Probleme der interkulturellen Kommunikation in der Literatur am Beispiel Franz Grillparzers "Goldenem Vließ"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

28 Seiten, Note: "-"


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffsdefinitionen entlang des Dramas
2.1. Kultur
2.2. Kommunikation

3. Situationen interkultureller Kommunikation
3.1. Kolcher und Griechen
3.2. Medea und Jason
3.3. Medea- Kreusa

4. Generationskonflikte

5.Fazit

6. Bibliographie

1. Einleitung

Franz Grillparzers dramatisches Gedicht Das goldene Vließ wurde 1821 im Wiener Burgtheater uraufgeführt. Die Trilogie wird unter anderem von der sozialpsychologischen Spannung kultureller Differenzen getragen. Des Weiteren ist es eine “Tragödie der Wörter, eine Geschichte über die Gewalt, die aus Mißverständnissen und Fehldeutungen hervorbricht”[1], wie Helmut Bachmair treffend im Nachwort der Reclam-Ausgabe anmerkt.

Ziel dieser Arbeit wird es nun sein die Problematik der (interkulturellen) Kommunikation des Stückes herauszuarbeiten und somit die Modernität dieser Mythenbearbeitung von Franz Grillparzer auf der Ebene einer globalisierten, international-vernetzten Welt zu suchen, in welcher sich das Individuum vermehrt mit den “Auswirkungen kulturbedingter Andersartigkeit”[2] auseinandersetzen muss. Im kommunikativen Kontakt zwischen Menschen prallen im Ausdruck von Gefühlen, subjektiven Wahrheiten und Weltansichten die sozial und/oder kulturell geprägten Verhaltensweisen und Denkmuster aufeinander. Mit Hilfe von Mimik, Gestik und Sprache versuchen wir unser inneres Ich zu kommunizieren. Die Konsequenzen aus misslungenen Dialogen, denen oft grundlegende Regeln fehlen, spitzen sich in Grillparzers Das goldene Vließ immer wieder tragisch zu.

Nach Schütz besteht eine Voraussetzung der Möglichkeit von Kommunikation darin, “dass die Kommunikationsteilnehmer über sich hinreichend überlappende Interpretationsmuster und Regelkenntnisse verfügen.”[3] Je divergenter diese Voraussetzungen, umso fragiler die Kommunikation. Die Leitfragen dieser Arbeit beziehen sich somit auf die Substanz der von den dramatis personea artikulierten Kommunikation . Wer sagt was in welcher Art und Weise zu wem und mit welchen Auswirkungen? Sind die kulturellen Differenzen die Basis der Missverständnisse oder sind einige Personen wie beispielsweise Medea durch das ganze Stück hindurch einfach kommunikationsbehindert und in welcher Rahmenbeziehung wird dies aber vielleicht erst dramatisch relevant? Zur weiteren Vorgehensweise ist zu sagen, dass im ersten Teil der Arbeit die abstakten Begriffe der Kultur und der Kommunikation mit spezifischem Bezug auf den literarischen Untersuchungsgegenstand hin, erläutert werden.

Der zweite und umfassendere Teil beschäftigt sich mit konkreten Textstellen, welche den linearen Kommunikationsprozess, vom Sender zum Empfänger, grundlegend in Frage stellen. Vielmehr wird von einem konstruktivistischen Kommunikationsmodell[4] ausgegangen, „in welchem beide Beteiligten zugleich agieren und reagieren, handeln und erleben.“[5]. Von dieser kommunikationstheoretischen Grundlage ausgehend werden verbale und nonverbale Ausdrucksmittel der Figuren und symbolische Motive des vorliegenden Stückes genauer untersucht. Ergänzend und als oppositionellen Aspekt zum kulturellen Kommunikationskonflikt des Stückes möchte ich im vierten Punkt noch auf den generativen Konflikt wie er in Ansätzen zwischen Medea, ihrem Bruder Absyrtus und Aietes zu finden ist, hinweisen. Auch dieser soll im Hinblick auf kommunikative Probleme untersucht werden.

Das anschließende Fazit dient der Abrundung und einer zusammen-fassenden Evaluation der Teilergebnisse.

2. Begriffsdefinitionen entlang des Dramas

Da es unzählige Begriffsdefinitionen zu „Kultur“ und „Kommunikation“ gibt, sollen in diesem Kontext vor allem die Beziehung dieser beiden abstrakten Begriffe zueinander hervorgehoben werden. Denis McQuail betont, dass „das vielleicht allgemeinste und wesentlichste Merkmal von Kultur […] Kommunikation [sei]“[6], da Kultur als Ausdruck der Gesamtheit menschlicher Artefakte immer im Zuge von Kommunikationsprozessen hergestellt wird. Kultur beinhaltet somit alles, was möglicherweise als „Text“ betrachtet werden könnte. Auch im Laufe dieser Arbeit werden die engen Verflechtungen von Kommunikation und Kultur immer wieder hervorgehoben werden, mit einem besonderen Augenmerk auf die realitätskonstruierende Wirkung von Sprache bzw. sprachlichen Handeln im allgemeinsten Sinn und den daraus teilweise tragischen Folgen im Stück.

2.1. Kultur

Kultur wird hier als ein mentaler Komplex an Symbolen und Praktiken, welche Mitgliedern einer Gruppe als überindividuelles Orientierungsmuster dient und soziale Identität konstituiert, bezeichnet. Das soziale Wesen des Menschen impliziert eine von Außen herangetragene Identität, auch wenn es den Schein einer „natürlichen“, aus sich selbst heraus geborenen Identität hat. Grillparzer zeigt schon zu Beginn, dass auch der so genannte Naturzustand, welcher durch die Kultur der Kolcher repräsentiert ist, seine eigenen sozialen und historischen Prägungen hat, dass also der Gegensatz von Natur und Kultur nur scheinhaft ist. Damit greift Grillparzer eine neuzeitliche Problematik auf, die von Rousseau eingeleitet wurde: nämlich das Verhältnis von Kultur und Natur[7]. So charakterisiert sich Medea selbst zu Beginn des „Gastfreundes“ als ein freies, unabhängiges Individuum, welches nur die Grenzen der Natur akzeptiert:

Medea. Mein Garten ist die ungemeßene Erde

Des Himmels blauen Säulen sind mein Haus

Da will ich stehn des Berges freien Lüften

Entgegen tragend eine freie Brust[8] (Gastfreund 71ff.)

Paradoxerweise wird sie aber wenige Augenblicke zuvor, im Zuge eines kultischen Ritus, von ihrer Amme Gora auf ihre soziale Stellung hin reduziert:

Es ist Medea, Aietes´ Tochter,

Des Herschers von Kolchis fürstliches Kind (Gastfreund 27f.)

Liest man die Exposition des “Gastfreundes” genau, so bedingt die soziale Stellung Medeas ihre “natürliche” Freiheit, wie sie selbst im Streit mit Peritta zwar einlenkt, aber nicht im Ganzen zu begreifen scheint:

Was braucht´s dich zu wissen, als dass du´s versprachst.

Ich bin Aietes´ königliches Kind

Und was ich tu´ ist recht weil ich´s getan.

Und doch, du Falsche! hätt´ ich dir versprochen

Die Hand hier abzuhaun von meinem Arm

Ich tät´s; fürwahr ich tät´s, weil ich´s versprach.(Gastfreund 56ff.)

Festzuhalten ist hier also, dass sich das Volk der Kolcher zwar als ein Volk von Jägern in einem quasi-naturhaftem Dasein darstellt, gleichwohl aber nicht als Gegensatz zu der Kultur, sondern lediglich eine kulturelle Deutung des Lebens (eingeschlossen spezifischer Wertesysteme) darstellen. Die Erfahrung von der eigenen Kultur als Variante zeigt sich aber im Stück erst in der Konfrontation mit dem Fremden, da erst zu diesem Zeitpunkt allgemeingültige Handlungenweisen auf Unverständnis stoßen oder zu Missverständnissen werden.

Als nächster, zum kommunikativen Punkt überleitender Aspekt von Kultur, sei hier die Dynamik kultureller “Einheiten” angeführt. Die aus der sozialen Interaktion entstehenden Werte, Normen und kommunikative Handlungsmuster einer Gemeinschaft können sich durch neue “Impulse” von Außen auch verändern, weshalb Jason und Medea in Griechenland wohl beide “entfremdet” (Medea 277) sind.

2.2. Kommunikation

Naheliegenderweise wird in linguistischen Arbeiten zur interkulturellen Kommunikation “ Kommunikation” als sprachliche, interpersonale Interaktion verstanden. Sie ist demnach charakterisiert als sprachlicher Austausch zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kommunikationsgemeinschaften, die hinsichtlich der ihren Mitgliedern jeweils gemeinsamen Wissensbeständen und Formen sprachlichen Handelns[9] differieren. Solche Unterschiede bestehen auch schon zwischen Kommunikationsparteien innerhalb einer national oder ethnisch definierten Gesellschaft, wie unter der Ausführung zum Generationskonflikt bewiesen werden soll. Demnach unterscheidet sich interkulturelle Kommunikation nicht prinzipiell von intrakultureller Kommunikation. Der wesentliche charakteristische Unterschied, wie ihn Karlfried Knapp beschreibt liegt jedoch darin, “dass sich einer der Kommunikationspartner normalerweise einer Sprache oder Varietät bedienen muss, die nicht seine eigene ist.”[10]

Bei der Kommunikation als Untersuchungsgegenstand muss beachtet werden, dass die Deutung und Orientierung der Interaktionspartner über die referentielle Bedeutung des sprachlichen Handelns, also die Aspekte der Inhalte und der intendierten Handlungen des Gesprochenen hinausgehen und eine soziale Bedeutung ebenso mit eingeschlossen wird. Watzlawick spricht hier vom “Inhalts- und Beziehungsaspekt der Kommunikation“[11]. Wie eine stattfindende Interaktion in ihrer “kontextuellen”[12] Gesamtheit zu deuten ist, wird jedoch gewöhnlich nicht explizit gemacht, sondern lediglich durch verbale oder non-verbale Signale angezeigt, welche dann retrospektiv oder prospektiv erschlossen werden müssen.

Daraus schlüssig zu ergänzen ist, dass dieser Arbeit kein linear verstandener Kommunikationsprozess zugrunde liegt, also ausschließlich vom Sender zum Empfänger und andersherum. Sie verläuft vielmehr kreisförmig und ist prinzipiell in keine Kausalkette auflösbar. Anfänge und Ursachen auf Reaktionen werden also nur subjektiv durch “Interpunktionen[13] ” festgesetzt. Werden die Interpunktionen von den Partnern unterschiedliche ausgemacht, kommt es zu einem unlösbaren Konflikt, was die Ursache einer bestimmten Reaktion ist bzw. die “bei wem liegt die Schuld”-Frage nach sich zieht.. Auch bei Medea und Jason zeigt sich dieses Konfliktschema deutlich im letzten Teil der Trilogie. Dabei ist zu erforschen, aus welchem Grund der Streit, trotz der zyklusdurchbrechenden Bemühungen Jasons, nicht beglichen werden kann.

Jason. […] Glaub´ mir, ich fühl´dein Leid so tief als meines.

Getreulich wälzest du den schweren Stein,

Der rück sich rollend immer wiederkehrt

Und jeden Pfad versperrt und jeden Ausweg.

Hast du´s getan? hab ich´s? -Es ist g e s c h e h n. (Medea 224ff.)

[...]


[1] Bachmair, Helmut: Nachwort. In: Grillparzer, Franz: Das goldene Vließ. Der Gastfreund. Die Argonauten. Medea. Stuttgart 1995, S.201.

[2] Knapp, Karlfried u.a.: Angewandte Linguistik. Ein Lehrbuch. Tübingen 2004, S.411.

[3] Schützeichel, Rainer: Soziologische Kommunikationstheorien. Konstanz 2004, S.157.

[4] vgl. Watzlawick, Paul/ Beavin, Janet und Jackson Don. Menschliche Kommunikati­on. Hans Huber (Hrsg.) Bern, Göttingen, Toronto, Seattle 1996.Das Kommunikationsmodell nach Watzlawick besagt, dass die Realität, auf die wir in zwischenmenschlichen Beziehungen Bezug nehmen, keine objektiv vorhandene ist, sondern einKonstrukt, welches wir selbst schaffen. Zudem werden zwei Personen, die miteinander kommunizieren, nicht als Einzelwesen betrachtet, sondern sie bilden ein System. In diesem System gibt es Rückkopplungsprozesse. So beeinflusst die Art der Kommunikation von Person A die Kommunikation von B und umgekehrt. Watzlawick formulierte fünf Axiome der Kommunikation, die bei einer erfolgreichen Kommunikation berücksichtigt werden müssen:1. Die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren.2. Der Inhalts- und Beziehungsaspekt der Kommunikation3. Die Interpunktion der Kommunikationsabläufe4.Digitale und analoge Kommunikation5. Symmetrische und komplementäre Interaktion

[5] ebd., S.29.

[6] McQuail, Denis: Mass Communication Theory. Sage 1994, S.95.

[7] vgl. Rousseau, Jean-Jacques: Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, Stuttgart 1977, bibliographisch ergänzte Ausgabe 2003.Rousseau stellt sich in seinen staatstheoretischen Texten die Frage, wie ein von Natur aus wildes und freies Individuum seine Freiheit behalten kann, wenn es aus dem Naturzustand in den Zustand der Gesellschaft eintritt bzw. diesen Zustand begründet.

[8] Grillparzer, Franz: Das goldene Vließ. Der Gastfreund. Die Argonauten. Medea. Stuttgart 1995. Ii der Folge mit Abteilung und Versmaß angegeben.

[9] Ausgehend von einem kognitiven Kulturverständnis der Kulturgemeinschaft; der mentale Komplex von Symbolen und Praktiken, wie er in 2.1. beschrieben wurde.

[10] Knapp 2004, S.413.

[11] vgl. Fußnote 5.

[12] John J. Gumperz formulierte 1976 in seinem Konzept der Kontextualisierung, dass Interaktionspartner nicht nur auf den Kontext als statische, deterministische Einheit reagieren, also bloß unwillkürliches Spiegelbild der sozialen Identität des Sprechers sind, sondern im Gegenteil den Kontext selbst aktiv aufbauen. Vgl. Auer, Peter: Sprachlicher Interaktion. Eine Einführung anhand von 22 Klassikern. Kap. 15: Kontextualisierung. John Gumperz. Tübingen 1999, S.164-174.

[13] vgl. Watzlawick Fußnote 5.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Probleme der interkulturellen Kommunikation in der Literatur am Beispiel Franz Grillparzers "Goldenem Vließ"
Hochschule
Universität Augsburg
Note
"-"
Autor
Jahr
2010
Seiten
28
Katalognummer
V149532
ISBN (eBook)
9783640602841
ISBN (Buch)
9783640602261
Dateigröße
567 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Probleme, Kommunikation, Literatur, Beispiel, Franz, Grillparzers, Goldenem, Vließ
Arbeit zitieren
Claudia Lachenmayer (Autor:in), 2010, Probleme der interkulturellen Kommunikation in der Literatur am Beispiel Franz Grillparzers "Goldenem Vließ", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149532

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