merkmale der Burokratie ein geordnetes System der Uber- und Unterordnung von Behorden, Amtern und Instanzen, eine genaue Abgrenzung von Tatigkeiten, Funktionen, Kompetenzen, die Auslese der Funktionsinhaber nach fachlichen Qualifikationen, ein moglicher Aufstieg in geregelten Laufbahnen und die AktenmaBigkeit der Vorgange[9].

2.2. Herrschaft und Macht

Max Weber liefert in seinem Text Soziologische Grundbegriffe eine Definition von Herrschaft: „Herrschaft soll heiBen die Chance, fur einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“. Seitens der Gehorchenden existieren nach Weber drei Motive der Fug- samkeit. Die Interessenlage, also zweckrationale Betrachtungen von positiven und negativen Aspekten, die bloBe Sitte, sprich ein Gewohnheitsrecht des bisherigen Handelns und rein affek- tuell, also die personliche Neigung. Zudem ist der Glaube an die RechtmaBigkeit des Tuns von Befehlenden und Gehorchenden notwendig fur relativ stabile Herrschaft[10].

Max Weber definiert Macht folgendermaBen: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer so- zialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“.[11] Macht ist somit ein spezieller Fall einer sozialen Beziehung. Herrschaft beruht auf der begrifflichen Festlegung der Willensdurchsetzung bei der Machtdefinition.

2.3. Der Begriff Burokratieroman

Der Begriff Burokratieroman wurde Mitte der 50er Jahre in der amerikanischen Soziologie ge- pragt. „Die Nutzbarmachung der Burokratieromane fur die Burokratieforschung versprach vor allem dort am eintraglichsten zu sein, wo es der Literatur um die negativen Auswirkungen auf das Individuum zu tun ist“.[12] H. J. Friedsam lieferte 1954 eine bis heute verbindliche Definition des Burokratieromans. Wenn nur einige Burokraten im Roman erscheinen oder das Thema Buro- kratie nur marginal behandelt wird, liegt kein Burokratieroman vor. Die Entwicklung des Hand- lungsverlaufs muss auf burokratischen Verwicklungen basieren, in die der Hauptcharakter einge- bunden ist. Es muss sich dabei nicht zwangsweise um einen Burokraten handeln. Auch Personen die das Individuelle und Freiheitliche reprasentieren und sich dem burokratischen System entge- genstellen, konnen die Helden sein. Die Handlungsstruktur basiert somit auf der Antithetik, einer gegensatzlichen Gegenuberstellung.

Kafkas Roman Das Schlofi ist im Laufe der Zeit geradezu zu einem Prototyp dieser Literatur- gattung avanciert. „Das Thema des Buches ist die Burokratie und der EinfluB des burokratischen Systems auf das Leben des einzelnen“.[13]

3. Die Parteien und der Dritte

K. wird im Laufe des Romans immer wieder mit dem Beamtenwesen des Schlosses konfrontiert. Gereizt von den Machtverhaltnissen, versucht er auch stets die abgesteckten Befugnisse der Be- horde zu ergrunden und aller Hindernisse zum Trotz in dieses Herrschaftssystem hineinzufinden, immer die Augen auf das Ziel gerichtet, ins Schloss zu gelangen und vorzusprechen. Diese Ver- suche sind aber sehr muhselig, da K. viele Steine in den Weg gelegt werden.

Einige Protagonisten des Romans sind besonders relevant, um die Machtverhaltnisse genauer betrachten zu konnen. Als da waren K.’s Gehilfen, Frieda sowie Barnabas, Olga und Amalia, die durch ihre Beziehung zu K. die burokratischen Auferlegungen und Moglichkeiten im Schloss aufzeigen; aber auch die Wirtin, der Lehrer und der Gemeindevorsteher belegen die beamtenhaf- ten Wirren, die K. entgegenwehen. Der endgultige Fokus richtet sich aber immer auf Klamm, der fur K. die Hoff]nung auf den Einlass ins Schloss ist.

3.1. Storenfried K.

K. wird vorgestellt als ein Mann in den DreiBigern, recht zerlumpt, auf einem Strohsack ruhig schlafend, mit einem winzigen Rucksack als Kopfkissen, einen Knotenstock in Reichweite. Er ist aus eigenem Antrieb in den Schloss-Dorfbereich gekommen, mit dem Willen sich zu behaupten. Aber „allein das Hereinplatzen eines Wanderers und erst recht sein Ubernachtungsbegehren stif- ten bezeichnende Verwirrung. K. ist ganz offenkundig ein unwillkommener Eindringling in eine abgeschlossene Welt“.[14]

3.1.1. Der Landvermesser

Jedoch scheint jeder im Dorf sofort uber ihn als Landvermesser bescheid zu wissen. Fur K. ist die Autoritatsfixiertheit und zugleich Kindlichkeit der Dorfbewohner offensichtlich[15].

Bereits sein Ubernachtungsbegehren stiftet Verwirrung. „Er sah die Bauern scheu zusammen- rucken und sich besprechen, die Ankunft eines Landvermessers war nichts Geringes.“[16]. Die Dorfbewohnern nehmen ihn skeptisch auf, was der Gemeindevorsteher K. auch erklart: „Die meisten hielten zu mir, nur einige wurden stutzig, die Frage der Landvermessung geht einem Bauern nahe, sie witterten irgendwelche geheime Verabredungen und Ungerechtigkeiten, ,..“[17].

„Aufgrund [der] Witterungsverhaltnisse im Dorf-Exil erscheint K.s Landvermessertum als fixe Idee. Ist schon kaum anzunehmen, daB die Dorfler ihr schneebedecktes Land bebauen, so ist noch weniger naheliegend, ja geradezu absurd, daB dieses vermessen werden konnte“.[18] Die Wut, mit der man K. auf seine Aussage, er sei Landvermesser, und dem ersten telefonischen Bescheid vom Schloss begegnet, ist also die Wut uber jemanden, der die Dorfbewohner in Angst und Schrecken versetzt hat.[19] Der Titel Landvermesser verleiht K. somit einen gewissen Status, obwohl augen- scheinlich keine Arbeit fur ihn vorhanden ist.

3.1.2. Der Fremde in der Fremde

Dass K.’s Verhalten im Dorf als Unwissenheit eines Fremden empfunden wird und als solcher nicht im Dorf integrierbar ist, zeigt der Dialog mit der Bruckenhofwirtin.

denn wie groB auch meine Achtung vor Ihnen ist, so sind Sie doch ein Fremder, konnen sich auf niemanden beru- fen, Ihre hauslichen Verhaltnisse sind hier unbekannt [.. .][20],

Sie sind nicht aus dem SchloB, Sie sind nicht aus dem Dorfe, Sie sind nichts. Leider aber sind Sie doch etwas, ein Fremder, einer der uberzahlig und uberall im Weg ist [,..][21].

Er stellt eine permanente Gefahr dar, die die bestehende Ordnung zu storen droht. „Darum stoBt

der Fremde, der aus einer fur die Dorfler eigentlich gar nicht existierenden Welt jenseits ihrer

abgesteckten Grenzen kommt, auf Argwohn und Ablehnung“.[22] Als AuBenstehender wird er zur

postulierten Gegenbewegung der Macht des Schlosses und versucht aus der Verbindlichkeit die- ser Macht herauszutreten.

3.2. Frieda und die Gehilfen

Interessanterweise scheinen die Gehilfen Artur und Jeremias nicht die ursprunglichen Untergebe- nen von K. zu sein, wie auch ein Telefongesprach K.’s mit dem Schloss belegt, bei dem er sich als sein alter Gehilfe namens Josef ausgibt[23]. AuBerdem bestatigt Jeremias im 16. Kapitel, nach- dem er K. auf Friedas GeheiB bei Barnabas gesucht hatte, dass Artur und er K. vom Schloss in der Person des Beamten Galater zugeordnet wurden. Somit wird K. sogar ganz offiziell eine Machtposition zugewiesen, mit der er augenscheinlich aber nicht zurechtkommt. “Die Gehilfen sind fur K. von Anfang an in hohem MaBe irritierend. Sie sind ihm vom SchloB aufgedrangt wor-den, obwohl er sie gar nicht brauchen kann“.[24]

[...]


[1] Bernhard Shaw, in Lekture fur Minuten. Gedanken aus seinem Werk, Frankfurt: Suhrkamp 2000, S. 105.

[2] Kafka: Das SchloB, S. 7.

[3] Neuhauser: Aspekte des Politischen bei Kubin und Kafka, S .9.

[4] Max Weber hat in seinem Werk Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie eine Definiti­on dieser Begriffe geliefert. Vgl. Peter Gostmann u. Peter-Ulrich Merz-Benz: Macht und Herrschaft, S.7ff.

[5] Bruns: Zeitbombe Burokratie, S. 29.

[6] Vincent de Gournay lebte von 1712 bis 1759 in Frankreich und war leitender Regierungsbeamter, der die Trend zu mehr und mehr Schreibstuben und Kanzleien als „bureaucratie“ bezeichnete. Vgl. Bruns, S. 29.

[7] Bruns: Zeitbombe Burokratie, S. 32.

[8] Vgl. Bruns: Zeitbombe Burokratie, S. 32.

[9] Vgl. Bruns: Zeitbombe Burokratie, S. 75 ff.

[10] Vgl. Gerhard Wagner: Herrschaft und soziales Handeln, S.19ff.

[11] Treiber: Macht - ein soziologischer Grundbegriff, S.49.

[12] Dornemann: Im Labyrinth der Burokratie, S. 34.

[13] Dornemann: Im Labyrinth der Burokratie, S. 37.

[14] Dornemann: Im Labyrinth der Burokratie, S. 102.

[15] Vgl. Kafka: Das SchloB, S. 31f.

[16] Kafka: Das SchloB, S. 9.

[17] Kafka: Das SchloB, S. 74.

[18] Schwarz: Verbannung als Lebensform, S. 224.

[19] Vgl. Dornemann: Im Labyrinth der Burokratie, S. 103.

[20] Kafka: Das SchloB, S. 54.

[21] Kafka: Das SchloB, S. 55.

[22] Dornemann: Im Labyrinth der Burokratie, S. 104.

[23] Kafka: Das SchloB, S. 25ff.

[24] Müller: Franz Kafka, Romane, S. 116.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Machtkonstellationen und Bürokratie in Kafkas "Das Schloß?"
Untertitel
"Freiheit aus selbstverschuldeter Unfreiheit?"
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Kafkas Romane
Note
2,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
17
Katalognummer
V148203
ISBN (eBook)
9783640588169
ISBN (Buch)
9783640588077
Dateigröße
423 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kafka, Das Schloß, Macht bei Kafka, Bürokratie, NdL, Kafka Romane, Kafkas Romane, Neuere deutsche Literatur, Expressionismus, Literatur, Roman
Arbeit zitieren
M.A. Florian Kaltenhäuser (Autor:in), 2008, Machtkonstellationen und Bürokratie in Kafkas "Das Schloß?", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148203

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