Der Geist der Tiere

Haben nicht-menschliche Tiere ein Bewusstsein?


Essay, 2008

18 Seiten, Note: 1.5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definition von Bewusstsein

3. Kalifornische Buschhaher erinnern sich, wer sie wann beobachtet hat - eine Studie als Beleg fur die Existenz eines Bewusstseins bei Tieren?

4. Ethische Implikationen

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der franzosische Philosoph Rene Descartes (1596 - 1650) begrundete die sogenannte Zweisubstanzenlehre, welche postuliert, dass es zwei unabhangige, nicht voneinander ableitbare Substanzen gibt. Dabei unterschied Descartes zwischen einer sogenannten res cogitans, die „denkende Substanz“ (Geist, Seele, Bewusstsein), und der res extensa, dem „ausgedehnten Korper“ (Leib, Materie). Die „denkende Substanz“ ist strikt vom „ausgedehnten Korper“ zu trennen und „(...) kann als solche kein Attribut der Korperlichkeit auf sich beziehen. Sie ist somit von allen materiellen Dingen getrennt, die im Korper als res extensa auftreten. Die bloBe Materie als res extensa ist somit auch streng getrennt von der denkenden Substanz (Rod, 1999, S. 73).“

Nach Thomas (2006) schrieb Descartes den Menschen als einzige Kreaturen der Welt eine res cogitans und damit Denkvermogen zu. Nach seiner Lehre bestehen Tiere nur aus Materie. Sie konnen auch als Maschinen betrachtet werden. Die Position von Descartes wurde in der Tierphilosophie kritisiert. Nach Wild (2008) verfahrt die Tierphilosophie assimilationistisch. Dies bedeutet, dass bei den Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und nicht-menschlichen Tieren angesetzt wird. Bei der Frage nach dem Geist geht die assimilationistische Sichtweise von einer Kontinuitat zwischen Tieren und Menschen aus und versucht dabei graduelle Abweichungen von Geist bei verschiedenen Lebewesen festzustellen. Descartes hingegen verfahrt differentialistisch und betont damit starker die anthropologische Differenz[1].

Um die Frage zu klaren, ob Tiere uber einen Geist oder ein Bewusstsein verfugen, muss in erster Linie dargelegt werden, was unter Bewusstsein zu verstehen ist und welche Arten von Bewusstsein in der Philosophie unterschieden werden.

2. Definition von Bewusstsein

Zum Zweck dieses Essays scheint mir die Unterscheidung der Bewusstseinszustande nach Searle in intentionale geistige Zustande und qualitative geistige Zustande oder Qualia angemessen. Searle beschreibt einerseits geistige Zustande und Ereignisse, die Intentionalitat beinhalten. Solche intentionalen geistigen Zustande sind zum Beispiel Uberzeugungen, Befurchtungen, Hoffnungen oder Wunsche. Andererseits gibt es qualitative geistige Zustande wie beispielsweise Formen von Nervositat oder Hochstimmungen, die keine Absicht mit einschliessen. So mussen intentionale geistige Zustande wie beispielsweise Befurchtungen oder Hoffnungen immer „() von etwas handeln, wahrend (...) Nervositat und Unruhe nicht in dieser Weise von etwas handeln mussen (Searle, zit. nach Wild, 2008, S. 23).“

Qualitative geistige Zustande besitzen subjektiven Erlebniswert oder phanomenalen Charakter (vgl. auch Weber, 2008) und konnen auch nur gegenwartig erlebt werden. Ausserdem mussen sie nicht auf einen Gegenstand gerichtet sein, wahrend intentionale Zustande nur auf etwas gerichtet existieren. Auch Damasio (2000, zit. nach Griffin & Speck, 2004) unterscheidet zwischen einem sogenannten “Kernbewusstsein” und einem „Erweiterten Bewusstsein”. Wahrend ersteres auf das Selbst und das hier und jetzt gerichtet ist, ohne Bezug zu nehmen auf die Zukunft oder die Vergangenheit, ist letzteres daruber hinaus fahig, ein elaboriertes Selbstbild zu entwerfen und sich in einer individuellen historischen Zeit einzuordnen. Es beinhaltet demnach den Bezug zur Vergangenheit und zur Zukunft.

3. Kalifornischen Buschhaher erinnern sich, wer sie wann beobachtet hat - eine Studie als Beleg fur die Existenz eines Bewusstseins bei Tieren?

Zur philosophischen Erorterung der Frage, ob Tiere ein Bewusstsein haben, mochte ich auf einen Artikel von Dally, Emery und Clayton (2006) eingehen, welcher aufzeigt, welche ausserordentlichen Verhaltensweisen der kalifornische Buschhaher (Aphelocoma californica) beim Verstecken von Nahrung zeigt.

Ziel der Autoren war festzustellen, ob sich diese Vogel erinnern, wer sie beim Nahrungsverstecken beobachtet hat und ob sie ihr Verhalten aufgrund dieser Erinnerung anpassen. Die Forscher wollten damit zeigen, dass Buschhaher Taktiken anwenden, um ihre Nahrungslager vor Diebstahl durch Artgenossen zu schutzen. Kalifornische Buschhaher verfugen uber hierarchische Strukturen in ihren Gemeinschaften und es kann vorkommen, dass dominantere Vogel untergeordneten Vogeln deren Vorrate ausrauben. Untergeordnete Vogel haben dabei keine Chance, ihr Lager zu verteidigen.

Dally et al. (2006) untersuchten in einem ersten Experiment das Versteckverhalten von kalifornischen Buschhahern unter unterschiedlichen Beobachtungsbedingungen durch Artgenossen. Die Experimentalbedingungen unterschieden sich dahingehend, dass einmal Vogel ihre Nahrung ohne die Beobachtung durch einen anderen Vogel verstecken konnten, einmal in Anwesenheit ihrer Partner und einmal unter Beobachtung eines untergeordneten Vogels beziehungsweise dominanteren Vogels. Die Vogel konnten die Nahrung nun verstecken und wurden dann zuruck in den Kafig gebracht. Nach drei Stunden gelangten die Vogel wieder zu ihrem Zwischenlager. Erstaunlicherweise verlagerten die Vogel, die unter Beobachtung eines besonders dominanten Artgenossen gewesen waren, ihre Nahrung haufig neu, wahrend die Vogel in den anderen Experimentalbedingungen dies weniger oft taten. Ausserdem versteckten die Vogel ihr Futter unter den letzt genannten Bedingungen (Beobachtung von untergeordneten und dominanten Vogeln) weiter weg als unter den beiden erst genannten Experimentalbedingungen (ohne Beobachtung und Anwesenheit von Partnern).

Uberraschend ist, dass sich der Vogel, welcher Nahrung versteckt[2], je nach vorheriger Bedingung anders verhalt. Er scheint sich daran zu erinnern, welcher Artgenosse wahrend des Versteckens der Nahrung dabei war. War er alleine, mit seinem Partner oder unter Beobachtung eines untergeordneten Vogels, verlagerte er seine Nahrung nicht sehr haufig. War er jedoch unter Beobachtung eines dominanten Vogels unterschied sich sein Verhalten signifikant von den anderen Bedingungen, indem er sein Versteck haufig umdisponierte. Kalifomische Buschhaher scheinen flexibel auf verschiedene Situationen zu reagieren.

Die Autoren Dally et al. (2006) schliessen aus ihrem Experiment, dass sich kalifornische Buschhaher far den Schutz ihrer Nahrungslager einsetzen um das Risiko eines Raubes zu verhindern. Sie vermuten hinter dem Verhalten des Buschhahers demnach Wunsche oder Absichten. Aus dieser Interpretation wird nicht klar, ob die Vogel die Absicht der Nahrungssicherung nur auf sich selbst und ihre Nahrung beziehen oder ob sie auch die Intentionen der anderen Artgenossen „mit einberechnen“.

Zieht man erstere Interpretation herbei, kann man das Verhalten so verstehen, dass die Vogel erstens erinnern, dass ein dominanter Artgenosse und gleichermassen potentieller Rauber wahrend des Versteckens anwesend war. Zweitens konnte diese Erinnerung an den potentiellen Rauber eine vielleicht nicht genau definierbare Angst auslosen, was sie dazu veranlasst, aufgrund eines - wie auch immer gearteten - Gedankenganges die Intention zu entwickeln, ihr Nahrungsversteck neu zu verlagern. Die Zielgerichtetheit ihrer Absicht bezieht nur das Nahrungslager und sich selbst, nicht aber die Absicht des anderen Vogels mit ein.

Eine weiterfuhrende Interpretation des Verhaltens erscheint moglich. Kalifornische Buschhaher sind moglicherweise nicht nur in der Lage, eigene Absichten in Verhalten umzuformen, man gewinnt sogar den Eindruck, dass sie fahig sind, sich die Intentionen ihrer Artgenossen vorzustellen. Der Grund fur ihr Verhalten ware dann, dass sie sich bewusst sind, dass die dominanten Artgenossen beabsichtigen, ihr Versteck auszurauben, wahrend von den untergeordneten Vogeln sowie von den Partnern eine geringere Gefahr ausgeht. Deshalb sind sie bei den dominanteren Artgenossen vorsichtiger und verlagern ihren Vorrat, wahrend dies unter Beobachtung von untergeordneten Vogeln nicht notwendig ist. Wenn man davon ausgeht, dass die Buschhaher denken, dass die Beobachter um ihr Versteck wissen und deshalb ihr Lager verlagern, damit der Beobachter am falschen Ort sucht, spricht man vom Vorhandensein einer Theory of Mind.

Eine Theory of Mind ist ein psychologisches Konstrukt und beschreibt die Vorhersage von Handlungen anderer Personen aufgrund von Informationen uber deren Absichten und Ziele einerseits und deren Uberzeugungen und Glauben andererseits[3]. Setzt man eine Theory of Mind bei den kalifornischen Buschhahern voraus, wurde dies postulieren, dass sie nicht nur eigene Intentionen haben, sondern auch um die Intentionen und Uberzeugungen der beobachtenden Vogel wissen, was als ausserordentlich komplexes Denken zu betrachten ware. Diese Fahigkeit entwickelt sich selbst bei Menschenkindern erst im Alter von etwa dreieinhalb bis sieben Jahren.[4]

Eine weitere Erklarung des ausserordentlichen Verhaltens des kalifornischen Buschhahers kommt ohne Begriffe wie „Intentionen“ oder „Theory of Mind“ aus. Es konnte sein, dass behavioristische Verhaltensprogramme zum tragen kommen. Behavioristische Ansatze verstehen Verhalten als reine Reiz-Reaktions-Schemata.

Gemass diesem Ansatz wurde der dominante Artgenosse wahrend des Versteckens von Nahrung durch den Nahrungsverstecker als negativer oder aversiver Reiz wahrgenommen. Da der aversive Reiz, welcher in einem unangenehmen Gefuhl resultiert, mit dem momentanen Versteck assoziiert wird, disponiert der Buschhaher sein Lager bei nachster Gelegenheit um. Nach dieser Auffassung erinnert sich der Vogel nicht an vergangene Episoden, sondern reagiert ausschliesslich auf Reize seiner Umwelt und bildet Assoziationen, welche sein Verhalten steuern.

Ein weiteres Resultat des ersten Experimentes betrifft den Ort der Nahrungslagerung in der ersten Phase des Versteckens. Wahrend Buschhaher in Anwesenheit oder unter Beobachtung ihres Partners einen nahe gelegenen Ort aussuchen, um ihre Nahrung zu verstecken, tun sie dies nicht, wenn sie unter Beobachtung eines untergeordneten oder dominanten Artgenossen stehen. Das Besondere daran ist, dass bei Vorhandensein einer „Risikoeinschatzung“ zu erwarten ware, dass sie nur dann weit weg lagern, wenn ein dominanter Vogel anwesend ist. Bei einem untergeordneten Vogel hingegen haben sie die Moglichkeit, ihre Nahrung zu verteidigen - es ist weniger Vorsicht geboten.

Dally et al. (2006) merken kritisch an, dass die Vogel moglicherweise eine Pradisposition besitzen, ihre Nahrung weit weg von ihren Nicht-Partnern (dominante und untergeordnete Vogel) zu verstecken. Die Autoren argumentieren gleichzeitig dagegen, dass ihre jungste Kohorte dieses Verhalten nicht zeigte, und man daher nicht von einer Pradisposition sprechen kann. Vielmehr hatten sie die Erfahrung von ausgeraubten Lagern noch nicht gemacht. Da diese Erfahrung noch nicht vorhanden ist, konnen sie sich auch nicht daran erinnern und verhalten sich dementsprechend unangepasst. Diese Interpretation stellt ein Pladoyer fur das Vorhandensein einer bewussten Verarbeitung der Situation dar.

[...]


[1] Unter „anthropologischer Differenz“ versteht man, dass man von einem prinzipiellen Unterschied zwischen Menschen und Tieren ausgeht. Man versucht herauszufinden, was den Menschen von allen anderen Tieren unterscheidet (Wild, 2008, S. 27).

[2] Im Folgenden teilweise auch „Nahrungsverstecker“ genannt.

[3] Dorsch, Psychologisches Lexikon, S. 594.

[4] Skript zur Entwicklungspsychologie WS 06/07, Prof. Dr. Wilkening, Universitat Zurich

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Der Geist der Tiere
Untertitel
Haben nicht-menschliche Tiere ein Bewusstsein?
Hochschule
Universität Zürich  (Mathematisch-naturwissenschaftliches Institut)
Veranstaltung
Philosophie der Biologie
Note
1.5
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V149555
ISBN (eBook)
9783640602872
ISBN (Buch)
9783640604135
Dateigröße
511 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geist, Tiere, Haben, Tiere, Bewusstsein
Arbeit zitieren
Andrea Steiger (Autor:in), 2008, Der Geist der Tiere, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149555

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