Liberaler Intergouvernementalismus


Seminararbeit, 2007

15 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einführung

II. Entstehung

III. Grundaussagen
1. Untersuchungsgegenstand
2. Akteure und Analyseeinheiten
a. Präferenzbildung (liberale Elemente)
b. Bargaining (intergouvernementale Elemente)
c. Institutionen (intergouvernementale Elemente)

IV. Kritische Bewertung der Theorie

V. Schluss

I. Einführung

Die Europäische Union (EU) ist das erfolgreichste Beispiel für eine institutionalisierte internationa­le Politikkoordination in der modernen Welt, allerdings besteht kein Konsens über die Gründe für die­se Entwicklung (Moravcsik 1993:473). Von der Unterzeichnung der Römischen Verträge (25.03.1957) bis zur Begündung der EU durch den Maastrichter Vertrag (09./10.02.1992) hat die Ge­meinschaft eine Reihe von vielseits beachteten intergouvernementalen Vertragsverhandlungen absol­viert, die jeweils Eckpunkte für erneute Zusammenschlüsse bildeten. Der Prozess der Gemeinschafts­bildung vollzog sich eher stoßweise durch eine Reihe von intergouvernementalen Verhandlungen und weniger durch automatische und allmähliche Entwicklung (Moravcsik 1993:476).

Es gibt verschiedene theoretische Ansatzmöglichkeiten zur Erläuterung der Politikkoordination zwi­schen den Mitgliedstaaten der EU. Der in den 1990er Jahren von Andrew Moravcsik entwickelte An­satz des Liberalen Intergouvernementalismus ist eine davon. Nachfolgend soll der Frage nachgegan­gen werden, ob der Liberale Intergouvernementalismus ein geeignetes Konzept darstellt, um die Grün­de für die Verhandlungsbeziehungen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten nachvollziehbar zu machen.

Insbesondere ist dabei zu klären, wer nach Ansicht Moravcsiks die relevanten Akteure innerhalb des europäischen Integrationsprozesses sind, was ihre Präferenzen prägt, warum nationale Regierun­gen Entscheidungsgewalt an supranationale Institutionen delegieren und wie es zu dieser intensiven Form der Kooperation innerhalb der EU kommt.

II. Entstehung

Der Liberale Intergouvernementalismus zählt zu den explizit staatszentrierten Ansätzen (Steinhilber 2005:169) und gehört zu den Integrationstheorien. Er basiert auf dem Ideengut des Liberalismus und des klassischen Intergouvernementalismus und ist als Kritik am Neofunktionalismus konzipiert. Die Integrationstheorien erklären die politische Integration, die institutionelle Dynamik der EU, und for­mulieren Aussagen darüber, wie und unter welchen Bedingungen es zu einem Integrationswachstum kommt (Rittberger/Schimmelpfennig 2005:22). Der Ansatz baut auf einem früheren Modell, dem in- tergouvernementalem Institutionalismus auf. Dieser wird durch Modifikationen und Erweiterungen der bestehenden Theorien zu Außenwirtschaftspolitik, zwischenstaatlichen Verhandlungsprozessen und internationalen Regimen ergänzt und damit durch Konzepte, die auf der Annahme basieren, dass das Regierungsverhalten bei der EU-Zusammenarbeit durch innenpolitische Interessen und Kräftekon­stellationen sowie durch Elemente und Aspekte der zwischenstaatlichen Verhandlungssituation auf der internationalen Ebene geprägt wird (Schumann 1996:55).

Mit dem Realismus teilt er die grundsätzliche Annahme, dass im europäischen Integrationsprozess die Staaten nach außen als geschlossene Einheiten auftreten. Ihre Regierungen vermitteln zwischen in­nenpolitischer und internationaler Ebene, andere Akteure spielen - wenn überhaupt - nur eine unterge­ ordnete, jedoch keine entscheidende Rolle. Demnach kommt es zu Integrationsfortschritten nur dann, wenn die Interessen der dominierenden Nationalstaaten konvergieren und über zwischenstaatliche Verhandlungen gemeinsame Regeln beschlossen werden, die wiederum den nationalen Interessen nüt­zen.

Nationale Interessen sind weder unveränderlich noch unwichtig, sondern entstehen durch innenpoli­tische Konflikte, wenn gesellschaftliche Gruppen um politischen Einfluss sowie nationale und transna­tionale Koalitionsformen wetteifern und neue Politikalternativen von den Regierungen wahrgenom­men werden. Internationaler Konflikt und internationale Kooperation kann demnach als ein Prozess dargestellt werden, der in zwei aufeinanderfolgenden Phasen stattfindet: Staaten definieren eine Reihe von Interessen, über welche sie dann untereinander in dem Bemühen verhandeln, diese Interessen zu realisieren (Moravcsik 1993:481; Rittberger/Schimmelpfennig 2005:23). Die Wechselwirkung von Nachfrage und Angebot, von Präferenzen und strategischen Möglichkeiten prägt das außenpolitische Verhalten der Staaten.

III. Grundaussagen

Der Liberale Intergouvernementalismus verbindet in seinem Konstrukt zwei Theorietypen von In­ternationalen Beziehungen, die oft als gegensätzlich betrachtet werden: eine liberale Theorie der natio­nalen Präferenzbildung und eine intergouvernementalistische Analyse von innerstaatlichen Verhand­lungen und instituitioneller Ausformung (Moravcsik 1993:482). Liberal deshalb, weil mit Hilfe mo­derner Theorieansätze die innergesellschaftliche Willensbildung mit in die Analyse einbezogen wird. Auf internationaler Ebene bleibt er jedoch weiterhin dem intergouvernementalem Postulat des souve­ränen Nationalstaates verhaftet (Schwarz 2007:1). Der Ansatz interessiert sich stärker für das „Warum“, d.h. für die Dynamik und die treibenden Kräfte der europäischen Einigung. Integration ent­springt nach seiner Auffassung einer rationellen Kosten-Nutzen-Analyse der Nationalstaaten, die sich durch zunehmende Interdependenz zu einer Liberalisierung ihrer Märkte gezwungen sehen. Darüber hinausgehende politische Integration sei lediglich das Ergebnis zwischenstaatlicher Verhandlungspro­zesse sowie von Kompromisslösungen. Auch supranationale Instanzen (wie EuGH[1] und Kommission) dienen lediglich einer Kostenreduktion, eine gestaltende Rolle wird ihnen jedoch nicht zugestanden.

Die zentrale Aufgabe besteht darin, einen theoretischen Rahmen zu formulieren, der den Verlauf und die Ergebnisse der konstitutiven Entscheidungen auf der europäischen Ebene erklären kann (Steinhilber 2005:176).

1. Untersuchungsgegenstand

Der Analyse liegt die Untersuchung von fünf zentralen Integrationsverhandlungsprozessen zugrun­de: das Zustandekommen der Römischen Verträge 1957 in Messina, die Konsolidierung des Gemein- samen Marktes in den 1960er Jahren unter Berücksichtigung der Gemeinsamen Politik und der Entwicklung hin zum Luxemburger Kompromiss 1966, die Schritte zur monetären Integration in den 1970er und frühen 1980er Jahren, die Einheitliche Europäische Akte 1985 sowie die Verhandlungen 1992, die in den Vertrag von Maastricht mündeten (sog. grand bargains). In keiner dieser Vertragsentscheidungen sind die üblicherweise angeführten Integrationsmotive leitend gewesen. Weder technokratische Anreize im Sinne des neofunktionalistischen „spill-over“-Arguments und realistisch gefärbte geopolitische Erwägungen, noch europäischer Idealismus oder der Versuch, den europäischen Wohlfahrtsstaat zu erhalten, hätten die Entscheidungen maßgeblich bestimmt. Vielmehr wird versucht, mit der Studie zu belegen, dass die so genannten „großen Vertragsverhandlungen“ zugunsten von Integrationslösungen keineswegs historische Ausnahmefälle darstellen, sondern einem rationalen und damit gewissermaßen normalen Kalkül der Regierungen entspringen.

Dem Liberalen Intergouvernementalismus liegt ein „softer“ Rationalismus zugrunde, der davon ausgeht, dass die Akteure nur über begrenzte Kapazitäten verfügen, Informationen zu verarbeiten („bounded rationality“) (Steinhilber 2005:173). Zwar versuchen die Regierungen, die Präferenzen, die sich aus den innerstaatlichen Aushandlungsprozessen ergeben, möglichst rational umzusetzen. Ihre Rationalität ist aber zugleich begrenzt und die aggregierten Interessen orientieren sich nicht immer am maximalen Nutzen. Dennoch gibt der Liberale Intergouvernementalismus den Regierungen einen intellektuellen Kompass an die Hand – europäische Politik soll in diesem Sinne auch in Zukunft nicht mehr sein als die Fortsetzung nationalstaatlicher Politik mit anderen Mitteln.

2. Akteure und Analyseeinheiten

Für die Analyse der großen Reformschritte der EU bietet der Liberale Intergouvernementalismus ein dreistufiges Modell an, wobei jeder der drei Phasen eine Theorie mittlerer Reichweite zugeordnet wird (Moravcsik 1995:612):

- Zunächst wird mittels einer liberalen Theorie der Präferenzbildung danach gefragt, wie sich die Präferenzen der Nationalstaaten herausbilden und ob sie in erster Linie durch ökonomische oder geopolitische Interessen geprägt werden.
- Durch eine Bargaining-Theorie wird dann untersucht, wie diese Präferenzen in den zwischenstaatlichen Verhandlungen umgesetzt werden und ob die Ergebnisse durch die relative Verhandlungsmacht der Mitgliedstaaten oder das Koordinationsgeschick supranationaler Akteure erklärt werden können.
- Schließlich wird im Rahmen des Institutional Choice gefragt, warum die Nationalstaaten Souveränität an internationale Organisationen abgeben: aufgrund einer förderalen Ideologie, der größeren Effizienz supranationaler Organisationen oder aufgrund des Interesses der Regierungen an verbindlichen Abkommen.

[...]


[1] EuGH - Europäischer Gerichtshof

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Liberaler Intergouvernementalismus
Hochschule
Universität Leipzig  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar: Die Europäische Union. Die neue europäische Herrschaftssynthese "von unten" her betrachtet: Wie kann ein demokratisches Europa erkämpft werden?
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
15
Katalognummer
V148571
ISBN (eBook)
9783640665952
ISBN (Buch)
9783640666140
Dateigröße
502 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politikwissenschaft, Europäische Union, Internationale Beziehungen, Liberalismus, Theorien
Arbeit zitieren
Dipl. Pol. Anke Datemasch (Autor:in), 2007, Liberaler Intergouvernementalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148571

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