Zum Wortstatus von Adjektiv-Verb-Verbindungen


Magisterarbeit, 2009

84 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einfuhrung

2 Was ist ein Wort?
2.1 Wortstrukturen
2.1.1 phonologische Ebene
2.1.2 syntaktische Ebene
2.1.3 semantische Ebene
2.1.4 graphematische Ebene
2.1.5 Beziehung der Ebenen zueinander
2.1.6 Fazit
2.2 Wortbildungsprozesse
2.2.1 Ruckbildung, Univerbierung, Inkorporation
2.3 Definition Syntagmen
2.4 Zwischenergebnis

3. Wortbildungsprinzip, Relationsprinzip
3.1 Spatiensetzung im Deutschen
3.1.1 Spatiensetzung nach der ALT-GZS
3.1.2 Spatiensetzung nach der NEU-GZS
3.1.3 Spatiensetzung nach der Reform der NEU-GZS
3.2. Die Neuregelung der GZS in der Diskussion

4. Adjektiv-Verb-Verbindungen
4.1 Resultativkonstruktionen
4.2 Tests zur Beschreibung der Adjektiv-Verb-Verbindungen nach N. Fuhrhop
4.2.1 Uberprufung der Testergebnisse anhand eines Fragebogens
4.2.2 Uberprufung der Testergebnisse anhand einer Korpusanalyse
4.2.3 Auswertung des Fragebogens
4.2.4 Auswertung der Korpusanalyse
4.2.5 Fazit
4.3 Kriterien fur den Wortstatus von Adjektiv-Verb-Verbindungen

5. Die GZS von Adjektiv-Verb-Verbindungen
5.1 Variantenempfehlung der Dudenredaktion
5.2 Analyse exemplarischer Beispiele
5.3 Auswertung der Analyse

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

8. Anhang 1: Fragebogen mit Ergebnissen

9. Anhang 2: Auszuge aus der Korpusanalyse

10. Anhang 3: tabellarische Testergebnisse nach N. Fuhrhop

1. Einfuhrung

In der vorliegenden Arbeit geht es um die Frage nach dem Wortstatus von Adjektiv-Verb- Verbindungen (Im Folgenden A-V-V genannt). Sind A-V-V Worter, oder Syntagmen? Ziel dieser Arbeit ist es, einige Kriterien herauszuarbeiten, anhand derer sich die Wortartigkeit von A-V-V uberprufen lasst. Hierbei liegt Nanna Fuhrhops Arbeit „Zwischen Wort und Syntagma. Zur grammatischen Fundierung der Getrennt- und Zusammenschreibung" zugrunde. Die hier gegebenen Ansatze wurden jedoch nicht einfach ubernommen, sondern anhand empirischer Uberprufungen analysiert und weiterentwickelt (Siehe Kapitel 4).

Der zweite Themenschwerpunkt dieser Arbeit ist die Getrennt- und Zusammenschreibung (GZS) von Adjektiv-Verb-Verbindungen. Nach der Neuregelung der GZS und der damit verbundenen Einfuhrung einer Vielzahl freier Schreibvarianten, ist die Verunsicherung der Schreibenden, gerade im Bereich der Adjektiv-Verb-Verbindungen besonders groB. Es soll also auch untersucht werden, welche Kriterien der GZS von A-V-V zugrunde liegen und wie weit diese mit den in Kapitel 4 erarbeiteten Kriterien ubereinstimmen.

Die Arbeit ist in vier Punkte gegliedert. Kapitel zwei befasst sich mit der Frage nach der Beschaffenheit des Wortes. Was ist ein Wort? Woraus setzt es sich zusammen? Wie werden Worter gebildet? Was ist ein Syntagma? Auf dieser Grundlage wird dann in Kapitel drei die Getrennt- und Zusammenschreibung von Wortern, vor und nach der Rechtschreibreform diskutiert. Dieses Kapitel nimmt Bezug auf Joachim Jacobs’ Arbeit „Spatien. Zum System der Getrennt- und Zusammenschreibung im heutigen Deutsche"

Kapitel vier beinhaltet die kritische Auseinandersetzung mit der bereits genannten Arbeit von Frau Fuhrhop. AuBerdem werden hier mogliche Kriterien zum Wortstatus von A-V-V vorgestellt.

Kapitel funf behandelt schlieBlich die Thematik der Getrennt- und Zusammenschreibung von Adjektiv-Verb-Verbindungen und deren Zusammenhang mit den herausgearbeiteten Kriterien. Das Kapitel beinhaltet auBerdem einen Exkurs zur Variantenempfehlung der Dudenredaktion, welche der erwahnten Unsicherheit der Schreibenden entgegenwirken soll.

2. Was ist ein Wort?

Der Grundstein fur diese Arbeit ist der Begriff des Wortes gegenuber dem des Syntagmas. Hierfur ist neben der Definition beider Begriffe ein umfassendes Verstandnis der Strukturebenen und ihrer Zusammenhange notig. Im folgenden Kapitel sollen also Antworten auf die Fragen „Was ist ein Wort?“, „Wie entstehen Worter?“ und „Was versteht man unter einem Syntagma?“ gefunden werden

2.1 Wortstrukturen

In der Sprachwissenschaft gibt es zahlreiche Definitionsversuche, die den Begriff „Wort“ betreffen. Diese sind nicht nur sehr unterschiedlich, sondern widersprechen sich bisweilen. In einigen wissenschaftlichen Berichten wird der Begriff „Wort“ gänzlich gegen andere Termini ausgetauscht.

Vergleicht man die Definitionen von Bußmann, Fuhrhop, Jacobs und Meibauer, stellt sich heraus, dass alle den Wortbegriff in verschiedene Strukturebenen aufsplitten und diese getrennt von einander behandeln. Die vier häufigsten, bei fast allen Definitionen übereinstimmend verwendeten Ebenen lassen sich wie folgt benennen:

(1) die phonologische Wortebene
(2) die syntaktische Wortebene
(3) die semantische Wortebene
(4) die graphematische Wortebene

Die graphematische Wortebene wird bisweilen auch als orthographische Ebene bezeichnet. Außerdem wird einigen Definitionen noch das morphologische bzw. flexionsmorphologische Wort hinzugefügt. Im Folgenden sollen die Ebenen (1) bis (4) näher erläutert werden.

2.1.1 phonologische Ebene

Das phonologische Wort, bei Meibauer auch als „prosodische Einheit‘1 bezeichnet, besteht zunachst einmal aus einer Folge von Lauten bzw. Phonemen. Diese werden durch das Internationale Phonetische Alphabet reprasentiert. Bsp.: schriftlich > [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]

Diese Phonemfolge stellt jedoch noch nicht die gesamte prosodische Struktur eines Wortes dar. Hierzu mussen auch die Silbenzahl, die FuBbildung und der Wortakzent mit einbezogen werden. Bei den Silben, welche die „artikulatorisch-auditive Einheit“2 des Wortes darstellen, wird zwischen betonten und unbetonten Silben unterschieden. Innerhalb der Darstellung metrischer Baume werden Silben mit „“ markiert. „Bestimmte immer wiederkehrende Abfolgen von betonten und unbetonten Silben heiBen FuBe“3. Der Begriff „FuB“ stammt aus der Versmetrik, welche die ,Melodie’ gesprochener Sprache beschreibt. Die bekanntesten VersfuBe sind Jambus, Trochaus, Daktylus und Anapast.

Innerhalb metrischer Baume werden FuBe mit „4 “ markiert, das gesamte phonologische Wort wird mit 5 „“gekennzeichnet.

Beispiel einer FuBstruktur fur das Wort Sommerreifen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die tiefer gestellten Kennzeichnungen „s“ und „w“ stehen fur stark (engl. stronger than) und schwach (engl. weaker than). Dies ist gleichzusetzen mit betont (stark) und unbetont (schwach).

Die Silbenbetonung nennt man Akzent. „Betonte Silben sind prominenter als unbetonte, typischerweise langer und lauter und werden deutlicher artikuliert.“ Der Akzent liegt in der Regel auf dem Vokal, die ihn umgebenden Konsonanten der jeweiligen Silbe werden jedoch auch hervorgehoben. „Das Akzentzeichen ['] auf dem Vokal markiert die entsprechende Silbe als prominenteste innerhalb des Wortes. Sie tragt den Wortakzent.“6

2.1.2 syntaktische Ebene

Die syntaktische Ebene bezieht sich auf die Definition des Wortes als eine bestimmte Einheit innerhalb eines Satzes. Bei BuBmann und Meibauer findet man die einheitliche Beschreibung, dass syntaktische Worter die kleinsten Ausdrucke im Satz seien, die verschiebbar oder ersetzbar sind. Jacobs stimmt mit dieser Beschreibung zwar grundsatzlich uberein, fugt jedoch noch die Kriterien der Trennbarkeit und der Erweiterungsmoglichkeit hinzu. So konne man beispielsweise die Ausdrucke gruner Wassertopf zu gruner scheufilicher Wassertopf erweitern. Eine Erweiterung von Wassertopf zu *Wasserscheufilichertopf ist hingegen nicht grammatisch.7

Meibauer gibt jedoch zwei mogliche Probleme der Kriterien „Verschiebbarkeit“ und „Ersetzbarkeit“ zu bedenken.

Erstens seien einige Modalpartikeln, Prapositionen und Konjunktionen in ihrer Verschiebbarkeit und Ersetzbarkeit extrem eingeschrankt, obwohl sie einen ganz klaren Wortstatus haben. Zweitens trafen die genannten Kriterien gleichermaBen auf Phrasen zu. Diese bestehen in der Regel aus mehreren Worten.8 Auch Jacobs bemangelt, dass die Kriterien keine scharfe Trennlinie zwischen Wort und Phrase ziehen.

Meibauer gibt auBerdem die einzelnen Wortformen als „syntaktische Worter“ an. „Handelt es sich bei Uberraschungseier und Uberraschungsei um zwei unterschiedliche Worter oder um dasselbe Wort? Die richtige Antwort ist, dass es sich um zwei verschiedene Wortformen handelt. [...] Wortformen nennt man auch syntaktische Worter“ 9 Im Lexikon finden sich jedoch nicht samtliche

Wortformen, sondern nur die jeweilige Nennform eines Wortes, also die nicht deklinierte Form.

2.1.3 semantische Ebene

Die semantische Ebene betrifft die Wortbedeutung. Jacobs schreibt: „Es [das Wort] ist in der Ordnung der Komplexitatsstufen die kleinste Einheit, die mit einer konkreten Bedeutung verbunden sein kann, also mit einer klar umrissenen Vorstellung (einem ’Konzept’) von einer wahrnehmbaren auBersprachlichen Gegebenheit (einer Person, einer Sache, einer Handlung usw.).“10 BuBmann fugt dieser Beschreibung die Kriterien der Selbststandigkeit und der Lexikalisierung hinzu: „Auf lexikalisch-semantischer Ebene sind Worter kleinste, relativ selbststandige Trager von Bedeutungen, die im Lexikon kodifiziert sind. 11 “u Dieser Definition schlieBt sich Meibauer im Wesentlichen an. Er betont besonders deutlich die Relevanz der Selbststandigkeit. So konnen auch gebundene Morpheme wie -lich oder be- einen Beitrag zur Wortbedeutung leisten, da sie jedoch unselbststandig sind und somit nicht frei vorkommen konnen, handelt es sich hierbei nicht um semantische Worter.

Meibauer weist auBerdem auf das Problem hin, dass es Worter zu geben scheint, denen keine spezifische Bedeutung zuzuordnen ist, die aber dennoch Wortstatus haben. So zum Beispiel das Wort es in dem beliebten Marchenanfang Es war einmal...

Hierbei handelt es sich eindeutig um ein Wort. Zwar ist keine spezifische Bedeutung erkennbar, doch das Wort kann auch nicht weggelassen werden, da der Satz sonst keinen Sinn mehr macht.

2.1.4 graphematische Ebene

Die graphematische, oder auch orthographische Ebene bezieht sich immer auf die geschriebene Sprache. Meibauer und BuBmann bezeichnen das Wort in diesem Zusammenhang als eine „Folge von Buchstaben, die von Leerzeichen umgeben ist, aber selbst keine Leerzeichen enthalt.“12 Meibauer wendet jedoch direkt ein, dass die Getrenntschreibung kein definitives Kriterium fur Wortartigkeit sein konne, da viele Verben oder komplexe Prapositionen trennbar seien, es sich dabei aber dennoch um Worter handele. Jacobs bemangelt weiterhin: „Das offensichtlichste Problem dieser Definition ist, dass viele Sprachen uberhaupt nicht verschriftet sind, aber doch Worter haben, und dass viele verschriftete Sprachen keine graphische Kennzeichnung von Wortgrenzen vorsehen oder sie ganz anders regeln als das Deutsche.“13 Er zieht in seiner Beschreibung der graphematischen Wortebene den Begriff des Graphems dem des Buchstabens vor. Nicht alle Grapheme entsprechen einem Buchstaben. So besteht beispielsweise die Graphemfolge <sch> aus den Buchstaben s, c, und h. Diese lassen sich jedoch, je nach graphematischer Wortform, nur gemeinsam einsetzen.

Der Graphembestand weicht grundsatzlich vom lateinischen Alphabet ab. Peter Eisenberg hat eine Ubersicht uber das Grapheminventar erstellt, die er in Konsonantengrapheme und Vokalgrapheme gliedert:

Konsonantengrapheme:14

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vokalgrapheme:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Mithilfe dieser Grapheme wird das graphematische, bzw. das orthographische Wort schriftlich realisiert.

2.1.5 Beziehung der Ebenen zueinander

Die einzelnen Ebenen der Wortstruktur stehen zueinander in Verbindung. Wahrend sich die phonologische, syntaktische und graphematische Ebene auf die Form eines Wortes beziehen, geht es bei der semantischen Ebene um die Wortbedeutung. Oder anders gesagt: Die Bedeutung wird auf der phonologischen Ebene sprachlich vermittelt, auf der graphematischen Ebene schriftlich manifestiert und auf der syntaktischen Ebene als eine Einheit innerhalb des Satzes von anderen Einheiten abgesetzt.

Die Beziehung zwischen der phonologischen und der graphematischen Ebene ist besonders eng. Zum einen wird das Phoneminventar auf die gleiche Weise ermittelt wie das Grapheminventar, zum anderen entspricht in den meisten Fallen ein „Phonem als einfacher phonologischer Einheit ein Graphem als einfache graphematische Einheit.“ 15 Peter Eisenberg fasst diese Verbindung der beiden Ebenen in den so genannten Graphem-Phonem-

Korrespondenzregeln (GPK) zusammen. Hierbei unterscheidet er zwischen GPK-Regln fur Konsonanten und Vokale:16

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hierbei sind die Phoneme von Schragstrichen umgeben und die Grapheme von spitzen Klammern.

2.1.6 Fazit

Durch die Beobachtung und Beschreibung der einzelnen Ebenen eines Wortes kommt man dem Gesamtbegriff eines Wortes schon naher. In der Sprachwissenschaft besteht jedoch ein Konsens daruber, dass eine allgemeine Definition des Wortbegriffs unter Berucksichtigung samtlicher Teilebenen kaum moglich ist.

Einige Ausdrucke sind nach phonologischen Kriterien Worter, nach syntaktischen Kriterien jedoch nicht. Der Sprecher kommt dennoch in den meisten Fallen zu einem intuitiven Urteil daruber, welche Ausdrucke Worter sind und welche nicht. Diese Entscheidung geht vermutlich auf ein unbewusstes Abwagen der genannten Ebenen zuruck. „Generell scheinen bei solchen Abwagungen die syntaktisch-morphologischen Kriterien schwerer zu wiegen als die phonologischen.“17

2.2 Wortbildungsprozesse

In der Sprachwissenschaft variieren die Bezeichnungen der einzelnen Wortbildungstypen. Im Folgenden werden die Bezeichnungen aus den Werken von Eisenberg 200618 und Meibauer 200219 verwendet.

In der Untersuchung der Entstehung von Wortern muss grundsatzlich zwischen Flexion und Lexembildung unterschieden werden, auch wenn viele Einfuhrungswerke der germanistischen Linguistik unter „Wortbildung“ nur die Lexembildung behandeln und der Flexion ein gesondertes Kapitel widmen. Das „Lexikon der Sprachwissenschaft“20 von H. BuBmann definiert die Flexion nicht als Wortbildung, sondern als Wortformbildung. Die Trennung zwischen Flexion und Lexembildung ist nicht immer eindeutig, da die Flexion in der Regel nach der Lexembildung stattfindet.

Die Flexion oder auch „Wortbeugung“ bezeichnet die grammatische Abwandlung von Wortern durch das Anhangen von Flexionsmorphemen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um die Deklination, Konjugation und Komparation. Unter Deklination versteht man die Beugung von Substantiven, Adjektiven, Artikeln, Numeralen und Pronomen, hinsichtlich Kasus, Genus und Numerus. Unter Konjugation versteht man die Beugung von Verben in Bezug auf die Kategorien Person, Numerus, Tempus, Modus und Genus Verbi. Komparation bezeichnet die Steigerung von Adjektiven (z.B. schon, schoner, am schonsten). Die Lexembildung umfasst im Wesentlichen die Wortbildungstypen der Komposition, Affigierung, Derivation, Konversion und der Wortkreuzung (Kontamination).

Bei der Komposition werden zwei Kernmorpheme miteinander kombiniert und ergeben somit ein neues Wort. In manchen Fallen ist hierbei ein Fugenelement notig, das die beiden Bestandteile miteinander verbindet. Bsp.: Regen + Schirm (kein Fugenelement) aber Sonne + n + Schirm (Fugen-„n“). Besonders haufig ist das Fugen-„s“ nach Substantiven die auf -ung enden. Bsp.: Sitzung + s + Ende. Auch Subtraktionen am ersten Wort sind keine Seltenheit. Bsp.: Sprache + Schule > Sprachschule

In der Komposition unterscheidet man zwischen Kopulativkomposita, Determinativkomposita und Possessivkomposita. Bei den Kopulativkomposita handelt es sich um Kompositionen, deren Bestandteile gleichberechtigt sind, wobei der „bezeichnete Gegenstand weder das vom ersten noch das vom zweiten Bestandteil bezeichnete“21 darstellt. Bsp.: Hosenrock.

Unter einem Determinativkompositum versteht man das Ergebnis der Kombination zweier Wortarten, bei der die Wortart des Kompositums durch den zweiten Bestandteil festgelegt wird. Z.B.: turnen (Verb) + Schuh (Substantiv) > Turnschuh (Nominalkompositum). Das Bestimmungswort nennt man Determinans, das zu bestimmende Wort Determinatum. „Das Zweitglied bildet den semantischen und morphosyntaktischen Kopf des Kompositums, indem es sowohl die Referenz als auch die morphosyntaktischen Merkmale wie Wortart, Genus und Flexionsklasse des Determinativkompositums festlegt.“22

Das Possessivkompositum (lat. possessivus > ,Besitz anzeigend’) weist das gleiche Determinationsverhaltnis auf wie das Determinativkompositum, aber daraus ergibt sich nicht die Bedeutung des Kompositums. Die einzelnen Bestandteile beschreiben Eigenschaften, die fur das gesamte Kompositum stehen. Bsp.: Rotkehlchen, Milchgesicht, Kleingeist. Hier wird weder eine Kehle, noch ein Gesicht, noch ein Geist bezeichnet, sondern ein Tier bzw. eine Person, auf welche die beschriebenen Eigenschaften zutreffen.

Unter Affigierung versteht man das Anheften von Affixen an den Wortstamm. Hierbei wird zwischen Prafixen (vor dem Stamm), Suffixen (nach dem Stamm), Zirkumfixen (umrahmen den Stamm) und Infixen (werden vom Stamm umschlossen) unterschieden.

Bsp.: Prafix: vor-lesen Suffix: les-bar Zirkumfix : ge-hor-t Infix : vor-ge-lesen

Die Derivation oder auch Ableitung ist eine Form der Wortbildung bei der Ableitungs- bzw. Derivationsmorpheme eine Anderung der Wortart oder auch der Bedeutung erzeugen. Man unterscheidet zwischen expliziter und impliziter Derivation. Die explizite Derivation entsteht durch das Anheften von Affixen oder durch lautliche Mutation. Bsp. trinken > Trank Manche Linguisten, wie z.B. Fleischer und Barz, schlieBen die Prafigierung aus der expliziten Derivation aus und ordnen ihr lediglich die Suffigierung zu.23 Die implizite Derivation bedient sich lediglich der Mutation (oft auch der Subtraktion) und hat ebenfalls eine Anderung der Wortart oder der Bedeutung zufolge. Die implizite Derivation wird bisweilen auch als Ruckbildung oder Konversion interpretiert. „Je nach Wortart des zugrunde liegenden Ausgangswortes spricht man von Deverbativa, Desubstantiva oder Deadjektiva.“24 Bsp.: deadjektivisches Nomen: Schon-heit, denominales Adjektiv: scherz-haft, deverbales Nomen: Zeich-ner.

Wortbildungstypen, die keine Formveranderung gegenuber ihren Basen aufweisen, nennt man Konversionen. Man spricht auch von einem „Wortartwechsel ohne Wortbildungselemente“.25 Hingegen gehoren „implizite Ableitungen, bei denen das Derivat durch einen Wortwechsel erreicht wird“26 nicht zu den Konversionen. Einige Linguisten vertreten die Auffassung, die Konversion gehore, gleichermaBen wie Komposition und Derivation, zu den konkatenativen (verkettenden) Wortbildungstypen. Der Unterschied liege jedoch darin, dass der Basis kein sichtbares Wortbildungsmorphem angehangen werde, sondern dass „bei der Konversion regelmaBig ein Nullmorphem auftrete, womit die Konversion in die Nahe der Suffigierung ruckt.“27

Die Kontamination, auch Wortkreuzung oder Wortverschmelzung genannt, wird haufig in der Werbesprache verwendet und bezeichnet die Kombination zweier Ausdrucke zu einem neuen Lexem. Bsp.: Joghurt + Obst > Jobst, breakfast + lunch > brunch, Buro + Hotel > Burotel. Bei den meisten Wortkreuzungen bleibt die Durchsichtigkeit erhalten, so dass sie muhelos wieder in ihre ursprunglichen Ausdrucke zerlegt werden konnen. Der Anteil der Kontaminationen „an den Wortneubildungen ist insgesamt sehr gering.“28 Neben den bekannten, produktiven Wortbildungsprozessen gibt es auch einige wenig produktive Prozesse, wie die Kurzwortbildung, die Bildung von Halbaffixen, die Ruckbildung, die Univerbierung oder die Inkorporation. Sie alle bilden zwar einzelne Worter, sind aber nicht im eigentlichen Sinne produktiv. Es ist jedoch auffallig, dass viele der Zweifelsfalle der Getrennt- und Zusammenschreibung durch Ruckbildung, Univerbierung oder Inkorporation entstanden sind. Diese drei Wortbildungsarten sind im Deutschen sehr untypisch.

Grundsatzlich wird alles, was durch Wortbildung entstanden ist als eigenstandiges Wort interpretiert und somit zusammen geschrieben. Die einzelnen Wortbildungsarten sind jedoch unterschiedlich stark. „Eine Komposition ist unumstoBlich ein Wort, eine Ruckbildung oder Univerbierung wird nur als solche analysiert, wenn das Relationsprinzip nicht greift.“29 (Zum Relationsprinzip siehe Kapitel 3)

2.2.1 Ruckbildung, Univerbierung, Inkorporation

Das typischste Beispiel fur Ruckbildung ist der Begriff bausparen. Hierbei ist aus dem Verb sparen das Substantiv Sparer entstanden. Hieraus wird dann mit Hilfe des regularen Suffixes das Verb bausparen ruckgebildet. Es entsteht also ein komplexer Verbstamm. Die durch Ruckbildung entstandenen Verbstamme haben haufig, wie auch in diesem Fall, ein unvollstandiges Paradigma. Der Prozess ist also nur eingeschrankt produktiv. Des Weiteren stellt sich die Frage nach der Trennbarkeit der Verbindung. Hierbei wurden die Urteile je nach Sprecher wohl unterschiedlich ausfallen, was die Frage nach der Getrennt- oder Zusammenschreibung erschwert. Nanna Fuhrhop vertritt die These, die Ergebnisse von Ruckbildungen seien meist nicht trennbar. „Bei Ruckbildungen muss nicht die Zusammenschreibung begrundet werden, sondern im Gegenteil die Getrenntschreibung.“30 Bei der Univerbierung wachsen Worter, die im Satz sehr haufig nebeneinander stehen zu einem Wort zusammen. So z.B. soziale Leistung > Sozialleistung, Arbeitstag von acht Stunden > Achtstundentag, auf Grund > aufgrund, an Stelle > anstelle, an Hand > anhand. „Univerbierung entspricht einer allgemeinen Tendenz der (syntaktischen) Vereinfachung zum Zwecke der Informationsverdichtung, sowie zur Vermeidung unhandlicher Konstruktionen.“31 In Fallen wie anstelle handelt es sich um eine Praposition die einen Genitiv regiert. Ihre Interpretation als komplexe Praposition legt die Zusammenschreibung nahe, der Umstand, dass jedoch der substantivische Bestandteil noch deutlich erkennbar ist, wurde fur die Getrenntschreibung sprechen. Der Prozess der Univerbierung ist bereits „ein Ubergang von einem Syntagma zu einem Wort.“32 Aus diesem Grund fuhrt Univerbierung zu typischen Problemfallen in der Getrennt- und Zusammenschreibung.

Bei der Inkorporation wird ein (meist nominaler) Wortstamm mit einem Verb kombiniert. Der inkorporierte Wortstamm verliert seine syntaktische Selbststandigkeit, es entsteht ein komplexes Verb. Das Muster der Inkorporation von Adjektiven ist besonders produktiv. Es beruht auf der Funktion des Adjektivs als Objektspradikativ zu transitiven Verben. Bei der Inkorporation von Adjektiven „gibt es immer beides, das Wort (Zusammenschreibung) und das Syntagma (Getrenntschreibung).“33

2.3 Definition Syntagmen

In ihrem Buch „Zwischen Wort und Syntagma“34 schreibt Nanna Fuhrhop uber die Zweifelsfalle in der Getrennt- und Zusammenschreibung des Deutschen. Diesen liegt haufig der Zweifel uber den Wortstatus der jeweiligen Verbindung zugrunde. 1st eine Verbindung ein Wort, wird sie zusammen geschrieben, liegt hingegen ein Syntagma vor, spricht dies fur die Getrenntschreibung.

Haufig ist es jedoch so, dass die Verbindungen sowohl Worteigenschaften, als auch Syntagmeneigenschaften haben. Gerade diese Zweifelsfalle fuhren auch zur Unsicherheit in der Getrennt- und Zusammenschreibung. Der Schreiber muss jedoch jedes Mal eine konkrete Entscheidung fallen, denn er „kann nicht halb getrennt und halb zusammenschreiben“35, er muss sich fur eine Variante entscheiden.

Nun stellt sich zunachst einmal die Frage, was ein Syntagma ist und wie man es vom Wort unterscheidet.

Bereits 1983 findet sich ein Eintrag in einem Verzeichnis der grammatischen Terminologie. Ein Syntagma sei die „nachstniedere Einheit nach dem Satz; syntaktisch zusammengehorige Wortgruppe; was ein Syntagma bildet, muss von Fall zu Fall entschieden werden; in der Regel besteht es aus zwei Komponenten, einer uber- und einer untergeordnetenF36

Nach dieser Definition wissen wir immerhin schon, dass es sich um eine Wortgruppe handelt, deren Bestandteile syntaktisch in Relation stehen und die eine Hierarchie beinhalten kann.37

Im Lexikon der Sprachwissenschaft findet man fur „Syntagma“ folgenden Eintrag:

„Durch Segmentierung gewonnene, strukturierte, aber noch unklassifizierte Folge von sprachlichen Ausdrucken, die aus Lauten, Wortern,

Wortgruppen, Teilsatzen oder ganzen Satzen bestehen kann.“38

Dies bringt uns dem Begriff des Syntagmas schon naher, ist aber noch recht allgemein gefasst. Zumal fur die Betrachtung der Problemfalle der Getrennt- und Zusammenschreibungen eher Wortgruppen und keine ganzen Satze ins Zentrum des Interesses rucken.

Im Metzler-Lexikon Sprache wird der Syntagmen-Begriff recht ausfuhrlich erlautert. Dort heiBt es:

„Ein >>syntagme<< ist nicht nur eine Abfolge von Wortern, sondern eine Gruppe von syntaktisch zusammengehorenden Wortern, wobei die syntakt. Zusammengehorigkeit mit den Mitteln der Distributions- oder Konstituentenanalyse festgestellt wird. [...] Auch komplexe Worter konnen, sofern sie transparent sind, als S. aufgefasst werden. In diesem Sinne kann man auch ein mit Flexionsendungen versehenes Wort (eine bestimmte >>Wortform<<) als >>gramm. geformtes Syntagma<< betrachten. In der frz. Wortbildungsforschung wird oft >>syntagme<< als neutraler Begriff verwendet, [...] wenn man vermeiden mochte, solche (auseinander geschriebenen) komplexen Ausdrucke als >>Wort<< zu bezeichnen.“39

Fur diese Arbeit ist besonders der letzte Hinweis treffend. Ein komplexer Ausdruck, wie beispielsweise eine Adjektiv-Verb-Verbindung (siehe Kapitel 4), kann sowohl ein Wort, aber auch ein Syntagma sein. Dies hat dann entsprechend Einfluss auf die Getrennt- und Zusammenschreibung der jeweiligen Verbindung.

Frau Fuhrhop bezeichnet Syntagmen als „Nicht-Worter“. Dies ist insofern nicht so hilfreich, als dass es auch noch andere Phanomene gibt, die keine Worter und deswegen trotzdem nicht automatisch Syntagmen sind. AuBerdem sollte man nicht versuchen etwas zu erklaren, indem man sagt was es nicht ist. Allerdings stellt Frau Fuhrhop vier mogliche Eigenschaften fur die Beschreibung von Syntagmen vor, und wird damit schon wesentlich konkreter, als dies bei den Definitionen der einzelnen Lexika der Fall ist:

„1. Jede einzelne lexikalische Einheit bekommt eine Konstituentenkategorie zugewiesen und ist damit ein syntaktisches Wort.
2. Jede einzelne syntaktische Einheit steht in grammatischen Relationen zu anderen Einheiten im Satz. Diese konnen insbesondere syntaktische Relationen sein.
3. Verschiedene weitere Verhaltensweisen liefern Hinweise zur Selbststandigkeit oder Nicht-Selbststandigkeit der jeweiligen Einheit, z.B. ,Vorfeldfahigkeit’ usw.
4. Hingegen konnen andere Kriterien eine besonders enge Zusammengehorigkeit zweier Einheiten zeigen, zum Beispiel Wortstellungsphanomene.“40

Die Merkmale eins und zwei geben Hinweise, nach welchen Kriterien eine einzelne syntaktische Einheit ein Wort, also dementsprechend kein Syntagma, sein konnte. Insbesondere 2. macht deutlich, dass man sich immer die gesamte syntaktische Umgebung und nicht nur die Verbindung selbst ansehen muss, um die Wortartigkeit der Verbindung bewerten zu konnen. Je nach Kontext konnen und mussen einzelne syntaktische Einheiten unterschiedlich interpretiert werden. „In einem Satz wie ich fange die Bonbons auf ist auf in einer ublichen Interpretation keine Proposition: es ist nicht Bestandteil einer Prapositionalgruppe, es regiert kein Nominal, wie zum Beispiel ich fange die Bonbons auf dem Karnevalszug.“41 Die Konstituentenkategorie, die einer syntaktischen Einheit zugewiesen ist, ist also nicht immer gleich, sondern entspricht den jeweiligen grammatischen Relationen zu anderen Satzeinheiten.

Die unter 3. und 4. aufgefuhrten Eigenschaften setzen umfangreiche Untersuchungen der Verbindungen voraus. Diese Untersuchungen bezuglich der Selbststandigkeit oder Unselbststandigkeit der Einheiten hat Frau Fuhrhop im Rahmen verschiedener Tests durchgefuhrt, auf die ich in Kapitel 4.2 naher eingehen werde.

Was verbindet also die bisher genannten Definitionen des Syntagmenbegriffs miteinander? Zusammenfassend konnte man festhalten, dass ein Syntagma aus mindestens zwei einzelnen syntaktischen Einheiten besteht, die zueinander in einer grammatischen Relation stehen, wobei jedoch, im Gegensatz zum komplexen Wort, beide Einheiten selbststandig sind und somit auseinander geschrieben werden.

2.4 Zwischenergebnis

Obwohl es keine einzig richtige, allumfassende Antwort auf die Frage „Was ist ein Wort?“ gibt, denke ich, dass im vorangegangenen Kapitel der Begriff des Wortes etwas klarer geworden ist.

Die verschiedenen Strukturebenen des Wortes wurden vorgestellt, was zu einem tieferen Verstandnis des Wortbegriffs fuhrt. In den folgenden Kapiteln wird es vorrangig um das graphematische Wort und um dessen Bedeutungsebene gehen. Da die Ebenen jedoch an manchen Stellen miteinander verknupft sind (siehe Kapitel 2.1.5), reicht es meiner Meinung nach nicht, nur die graphematische Ebene zu erlautern.

Weiterhin wurde ausfuhrlich dargestellt, aufgrund welcher Prozesse Worter entstehen konnen. Dieses Grundwissen wird im folgenden Kapitel besonders wichtig werden, wenn es um die Getrennt- und Zusammenschreibung geht. Es wird sich zeigen, dass Ausdrucke, welche durch morphologische Bildungsprozesse entstanden sind, als Worter definiert werden, was damit ein Kriterium fur die Zusammenschreibung des Ausdrucks ist. Um das Vorliegen einer morphologischen Bildung erkennen zu konnen, muss man naturlich die einzelnen Bildungsprozesse vor Augen haben. Da es bei der Getrennt- und Zusammenschreibung um die Gegenuberstellung des Wortes und des Syntagmas geht, wurde auch dieser Begriff im vorliegenden Kapitel naher erlautert. Somit ist jetzt der theoretische Grundstein gelegt, um im Folgenden mit der Untersuchung der Getrennt- und Zusammenschreibungsregeln beginnen zu konnen.

3. Wortbildungsprinzip, Relationsprinzip

Grundsatzlich kann man sagen, dass (graphematische) Worter zusammengeschrieben werden, wohingegen Syntagmen (siehe Kapitel 2.3) getrennt zu schreiben sind. Bei den komplexen Wortern, die morphologisch einfachen werden ohnehin zusammen geschrieben, entstehen jedoch oftmals Zweifelsfalle, in denen der Wortstatus der Verbindung nicht ganz eindeutig ist.

In Fuhrhop 200642 werden zwei Regelungen vorgestellt, welche die Zuordnung erleichtern sollen:

(1) Das Wortbildungsprinzip: ,Verbindungen’ aus zwei oder mehr Stammen werden zusammengeschrieben, wenn sie aufgrund einer Wortbildung miteinander verbunden sind.
(2) Das Relationsprinzip: Einheiten, die syntaktisch nicht analysierbar sind, das heifit insbesondere, die nicht in syntaktischer Relation zu anderen Einheiten im Satz stehen, sindBestandteile von Wortern. Dies fuhrt zur Zusammenschreibung.43

Was den Kernbereich der Getrennt- und Zusammenschreibung betrifft, so sind die Verbindungen recht eindeutig, da es sich in vielen Fallen um Komposita und damit um die Ergebnisse produktiver Wortbildungsprozesse handelt. Es liegt somit nur eine mogliche Schreibweise vor. Je nach Kontext ist jedoch fur manche Kompositionen sowohl eine Interpretation als Wortbildung, als auch eine syntaktische Analyse moglich. Hier muss sich die Anwendung des Relationsprinzips oder des Wortbildungsprinzips nach der semantischen Umgebung der Komposition richten.

Die Zweifelsfalle in der Getrennt- und Zusammenschreibung entstehen haufig dadurch, dass sich die beiden Prinzipien entweder widersprechen, oder nicht anwendbar sind. Hier muss abgewogen werden, welches Prinzip starker zutrifft. In Kapitel 2.2 wurde bereits aufgefuhrt, dass es starkere und schwachere, bzw. produktive und weniger produktive Wortbildungsprozesse gibt. Beispielsweise die „Ruckbildung ist ein ,schwacher’ Wortbildungsprozess, die Verb-Objekt-Beziehung ist eine ,starke’ syntaktische Relation; daher gewinnt hier das Relationsprinzip.“44 Je nach Verbindung setzt sich mal das eine Prinzip durch und mal das andere.

Die von Frau Fuhrhop entwickelten Prinzipien sind bislang in keinem Regelwerk zu finden, da dieser Bereich, so Fuhrhop, bisher nicht explizit geregelt sei.

3.1 Spatiensetzung im Deutschen

Spatien, umgangssprachlich auch „Leerstellen“ genannt sind „Zwischenraume zwischen graphischen Wortern in Alphabetschriften.“45 Sie markieren die Wortgrenzen. Die Getrennt- und Zusammenschreibung (GZS) von Ausdrucken erfolgt durch das Setzen von Spatien. Im Folgenden werden ein Buch (2005)46 sowie ein Aufsatz (2007) von J. Jacobs vorgestellt, die untersuchen, welche GesetzmaBigkeiten der GZS zugrunde liegen und in welcher Rangordnung diese Gesetze zueinander stehen. Dies wird im Sinne der Optimalitatstheorie (OT) interpretiert.

3.1.1 Spatiensetzung nach der ALT-GZS

Die ALT-GZS, also die Getrennt- und Zusammenschreibung vor der Rechtschreibreform, folgte im Wesentlichen zwei Regeln, deren Rangordnung durch O1 festgelegt ist.

Die erste Regel (ZUS-MORPH) betrifft die Zusammenschreibung in morphologischen Bildungen:

(1) „Wenn X und Y Teilausdrucke eines morphologisch gebildeten Ausdrucks sind, gibt es zwischen <X> und <Y> kein Spatium.“

Dies entspricht sinngemaB dem bereits erlauterten Wortbildungsprinzip (Kapitel 2).

Die zweite Regel (GETR-AUSDR) betrifft die Getrenntschreibung von Teilausdrucken:

(2) „Wenn X und Y Teilausdrucke sind, liegt zwischen <X> und <Y> mindestens ein Spatium. “

Hierbei stehen <X> und <Y> fur die Graphemfolgen, die den Teilausdrucken X und Y entsprechen. Wie bereits in Kapitel 2 erwahnt wurde, konnen derartige Regelungen sich in Einzelfallen widersprechen, wodurch Zweifelsfalle der GZS entstehen. Hier muss nach der Starke der Prinzipien entschieden werden. Es ist also eine Rangordnung der Gesetze notwendig. Fur die eben erklarten Regeln, wird dies in O1 festgelegt:

(O1) „ZUS-MORPH >> GETR-AUSDR

Die erste Regel ist also der zweiten uberlegen. GETR-AUSDR wird nur dann angewandt, wenn sie nicht in Konflikt mit ZUS-MORPH steht.

3.1.2 Spatiensetzung nach der NEU-GZS

Mit der Rechtschreibreform sind zwei weitere, die GZS betreffende, GesetzmaBigkeiten entstanden. Diese Regelungen drangen die Dominanz von ZUS-MORPH zuruck und verstarken den Trend der Getrenntschreibung.

Die dritte Regel (GETR-BEW) fuhrt das Kriterium der Beweglichkeit von Teilausdrucken ein:

(3) „Wenn die Teilausdrucke X oder Y eines Verbs bewegt werden konnen, liegt zwischen <X> und <Y> mindestens ein Spatium.“

Die vierte Regel (GETR-PARTIZIP) schreibt die Getrenntschreibung fur jene Partizipialkomplexe vor, zu denen es einen trennbaren Infinitivkomplex gibt:

(4) „Wenn es zu einem partizipialen Komplex XYpartizip einen strukturell entsprechenden infinitivischen Komplex XYinf gibt, der getrennt zu schreiben ist, liegt zwischen <X> und <Ypartizip> mindestens ein Spatium.“

Die beiden neuen GesetzmaBigkeiten stehen in der Rangfolge uber den bisherigen Regeln, wobei ZUS-MORPH wie bisher GETR-AUSDR uberlegen ist:

(O2) „GETR-BEW, GETR-PARTIZIP >> ZUS-MORPH >> GETR-AUSDR Viele der Verbindungen, die nach der alten Regelung zusammengeschrieben wurden, werden aufgrund der Dominanz von GETR-BEW nun getrennt. Nach O2 werden also Worter, die aus einer morphologischen Bildung entstanden sind, getrennt geschrieben, wenn sie ein bewegliches Teilglied enthalten. Dies ist beispielsweise bei kopfstehen der Fall. Hierbei handelt es sich um eine Ruckbildung aus Kopfstand, daher wurde es bisher zusammengeschrieben. Aufgrund von GETR-BEW musste nun jedoch Kopf stehen geschrieben werden.

[...]


1 Meibauer, Jorg: Einfuhrung in die germanistische Linguistik. S. 117

2 Eisenberg, Peter: Das Wort. In: Grundriss der deutschen Grammatik. S. 100

3 Ebd. S. 33

4 Meibauer, Jorg. S. 117

5 Porings, Ralf / Schmitz, Ulrich: Sprache und Sprachwissenschaft. Eine kognitiv orientierte Einfuhrung. S. 130

6 Meibauer, Jorg. S. 115

7 Jacobs, Joachim: Skript zur Vorlesung „Grundbegriffe der Morphologie“ im Sommersemester 2007

8 Meibauer, Jorg. S. 18

9 Ebd. S. 17

10 Jacobs, Joachim: Skript zum Hauptseminar „Worter“ im Sommersemester 2007

11 BuBmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. 3. Auflage. Stuttgart 2002. S. 750

12 Meibauer, Jorg. S. 17

13 Jacobs, Joachim: Skript zum Hauptseminar „Worter“ im Sommersemester 2007

14 Eisenberg, Peter. S. 306

15 Eisenberg, Peter. S. 307

16 Ebd. S. 307 - 309

17 Jacobs, Joachim: Skript zur Vorlesung „Grundbegriffe der Morphologie“ im Sommersemester 2007

18 Eisenberg, Peter: Das Wort. In: Grundriss der deutschen Grammatik Band 1. Stuttgart 2006

19 Meibauer, Jorg: Einfuhrung in die germanistische Linguistik. Stuttgart 2002

20 BuBmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. 3. Auflage. Stuttgart 2002

21 Eisenberg, Peter S. 232

22 BuBmann, Hadumod S. 158

23 Fleischer, W./Barz, I.: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tubingen 1992.

24 BuBmann, Hadumod S. 155

25 Naumann, B.: Einfuhrung in die Wortbildungslehre des Deutschen. 2. Auflage. Tubingen 1986. S.23

26 Eisenberg, Peter S. 295

27 Meibauer, Jorg S. 65

28 Altmann, Hans / Kemmerling, Silke: Wortbildung furs Examen. 2. Auflage. Gottingen 2005. S. 65

29 Fuhrhop, Nanna: Orthografie. 2. Auflage. Heidelberg 2006. S. 82

30 Fuhrhop, Nanna: Orthografie. S. 67

31 BuBmann, Hadumod S. 722

32 Fuhrhop, Nanna: Orthografie. S. 66

33 Eisenberg, Peter S. 337

34 Fuhrhop, Nanna: Zwischen Wort und Syntagma. Zur grammatischen Fundierung der Getrennt- und Zusammenschreibung. Tubingen 2007

35 Ebd. S. 158

36 Raasch, Albert: grammatische Terminologie. Tubingen 1983. S. 229

37 BuBmann, Hadumod S. 675

38 Gluck, Helmut (Hrsg.): Metzler-Lexikon Sprache. Stuttgart 2005. S. 625

39 Fuhrhop, Nanna: Zwischen Wort und Syntagma. S. 14

40 Ebd. S. 15

41 Fuhrhop, Nanna: Orthografie. 2. Auflage. Heidelberg 2006.

42 Ebd. S. 57

43 Ebd. S. 74

44 Buflmann, Hadumod. S. 611

45 Jacobs, Joachim: Spatien. Zum System der Getrennt- und Zusammenschreibung im heutigen Deutsch.. Berlin 2005

46 Jacobs, Joachim: Vom (Un-)Sinn der Schreibvarianten. In: Zeitschriftfur Sprachwissenschaft. 26 (2007) S. 43 - 80

Ende der Leseprobe aus 84 Seiten

Details

Titel
Zum Wortstatus von Adjektiv-Verb-Verbindungen
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
84
Katalognummer
V148592
ISBN (eBook)
9783640593392
ISBN (Buch)
9783640593682
Dateigröße
2033 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wortstatus, Adjektiv-Verb-Verbindungen
Arbeit zitieren
M.A. Eva Weigand (Autor:in), 2009, Zum Wortstatus von Adjektiv-Verb-Verbindungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148592

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