Jean Améry ging es in seinen zahlreichen Essays nie darum, die eigene Person in den Vordergrund zu stellen. Viel mehr ging es ihm darum, das Zeitsymptomatische anhand seiner eigenen Erfahrung zu verdeutlichen. Er schrieb über den Verlust des Selbstvertrauens unter der Folter, über Heimatlosigkeit und das permanente Gefühl der Entfremdung und vor allem über die Erfahrungen des „Judeseins“, von jemanden, der sich selbst als „Nicht-Juden“ bezeichnet.
In der vorliegenden Hausarbeit soll Jean Amérys Verhältnis zum Judentum geklärt bzw. dargestellt und sein schwieriges Verhältnis zu dieser Glaubensgemeinschaft geschildert werden.
Das schwierige, jedoch auch das interessante an dieser Betrachtung ist, dass Jean Améry zwar Jude war und von den Nationalsozialisten unter Hitler auch als solcher abgestempelt wurde, sich jedoch selbst nie als ein Jude gesehen hat und auch nichts mit diesem Glauben anzufangen vermochte. Dieses schwierige Verhältnis und die Probleme, die sich daraus für Améry ergaben, bilden einen Fokus, der hier durchleuchtet werden soll.
Schon in seiner Jugend setzte sich Améry mit Jean-Paul Sartre auseinander. Er las unter anderem seine Abhandlung „Réflexions sur la question juive“, in der sich Sartre bedingungslos für die Juden ausspricht und sich gleichzeitig öffentlich gegen die Nationalsozialisten stellt. Sartre prägt unter anderem den Begriff des „Judeseins“, in dem sich Améry bald wiederfinden wird. Améry wird in dieser Hinsicht maßgeblich von Sartre beeinflusst. Dieser Aspekt soll in an dieser Stelle noch einmal durch eine Gegenüberstellung beider Ansichten ausführlich dargestellt werden.
Auch die Ressentiments, die er sowohl gegen den Nationalsozialismus als auch gegen den jüdischen Glauben hegte, sollen näher erläutert werden.
In mehreren Abhandlungen und Essays befasst sich Améry persönlich mit der Schwierigkeit seines nicht vorhandenen jüdischen Glaubens. In dieser Hausarbeit werden daher mehrere wörtliche Zitate im Blocksatz von Améry wiedergegeben, anstatt dies nur sinngemäß zu tun. Auf diese Weise lässt sich am besten darstellen, was Améry gedacht und gefühlt hat und welche Position er zu diesem Thema eingenommen hat. Maßgeblich wird sich hierbei auf Jean Amérys Essay „Mein Judentum“ und die Biografien über Jean Améry von Irene Heidelberger-Leonard und Siegbert Wolf gestützt, aus denen auch häufig Zitate entnommen werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Jean Amery und das Judentum
2.1 Kindheit und Jugend
2.2 Flucht und Deportation
3 Jean Amery und Jean-Paul Sartre
3.1 Authentische und nichtauthentische Juden
4 Nach Auschwitz
4.1 Ressentiments
5 Zusammenfassung und Schluss
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Jean Amery ging es in seinen zahlreichen Essays nie darum, die eigene Person in den Vordergrund zu stellen. Viel mehr ging es ihm darum, das Zeitsymptomatische anhand seiner eigenen Erfahrung zu verdeutlichen. Er schrieb uber den Verlust des Selbstvertrauens unter der Folter, uber Heimatlosigkeit und das permanente Gefuhl der Entfremdung und vor allem uber die Erfahrungen des „Judeseins“, von jemanden, der sich selbst als „Nicht-Juden“ bezeichnet1.
In der vorliegenden Hausarbeit soll Jean Amerys Verhaltnis zum Judentum geklart bzw. dargestellt werden und sein schwieriges Verhaltnis zu dieser Glaubensgemeinschaft geschildert werden.
Das schwierige, jedoch auch das interessante an dieser Betrachtung ist, dass Jean Amery zwar Jude war und von den Nationalsozialisten unter Hitler auch als solcher abgestempelt wurde, sich jedoch selbst nie als ein Jude gesehen hat und auch nichts mit diesem Glauben anzufangen vermochte. Dieses schwierige Verhaltnis und die Probleme, die sich daraus fur Amery ergaben, bilden einen Fokus, der hier durchleuchtet werden soll.
Um die Entwicklung besser darstellen zu konnen, wird die Hausarbeit zunachst in die Kapitel „Kindheit und Jugend“ und spater in die Kapitel „Flucht und Deportation“ untergliedert. Schon hier lasst sich feststellen, dass sich Amerys Glaube bzw. seine Einstellung zum Judentum wandelt.
Ein weiteres wichtiges Kapitel findet sich unter „Amery und Jean-Paul Sartre“:
Schon in seiner Jugend setzte sich Amery mit Jean-Paul Sartre auseinander. Er las unter anderem seine Abhandlung „Reflexions sur la question juive“, in der sich Sartre bedingungslos fur die Juden ausspricht und sich gleichzeitig offentlich gegen die Nationalsozialisten stellt. Sartre pragt unter anderem den Begriff des „Judeseins“, in dem sich Amery bald wiederfinden wird. Amery wird in dieser Hinsicht maftgeblich von Sartre beeinflusst. Dieser Aspekt soll in an dieser Stelle noch einmal durch eine Gegenuberstellung beider Ansichten ausfuhrlich dargestellt werden. AbschlieEen wird diese Hausarbeit mit dem Kapitel „Nach Auschwitz“. In diesem Kapitel soil dargestellt werden, in wie weit und ob Amery in seinem Glauben durch die Torturen, die er in Auschwitz und anderen Lagern wahrend des Zweiten Weltkrieges erleben musste, beeinflusst wurde. Auch die Ressentiments, die er sowohl gegen den Nationalsozialismus als auch gegen den judischen Glauben hegte, sollen in diesem Kapitel naher erlautert werden.
In mehreren Abhandlungen und Essays befasst sich Amery personlich mit der Schwierigkeit seines nicht vorhandenen judischen Glaubens. In dieser Hausarbeit werden daher mehrere wortliche Zitate im Blocksatz von Amery wiedergegeben, anstatt dies nur sinngemaE zu tun. Auf diese Weise lasst sich am besten darstellen, was Amery gedacht und gefuhlt hat und welche Position er zu diesem Thema eingenommen hat. MaEgeblich wird sich hierbei auf Jean Amerys Essay „Mein Judentum“2 und die Biografien uber Jean Amery von Irene Heidelberger-Leonard und Siegbert Wolf gestutzt, aus denen auch haufig Zitate entnommen werden.
2 Jean Amery und das Judentum
2.1 Kindheit und Jugend
Der junge Amery, geboren 1912 noch als Hans Maier3, wuchs in einer Kleinburgerfamilie im Salzkammergut in Osterreich auf. Sein Vater war Jude, praktizierte diesen Glauben jedoch nicht. Seine Mutter war zwar Christin, jedoch „nicht rein arisch“4. Den Vater, der Amery vielleicht noch am meisten in seinem Glauben hatte pragen konnen, lernte Amery nie kennen: Er fiel im Ersten Weltkrieg, Amery war damals noch zu klein, um sich an ihn erinnern zu konnen.
Innerhalb der Familie wurde der christliche Glauben praktiziert, von einer Frommigkeit konnte jedoch keinesfalls die Rede sein: Man feierte alle wichtigen christlichen Feste, hielt an einer christlichen Erziehung und christlichen Traditionen fest. Das Judentum und der judische Glauben wurde in der Familie zwar nicht verleugnet,sie spielten andererseits aber auch keine groEe Rolle.5
Amery wusste nur „vage, dass [sie] in Wirklichkeit Juden waren“.6 Fur ihn blieb das Judentum in seiner Kindheit und Jugend groEtenteils ohne Bedeutung. Weder seine Eltern oder seine Verwandtschaft noch seine kindheitliche Umgebung vermittelten ihm den Glauben oder die Traditionen der judischen Religion. Von einer judischen Sozialisation konnte demnach keineswegs die Rede sein.
Ohne den Zwang und den Einfluss der geschichtlichen Ereignisse und seinen personlichen Erlebnissen in Auschwitz hatte er sich spater wahrscheinlich niemals so eindeutig zum Judentum bekannt7.
Erst mit dem Umzug der Familie nach Wien im Jahre 1922 wurde der Antisemitismus zu einem unausweichlichen Faktum. Die Welt veranderte sich, dies spurte auch Amerys Familie: Durch den nicht rein arischen Familienstammbaum wurde das Hakenkreuz zu einer Drohung. Fur Amery begann zu diesem Zeitpunkt sein „Lernprozess“8: Er begann einschlagige Literatur uber den Antisemitismus und den Nationalsozialismus zu lesen und beschaftigte sich unter anderem intensiv mit Hitlers „Mein Kampf“9.
Ich absorbierte all diese Widrigkeiten in einer aufierst zwiespaltigen Verfassung: Einerseits begann mir langsam klar zu werden, dafi [sic!] diese Leute geistig alle Vorbereitungen getroffen hatten, mich und meinesgleichen ins Verderben zu sturzen (las also mit Hafi [sic!] und feindseliger Erregung!), andererseits wollte ich noch um jeden Preis ,,objektiv“ bleiben [...]10.
Erst Jahre spater wird sich Amery eingestehen, dass seine vermeintlich objektive, kuhle und distanzierte Haltung zu den nationalsozialistischen Schriften „nichts anderes war als ein Element psychischer Verdrangung“11.
Amery versuchte alles, um seinem immer offensichtlicher werdenden judischen Schicksal zu entgehen. Er wehrte sich verzweifelt dagegen, etwas anzunehmen, zu dessen Ursprung er sich nicht selbst hatte entscheiden konnen. Doch es half nichts: Durch seine Umwelt wurde er mehr und mehr zu einem Juden stigmatisiert.
Ein weiterer entscheidender Einschnitt in die Erkenntnis, dass er als judischer Burger mehr und mehr in Bedrangnis geraten wird, markierten die „Nurnberger Rassegesetze“ aus dem Jahre 193512. Amery lernte sie auswendig und wurde sich dabei daruber im Klaren, dass er fur die Nazis ein in diesen Gesetzen beschriebener Jude ist und nichts anders sonst13 ( „Mein Judesein wurde mir klar“14 ).
[...]
[1] Vgl. Rosenfeld: Uber Auschwitz sprechen, S.40.
[2] Veroffentlicht in: Amery: Aufsatze zur Politik und Zeitgeschichte, Klett-Cotta 2005.
[3] Vgl. Heidelberger-Leonard (Hg.): Jean Amery. Materialien, S. 19.
[4] Amery: Aufsatze zur Politik und Zeitgeschichte, S.31.
[5] Vgl. ebd, S. 32.
[6] Heidelberger-Leonard: Revolte in der Resignation, S. 22.
[7] Vgl. Wolf: Von der Verwundbarkeit des Humanismus, S. 16.
[8] Amery: Aufsatze zur Politik und Zeitgeschichte, S. 32f.
[9] Vgl. ebd,S.33.
[10] Ebd.
[11] Ebd.
[12] Wolf: Von der Verwundbarkeit des Humanismus, S. 22.
[13] Vgl. Amery: Aufsatze zur Poltik und Zeitgeschichte, S. 37
[14] Ebd.
- Arbeit zitieren
- Susanne Steinfeld (Autor:in), 2009, Jean Améry und das Judentum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149551
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