Die Literatur, die das Doppelgängermotiv verhandelt, rekurriert auf Zwillingsmythen, Androgynitätsmythen, den Vater-Sohn-Mythos und den Narzissmythos. Ursprung findet sie unter anderem auch im Christentum, in dem der Mensch in seiner Doppelwesenhaftigkeit durch die Auffassung eines leiblich-seelischen Dualismus und dem Glauben an zwei Seelen in einer menschlichen Brust (gut/ böse), zitiert wird. Besonders im 19. Jahrhundert erfährt die literarische Doppelgängerei im Zusammenhang mit den modernen Individualitätskonzeptionen außerordentliche Produktivität. In der Romantik gewinnt das Motiv durch die Ichaufwertung und Ichfragilisierung, als zwei Kehrseiten einer Medaille, eine psychologische und zugleich unheimliche, bedrohliche Note. Individualität und Identität des Menschen werden durch das Erscheinen des Doubles ins Wanken gebracht.
Während der personale Doppelgänger in der Romantik seinen hinter- und abgründigen Charakter aufdeckt und als kalkulierendes Ensemble von dualen, oppositiven und komplementären Formen erscheint (Hoffman), treten im Realismus soziale Komponenten in den Vordergrund (Gogol/ Dostoevskij). Die Vereinsamung, die Entfremdung des Individuums und dessen Unfähigkeit zur Kommunikation werden zu zentralen Themen der Doppelgängerliteratur. In den fantastischen Texten wird die Ambiguität zum Spiel mit dem „impliziten“ Leser (Poe). In den mitunter intertextuell verwobenen Werken dieser Tradition kann das Unteilbarkeits- und Integrationsbegehren tragisch, fantastisch und grotesk gebrochen werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hauptteil
- E. T. A. Hoffmann - „Die Doppelgänger“
- Edgar Allen Poe - „Wiliam Wilson“
- Nikolaj Gogol – „Die Nase“
- Fjodor M. Dostoevskijs - „Der Doppeltgänger“
- Guy de Maupassant - „L'Horla“
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit dem Doppelgängermotiv im 19. Jahrhundert und untersucht, wie dieses Motiv die sozialen und kulturellen Veränderungen der Epoche widerspiegelt. Die Analyse fokussiert auf die Entwicklung des Doppelgängers als Symbol für die Fragilität und Unbestimmtheit der neuzeitlichen Individualität.
- Das Doppelgängermotiv als Ausdruck der Ich-Fragilisierung im 19. Jahrhundert
- Die Rolle des Nebels als Symbol für die Verwirrung und Unklarheit des Ichs
- Die poetologische Gestaltung des Doppelgängermotivs in verschiedenen literarischen Werken
- Die Verbindung zwischen der Bedrohung durch das Doppelgängermotiv und der stilistischen Entwicklung der Texte
- Die Bedeutung des Doppelgängers als narrative Verfahren im 19. Jahrhundert
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die historische Entwicklung des Doppelgängermotivs und zeigt dessen Wandel von einem spielerischen Verwechslungsmotiv zu einem Symbol für die Unheimlichkeit und Bedrohung des modernen Ichs. Der Hauptteil analysiert fünf literarische Werke des 19. Jahrhunderts, die das Doppelgängermotiv auf unterschiedliche Weise thematisieren. Die Analyse zeigt, wie die Perspektive der Helden beim Erblicken der Doppelgänger zunehmend vernebelt wird und welche stilistischen Besonderheiten durch das Motiv entstehen.
Schlüsselwörter
Doppelgängermotiv, 19. Jahrhundert, Individualität, Ich-Fragilisierung, Nebel, poetologische Gestaltung, narrative Verfahren, Verwechslungskomödie, Schauerroman, E. T. A. Hoffmann, Edgar Allen Poe, Nikolaj Gogol, Fjodor M. Dostoevskijs, Guy de Maupassant, "Die Doppelgänger", "Wiliam Wilson", "Die Nase", "Der Doppeltgänger", "L'Horla".
- Arbeit zitieren
- Melanie Lauer (Autor:in), 2005, Auf Du und Du - Das Doppelgängermotiv im 19. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148250