Einer nach wie vor tradierten Vorstellung vom Mittelalter als dem dunklen Zeitalter ist es zuzuschreiben, dass auch der mittelalterlichen Literatur vielfach nur wenig Beachtung geschenkt wird. Im Zuge der neuzeitlichen nationalistischen Verklärung haben sich die verschiedenen Ausrichtungen der Philologie weitestgehend eigenständig entwickelt und modernen Landesgrenzen untergeordnet. Das gilt auch für die moderne altgermanistische Forschung, die sich lange der Erfolge Karl Lachmanns bediente und sich nur langsam von einem selektiven Blick löst.
Erst seit jüngster Zeit gestaltet sich mit den ebenso fortschreitenden Geschichts-, Kultur- und Sozialwissenschaften eine interdisziplinäre Forschung aus, die den Kenntnisstand enorm zu bereichern vermag und ein breites Spektrum aufarbeiten will. In dieses Anliegen reiht sich auch die Hartmann-Forschung ein, die dessen dichterischen Verdienst längst erkannt, aber bislang unzureichend gewürdigt hat. Noch in den 1970ern ist für Hugo Kuhn ist Hartmann von Aue sogar „der am meisten vernachlässigte unter den Dichtern unserer mittelhochdeutschen Blüte um 1200“. Obwohl von ihm als Dichter nur wenig bekannt ist, verdankt ihm die Altgermanistik die Übertragung der literarischen höfischen Welt Chrétien de Troyes‘ in die deutsche Sprache.
So dienten dessen altfranzösische Werke Hartmann nicht nur für seine arturischen Epen ‚Erec‘ und ‚Iwein‘ als Vorlage, sondern auch für die legendenhafte Erzählung ‚Gregorius‘.
Gerade der offensichtlich widersprüchliche Untertitel ‚der gute Sünder‘ deutet an, dass es sich dabei nicht alleinig um eine religiöse Charakteristik handelt. Stattdessen findet sich in dieser Erzählung Hartmanns eine bemerkenswerte Symbiose der weltlichen und geistlichen Daseinsform, die der Dichter nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell einzugehen versucht. Thema dieser Arbeit bildet die zweiteilige Handlungsstruktur des ‚Gregorius‘, die auf ihre Rolle in der Deutung des Werkes hin untersucht werden soll. Ein solches Anliegen macht es notwendig, noch im Vorfeld die Deutungsproblematik zu beleuchten und zwei Ansätze zu thematisieren, die für eine Deutung des Gregorius grundlegend sind. Beide Interpretationsblickwinkel, das biblische ‚Zwei-Wege‘-Motiv und das ‚Doppelweg‘-Schema, das an das Konzept des höfischen Romans angelehnt ist, finden im Anschluss eine nähere Betrachtung. In einem indirekten Vergleich sollen beide Modelle auf ihre Plausibilität und ihre Anwendbarkeit für eine Deutung geprüft werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zur Deutungsproblematik und Entstehungsabsicht
- Der Prolog und das Motiv der zwei Wege
- Höfische Elemente und das,Doppelweg-Schema'
- Strukturelle Grundelemente der Erzählung
- Schlussbetrachtungen
- Literaturverzeichnis
- Primärliteratur/Quellen
- Sekundärliteratur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die zweigeteilte Handlungsstruktur des,Gregorius' von Hartmann von Aue und deren Einfluss auf die Gattungszugehörigkeit des Werkes. Sie beleuchtet die Deutungsproblematik und stellt zwei grundlegende Interpretationsansätze vor: das biblische,Zwei-Wege‘-Motiv und das,Doppelweg‘-Schema, das an den höfischen Roman angelehnt ist. Die Arbeit analysiert die strukturellen Elemente der Erzählung und untersucht, wie diese beiden Ansätze die Deutung des,Gregorius' beeinflussen.
- Die Deutungsproblematik des,Gregorius' und die Frage nach der Gattungszugehörigkeit
- Das biblische,Zwei-Wege‘-Motiv als Interpretationsansatz
- Das,Doppelweg‘-Schema als Interpretationsansatz im Kontext des höfischen Romans
- Die strukturellen Elemente der Erzählung und ihre Rolle in der Deutung
- Die Verbindung von religiösen und höfischen Elementen in der Handlungsstruktur
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Relevanz der Hartmann-Forschung und die Bedeutung des,Gregorius' für die mittelalterliche Literatur dar. Sie führt in die Thematik der zweigeteilten Handlungsstruktur ein und erläutert die Zielsetzung der Arbeit.
Das zweite Kapitel beleuchtet die Deutungsproblematik des,Gregorius' und die Frage nach seiner Gattungszugehörigkeit. Es werden die Schwierigkeiten einer eindeutigen Einordnung in die Kategorien Legende oder höfischer Roman aufgezeigt und die Bedeutung der Schreibintention und des Adressatenkreises für die Interpretation hervorgehoben.
Das dritte Kapitel analysiert den Prolog des,Gregorius' und das darin enthaltene biblische,Zwei-Wege‘-Motiv. Es wird gezeigt, wie dieses Motiv die Handlungsstruktur des Werkes beeinflusst und wie es sich in die theologische Deutung einfügt.
Das vierte Kapitel untersucht die höfischen Elemente des,Gregorius' und das,Doppelweg‘-Schema, das an den Aufbau eines höfischen Romans angelehnt ist. Es werden die Parallelen zwischen dem,Gregorius' und dem höfischen Roman aufgezeigt und die Bedeutung des,âventiure‘-Schemas für die Interpretation des Werkes beleuchtet.
Das fünfte Kapitel analysiert die strukturellen Grundelemente der Erzählung und untersucht, wie diese die beiden Interpretationsansätze miteinander verbinden. Es werden die beiden Handlungsstränge, die Trennung von Mutter und Sohn sowie die Wiedervereinigung, und das Inzestmotiv als zentrale Elemente der Handlungsstruktur betrachtet.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die zweigeteilte Handlungsstruktur, die Gattungszugehörigkeit des,Gregorius', das biblische,Zwei-Wege‘-Motiv, das,Doppelweg‘-Schema, die höfischen Elemente, die theologischen Aspekte, die Schreibintention und die Bedeutung des Adressatenkreises für die Interpretation.
- Quote paper
- Kerstin Zimmermann (Author), 2009, Hartmann von Aue: ‚Gregorius, der gute Sünder‘, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148283