Die Realität der Massenmedien als Soziales System nach Niklas Luhmann


Seminararbeit, 2003

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definition des Begriffes „Massenmedien“ nach Luhmann

3. Massenmedien als Soziales System
3.1 Von der Allgemeinen Systemtheorie zum Sozialen System
3.2 Sinn
3.3 Kommunikation und Operation
3.4 Autopoiesis
3.5 Beobachtung

4. Funktionsweise des Systems der Massenmedien
4.1 Entstehung des Systems Massenmedien
4.2 Systemgedächtnis
4.3 Themen
4.4 Programmbereiche
4.4.1 Nachrichten/Berichte
4.4.1.1 Nachrichten
4.4.1.2 Berichte
4.4.2 Werbung
4.4.3 Unterhaltung

5. Massenmedien in der gesellschaftlichen Funktion
5.1 Öffentlichkeit und gesellschaftliche Akzeptanz
5.2 Hintergrundwissen
5.3 Selbstbeobachtung

6. Zusammenfassung und Ausblick

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Als Niklas Luhmann 1996 seine „Realität der Massenmedien“ veröffentlicht, versucht er den Bereich der Massenmedien in Anlehnung an seine Theorie soziale Systeme näher zu beschreiben. Dies geschieht auf der Basis seiner funktional-strukturellen Allgemeinen Systemtheorie. Dabei geht es ihm weder um die Wahrhaftigkeit der Inhalte der Massenmedien, noch um die Manipulation oder Nichtmanipulation der Gesellschaft durch die Massenmedien, wie man durch den Titel der Arbeit vielleicht zunächst annehmen könnte.

„[Es] geht […] nicht mehr um die alte ontologische Dualität von Sein und Schein, […] Sondern es geht um ein Realitätsverständnis, das Realität als eine Zwei-Seiten-Form des „Was“ und „Wie“ annimmt – des, was beobachtet wird, und des, wie es beobachtet wird. Und das entspricht genau der Beobachtung von Kommunikation […].“ (Luhmann, S. 59)[1]

Zunächst werden grundlegende Begriffe und Konzepte der Theorie sozialer Systeme erläutert und dann jeweils spezifisch auf das soziale System der Massenmedien angewandt. Anschließend wird auf die luhmannsche Gesellschaftstheorie und auf die sich jeweils für die Massenmedien ergebende Bedeutung präziser eingegangen.

„Auf der Ebene der Gesellschaftstheorie akzentuiert Luhmann die Notwendigkeit, sich theoretisch von „Ganzheitsideen“, also Vorstellungen einer harmonischen Ordnung zueinander passender Teile, zu distanzieren. An deren Stelle tritt eine Analyse der Ausdifferenzierung eigengesetzlicher Funktionssysteme, [wie] des Wirtschaftssystems, des politischen Systems, des Wissenschaftssystems, des Rechtssystems, des Erziehungssystems, der Massenmedien, des Leistungssports sowie der Familien, die füreinander Umwelten bilden und die in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen.“(Papcke, S. 286)[2]

Daraus ergibt sich die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion der Massenmedien, auf die zum Schluss Bezug genommen wird.

2. Definition des Begriffes „Massenmedien“ nach Luhmann

Luhmann definiert die Massenmedien als "[…] alle Einrichtungen der Gesellschaft […], die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen." (Luhmann, S. 6)

Die Erzeugung und Verwendung von Manuskripten in großer Zahl, welche zum Beispiel Mönche durch Abschriften im Mittelalter produzierten, bezeichnet Luhmann genauso wenig als Massenmedium wie Versammlungen oder Aufführungen, die sozusagen „live“ vor großem Publikum stattfinden. Erst "[…] die maschinelle Herstellung eines Produktes als Träger der Kommunikation - aber nicht schon Schrift als solche […]" (Luhmann, S. 6) stellt für Luhmann den Einsatz von Massenmedien dar.

3. Massenmedien als Soziales System

3.1 Von der Allgemeinen Systemtheorie zum Sozialen System

Die Theorie die[3] Luhmann als Soziologen so wichtig und berühmt gemacht hat, wird als „Systemtheorie“ bezeichnet. Er lehnt sich dabei an die „Allgemeine Systemtheorie“ an, welche sich nach 1945 vor allem in den Naturwissenschaften interdisziplinär etabliert hat.

„Systemtheorie betreibt Luhmann immer als Theorie sozialer Systeme “ (Kaesler S. 209).

Den Mittelpunkt seiner Theorie bilden eine Reihe von Begriffen und Konzepte, die grundlegende Eigenschaften sozialer Systeme darstellen, z.B.: Sinn, Kommunikation, Autopoiesis und Beobachtung. Bei sozialen Systemen handelt es sich demnach unter anderem um autopoietische, beobachtende Sinnsysteme. Jede dieser Eigenschaften wird im Folgenden noch einmal kurz erläutert und jeweils die Anwendung auf die Massenmedien untersucht. Als Gerüst und Stütze dient mir dabei das Standardwerk „Klassiker der Soziologie“ von Dirk Kaesler.

3.2 Sinn

Im Rahmen der Theorie sozialer Systeme erhält der Begriff des Sinns eine wichtige Bedeutung. Laut Luhmann liegt die Besonderheit der sozialen Systeme in eben ihrer Sinnhaftigkeit.

„Sinn beschreibt die Spezifik der Operationsweise sozialer Systeme im Unterschied zu biologischen Systemen, physikalischen Systemen und Maschinen“ (Kaesler S. 210).

Das Paradigma Sinn bietet jedoch keine ausreichende Abgrenzungsmöglichkeit. Neben den sozialen Systemen operieren auch die psychischen Systeme mit Sinn und sind von dem her mit sozialen Systemen gekoppelt, obwohl die zwei Systeme als eigenständig und voneinander getrennt gelten.

Eine Unterscheidung zwischen psychischen und sozialen Systemen findet Luhmann indem er sich einer Methode aus der Physik bedient. Er zerlegt die Systeme in ihre einzelnen Elemente. Diese Zerlegung wird dann „[…] als Selbstspezifikation seiner Elemente durch das System beschrieben, die im Konstitutionsprozess des Systems erfolgt“ (Kaesler S. 211).

Luhmann bezeichnet diesen Prozess auch als Emergenz. Emergenz bezeichnet das Auftreten einer qualitativ neuen Ordnungsebene. Im konkreten Fall bezogen auf die Massenmedien ist diese neue Ordnungsebene die durch die Massenmedien selbst konstruierte Realität. Diese Realität der Massenmedien kann nicht allein aus den Umwelteinflüssen, die das System reizen, begründet werden.

Doch zurück zu dem Ergebnis der Abgrenzungsfrage zwischen sozialen und psychischen Systemen. Luhmann entwickelt die Theorie, dass das „[…] Prozessieren von Gedanken das elementare Geschehen in psychischen Systemen“ (Kaesler S. 211) ist. Er beschreibt diese Systeme deswegen eher als Bewusstseinssysteme. Als Elemente der Sozialsysteme bezeichnet Luhmann zunächst Handlung und das Erleben. Das Handeln wird dabei dem jeweiligen System zugerechnet, das man für diese Handlungen verantwortlich machen will. Das Erleben rechnet Luhmann der Welt zu und spricht in diesem Zusammenhang eher von Informationen über objektive Weltzustände. Um diese zwei Elemente zu trennen müsste allerdings eine Art Selektion stattfinden, welche wiederum ein wichtiger Bestandteil der biologischen oder physikalischen Systeme ist. In Luhmanns „Soziale[n] Systeme[n]“ von 1984 hat er sich dann endgültig für Kommunikation als die elementare Einheit der sozialen Systeme entschieden.

3.3 Kommunikation und Operation

Luhmann behandelt Kommunikation jedoch nicht als kleinste Einheit des Sozialsystems. Er spricht nur dann von Kommunikation, wenn diese eine Verknüpfung dreier wesentlicher Komponenten darstellt: Information, Mitteilung und Verstehen.

„Information ist in dem bei Gregory Bateson ausgearbeiteten Verständnis eine Differenz, die eine Differenz macht.“ (Kaesler S. 213)

D. h. es muss sich immer um einen neuen Sachverhalt handeln, der beim Empfänger einen Unterschied auslöst zu vorher. Von Kommunikation kann man nun aber erst dann sprechen, wenn diese Information von einem System mitgeteilt und schließlich auch noch von Jemandem verstanden wird. Dabei ist nicht entscheidend, ob das Verstehen des identisch mit dem ursprünglich gemeinten ist. Ob die Information richtig oder falsch verstanden wurde ist dann bereits Teil der Anschlusskommunikation.

Kommunikation besteht folglich aus Ereignissen.

„Das aber heißt, daß sie von verschwindender Dauer sind; kaum haben sie begonnen, sind sie schon wieder vorbei, und ein jedes Sozialsystem sieht sich mit dem strukturellen Imperativ konfrontiert, unablässig neue Ereignisse hervorzubringen und diese an die gerade vergehenden Ereignisse anzuschließen, damit das System nicht einfach deshalb aufhört, weil nichts mehr geschieht.“ (Kaesler S. 215)

Sinnsysteme wie die Massenmedien operieren also sinnhaft in Form eines geschlossenen Kommunikationszusammenhangs. Zu jedem Zeitpunkt existiert eine aktuelle Intention: Jeweils eine bestimmte Information, z.B. der erste Teil der Aufdeckung einer Politiker-Affaire, befindet sich im Aktualitätskern des Systems. Unter den Möglichkeiten befinden sich Anschlussinformationen wie z.B. weitere Enthüllungen oder ein erstes Teilgeständnis des Volksvertreters. Der Aktualitätskern wird immer sofort „ instabil“, muss sofort durch Neues ersetzt werden. Sinn sorgt für die Selektion einer der möglichen Anschlussinformationen als neuen Aktualitätskern und neuer möglicher, daran anschließbarer Informationen. Beispielsweise wäre dann die Information eines ersten Teilgeständnisses aktuell. Als mögliche Anschlussinformationen wären weiterhin die „weiteren Enthüllungen“[4] oder als neue Information der „ Selbstmord des Politikers“ auswählbar. Dieses sinnhafte Prozessieren übernimmt so die Funktion von Komplexitätsreduktion. Die Funktionsweise des Sinnsystems Massenmedien entspricht somit der eines Gedächtnisses. Dazu sei auch auf den entsprechenden Unterpunkt weiter unten verwiesen.

Luhmann spricht von an dieser Stelle auch von Reproduktion ereignishafter Elemente. Jeden Akt der Reproduktion nennt er weiter Operation. Er tauscht somit den Elementbegriff durch den Operationsbegriff aus.

3.4 Autopoiesis

Nach dem anfänglichen Konzept der Unterscheidung vom Ganzen und seiner Teile erfolgt nun ein Paradigmenwechsel hin zur „System/Umwelt-Differenz“ als zentralen Aspekt der Theorie. Der Übergang in den heutigen Zustand erfolgt erneut durch einen Paradigmenwechsel: Das Konzept der Autopoiesis, das ursprünglich von Maturana und Varela nur für lebende Systeme angewandt werden sollte, stellt Luhmann nun in den Mittelpunkt seiner Theorie sozialer Systeme. Die Selektivität eines Systems zu dessen Umwelt ist wie oben schon erläutert eine eigenbestimmte Selektivität. Bei autopoietischen Systemen handelt es sich gleichzeitig sowohl um geschlossene als auch um offene Systeme. Sie sind autonom, jedoch nicht autark. Für das System der Massenmedien bedeutet Autonomie die Unabhängigkeit von der Umwelt bezüglich der Art und Weise, wie es seine Anschlussinformationen erzeugt. Es liegt jedoch keine Autarkie vor, da das System auf Basis seiner materiell-energetischen Infrastruktur bzw. seines Materialitätskontinuums von seiner gesellschaftlichen Umwelt, d.h. von anderen Gesellschaftsbereichen abhängig ist. Es lässt sich durch Umweltreize irritieren, die es intern in seiner Informationserzeugung mit einbezieht.

„[…]Das System wählt aus den Störungen der Umwelt diejenigen aus, die es benötigt, um bestimmte Eigenzustände zu stabilisieren oder zu optimieren.“ (Kaesler S. 216)

Luhmann nennt das auch Selbstreferenz des Systems. Außerdem spielen bei autopoietischen Systemen noch Strukturdeterminiertheit und Rekursivität eine wichtige Rolle. Rekursivität meint einen Reproduktionsprozess, der die Produkte und Ergebnisse seiner Operationen ständig als Grundlage weiterer Operationen verwendet.

„Autopoiesis bedeutet eigentlich nur, daß alles, was in einem System als Einheit fungiert – Element, Operation, Struktur, Grenze - , sich den eigenen Produktionsprozessen des Systems verdankt und daß auf dieser Ebene der Produktion der systemkonstitutiven Einheiten kein Import von Fremdmaterial möglich ist und insofern das System als ein (operativ und strukturell) geschlossenes zu verstehen ist.“ (Kaesler, S. 216)

[...]


[1] Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien, Opladen, Westdt. Verlag Wiesbaden 1996

[2] Papcke / Oesterdiekhoff (Hrsg.): Schlüsselwerke der Soziologie, Westdt. Verlag Wiesbaden 2001

[3] Sinngemäß nach Kaesler, Dirk (Hrsg.): Klassiker der Soziologie Bd. 2, Verlag C.H. Beck 1999, S. 206 ff

[4] Mögliche Anschlussinformationen können also zu einem späteren Zeitpunkt gewählt werden

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Realität der Massenmedien als Soziales System nach Niklas Luhmann
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Proseminar Medien- und Kommunikationssoziologie
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
22
Katalognummer
V14900
ISBN (eBook)
9783638201810
ISBN (Buch)
9783638860666
Dateigröße
529 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Realität, Massenmedien, Soziales, System, Niklas, Luhmann, Proseminar, Medien-, Kommunikationssoziologie
Arbeit zitieren
Oliver Schill (Autor:in), 2003, Die Realität der Massenmedien als Soziales System nach Niklas Luhmann, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14900

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