Gemeinschaftliche Forschung und Entwicklung (F&E) der Unternehmen spielt im Wirtschaftsleben eine wichtige Rolle. Neben vordergründigen positiven Effekten für die wirtschaftliche Entwicklung birgt gemeinschaftliche F&E aber auch Risiken, die sich in Wettbewerbsbeschränkungen realisieren können.
Im Rahmen der vorliegenden Bachelorarbeit wird analysiert, unter welchen Bedingungen eine F&E-Kooperation zu einer kartellrechtlich relevanten Wettbewerbsbeschränkung führen kann. Eine F&E-Kooperation wird nur in seltenen Fällen eines unmittelbaren Marktbezuges eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken können, oft kann allenfalls von einem Bewirken von Wettbewerbsbeschränkungen die Rede sein. Dabei spielen verschiedene Umstände innerhalb einer F&E-Kooperation sowie die Situation, in die sie eingebettet ist, die Rolle von moderierenden Variablen: Sie können wettbewerbliche Risiken einer F&E-Kooperation entweder abfangen oder im Gegenteil auf einen kartellrechtlich relevanten Grad verstärken. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt darin, diese Einflussfaktoren zu bestimmen, zu systematisieren und ihre wettbewerblichen Wirkungen aufzuzeichnen.
Aus praktischer Sicht bedeutsame Fragen stellen sich im Hinblick auf Freistellungsmöglichkeiten einer kooperationsbedingten Wettbewerbsbeschränkung. Schwierigkeiten bei der Abwägung der Vor- und Nachteile einer F&E-Kooperation ergeben sich nicht nur aus der Tatsache, daß F&E-Ergebnisse schwer zu prognostizieren sind, sondern vor allem daraus, daß man gezwungen ist, unterschiedliche nicht quantifizierbare Größen in die Waagschalen der jeweiligen Entscheidung zu legen. Es handelt sich regelmäßig um eine Abwägung zwischen „Äpfeln und Birnen“, die in einem anderen Rechtsgebiet schon für unmöglich erklärt worden ist. Es liegt auf der Hand, daß diese Abwägung nicht mit mathematischen Mitteln, sondern aufgrund bestimmter Wertmaßstäbe zu erfolgen hat. Eine Verordnung der Europäischen Kommission über F&E-Kooperationen enthält solche Wertmaßstäbe. Die Arbeit bemüht sich im zweiten Schwerpunkt, diese Wertentscheidungen aus dem Verordnungstext zu extrahieren.
Gliederung
Literaturverzeichnis
Abbildung 1
Abbildung 2
A. Fragestellung und Definitionen
I. Rechtlicher Rahmen
II. Gang der Untersuchung
III. Forschung und Entwicklung: Begriff und Bedeutung
1. Definition
2. Wirkungsfeld von F&E
3. F&E und Wettbewerb
IV. Kooperation in F&E: Begriff und Bedeutung
1. Definition
a) Unternehmen
b) rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit
c) Zusammenarbeit
d) gemeinsamer Zweck
e) andere Merkmale und Abgrenzungen zu anderen Kooperationen
2. Begriffserweiterung um Verwertungs- und Lieferregeln
3. Vorteile und Risiken einer F&E-Kooperation
B. Voraussetzungen einer Wettbewerbsbeschränkung durch F&E-Kooperationen
I. Vereinbarung i.S.v. Art. 81 I EGV
II. Vertikale und horizontale Kooperationen
III. Wettbewerbsbeschränkung
1. Verschleierung eines Hardcore-Kartells
2. Wettbewerbsbeschränkung inter pares auf Innovationsmärkten
3. Wettbewerbsbeschränkung inter pares auf Produktmärkten
a) Wettbewerbsbeschränkung in der F&E-Phase
aa) Unbedenklichkeitsgründe
(1) fehlendes Wettbewerbsverhältnis
(2) Unfähigkeit der Durchführung eigener F&E
(3) vertikale Kooperationen
(4) Ausblick
bb) Feststellung einer Wettbewerbsbeschränkung
(1) Einflussfaktor Marktbeschaffenheit
(a) statische Analyse
(b) Verhaltensanalyse
(c) Produktbeschaffenheit
(d) Marktphase
(e) Zusammenfassung und Beispiele
(2) Einflussfaktor Art der Kooperation (insb. Umfang und Dauer der Zusammenarbeit)
(3) Einflussfaktor Marktnähe
b) Wettbewerbsbeschränkung in der Verwertungsphase
c) Wettbewerbsbeschränkung in der Lieferphase
4. Wettbewerbsbeschränkung inter pares auf Forschungsmärkten
a) Wettbewerbsbeschränkung in der F&E-Phase
aa) Unbedenklichkeitsgründe
bb) Feststellung einer Wettbewerbsbeschränkung
(1) permanent unmittelbare Marktnähe
(2) Bezweckung einer Wettbewerbsbeschränkung durch „Vollkooperation“
(3) Bewirkung einer Wettbewerbsbeschränkung durch Kostenangleichung
(4) andere Wirkungen auf den Wettbewerb
b) Wettbewerbsbeschränkung in der Verwertungsphase
c) Wettbewerbsbeschränkung in der Lieferphase
5. Beschränkung von Wettbewerbsmöglichkeiten Dritter (Marktabschottung)
6. Nebenabreden
7. Andere Abreden
C. Spürbarkeit
D. Freistellung nach Art. 81 III EGV
I. Effizienzgewinne für Kunden
1. Plausibilität spezifischer Vorteile
a) Kosteneinsparungen
b) qualitative Rationalisierungswirkungen
2. Abwägungsschwierigkeiten
3. genereller Maßstab: Ausblick
II. Unerlässlichkeit der Beschränkung
III. Kein Ausschluß wesentlichen Wettbewerbs
E. Freistellung nach der F&E-VO
I. Spezifische Vorteile einer F&E-Kooperation
1. Vorteile in der gemeinschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsphase
2. Vorteile in der gemeinschaftlichen Verwertungsphase
II. Abwägung mit wettbewerblichen Nachteilen einer Kooperation
1. Abwägung in der gemeinschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsphase
2. Abwägung in der gemeinschaftlichen Verwertungs- bzw. Lieferphase
a) Grundsätzliche Abwägung am Marktanteil
b) „Schonfrist“
c) Abwägungsregeln für besondere Abreden
III. Unerlässlichkeit der Beschränkung
IV. Ausschaltung des Wettbewerbs
V. Behandlung von besonderen Abreden
VI. Ausblick
F. Freistellung von Mittelstandskartellen nach §3 GWB
G. Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Kausalität zwischen F&E-Ergebnissen und Wettbewerbsfaktoren
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Beschränkung des Wettbewerbs durch F&E-Kooperation
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A. Fragestellung und Definitionen
I. Rechtlicher Rahmen
Die Rechtsgrundlage für die kartellrechtliche Beurteilung von Kooperationen in Forschung und Entwicklung (F&E-Kooperationen) sind §§1 ff. GWB und Art. 81 EGV. In Art. 3 I, II der unmittelbar geltenden und dem nationalen Recht vorrangigen Verordnung Nr. 1/20031 wird bestimmt, daß bei der rechtlichen Würdigung der Sachverhalte mit innergemein- schaftlichem Bezug das nationale und das europäische Kartellrecht nebeneinander anwendbar seien und daß das nationale Kartellrecht nicht zu ungünstigeren Rechtsfolgen für die Betroffenen führen darf. Damit wird im Ergebnis jeder Fall mit zwischenstaatlichem Bezug nach den Maßstäben des europäischen Rechts entschieden. Bei fehlendem Gemeinschaftsbezug darf nationales Recht selbstverständlich ohne eine Einschränkung angewendet werden. Der Wille des deutschen Gesetzgebers war es aber, §§ 1 und 2 GWB dem Art. 81 EGV inhaltlich anzugleichen2, deswegen muß man auch unterhalb der Schwelle der Zwischenstaatlichkeit davon ausgehen, daß das deutsche Recht zu den gleichen Ergebnissen führen wird wie das europäische, wenn es anwendbar wäre. Eine unterschiedliche Handhabung des GWB unterhalb der Zwischenstaatlichkeitsgrenze und darüber wäre sowieso nicht mit Art. 3 GG vereinbar3. Konsequenterweise hat der deutsche Gesetzgeber in §2 II GWB angeordnet, daß europäische Gruppenfreistellungsverordnungen nach Art. 81 III, 83 I, II b) EGV auch auf rein inländische Sachverhalte Anwendung finden sollen.
Da eine inhaltliche Eigenständigkeit des §§1 ff. GWB somit weitgehend nicht mehr besteht4, werden für die Zwecke dieser Arbeit die Fragen des zwischenstaatlichen Bezuges ausgeblendet, die Normen des EGV stell-vertretend für die deutschen Normen verwendet und grundsätzlich die europäische Rechtspraxis berücksichtigt, da die frühere deutsche nach der Rechtsangleichung obsolet geworden ist. Einzig die Regeln des §3 GWB für Freistellungen kleiner und mittlerer Unternehmen vom Kartellverbot unterscheiden das nationale Kartellrecht noch von dem europäischen. Darauf wird zum Schluß (im Abschnitt F) eingegangen.
II. Gang der Untersuchung
Bei der Anwendung eines Kartellverbots auf eine F&E-Kooperation kommt es darauf an, ob eine Kooperation eine vom Art. 81 EGV erfasste Handlungsform darstellt (Abschnitt B, Ziff. I und II), ob und wann sie eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt bzw. bewirkt (Abschnitt B, Ziff. III), die spürbar ist (Abschnitt C). Weitergehend stellt sich die Frage nach einer möglichen Freistellung einer Kooperation vom Kartellverbot (Abschnitte D, E und F). Bei der Behandlung dieser Fragen sollen neben Literaturquellen, Entscheidungen von Gerichten und Kartellbehörden auch Bekanntmachungen der Kommission berücksichtigt werden. Durch diese Bekanntmachungen leistet die Kommission Hilfestellungen bei der Anwendung und Auslegung des EG-Rechts. Obwohl ihre Bekanntmachungen rechtlich unverbindliche Veröffentlichungen darstellen, beeinflussen sie in der Praxis prominent Entscheidungen von Unternehmen, nationalen Kartellbehörden und Gerichten, sodaß ihnen eine faktische Bindungswirkung zukommt, die der rechtlichen Bindung einer Verordnung ähnelt5. Das macht Kommissionsbekanntmachungen zu einer unverzichtbaren Auslegungshilfe bei der Anwendung des primären und sekundären EG-Rechts6. Eine ähnliche Rolle fällt bei rein nationalen Sachverhalten Bekanntmachungen des Bundeskartellamtes zu .
Als erstes soll aber der Gegenstand dieser Arbeit abgegrenzt werden.
III. Forschung und Entwicklung: Begriff und Bedeutung
1. Definition
In Art. 2 Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 2659/2000 der Kommission über die Anwendung von Art. 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung7 ist der Begriff Forschung und Entwicklung (F&E) definiert als: „[...] der Erwerb von Know-how und die Durchführung theoretischer Analysen, systematischer Studien und Versuche, einschließlich der versuchsweisen Herstellung und der technischen Prüfung von Produkten oder Verfahren, die Errichtung der dazu erforderlichen Anlagen und die Erlangung von Rechten an geistigem Eigentum an den Ergebnissen“. Diese Definition vermittelt nicht nur ein Verständnis von F&E als einem planvollen und schöpferischen Erwerb neuer wissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse8, sondern auch von den drei Ebenen der Erkenntnis im industriellen Kontext. Diese Ebenen sind:
- Grundl agenf orschung als Gewinnung neuer Erkenntnisse prinzipieller Art und ohne Rücksicht auf ihre praktische Anwendbarkeit,
- angewandte Forschung als Erkenntnisgewinn im Hinblick auf eine vorgegebene praktische Zielsetzung und
- Ent wi ckl ung als Anpassung der Kenntnisse an Produktion und Absatz, wozu Konstruktion, Modellbau, Herstellung von Prototypen gehören9.
Unternehmen können sich auf allen drei Ebenen der F&E einschließlich der nicht unmittelbar produktbezogenen Grundlagenforschung betätigen, wenn sie sich davon wirtschaftlich nützliche Ergebnisse versprechen. Als Beispiel industrieller Grundlagenforschung kann das Unternehmen Du Pont dienen, das Grundlagenstudien in der Chemie betrieben hat, die später zur Entwicklung von Nylon geführt haben10.
2. Wirkungsfeld von F&E
F&E kann sich auf Märkten von drei verschiedenen Typen auswirken11. Wenn F&E auf Verbesserung bestehender Produkte ausgerichtet ist, wird sie bestehenden Produkt m ärkt e betreffen; soweit sie zu Ergebnissen führt, die als geistiges Eigentum oder Know-how getrennt von materiellen Produkten gehandelt werden können, sind Märkte betroffen, die als Technologie- oder Forschungsmärkte bezeichnet werden; geht es bei einer F&E- Kooperation um völlig neue Produkte bzw. Erfindungen, kann sie auf Herstellung noch völlig unbekannter und nicht existierender Märkte gerichtet sein, man spricht in diesem Fall von I nnovat i onsm ärkt en.
3. F&E und Wettbewerb
Diese wirtschaftliche Bedeutung vor Augen werden F&E oft als wichtige eigenständige Parameter im dynamischen Prozeß des Wettbewerbs qualifiziert12. Es handele sich um das Wettbewerbsmittel einer „durch individuelle Forschung verbesserten Produktion“13. Ohne die Rolle von F&E im Wettbewerbsprozeß zu schmälern muß die Richtigkeit dieser Qualifizierung überprüft und der genaue Ort bestimmt werden, den F&E im Wettbewerb einnehmen. Mit Wettbewerbsparametern werden in dieser Arbeit übergreifende Eigenschaften von Angeboten in einem Markt verstanden, die deren Position gegenüber anderen Angeboten in demselben Markt identifizieren. Es sind solche Merkmale wie Preis, Ver-triebsort, Bekanntheit, das mitangebotene Service etc., an denen sich die Vorteilhaftigkeit eines Angebots gegenüber anderen vergleichbaren messen lässt. F&E sind dagegen genauso wie Produktion oder Vertrieb Prozesse, die innerbetrieblich verlaufen und die erst zu einem Ergebnis führen, das sich in einem Wettbewerbsparameter niederschlagen kann.
Genauso wie Produktion zu einer Menge und einer Qualität der Waren14, Vertrieb zu einem bestimmten Kundenkreis oder Absatzgebiet, so führt F&E in einem Produktmarkt zu einem „Neuerungsgrad“ der Waren, dem Innovationsgrad. Auf vielen modernen Märkten definieren Verbraucher die Qualität eines Angebots zunehmend über dessen Innovationsgrad. Deswegen kann man in dem Innovationswettbewerb eine spezifische Ausprägung des Qualitätswettbewerbs sehen. Da die Forschungsergebnisse, die Inventionen, erst in andere betriebliche Prozesse einfließen müssen, um als Innovationen auf Produktmärkte zu gelangen15, wird der Qualitäts- bzw. der Innovationswettbewerb von F&E nur mittelbar beeinflusst. Die mittelbare Wirkung von F&E auf Wettbewerbsparameter erschöpft sich allerdings nicht in der Beeinflussung des Innovationswettbewerbs. F&E kann z.B. durch Entwicklung neuer Technologien die Produktion verbilligen, was den Unternehmen einen Spielraum zur Preisgestaltung eröffnet. F&E kann damit Auswirkungen auf den Preiswettbewerb haben. F&E in der Werbung (von psychologischen Grundlagenstudien bis hin zum Konzipieren einer Werbekampagne) hat einen Einfluß auf die Wirksamkeit einer Werbung und den von der Werbung getragenen „Bekanntheitswettbewerb“. Diese Beispiele der Wirksamkeit von F&E auf verschiedene Wettbewerbsparameter lassen sich beliebig fortsetzen. So gesehen handelt es sich bei F&E um wichtige markt- und wettbewerbsbezogene Prozesse, deren Ergebnisse sich im Ergebnis anderer nachgeschalteter betrieblicher Prozesse wiederfinden und die Gestaltung der Wettbewerbsparameter mittelbar beeinflussen. Die anfangs geschilderte Vorstellung, F&E seien selbst Wettbewerbsparameter, ist dagegen begrifflich unscharf.
Einen ganz anderen Bezug hat F&E zu Forschungsmärkten, in denen Erfindungen und Know-how gehandelt werden. Dort stellen Forschungsergebnisse unmittelbar den Gegenstand des Geschäftsverkehrs dar, F&E-Prozesse haben dort als eine Art „Produktionsprozesse des Wissens“ einen unmittelbaren Bezug zu Wettbewerbsparametern Qualität, Menge u.a.16
Die beschriebenen Zusammenhänge sind in der Abbildung 1 graphisch dargestellt.
IV. Kooperation in F&E: Definition und Bedeutung
1. Definition
In der rechts- und wirtschaftswissenschaftlicher Literatur finden sich zahlreiche Definitionen einer F&E-Zusammenarbeit und einer unter-nehmerischen Kooperation schlechthin. Hier seinen nur zwei Beispiele genannt, die jeweils einem der beiden Wissensgebiete entstammen:
F&E-Kooperationen bedeuten „alle Formen der Zusammenarbeit zwischen selbständigen Unternehmen [...], bei denen die Partner einen gemeinsamen Zweck verfolgen, insofern sie gemeinschaftlich einer Forschungsfrage nachgehen oder ein Entwicklungsproblem lösen“17 ;
„[d]ie Kooperation ist eine Form der freiwilligen zwischenbetrieblicher Zusammenarbeit von mindestens zwei Unternehmen unter Wahrung wirtschaftlicher und rechtlicher Selbständigkeit. Auf Basis einer Kooperationsvereinbarung findet eine zweckorientierte Zusammenarbeit statt, die eine gemeinsame Erreichung eines oder mehrerer übergeordneter und nur gemeinsam erreichbarer Ziele anstrebt“18.
Diese Definitionen lassen die folgenden Merkmale erkennen, die eine Kooperation von anderen Formen menschlichen Zusammenwirkens unterscheiden:
a) Unternehmen
Im Hinblick auf kartellrechtliche Fragestellungen werden in dieser Arbeit nur Kooperationspartner berücksichtigt, die dem funktionalen Unternehmensbegriff des Kartellrechts entsprechen.
b) rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit
Aus Sicht der kartellrechtlichen Behandlung macht es Sinn, eine Zusammenarbeit zwischen miteinander verbundenen Unternehmen aus der Betrachtung auszuschließen. Denn das Kartellverbot des Art. 81 I EGV ist auf das Verhalten der Teilnehmer einer wirtschaftlichen Einheit nicht anwendbar, innerhalb derer diese nicht autonom handeln, sondern die Anweisungen anderer Teilnehmer befolgen müssen19. Der freie Wettbewerb kann nämlich nur dort beschränkt werden, wo es ihn überhaupt zunächst gegeben hat20. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine rechtliche oder eine wirtschaftliche Handlungsautonomie handelt21. Es erscheint im Falle drohender Konzernbildung, die zu einer dauerhaften Einschränkung der Handlungsfreiheit von Unternehmen führen kann, zweckmäßiger zu sein, das verbleibende Instrument einer generellen Fusionskontrolle anzuwenden22, und einen auf Folgeerscheinungen einer Konzernbildung gerichteten Kartellverbot außer Acht zu lassen.
c) Zusammenarbeit
Der Begriff einer Zusammenarbeit schließt ein Auftragnehmer-Auftraggeber-Verhältnis zwischen den Beteiligten aus, denn ein solches ist auf einen Austausch von entgegen gerichteten Leistungen gerichtet, während eine Zusammenarbeit die Anstrengungen der Partner in einer gemeinsamen Ausrichtung bündelt. Zu denken ist in erster Linie an Projekte, bei denen die Partner eine gemeinsame Arbeitsgruppe bilden oder gemeinsam eine Forschungsanlage betreiben.
Damit ist eine F&E-Kooperation von einer Forschung und Entwicklung auf Bestellung abzugrenzen, bei der ein Besteller ein Produkt oder ein Verfahren23 gegen Bezahlung der Entwicklungsarbeit entwickeln lässt. Daß auch bei diesem Vertragsverhältnis den Besteller bestimmte Mitwirkungspflichten treffen (Zuleitung technischer Spezifikationen, Probelauf bei der Abnahme etc.) lassen nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich hierbei um einen bloßen Werkvertrag bzw. Werklieferungsvertrag handelt.
Eine eigene Kategorie bildet sog. vertikale F&E-Zusammenarbeit zwischen Unternehmen unterschiedlicher Produktions- oder Handelsstufen bei der ein Zulieferer eine bestimmte Komponente passend zu einem Produkt eines Abnehmers entwickelt24. Zwar kann es sich auch hier um eine Zusammenarbeit im herkömmlichen Sinn handeln, wo der spätere Zulieferer und der spätere Abnehmer gemeinsam F&E-Tätigkeiten ausführen25 ; häufig handelt es sich jedoch um Werklieferverträge mit vorgeschalteter Entwicklung26, bei denen der Zulieferer die alleinige Entwicklung nach Spezifikationen des Abnehmers und in einer Abstimmung mit ihm vornimmt und sich die Entwicklungskosten durch eine spätere Abnahme der Komponenten bezahlen lässt, während der spätere Abnehmer die Zulieferteile in seine eigenen Produkte integrieren will. Da diese Art Arbeitsteilung schon sehr nah an der Grenze zur Auftragsforschung bzw. Auftragsentwicklung liegt, war früher umstritten, ob sie überhaupt als eine F&E-Zusammenarbeit angesehen werden konnte27. Schließlich ist kein qualitativer Unterschied damit verbunden, ob ein Zulieferer seine Entwicklungskosten auf die Lieferpreise verteilt oder sich diese vom Abnehmer unmittelbar bezahlen lässt. Ein Unterschied zur Auftragsentwicklung ist aber nicht zu übersehen: Während bei einer Auftragsentwicklung der Auftraggeber Eigentums- oder Lizenzrechte an den Entwicklungsergebnissen erwirbt, ist es bei der hier behandelten Arbeitsteilung gerade nicht der Fall28. Der Abnehmer erwirbt hier zu-nächst keine Rechte an F&E-Ergebnissen, muß aber
dem Partner sehr wohl Einblicke in seine eigenen Technologie, Patente etc. gewähren, um die Entwicklung des Zulieferteils möglich zu machen. Der Abnehmer hat infolgedessen nicht nur ein wettbewerbliches Interesse, daß sein Partner diese Background-Technologien geheim hält, sondern daß der Partner auch keine Erzeugnisse eigenständig in den Markt bringt, die auf diesen Background-Technologien aufbauen. Das besondere Schutzinteresse des Auftraggebers macht hier aus einem Füreinander (einem Austauschverhältnis) ein Miteinander der Partner (gemeinsamen Tun). Deswegen stellen solche vertikalen F&EVereinbarungen eine Form der F&E-Zusammenarbeit dar29.
d) gemeinsamer Zweck
Darüber hinaus muß es sich um eine Zusammenarbeit zu einem gemeinsamen Zweck der F&E handeln. Es sind nämlich Fälle vorstellbar, wenn Unternehmer eine gemeinsame Forschungseinrichtung betreiben, um sich deren Betriebskosten zu teilen, und jeder von ihnen die Einrichtung für eigene Zwecke nutzt, indem er dort eigene Forschungsprojekte durchführt. Der gemeinsame Betrieb einer solchen Einrichtung stellt aber keinen gemeinsamen Zweck dar, denn eine ggf. gemeinsame Kostentragung und Verwaltung der Einrichtung ist die gesetzliche Folge einen Bruchteilsgemeinschaft (§§742, 744, 749 BGB) die sich in diesen Rechtsfolgen erschöpft. Obwohl auch eine Bruchteilsgemeinschaft an Forschungseinrichtungen wettbewerbsrechtliche Fragen aufwirft (Preisangleichungstendenz durch Vergemeinschaftung der Kosten; Aufteilung der Märkte bzw. Kunden im Falle einer Spezialisierung der Betreiber auf bestimmte Forschungsschwerpunkte u.ä.), haben diese Fragestellungen keine spezifische Beziehung zu F&E, sondern treten immer dort auf, wo Betriebsmittel vergemeinschaftet werden. Deswegen sollen solche Gemeinschaften aus der vorliegenden Betrachtung ausgeschlossen werden. Die Gemeinsamkeit der F&E-Arbeit muß sich vielmehr in einem gemeinsamen Forschungsziel ausdrücken. Das Leitbild ist dabei die Schließung eines Gesellschaftsvertrages (§705 BGB) durch eine gemeinsame Zielvereinbarung und die Bestimmung der jeweiligen Beiträge der Partner. Es ist damit aber nicht ausgeschlossen, daß eine F&E-Kooperation auch ohne einen Rechtsbindungswillen, sondern rein faktisch, als Realakt zustande kommen kann.
[...]
1 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 Des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 EG niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003, L 1, S. 1.
2 Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB §1, Rn. 7.
3 Schroeder, in: Wiedemann, Kartellrecht, §8, Rn. 151.
4 vgl. Winzer, F&E-Verträge, Teil 1, Rn. 611.
5 Bechtold, EWS 2001, 49, 54; Polley/Seeliger, WRP 2001, 494, 496.
6 vgl. Lübbig, in: Wiedemann, Kartellrecht, §7, Rn. 53.
7 im folgenden: F&E-VO.
8 Fuchs, Forschungskooperation, S. 35.
9 Fuchs, Forschungskooperation, S. 35 ff.
10 Blaurock, FS - von Caemmerer, S. 478.
11 Schroeder in: Wiedemann, Kartellrecht, §8, Rn. 121.
12 vgl. nur Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB §1, Rn. 288; Gutermuth, in: FK, Art. 81 Abs. 1, 3 EG Fallgruppen F&E, Rn. 3; Schroeder, in: Wiedemann, §8, Rn. 120; Hansen, WuW 1999, 468; Winzer, F&EVerträge, Teil 1, Rn. 372.
13 Fuchs, Forschungskooperation, S. 185.
14 hier und weiter gilt die Bezeichnung „Ware“ auch für Dienstleistungen.
15 Zum Prozeß des technischen Wandels, der sich in Phasen Innovation (Erfindung neuer Problemlösungen), Invention (erstmalige Anwendung von Inventionen in einem neuen Produkt) und Diffusion (Ausbreitung der Neuerung durch Immitation): Fuchs, Forschungskooperation, S. 56.
16 Man müßte den Rahmen dieser Arbeit verlassen, um die Entwicklung der Diskussion über das Verhältnis von F&E und Wettbewerb nachzuzeichnen, die in der deutschen Literatur geführt worden ist. Schwerpunktmäßig betraf die Diskussion Fragen der grundsätzlichen wettbewerblichen Relevanz der F&E, ihrer unmittelbaren bzw. mittelbaren Marktbezogenheit, das Wesen eines Innovationswettbewerbs. Heute erscheint diese Diskussion teilweise ohne einen rechtlichen Bezug (Novellierung des §1 GWB und seine Angleichung an den Art. 81 EGV), teilweise theoretisch überholt (z.B. durch die heute übliche Unterscheidung zwischen Produkt-, Innovations- und Forschungsmärkten). Darstellung der Diskussion bei Axter in: Gemeinschaftskommentar, Anhang zu §§20, 21, Rn. 12 ff.; ebenfalls bei Fuchs, Forschungskooperation, S. 246 ff.
17 Hansen, WuW 1999, 468, 469.
18 Picot/Reichwald/Wiegand, Unternehmung, S. 21.
19 vgl. EuGH v. 24. 10. 1996, Slg. 1996 I, S. 5457, Tz. 16 f. „Viho/Komm.“; ebenso zum deutschen Kartellrecht: Schroeder, in: Wiedemann, Kartellrecht, §8, Rn. 17.
20 Schroeder, in: Wiedemann, Kartellrecht, §8, Rn. 3 f.
21 Schroeder, in: Wiedemann, Kartellrecht, §8, Rn. 9.
22 vgl. Schroeder, in: Wiedemann, Kartellrecht, §8, Rn. 6.
23 im folgenden werden mit Produkten auch Verfahren bezeichnet, die im Ergebnis einer F&E stehen.
24 Winzer, F&E-Verträge, Teil 1, Rn. 6.
25 wie bei der Entwicklung der Magnetschwebebahn durch die Unternehmen Siemens, Thyssen-Krupp und Daimler-Chrysler: Beispiel nach Winzer, F&E-Verträge, Teil 1, Rn. 7.
26 besonders verbreitet in der Automobilindustrie: Winzer, F&E-Verträge, Teil 1, Rn. 10 sowie Teil 2, Rn. 5.
27 vgl. Bahr/Loest, EWS 2002, 263, 264.
28 Winzer, F&E-Verträge, Teil 2, Rn. 9.
29 vgl. Art. 1 I i.V.m. Art. 2.11 lit. c) der F&E-VO, die eine vertikale Arbeitsteilung in Forschung, Entwicklung einerseits und Herstellung und Vertrieb andererseits als eine schutzwürdige F&E-Kooperation definieren.
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