Lehrkräfte, Schüler:Innen und Eltern stehen vor der großen Herausforderung, dass das Deutsche Schulsystem leider so gar nicht mehr zu den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen passen mag. Die Autorin analysiert Chancen und Herausforderungen, die sich im bestehenden Schulsystem für Eltern, Pädagogen, Kinder und Jugendliche ergeben. Zudem gibt sie Praxishinweise für die Elternberatung.
Was sagt die Wissenschaft zur Intersektionalität von Inklusion und Migration? Wie nehmen Lehrkräfte die Gleichzeitigkeit von Migrationshintergrund und dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung wahr? Welche Chancen und Herausforderungen erkennen sie? Und wie können diese Chancen für den Förderschwerpunkt genutzt und Herausforderungen angegangen werden? Um tiefergehende Einblicke in diese Thematik gewinnen zu können, wird in der Masterarbeit der folgenden Forschungsfrage nachgegangen: Inwiefern nimmt Migration Einfluss auf die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung?
In Deutschland wurde nach der Ratifizierung der UN-BRK zwar ein bundesweites Gesetz zur Ausweitung der inklusiven Beschulung erlassen, dessen Umsetzung bleibt jedoch jedem Bundesland selbst überlassen, was zu einer hohen Heterogenität inklusiver Angebote führt. Es könnte daher möglich sein, dass die inklusiven Angebote des Bundeslands Rheinland-Pfalz eine bessere Passung für Schüler:Innen mit Migrationshintergrund aufweisen als die anderer Bundesländer. Um die Chancen und Herausforderungen der inklusiven Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung zu ergründen, erscheint es daher sinnvoll, die Situation in Rheinland-Pfalz näher zu beleuchten.
Dazu werden Interviews mit rheinland-pfälzischen Lehrkräften durchgeführt. Eine theoretische Grundlage wird dabei durch die Klärung der Begriffe Inklusion und Migration geschaffen. Besondere Berücksichtigung werden dabei die jeweiligen Chancen und Herausforderungen sowie die Intersektionalität der beiden Themen und deren Auswirkung auf die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung erfahren. Im empirischen Teil wird anschließend ein Interviewleitfaden erarbeitet, durchgeführt und ausgewertet.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Methodisches Design
3 Theoretische Grundlagen
3.1 Inklusion im Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung
3.1.1 Von Exklusion zu Inklusion? - Der Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung
3.1.2 Inklusion - von Practice, Best-Practice und Next-Practice
3.2 Das Phänomen Migration und Schüler:Innen mit Migrationshintergrund
3.3 Inklusion und Migration im Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung
4 Empirischer Teil
4.1 Anliegen
4.2 Entwicklung des Leitfadens
4.3 Durchführungshinweise
5 Ergebnisse
5.1 Aufbereitung des empirischen Materials
5.3 Diskussion der Ergebnisse
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
A Vorläufiger Fragenkatalog
A.1 Unsortierte Fragensammlung
A.2 Vorsortierter Fragenkatalog
B Vollständiger Interviewleitfaden
C Transkription der Interviews
C.1 Interview
C.2 Interview
C.3 Interview
C.4 Interview
C.5 Interview
D Kategorienübersicht
D.1 Kategorien insgesamt
D.2 Kategorien des Themengebiets (C) Schulsetting
E Vollständige Auswertungstabelle der Interviews
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Das biopsychosoziale ICF-Modell (Egen 2020, 38)
Abbildung 2: Didaktische Spannbreite einer inklusiven zweiten Klasse (Darstellung nach
Ratz/Selmayr 2021, 130)
Abbildung 3: Inklusion, Exklusion, Separation und Integration (Baltea 2015)
Abbildung 4: Modelle des interkulturellen Lernens (Modelle zitiert nach Allemann-Ghionda 2013, 62f; Auernheimer 2007, 125f; Eigene Gegenüberstellung)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Inklusionsentwicklung in Rheinland-Pfalz (vgl. Lange/Wenzel 2016, 13; Klemm 2021 a; Klemm 2022, 16,18)
Tabelle 2: Prozentuale Anteile ausländischer Schüler:Innen an der Schülerschaft mit sonderpädagogischer Förderung Deutschland (Eigene Darstellung und Berechnungen; vgl. Destatis 2022c, Tab. 4.1; KMK 2022 a, 3,25,49,53,113,118; KMK 2021 b, 4,7,16; KMK 2021 c, 6,7,11,12,29,30)
Tabelle 3: Prozentuale Anteile ausländischer Schüler:Innen an der Schülerschaft mit sonderpädagogischer Förderung Rheinland-Pfalz (Eigene Darstellung und Berechnungen; vgl. Destatis 2022c, Tab. 4.1; KMK 2022 a, 3,25,49,53,113,118; KMK 2021 b, 4,7,16; KMK 2021 c, 6,7,11,12,29,30)
Tabelle 4: Quoten ausländischer Schüler:Innen mit sonderpädagogischer Förderung Deutschland im Gesamtvergleich (Eigene Darstellung und Berechnungen; vgl. Destatis 2022 c, Tab. 4.1; KMK 2022 a, 3,25,49,53,113,118; KMK 2021 b, 4,7,16; KMK 2021 c, 6,7,11,12,29,30)
Tabelle 5: Quoten ausländischer Schüler:Innen mit sonderpädagogischer Förderung Rheinland-Pfalz im Gesamtvergleich (Eigene Darstellung und Berechnungen; vgl. Destatis 2022 c, Tab. 4.1; KMK 2022 a, 3,25,49,53,113,118; KMK 2021 b, 4,7,16; KMK 2021 c, 6,7,11,12,29,30)
Tabelle 6: Inklusion ausländischer Schüler:Innen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (Eigene Darstellung und Berechnungen; vgl. Destatis 2022 c, Tab. 4.1; KMK 2022 a, 3,25,49,53,113,118; KMK 2021 b, 4,7,16; KMK 2021 c, 6,7,11,12,29,30)
1 Einleitung
,,Overrepresentation of Immigrants in Special Education’’, so lautet der Titel einer 2020 veröffentlichten Dissertation (vgl. Subasi Singh 2020). Nun bezieht sich die Forschung von Subasi Singh zwar auf die Beschulung in Österreich, jedoch zeigt sich auch in Deutschland eine deutliche Intersektionalität von Migrationshintergrund und sonderpädagogischer Beschulung. Laut dem Jugend Migrationsreport gab es im Schuljahr 2009/2010 eine deutliche Überrepräsentation von Schüler:Innen mit ausländischer Nationalität gemessen an ihrem Gesamtanteil an der gesamten Schülerschaft (vgl. Stürzer et. al. 2012, 46). Diese Überrepräsentation ist auch zum Entstehungszeitpunkt dieser Arbeit weiterhin stabil (vgl. Kap. 3.2, 53).
Aber hat Deutschland sich mit der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention nicht dazu verpflichtet allen Menschen eine Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen (vgl. Amirpur 2016, 24)? Und steht laut Artikel 24 ebendieser UN-BRK nicht allen Schüler:Innen mit und ohne Behinderung eine inklusive Beschulung zu (vgl. ebd.)? Auch wenn Migration kein eigener Artikel gewidmet wurde, wird sie als Heterogenitätsdimension im Kontext Behinderung aufgeführt (vgl. Amirpur 2016, 24). Erstens wurde die Konvention in Erkenntnis der Vielfalt von Menschen mit Behinderung geschlossen, was auch die Berücksichtigung der Heterogenitätsdimension Migration miteinschließt (vgl. ebd.). Zweitens muss Rücksicht auf erschwerende Bedingungen genommen werden, die aufgrund von mehrfacher oder verschärfter Diskriminierung hinsichtlich Aspekten wie Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion sowie der nationalen, ethnischen, indigenen oder sozialen Herkunft bestehen (vgl. ebd.). Somit schließt die UN-BRK Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur mit ein, sondern weist gleichzeitig darauf hin, dass die Gleichzeitigkeit von Behinderung und Migrationshintergrund zu intersektionaler Diskriminierung führen kann (vgl. ebd.). Auch die PISA-Studie weist darauf hin, dass neben der sozialen Lage auch der soziobiografische Aspekt Migrationshintergrund einen Einfluss auf den Bildungsweg und -erfolg von Schüler:Innen hat (vgl. Dworschak/Ratz 2014, 27). Dies ist insbesondere für den Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung relevant, da die Verursachung leichter geistiger Behinderungen oftmals soziokulturellen Einflüssen zugeschrieben wird, obwohl dies laut aktuellen Erkenntnissen eigentlich nicht mehr haltbar ist (vgl. Dworschak/Ratz 2014, 27f). So könnten soziodemografische Faktoren zwar bereits vorhandene biologische Risiken beeinflussen, verursachen würden sie diese jedoch nicht (vgl. ebd.). Um den Einfluss soziobiografischer Aspekte auf die Schüler:Innen im Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung besser zu verstehen, erscheint es daher sinnvoll den Migrationsaspekt genauer zu untersuchen (vgl. ebd.). Auch die Ergebnisse der SFGE-Studien zur Beschreibung der Schülerschaft im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung zeigen die Dringlichkeit der Erforschung der sozialen Ungleichheit für den Förderschwerpunkt an (vgl. Dworschak/Ratz 2014, 46; Selmayr/Dworschak 2021, 52). Auch wenn die Förderung von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund nicht die alleinige Aufgabe der Sonderpädagogik sein kann, ist sie aufgrund der Überrepräsentation an den Förderschulen relevant für die Förderschullehrkräfte. In Subasi Singhs Studie zeigte sich ein deutlicher Mangel an Vertrauen zwischen den Beteiligten der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs sowie gegenüber Förderschulen (vgl. Subasi Singh 196f) ,,However, education and schools were seen as keys to defeat the fate of immigrants. Special education schools, on the other hand, [sic] were places that hin- dered integration.’’ (Subasi Singh 2020, 197) Sowohl die Eltern als auch die Lehrkräfte an den Regelschulen schienen sich gewissermaßen bedroht durch den Feststellungsprozess zu fühlen. Einerseits interpretierten die Eltern die Feststellung des Förderbedarfs mit der Etikettierung ihrer Familie als abnormal, Erschwerung des Spracherwerbs und als Einschränkung der gesellschaftlichen Teilhabe (vgl. Subasi Singh 2020, 196). Die Lehrer wiederum nahmen den Feststellungsprozess als Herabwürdigung ihrer eigenen Kompetenz Schüler:Innen zu beurteilen wahr (vgl. Subasi Singh 2020, 197). Auch in der öffentlichen Diskussion wird immer wieder die Relevanz von Migration und Inklusion deutlich. Alleine während des Entstehungsprozesses dieser Arbeit gab es diesbezüglich politische Kontroversen. So bezeichnete Friedrich Merz Schüler:Innen mit Migrationshintergrund als ,,kleine Paschas‘‘, woraufhin der Präsident des Deutschen Lehrerverbands von einem Migrationsproblem sprach (vgl. DPA 2023; Moll 2023). Da die gesellschaftliche Wahrnehmung von Menschen mit Migrationshintergrund stark davon beeinflusst wird ,,[...] welches Bild von ihnen in der Öffentlichkeit und im gesellschaftlichen Diskurs gezeichnet wird.‘‘ (Hoesch 2018, 14), bleibt offen, wie sich dieses pathologisierende Bild auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund auswirken wird. Liest man nun den Titel der folgenden Arbeit, der da lautet. ,,Inklusion und Migration - Chancen und Herausforderungen’’, so scheint es, als brächten Schülerinnen mit Migrationshintergrund tatsächlich besondere Herausforderungen für die inklusive Beschulung mit. Der Begriff Herausforderungen zielt hier jedoch ausdrücklich auf aktuelle Hindernisse für die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund ab. Die Herausforderungen werden daher nicht im Kontext von Einzelpersonen sondern im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang beleuchtet. Doch was sagt die Wissenschaft zur Intersektionalität von Inklusion und Migration? Wie nehmen Lehrkräfte die Gleichzeitigkeit von Migrationshintergrund und dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung wahr? Welche Chancen und Herausforderungen erkennen sie? Und wie können diese Chancen für den Förderschwerpunkt genutzt und Herausforderungen angegangen werden? Um tiefergehende Einblicke in diese Thematik gewinnen zu können, soll in der vorliegenden Masterarbeit der folgenden Forschungsfrage nachgegangen werden:
Inwiefern nimmt Migration Einfluss auf die inklusive Beschulung von Schü- ler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung?
Dass die Gleichzeitigkeit von Migrationshintergrund und dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung auch Chancen bieten kann, zeigen die statistischen Daten zur Inklusion. Hier zeigt sich bundesweit, dass der Inklusionsanteil von ausländischen Schüler:Innen höher ist, als der der gesamten Schülerschaft (vgl. Kap. 3.2, 56f). In Rheinland-Pfalz trifft dies nicht nur
auf den Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung, sondern auch auf die sonderpädagogische Förderung insgesamt zu (vgl. ebd.). In Deutschland wurde nach der Ratifizierung der UN-BRK, zwar ein bundesweites Gesetz zur Ausweitung der inklusiven Beschulung erlassen, dessen Umsetzung bleibt jedoch jedem Bundesland selbst überlassen, was zu einer hohen Heterogenität inklusiver Angebote führt (vgl. Anders 2022). Es könnte daher möglich sein, dass die inklusiven Angebote des Bundeslands Rheinland-Pfalz eine bessere Passung für Schüler:Innen mit Migrationshintergrund aufweisen, als die anderer Bundesländer. Um die Chancen und Herausforderungen der inklusiven Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung zu ergründen, erscheint es daher sinnvoll, die Situation in Rheinland-Pfalz näher zu beleuchten. Dazu sollen Interviews mit rheinland-pfälzische Lehrkräften durchgeführt werden. Eine theoretische Grundlage wird dabei durch die Klärung der Begriffe Inklusion und Migration geschaffen. Besondere Berücksichtigung sollen dabei die jeweiligen Chancen und Herausforderungen sowie die In- tersektionalität der beiden Themen und deren Auswirkung auf die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung erfahren. Im empirischen Teil wird anschließend ein Interviewleitfaden erarbeitet, durchgeführt und ausgewertet. Dabei sollen die Ergebnisse der Literaturrecherche und des empirischen Teils verknüpft werden. Im Fazit soll dann sowohl eine erneute Betrachtung der Forschungsfrage geschehen als auch eine Ableitung von möglichen Perspektiven. Eine ausführliche Darstellung des Forschungsprozesses kann im Kapitel zum methodischen Design eingesehen werden.
2 Methodisches Design
Hinsichtlich des methodischen Designs wurden mehrere Forschungsmethoden in Betracht gezogen. Im folgenden Abschnitt soll nun die Auswahl des finalen methodischen Design begründet dargestellt werden. Außerdem soll die Gültigkeit der Forschung anhand von Gütekriterien evaluiert werden.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Ergründung eines möglichen Einflusses von Migration auf die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Bei einer quantitativen Vorgehensweise anhand von Fragebögen müssten mögliche Chancen und Herausforderungen nicht nur recherchiert, sondern bereits vor dem empirischen Teil auf die wichtigsten Aspekte reduziert werden (Helfferich 2011, 29). Aus dem so entstandenen Theoriemodell würden dann Forschungsfragen und -hypothesen abgeleitet und hinreichend präzise formuliert werden (Bortz/Döring 2016. 24). Angesichts der bisher übersichtlichen Literatur wäre eine solch präzise Definition der Chancen und Herausforderungen jedoch kaum möglich. Außerdem müssten sich diese Merkmale anhand von Skalenniveaus und standardisierten Erhebungsinstrumenten messen lassen. So könnte mit einem Fragebogen etwa überprüft werden, welche der vorab identifizierten Chancen und Herausforderungen in welchem Maße von den Lehrkräften wahrgenommen werden. Ziel einer solchen Forschung wäre dann herauszufinden, wie relevant bestimmte Chancen und Herausforderungen empfunden 6
werden. Da die Forschungsfrage jedoch nicht auf die Bewertung, sondern auf die Ermittlung von Chancen und Herausforderungen abzielt, wurde für die vorliegende Arbeit eine qualitative Vorgehensweise anhand von Interviews gewählt. Somit wird die Reduktion der Chancen und Grenzen erst in der Auswertung vollzogen (Helfferich 2011, 29). So entsteht bei Interviews anhand der Befragungen in kurzer Zeit eine Fülle an Informationen (vgl. Bortz/Döring 2016, 357). Diese sind jedoch zunächst in den Transkripten verborgen und werden erst nach deren Aufbereitung nutzbar. Nachdem die Entscheidung für das übergeordnete Forschungskonzept begründet wurde, muss jetzt das konkrete methodische Design der Arbeit dargestellt werden. Dabei soll nach den Entscheidungsschritten der Interviewplanung nach Helfferich (vgl. Helf- ferich 2011, 167-171) vorgegangen werden.
Gegenstand der Forschung ist die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Anhand der Forschungsfrage soll ermittelt werden, inwiefern sich Migration auf die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung auswirkt. Ziel ist dabei potentielle Chancen und Herausforderungen zu identifizieren, um Perspektiven für die inklusive Beschulung im Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung abzuleiten. Dies geschieht einerseits anhand einer Literaturrecherche und andererseits anhand einer eigenen qualitativen Untersuchung. Dazu sollen Lehrkräfte interviewt werden, die Erfahrungen mit Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung haben. Hierfür wurden zum Einen Förderschullehrkräfte und zum Anderen an Schwerpunktschulen beschäftigte Lehrkräfte ausgewählt. Eine ausführliche Begründung der Auswahl des Personenkreises befindet sich im Kapitel zum Anliegen des empirischen Teils. Da die für eine Masterarbeit angemessene Anzahl an Interviews lediglich bei fünf liegt, können die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden. Vielmehr sollen Sie als Einblicke und Grundlage für die Ableitung erster Perspektiven dienen. Um sicherzustellen, dass die Interviews miteinander vergleichbar sind, werden diese anhand eines Leitfadens durchgeführt (vgl. Helfferich 2019, 675). Damit dieser ,, ,So offen wie möglich, so strukturierend wie nötig‘ ‘‘ (Helfferich 2019, 676) ist, schlägt Helfferich drei Prinzipien für den Aufbau eines Interviewleitfadens vor. Erstens sollte gewährleistet sein, dass sich die Teilnehmenden so frei wie möglich äußern können (vgl. Helfferich 2019, 676). Dazu sollten Erzählimpulse enthalten sein, die dafür sorgen, dass möglichst viele relevante Aspekte von selbst angesprochen werden (vgl. ebd.). Zweitens sollten Unterfragen enthalten sein, damit nicht angesprochene, aber relevante Aspekte aufgegriffen werden können (vgl. ebd.). Drittens sollten am Ende des Interviews strukturierte und vorformulierte Fragen gestellt werden (vgl. Helfferich 2019, 676f). Die Prinzipien sorgen für die Priorisierung der Offenheit, die Übersichtlichkeit des Leitfadens sowie für eine Anpassung an den Erzählfluss (vgl. Helfferich 2019, 677). Um die Prinzipien im Forschungsdesign zu berücksichtigen, erfolgt die Ableitung des Interviewleitfadens anhand des sogenannten SPSS-Prinzips. Dabei erfolgt eine Sammlung, Prüfung, Sortierung und Subsumierung der Fragen (vgl. 677f). Eine ausführliche Beschreibung sowie die Anwendung des SPSS-Prinzips kann im Kapitel zur Entwicklung des Leitfadens eingesehen werden. Aufgrund der Offenheit der Fragen sind die Interviews als halbstrukturiert einzustufen (vgl. Bortz/Döring 2016, 358). So gibt der Leitfaden zwar sowohl Fragen als auch eine Reihenfolge vor, diese können jedoch trotzdem auf die Interviewsituation angepasst werden (vgl. ebd). So können Fragen etwa vorgezogen oder zunächst übersprungen werden, um den Erzählfluss nicht zu unterbrechen (vgl. ebd.) Im Gegensatz zu einem vollstrukturierten Interview werden zudem keine Antwortmöglichkeiten vorgegeben, sodass die Interviewten die Fragen ausführlich in ihren eigenen Worten beantworten können (vgl. Bortz/Döring 2016, 358f). Weitere Details zur Ausgestaltung der Interviewsituation sind in den Durchführungshinweisen zu finden. Die Interviews werden mithilfe von Audioaufnahmen festgehalten und nach dem einfachen Transkriptionssystem nach Dresing und Pehl (2018, 21f) transkribiert. Anschließend werden die Transkripte einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen. Dabei werden im Wesentlichen einzelnen Textpassagen induktiv am Material gebildete Kategorien zugeordnet (vgl. May- ring/Fenzl 2019, 634). Zudem wird überprüft, ,,[...] ob bestimmte Kategorien mehrfach Textstellen zugeordnet werden können.‘‘ (Mayring/Fenzl 2019, 634). Eine detaillierte Darstellung und Durchführung des Auswertungsprozesses befindet sich im Kapitel zu den Ergebnissen. Um dem Verlust von Aufnahmen vorzubeugen, werden die Aufnahmegeräte bereits vorab erprobt (vgl. Hug/Poscheschnik 2011, 105). Die Teilnehmenden werden etwa zwei Monate vor der Erhebung rekrutiert. Dazu werden sowohl die 258 Schwerpunktschulen als auch die 55 Förderschulen mit dem Schwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung per E-Mail kontaktiert. Die Anzahl und E-Mail-Adressen der Schulen wurden dem Bildungsserver des pädagogischen Landesinstituts Rheinland-Pfalz (2015) entnommen. Um den Datenschutzrichtlinien zu entsprechen, wird den Teilnehmenden vorab eine schriftliche Einwilligungserklärung vorgelegt (vgl. Helfferich 2011, 170). Zusätzlich wird das Einverständnis auf der Audioaufnahme festgehalten. Zudem werden alle persönlichen Daten der Teilnehmenden anonymisiert und ausschließlich im Rahmen dieser Masterarbeit verwendet.
Hinsichtlich der Gütekriterien qualitativer Forschung, raten sowohl Flick als auch Mayring von einer Anwendung der quantitativen Kriterien Reliabilität, Validität und Objektivität ab (vgl. Flick 2019, 474; Mayring 2016, 142). So würde eine Stabilität der Ergebnisse bei einer wiederholten Durchführung von Interviews eher auf eine Verfälschung der Ergebnisse, als auf eine Reliabilität des Forschungsprozesses hinweisen (vgl. Flick 2019, 474). Auch eine Standardisierung der Erhebungs- und Auswertungssituation sei mit qualitativen Methoden wie Interviews nicht kompatibel (vgl. ebd.). Helfferich merkt zudem an, dass die Textgenerierung qualitativer Forschungsmethoden immer kontextgebunden ist (vgl. Helfferich 2019, 683). Jedoch führe eine offene Formulierung der Fragen dazu, dass die Interviewten nach ihrer subjektiven Wahrheit antworten (vgl. Helfferich 2019, ;683f). Dies führe dazu, dass diejenigen Aspekte erhoben und verstanden werden, die erhoben und verstanden werden sollen (vgl. Helfferich 2019, 683f). Eine Objektivität könne ggf. innerhalb der Auswertung erreicht werden, indem überprüft wird, ob die Bedeutung der qualitativen Daten bei der Analyse durch zwei Forscher:Innen konsistent bleibt (vgl. Flick 2019, 475). Eine Analyse des Transkriptionsmaterials durch mehrere Personen ist bei einer Masterarbeit jedoch weder zulässig noch möglich. Um dennoch qualitative Ansprüche an die qualitative Forschung stellen zu können, schlagen Flick und Mayring eine Transparenz des Forschungsprozesses vor (vgl. Flick 2019, 485; Mayring 2016, 144). Hierfür gibt es verschiedene Ansätze zur Geltungsbegründung (vgl. Flick 2019, 480-484). So formuliert Mayring ,,Sechs allgemeine Gütekriterien qualitativer Forschung‘‘ (Mayring 2016, 145). Flick stellt jedoch fest, dass die verschiedenen Ansätze zur Geltungsbegründung nicht für jedes Forschungsdesgin geeignet sind. Im Folgenden soll daher überprüft werden, inwiefern die sechs Gütekriterien von Mayring in der vorliegenden Arbeit eingehalten werden können. Mit dem ersten Gütekriterium ,,Verfahrensdokumentation‘‘ soll sichergestellt werden, dass der Forschungsprozess von anderen nachvollzogen werden kann (vgl. Mayring 2016, 144f). Dies geschieht in der vorliegenden Arbeit anhand der ausführlichen Beschreibung und Begründung des methodischen Designs. Das zweite Kriterium ,,Argumentative Interpretationsabsicherung‘‘ soll garantieren, dass die Interpretationen theoriegeleitet sind (vgl. Mayring 2016, 145). Dazu soll mit dem theoretischen Teil zunächst ein Vorverständnis geschaffen werden. Zudem werden die Ergebnisse der Literaturrecherche in der Auswertung mit den empirischen Ergebnissen verknüpft. Mit dem dritten Gütekriterium ,,Regelgeleitetheit‘‘ soll die Qualität von Interpretationen mit systematischen Vorgehensweisen abgesichert werden (vgl. Mayring 2016 145f).Hierzu wird der Interviewleitfaden systematisch anhand des SPSS-Prinzips abgeleitet. Zudem wird bei der Auswertung der Transkripte die qualitative Inhaltsanalyse angewendet. Mit dem vierten Kriterium ,,Nähe zum Gegenstand‘‘ soll an die Alltagswelt der Teilnehmenden angeknüpft werden (vgl. Mayring 2016, 146). Dies kann beispielsweise durch Untersuchungen vor Ort oder durch die Erforschung von Themen, die relevant für die Befragten sind, geschehen (vgl. ebd.). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollen Lehrkräfte interviewt werden, die Erfahrungen mit Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung haben. Somit schließt die Befragung an den Alltag der befragten Personen an. Inwiefern die Interviews vor Ort in der Schule durchgeführt werden können, hängt von den jeweiligen Präferenzen der Interviewpartner:Innen ab. Die Nähe zum Gegenstand muss daher im Anschluss an die Untersuchung erneut betrachtet werden (vgl. May- ring 2016, 146). Bei dem fünften Kriterium ,,Kommunikative Validierung‘‘ sollen die Interviewpartner nach der Auswertung erneut kontaktiert werden, um die Ergebnisse mit ihnen zu diskutieren (vgl. Mayring 2016, 147). Flick gibt bei diesem Kriterium zu denken, dass nicht deutlich wird, in welchem Umfang die subjektive Zustimmung der Interviewten Einfluss auf die Forschungsergebnisse nimmt (Flick 2019, 477). Zudem sei die Konfrontation mit den Interpretationen je nach Interviewthema ethisch fragwürdig (vgl. ebd.). Da eine erneute Befragung der Lehrkräfte außerdem über die Möglichkeiten einer Masterarbeit hinausgehen würde, ist eine kommunikative Validierung nicht im Forschungsdesign vorgesehen. Um das sechste Gütekriterium der Triangulation zu erfüllen, soll der Forschungsfrage anhand verschiedener Datenquellen, Methoden, Perspektiven und Theorieansätze nachgegangen werden (vgl. Mayring 2016, 147f). In der vorliegenden Arbeit wird der Forschungsfrage einerseits mit einer Literaturrecherche und andererseits mit Leitfadeninterviews nachgegangen. Dabei werden verschiedene Datenquellen herangezogen, beispielsweise empirische Studien, statistische Veröffentlichungen und Literatur zu Schüler:Innen mit Migrationshintergrund und oder Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Zudem werden Theorien zu den Phänomenen Inklusion und Migration berücksichtigt. Da sowohl Förderschullehrkräfte als auch Lehrkräfte an Schwerpunktschulen interviewt werden, könnten in den Ergebnissen verschiedene Perspektiven auftauchen. Die Befunde der empirischen Untersuchung werden zudem in Kontext zu den Ergebnissen der Literaturrecherche gesetzt.
Bortz und Döring merken an, dass bei qualitativen Forschungsdesigns [...] Datenerhebung und vorläufige Datenauswertung [idealerweise] so lange fortgesetzt [werden], bis keine substanziell neuen Ergebnisse mehr entstehen [.] (Bortz/Döring 2016, 26). In dieser Hinsicht hätte sich ein zirkuläres Vorgehen nach dem Grounded-Theory-Approach angeboten. Hier werden Datengewinnung, Datenanalyse, und Theoriebildung solange parallel vollzogen, bis das Einbeziehen neuer Quellen keine weiteren Eigenschaften mehr hervorbringt (vgl. Strübing 2019, 530f; 533). Eine solche theoretische Sättigung ist im Rahmen einer Masterarbeit jedoch nicht zu erreichen. Erstens ist der Umfang der literaturbasierten Ergründung des Phänomens durch die Forschungsfrage und die Seitenanzahl begrenzt. Zweitens wurden lediglich fünf Lehrkräfte interviewt, davon drei Lehrkräfte an Schwerpunktschulen und zwei Lehrkräfte an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Die Ergebnisse sind daher weder repräsentativ, noch generalisierbar. Vor diesem Hintergrund scheint drittens auch die beim Grounded-Theory-Approach übliche dreifache Codierung (vgl. Flandorfer 2021) nicht sinnvoll. Ziel einer solchen Auswertung ist die Ableitung eines Theoriemodells. (vgl. ebd.) Die im Rahmen einer Masterarbeit mögliche Recherche würde hierfür jedoch nicht genügend Daten generieren. Somit steht am Ende der vorliegenden Arbeit kein theoretisches Modell, sondern vielmehr eine Darstellung der vorläufigen Ergebnisse.
3 Theoretische Grundlagen
Sowohl bei Inklusion als auch bei Migration handelt es sich um gesellschaftlich aufgeladene Begriffe. Wie sich auch in dem folgenden Kapitel zeigen wird, führt dies zu großen Schwankungen zwischen den verschiedenen Definitionen. Um der Forschungsfrage literaturbasiert nachzugehen, müssen daher zunächst die Begriffe Inklusion und Migration sowie damit verbundene Fachtermini bestimmt werden. Zur Übersicht werden die zugehörigen Fachbegriffe zu Beginn des jeweiligen Unterkapitels genannt. Anschließend erfolgt eine Darstellung der bisherigen Erkenntnisse zur Intersektionalität von Inklusion und Migration.
3.1 Inklusion im Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung
Der Begriff Inklusion taucht in vielen Kontexten auf. So begegnet man ihm nicht nur in der Literatur der Sonderpädagogik sondern auch in Texten zur Migration. Während Inklusion im sonderpädagogischen Sinne zumeist auf die Teilhabe von Menschen mit Behinderung bezogen ist, ist im Kontext des Phänomens Migration die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund gemeint. Es erscheint daher unausweichlich bereits in diesem Kapitel vereinzelt auf die Bedeutung von Inklusion im Kontext von Migration einzugehen. Der Fokus des folgenden Kapitels soll jedoch die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung in der Schule sein. Diese Vorgehensweise verlangt zunächst eine Betrachtung des Förderschwerpunkts Ganzheitliche Entwicklung.
3.1.1 Von Exklusion zu Inklusion? - Der Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung
Der Begriff ,,Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung‘‘ stellt eine für Rheinland-Pfalz spezifische Abwandlung des von der Kultusministerkonferenz definierten ,,Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung‘‘ dar (vgl. Ratz 2020, 30). Hintergrund dieser Namensvariante ist das rheinland-pfälzische Schulkonzept der ganzheitlichen Entwicklungsförderung von Schüler:In- nen mit geistiger Behinderung (vgl. MfBFJ 2001, 7). Allerdings findet sich das Konzept der Ganzheitlichkeit auch in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zum Förderschwerpunkt geistige Entwicklung wieder, (vgl. KMK 1998, 9, 15, 17, 19f; KMK 2021 a, 22) weshalb die Begriffe ,,Förderschwerpunkt geistige Entwicklung‘‘ und ,,Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung‘‘ in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet werden.
Doch wer ist nun genau gemeint, wenn von Schüler:Innen mit Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung die Rede ist? Tatsächlich ist weder in den Richtlinien noch im Lehrplan des Förderschwerpunkts eine Beschreibung der Schüler:Innen zu finden (vgl. MfBFJ 2001, 7). Dies solle einen Fokus auf Entwicklungsdefizite, Abweichungen und Auffälligkeiten verhindern, um die individuelle Besonderheit der Schüler:Innen zu respektieren (vgl. ebd.). Die begriffliche Unschärfe sei ein Muss, um die Individualität und Komplexität unterschiedlicher Förderbedürfnisse adäquat darzustellen (vgl. ebd.) Auch für den bundesweiten Begriff Förderschwerpunkt geistige Entwicklung gibt es keine einheitliche Definition (Baumann et al, 2021, 14). Allerdings seien laut Dworschak et al. insbesondere im Inklusionskontext zuverlässige Informationen zu den Bedingungen des Förderschwerpunkts relevant (vgl. Dworschak et al. 2014, 7). Um dennoch eine Annäherung an diese Schülergruppe zu ermöglichen, soll im Folgenden sowohl auf die Entstehung des Förderschwerpunkts als auch auf aktuelle Erkenntnisse zu den Schüler:In- nen eingegangen werden. Dazu sollen zunächst die wichtigsten Entwicklungen des Förderschwerpunkts in den historischen Kontext eingeordnet werden. Diese Vorgehensweise bietet sich an, da somit zugleich der Wandel des Behinderungsverständnis sowie der Entstehungskontext der inklusiven Beschulung nachvollzogen werden kann.
Es kann bereits vorweg genommen werden, dass die Geschichte der Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung selbst erst in der Nachkriegszeit des vergangenen Jahrhunderts begann (vgl. Ratz/Dworschak 2014, 9).
Geistig behinderte Kinder und Jugendliche wurden nach dem Krieg zunächst in den wiederaufgebauten Anstalten untergebracht (vgl. Dietze 2019, 205). Später in den 1950ern wurden sogenannte Tagesbildungsstätten als Betreuungseinrichtungen eingerichtet, diese bestanden bis zum Anfang der 70er Jahre fort (vgl. ebd.). Eine Schulpflicht für Kinder mit geistigen Behinderungen wurde zunächst kategorisch abgelehnt (vgl. Lindmeier 2012, 32).
,,Eine deutliche Zäsur bildet allerdings die Gründung der Bundesvereinigung Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind e.V. im Jahr 1958. Dieser Elternvereinigung gelingt in den 1960-er und 1970er-Jahren [...] die Durchsetzung des Rechts auf schulische Bildung für Kinder und Jugendliche mit geistigen Behinderungen.‘‘(Lindmeier 2012, 32)
Bleidick und Ellger-Rüttgardt verweisen daher zu Recht darauf, dass die Geschichte der Geistigbehindertenpädagogik in Deutschland die Geschichte eines beispiellosen Erfolgs einer Elterninitiative sei (vgl. Bleidick/Ellger-Rüttgardt 2008, 130). Auch die spätere gesetzliche Verankerung der Möglichkeit des gemeinsamen Lernens kann auf Elternbewegungen zurückgeführt werden, da diese mithilfe von Wissenschaftlern erfolgreiche Modellversuche zur schulischen und außerschulischen Integration durchführten (vgl. Lindmeier 2012, 35). Schulen für Geistigbehinderte tauchen in den Schulstatistiken ab 1967 auf und werden mit einem Anstieg von 96 auf 212 Schulen bereits 1970 zum zweithäufigsten Sonderschultyp. (vgl. Dietze 2019, 206). 1968 nahm der pädagogische Ausschuss der Lebenshilfe eine Eingrenzung der Schülerschaft an Sonderschulen für Geistigbehinderte vor (vgl. Dietze 2019, 202). Die obere Grenze wurde bei der nicht mehr erfolgreichen Teilnahme am Hilfsschulunterricht gesetzt, während die untere Grenze anhand von Mindestkriterien, wie allgemeine Sauberkeit, Fortbewegungsfähigkeit und Fähigkeit des Zusammenseins mit anderen Kindern festgelegt wurde (vgl. ebd.). Ausschlusskriterien waren demnach eine seelisch-geistige Unerreichbarkeit, die Notwendigkeit einer dauerhaften speziellen oder medizinischen Betreuung sowie Verhalten, dass das körperliche Wohl anderer Schüler:Innen gefährdet (vgl. ebd.). Für diese Schüler:In- nen waren einzelpädagogische oder fürsorgliche Maßnahmen vorgesehen (vgl. Dietze 2019, 202f). Die KMK-Empfehlungen von 1972 stellten potenzielle Fähigkeiten in den Vordergrund, sodass auch Schüler:Innen an der Schule für Geistigbehinderte aufgenommen werden sollten, die die Aufnahmebedingungen potentiell im späteren Verlauf des Schulbesuchs erfüllen könnten (vgl. Dietze 2019, 203). Hierfür war eine mindestens sechsmonatige Probezeit vorgesehen (vgl. ebd.). Als obere Grenze sahen die KMK-Empfehlungen einen IQ von 55-65 vor, eine untere Grenze wurde nicht festgelegt, da man bei allen Menschen zumindest von einer ,,spu- renhaften Bildsamkeit‘‘ ausgehen könne (vgl. ebd.). 1973 legte die Bildungskommission des deutschen Bildungsrates in ihren Empfehlungen Entwürfe bzgl. der Früherkennung und Förderung von Behinderung, eines flexiblen Systems von Fördermaßnahmen in kooperativen Schulzentren und einer sonderpädagogischen Ausbildung der Lehrkräfte vor (vgl. Lindmeier 2012, 34). Während die Frühförderung und Akademisierung der Sonderschullehrkräfte relativ erfolgreich etabliert wurden (vgl. Moser 2009, 22; Lindmeier 2012, 34), blieb die Beschulung behinderter Schüler:Innen weiterhin wenig integrativ (vgl. Lindmeier 2012, 34). Für Lindmeier ist dies vor allem dem Umstand geschuldet, dass die Kultusministerkonferenz in ihrer Empfehlung zur Ordnung des Sonderschulwesens 1972 die Sonderschulen als einzigen Lernort behinderter Schüler:Innen festlegte (vgl. Lindmeier 2012, 34). Er verweist jedoch auch darauf, dass die Folgeempfehlungen für die einzelnen Sonderschulen zur Umsetzung des Rechts auf Bildung für alle Kinder und Jugendliche mit Behinderung führten (vgl. ebd.). Dass nun differenziertere System der sonderpädagogischen Förderung führt im Rahmen der Kultusministerempfehlungen 1994 zur Etablierung neuer Begrifflichkeiten (vgl. Lindmeier 2012, 35). So wurden Sonder- zu Förderschulen und die Sonderschulbedürftigkeit zum sonderpädagogischen Förderbedarf, dem auch an allgemeinen Schulen nachgegangen werden konnte (vgl. ebd.). Infolge der KMK-Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen der Bundesrepublik Deutschland 1994 sowie der Empfehlungen zum Förderschwerpunkt geistige Entwicklung 1998, wurden 2001 die rheinland-pfälzischen Richtlinien und Lehrpläne zum Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung veröffentlicht (vgl. MfBFJ 2001, 1). Das bereits eingangs erwähnte Schulkonzept kann in zweierlei Hinsicht als ganzheitlich verstanden werden. Zum Einen werden Konzepte der Disziplinen Bildung, Erziehung, Therapie und Pflege vereint (vgl. MfBFJ 2001, 7). Zum Anderen werden Schüler:Innen nicht als Adressaten von Bildung und Erziehung verstanden, sondern als Akteure ihrer eigenen Entwicklung (vgl. MfBFJ 2001, 7). Einseitige Schwerpunktsetzungen oder Orientierungen an bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen, Lebensbereichen oder Zielvorstellungen werden daher abgelehnt (vgl. ebd.). Vielmehr müssten bei der Gestaltung von Aktivitäts- und Erfahrungsmöglichkeiten alle Entwicklungsbereiche der Heranwachsenden berücksichtigt werden (vgl. ebd.). Dabei seien alle Entwicklungsbereiche gleichwertig (vgl. MfBFJ 2001, 7f). Die Schüler:Innen stehen somit im Mittelpunkt der Auswahl der Unterichtsinhalte (vgl. Straßmeier 2000, 95). Die Unterrichtsinhalte sollten die Schüler:Innen daher sowohl kognitiv, affektiv sowie psychomotorisch ansprechen und sie in Situationen bringen, in denen sie als Ganzheit sinnvoll agieren und handeln können (vgl. ebd.). Zudem sollten sie den Unterrichtsgegenstand nicht isoliert, sondern in einem größeren Sinneszusammenhang betrachten (vgl. ebd.). Ganzheitlicher Unterricht beinhaltet demnach die Betonung der Bedeutung von Erlebnissen für die Persönlichkeitsentwicklung, das Einbeziehen von Emotionen sowie eine Wissensvermittlung mit überfachlichen Inhalten und Sinnbezug (vgl. ebd.). Im Lehrplan sind daher keine Fächer oder Hauptfächer sondern die acht gleichrangigen Aktivitätsbereiche ,,Arbeit und Beruf‘‘, ,,Ästhetik‘‘, ,,Freizeit und Lebensgestaltung‘‘, ,,Haushalt‘‘, ,,Ich und Andere‘‘, ,,Kommunikation‘‘, ,,Wahrnehmung und Bewegung, Spiel und Sport‘‘ sowie ,,Welterschließung‘‘ enthalten (vgl. MfBFJ 2001, 1-6,51). Obwohl der Begriff Ganzheitlichkeit bereits im Namen des Schwerpunkts auftaucht, kann den Richtlinien und dem Lehrplan allerdings keine eindeutige Definition entnommen werden. So bezieht sich Ganzheitlichkeit wahlweise auf das Ansprechen mehrerer Sinne (vgl. MfBFJ 2001, 45), auf die Vernetzung verschiedener Aktivitätsbereiche (vgl. MfBFJ 2001, 197) oder auf die Berücksichtigung mehrerer Teilbereiche eines Themas (vgl. MfBFJ 2001, 295). Hier zeigt sich erneut die begriffliche Unschärfe von Richtlinien und Lehrplan. Diese sei dem Umstand geschuldet, dass die Individualität und Komplexität der unterschiedlichen Förderbedürfnisse eine sprachliche Offenheit erforderten (vgl. MfBFJ 2001, 1). Auch in der Heilpädagogik kommt der Ganzheitlichkeit trotz ihrer Unbestimmtheit eine konstituierende Funktion zu (vgl. Wild 2008, 210). Allerdings birgt diese Offenheit auch Gefahren, so weist Straßmeier darauf hin, dass Ganzheitlichkeit
,,[...] aber auch leicht zu undifferenzierter Überbetonung des Emotionalen und Vernachlässigung von Wissens- und Kenntnisvermittlung führen [kann], wobei der Unterricht auch auf die Ebene einer Spiel- und Erlebnishaltung reduziert werden kann, die Arbeits- und Leistungseinstellungen beeinträchtigen können. [sic]‘‘ (Straßmeier 2000, 96).
So könne mit dem Argument der Ganzheitlichkeit alles mögliche legitimiert werden (vgl. Straßmeier 2000, 96). Ist Ganzheitlichkeit also lediglich eine inhaltsleere Leerformel? Bei der Ausseinandersetzung mit dieser Frage kam Wild zu dem Ergebnis, dass sich aus den vielfältigen Auslegungen des Begriffs durchaus eine gemeinsame Konvention ableiten ließe (vgl. Wild 2008 212). Dazu stellt er vier Ansätze zum Umgang mit dem Begriff vor (vgl. Wild 2008, 211f). Erstens könne Ganzheitlichkeit als methodisches Konzept verstanden werden, bei dem der natürliche Entwicklungsgang des Kindes respektiert wird (vgl. ebd.). Zweitens sei sie ein Begriffsmuster, dass die Komplexität und Undurchschaubarkeit des Umweltbezugs darstellt (vgl. ebd.). So habe Ganzheit immer auch etwas mit der Person zu tun, der die Pädagogik begegnet (vgl. ebd.). Drittens enthalte sie einen teleologischen Bezug (vgl. Wild 2008, 212). Dies basiert auf der Annahme, dass Individuen üblicherweise nicht in ihrer Ganzheit wahrgenommen und addressiert werden (vgl. ebd.). Der Telos, also die Bestimmung der Pädagogik ist es diese Ganzheit zu vermitteln und zu sichern (vgl. ebd.). Aus dieser Bestimmung resultiert viertens die Betrachtung von Ganzheitlichkeit als Handlungsorientierung der Pädagogik (vgl. ebd.). Für den Förderschwerpunkt kann also festgehalten werden, dass der Begriff der Ganzheitlichkeit trotz seiner Offenheit Orientierungspunkte für die Gestaltung der Förderung bietet.
Jedoch wurde spätestens seit den 1990er Jahren auch Kritik am Förderungsparadigma laut, woraus schließlich das Paradigma der Teilhabe und Inklusion entstand, welches Teilhabe und Inklusion als Menschenrecht von Menschen mit Behinderung versteht (vgl. Lindmeier 2012, 26; 36). Wichtige Kritikpunkte am Förderungsparadigma waren zu große Erwartungen an die Effekte der Frühförderung, die Stagnation der integrativen Förderung sowie die Stigmatisierung der Förderschüler:Innen (Lindmeier 2012, 36). Inklusion wurde dabei um den Teilhabebegriff ergänzt, um die individuellen Erfordernisse am Maßstab der sozialen Gerechtigkeit und der Bildungsgerechtigkeit zu messen (Lindmeier 2012, 40). Lindmeier verweist dazu auf fünf Anforderungen des Teilhabebegriffs nach Bartelheimer (vgl. ebd.). Erstens müsse Teilhabe immer historisch relativ verstanden werden, etwa an den aktuellen Lebensstandards oder sozioökonomischen Möglichkeiten einer Gesellschaft (vgl. Lindmeier 2012, 40f). Zweitens sei sie immer mehrdimensional, da sie das Zusammenspiel verschiedener Dimensionen gesellschaftlicher Zugehörigkeit beeinflusse (vgl. Lindmeier 2012, 41). Drittens nehme sie keine dichotome Unterscheidung von Exklusion und Inklusion vor, sondern beschreibe Abstufungen ungleicher Teilhabe (vgl. ebd.). Dabei müsse unterschieden werden zwischen der erwünschten Vielfalt von Lebensweisen und Gefährdungen von Teilhabe (vgl. ebd.). So ist es ein Unterschied, ob die Nichtteilnahme an einem Freizeitangebot auf die individuelle Lebensweise oder auf externe Prozesse und Gegebenheiten zurückzuführen ist. Viertens sei Teilhabe ein dynamisches Konzept, sodass es nicht genug sei ihren Zustand an einem bestimmten Zeitpunkt zu beurteilen (vgl. ebd.). Vielmehr müsse sie über längere Zeit beobachtet werden, etwa anhand biographischer Muster (vgl. Lindmeier 2021, 41). Fünftens sei Teilhabe aktiv, da sie im sozialen Handeln und in sozialen Beziehungen realisiert werde (vgl. ebd.). Neben der Kritik am Förderungsparadigma, macht Moser daher auch die Psychiatriereformen der 1970er und die ,,Krüppelbewegung‘‘ der 1980er für die neue Perspektive der Teilhabe verantwortlich (vgl. Moser 2009, 25). Die größten Anliegen der Behindertenbewegung waren dabei die Kritik fragwürdiger wissenschaftlicher Erhebungsmethoden, die Rolle behinderter Akademiker im wissenschaftlichen Diskurs, die kritische Analyse von Selbstbestimmung und Assistenz sowie die historische Erforschung von Eugenik, Rassenhygiene und Humangenetik (vgl. Waldschmidt 2005, 11). Die wissenschaftlichen Bestrebungen der deutschen Behindertenbewegung können laut Waldschmidt als Teil der interdisziplinären Forschungsrichtung der Disability Studies verstanden werden (vgl. Waldschmidt 2005, 9f). Diese wurde in den 1980er Jahren von behinderten Wissenschaftler:Innen im angloamerikanischen Raum begründet (vgl. ebd.) und zielt darauf ab, ,,[...] das Thema Behinderung aus seiner Randlage herauszuholen und in den Mittelpunkt eines interdisziplinären, theoretisch und methodologisch anspruchsvollen Forschungsprogramms zu stellen.‘‘ (Waldschmidt 2005, 13). Gleichzeitig wird ein Gegengewicht zum medizinisch-therapeutischen und pädagogisch-fördernden Wissenschaftsdiskurs angestrebt (vgl. Waldschmidt 2005, 13).
Bedeutsam ist in diesem Kontext auch das gewandelte Verständnis von Behinderung, was bei einem Vergleich der verschiedenen Modelle von Behinderung ersichtlich wird. Laut den Disa- bility Studies war das medizinische Modell zwischen dem 18 Jahrhundert und den 1980ern die gängigste Sichtweise auf Behinderung (vgl. Egen 2020, 23). Hier wird Behinderung als unmittelbare Konsequenz einer körperlichen oder geistigen Schädigung verstanden, die es mittels Behandlung und Förderung zu beseitigen oder zu verbessern gilt (vgl. ebd.). Behinderung wird damit zu einem negativen Wesensmerkmal, weshalb das medizinische Modell auch als individuelles Modell bezeichnet wird (vgl. Egen 2020, 23f). Anders sieht es hingegen beim sozialen Modell aus, da Behinderung hier als Ergebnis sozialer Organisation verstanden wird (vgl. Egen 2020, 26). So folge Behinderung nicht aus Schädigungen, sondern entstehe erst aufgrund von im sozialen System bestehenden Teilhabehindernissen (vgl. ebd.). Demnach müsse nicht das Individuum behandelt, sondern die Gesellschaft verändert werden (vgl. Egen 2020, 27). Als Weiterentwicklung des sozialen Modells, kam in den Disability Studies der 1990er Jahre das kulturelle Modell von Behinderung auf (vgl. Egen 2020, 32). Anders als im medizinischen und sozialen Modell stand hier nicht die Ursache von Behinderung, sondern die gesellschaftliche Konstruktion von Normalität und Abweichungen im Fokus (vgl. ebd.). Behinderung wird dabei als relational verstanden, da man sie nur in Abgrenzung zu Normalität oder Nicht-Behinderung analysieren kann (vgl. ebd.). Im Vergleich zum sozialen Modell wird also nicht nur die Behinderung, sondern auch die Schädigung als gesellschaftliche Konstruktion verstanden (vgl. Egen 2020, 33). Im kulturellen Modell sollen daher weder die Individuen noch die Gesellschaft verändert werden, sondern die Repräsentation von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft (vgl. Egen 2020, 34f). Indem Behinderung nun als kulturelles Deutungsmuster statt als persönliches oder soziales Problem verstanden wird, liegt mit dem kulturellen Modell erstmals eine Diversity- statt einer Defizitorientierung vor (vgl. Egen 2020, 34f.). Nachdem in der Praxis weder die ICD noch die ICIDH eine klare Abgrenzung zwischen Behinderung, Krankheiten und chronischen Krankheiten ermöglichte, veröffentlichte die WHO 2001 die International Classification of Functioning, Disability and Health (vgl. Egen 2020, 36). Im Gegensatz zu den bisherigen Modellen berücksichtigt das ICF-Modell sowohl die biologische als auch die individuelle und soziale Ebene von Behinderung (vgl. Egen 2020, 37):
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Das biopsychosoziale ICF-Modell (Egen 2020, 38)
Behinderung entsteht demnach aus einer Einschränkung der Teilhabe oder Aktivitäten, die aufgrund von Wechselwirkungen zwischen Umweltfaktoren, personenbezogenen Faktoren, des Gesundheitszustands sowie der Körperfunktionen und -strukturen besteht (vgl. Egen 2020, 38). Die Funktionsfähigkeit beziehe sich wiederum auf die Körperfunktionen und -strukturen, die aufgrund von Wechselwirkungen von Gesundheitszustand, Teilhabe, Umweltfaktoren und personenbezogenen Faktoren entstehen (vgl. ebd.). Schädigungen werden in diesem Modell also als Beeinträchtigung einer Körperfunktion oder -struktur verstanden (vgl. Egen 2020, 37). Behinderung und Funktionsfähigkeit sind dabei als Gegenpole auf einer Achse zu verstehen, die von den restlichen Komponenten des Modells definiert werden (vgl. Egen 2020, 38). Diese Polung führt allerdings dazu, dass Behinderung im ICF-Modell erneut einer negativen Konnotation unterliegt (vgl. Egen 2020, 39). Zudem ist der Behinderungsbegriff des ICF- Modells ambivalent, da er sich sowohl auf Schädigungen als auch auf Aktivitäts- und Teilhabeeinschränkungen bezieht (vgl. ebd.). Ähnlich wie beim medizinischen Modell wird somit das Individuum mit seinem Gesundheitszustand zum Ausgangspunkt der Beurteilung der Behinderung (vgl. ebd.). Obwohl das biopsychosoziale Modell eine Integration des medizinischen und sozialen Modells anstrebt, findet also eine Überbetonung der Aspekte des medizinischen Modells statt (vgl. ebd.). Indem die Beurteilung der Körperfunktionen und -strukturen anhand des Grades der Normabweichung einer Schädigung erfolgt, wird Behinderung zudem als Abweichung normaler Funktionsfähigkeit klassifiziert (vgl. Egen 2020, 40). Kontextfaktoren werden hinsichtlich der individuellen Leistungsfähigkeit nur bedingt berücksichtigt, so besteht die Möglichkeit Hilfsmittel und personelle Assistenz bei der Beurteilung der Teilhabe auszuklammern (vgl. Egen 2020, 40f). Ein weiterer Kritikpunkt ist die Tatsache, dass das Modell sich zwar eignet, um Aspekte der Funktionsfähigkeit und Behinderung zu klassifizieren, jedoch keine Möglichkeit zur Unterscheidung von Behinderung und Nicht-Behinderung bietet (vgl. Egen 2020, 39).
Das Modell ist Teil des neunten Sozialgesetzbuchs, der Rehabilitationsrichtlinie sowie des Bundesteilhabegesetzes (vgl. Egen 2020, 41). Auch in der Behindertenrechtskonvention der vereinten Nationen taucht das ICF-Modell auf, wobei hier eine stärkere Betonung der physischen und einstellungsbezogenen Barrieren zu finden ist (vgl. ebd.). Infolge des Inkrafttretens des neunten Sozialgesetzbuchs im Jahr 2001 wurde Behinderung nun also aus der Perspektive der Teilhabe betrachtet (vgl. Moser 2009, 25). Mit der Ratifizierung der UN-BRK in Deutschland kommt der Teilhabe seit 2009 zudem der Status eines Menschenrechts zu (vgl. Egen 2020, 42). Somit werden Menschen mit Behinderung nun weder als Dauerpatienten noch als Opfer gesellschaftlicher Strukturen verstanden, sondern als gleichberechtigte Personen mit selbstverständlichen Bürgerrechten (vgl. ebd.). Egen weist jedoch darauf hin, dass die Pflicht dieses Recht auf Gleichberechtigung umzusetzen vor allem auf dem Papier besteht, da die Nichterfüllung der Konvention mit keinerlei rechtlichen Konsequenzen einhergeht (vgl. ebd.). Mit diesem neuen Verständnis von Behinderung kommt der Pädagogik das Handlungskonzept der partizipativen und inklusiven Bildung zu (vgl. Lindmeier 2012, 26), denn laut Artikel 24 der UN-BRK müssen die Vertragsstaaten ein inklusives Schulsystem gewährleisten (vgl. Dietze 2019, 15). So dürften Menschen mit Behinderung weder vom allgemeinen Bildungssystem noch vom obligatorischen und unentgeltlichen Besuch von Grundschulen oder weiterführen Schulen ausgeschlossen werden (vgl. ebd.). Stattdessen müsse ihnen der Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grund- und weiterführenden Schulen gewährleistet werden (vgl. ebd.). Um die Vorgaben der UN-BRK umzusetzen, wurden in den meisten Ländern Aktionspläne erarbeitet, der erste Aktionsplan lag 2010 in Rheinland-Pfalz vor (vgl. Lange/Wenzel 2016, 9). Dort ist inklusive Beschulung dank erfolgreicher Modellversuche bereits seit den 1990er Jahren an sogenannten Schwerpunktschulen möglich (vgl. Lange/Wenzel 2016, 10). Schwerpunktschulen sind allgemeine Schulen, die Schüler:Innen mit und ohne Behinderung zielgleich und zieldifferent unterrichten (vgl. Lange/Wenzel 2016, 9). Dabei können Schüler:Innen aus allen Förderschwerpunkten aufgenommen werden (vgl. ebd.). Sie unterscheiden sich insofern von anderen allgemeinen Schulen, als dass sie ein pädagogisches Konzept für die individuelle Förderung aller Kinder entwickeln müssen und mit zusätzlichen Förderschullehrkräften und pädagogischen Fachkräften ausgestattet sind (vgl. ebd.). Zwar wird inklusiver Unterricht auch an anderen allgemeinen Schulen angeboten, jedoch erfolgt dieser zielgleich und wird i.d.R. durch keine zusätzlichen Ressourcen unterstützt (vgl. Lange/Wenzel 201610). Auch im rheinland-pfälzischen Schulgesetz ist der Zugang für Schüler:Innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf zum Regelschulsystem bereits seit 2002 verankert (vgl. Lange/Wenzel 2016, 11). Dies geschah allerdings unter dem Vorbehalt, dass notwendige Ressourcen, wie Personal und sächliche Ausstattung vorhanden sein müssen (vgl. Lange/Wenzel 2016, 11f). Mit dem Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-BRK wurde ein Ausbau dieser Strukturen angestrebt (vgl. Lange/Wenzel 2016, 9). So stieg die Anzahl der Schwerpunktschulen zwischen 2009 und 2015 von 172 auf 277 Schulen an, wobei 160 Grundschulen und 117 Schulen der Sekundarstufe I enthalten sind. (vgl. Lange/Wenzel 2016, 10f). Mit dem Landeskonzept Inklusion wurden 2013 zudem weitere Schritte, wie die gesetzliche Verankerung des Wahlrechts der Eltern zwischen Förderschulen und inklusiven Angeboten, beschlossen (vgl. ebd.). Zudem fiel mit der Schulgesetznovelle von 2014 der Ressourcenvorbehalt der inklusiven Beschulung weg (vgl. Lange/Wenzel 2016, 11f). In der Fortschreibung des Aktionsplans wird seit 2015 außerdem die Ausweitung sonderpädagogischer Beratungsangebote an den Regelschulen angestrebt (vgl. ebd.). Um die Auswirkung dieser Veränderungen nachzuvollziehen, lohnt sich ein Blick auf die Förder- und Exklusionsquote. Erstere erfasst den Anteil der Schüler:Innen mit Förderbedarf an allen Schüler:Innen mit Förderbedarf, während Zweitere sich auf den Anteil der Schüler:Innen bezieht, die an einer Förderschule unterrichtet werden (vgl. Lange/Wenzel 2016, 13f).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Inklusionsentwicklung in Rheinland-Pfalz (vgl. Lange/Wenzel 2016, 13; Klemm 2021 a; Klemm 2022, 16,18)
Es zeigt sich eine ambivalente Entwicklung. So zeichnet sich bis zum Schuljahr 2018/2019 zwar ein Anstieg des Inklusionsanteils der Förderquote ab, die Exklusionsquote schien jedoch sogar leicht zuzunehmen. Der gleichzeitige Anstieg der gesamten Förderquote könnte darauf hinweisen, dass der erhöhte Inklusionsanteil auf Veränderungen im diagnostischen Verhalten zurückzuführen ist (vgl. Lange/Wenzel 2016, 14). Es sei beispielsweise denkbar, dass es vermehrt zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs bei Schüler:Innen kommt, die bereits eine allgemeine Schule besuchen (vgl. ebd.). Bezieht man zudem die demografische Entwicklung mit ein, so fällt auf, dass die Gesamtzahl aller Schüler:Innen zwischen 2009 und 2014 um 11,4 Prozent zurück ging, während die Anzahl der Förderschüler:Innen nur um 7,8% sank (vgl. ebd.). Interessant ist auch die Entwicklung nach dem Schuljahr 2018/2019, denn ab hier scheint die Förderquote zu stagnieren, während der Inklusionsanteil leicht abnimmt und die Exklusionsquote weiterhin leicht zunimmt (vgl. Tab. 1). Gleichzeitig geht die Anzahl der Förderschüler:Innen bundesweit nun stärker zurück als die Gesamtheit der Schüler:Innen (vgl. Klemm 2021 b, 46; Klemm 2022, 8). Betrachtet man jedoch die bundesweite Entwicklung, so nimmt der Inklusionsanteil weiterhin leicht zu, während die Förderquote und die Exklusionsquote stagnieren (vgl. vgl. Klemm 2021 a; Klemm 2022, 16,18). Somit scheint sich Rheinland-Pfalz tendenziell vom Ziel der UN-BRK zu entfernen (vgl. Klemm 2022, 9), während bundesweit eine Annäherung zu beobachten ist. Es ist jedoch anzumerken, dass es seit dem Schuljahr 2016/2017 Veränderungen in der Erhebungspraxis der Kultusministerkonferenz gibt, sodass ab hier die Anzahl der inklusiv beschulten Schüler:Innen aus dem Saarland sowie der Förderschwerpunkt ,,Kranke‘‘ nicht mehr enthalten sind (vgl. Klemm 2022, 6). Somit sind die Daten sowohl bundesweit als auch für RheinlandPfalz nur eingeschränkt vergleichbar (vgl. ebd.).
Für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung zeichnen sich bundesweit ähnliche Veränderungen ab wie bei der rheinland-pfälzischen Inklusionsentwicklung. Hier stieg die Förderquote zwischen 1999 und 2018 von 0,7% auf 1,3% an, womit sie sich fast verdoppelt hat (vgl. Ratz/Dworschak 2021, 13). Obwohl seit dem Schuljahr 2008/2009 insgesamt ein Rückgang der Exklusionsquote zu verzeichnen ist, ist die Exklusionsquote im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung bis zum Schuljahr 2020/2021 von 0,94% auf 1,16% angestiegen (vgl. Klemm 2022, 10). Auch hier werden die Ursachen in einer veränderten Diagnosepraxis vermutet, da sich die Grenze zum Förderschwerpunkt Lernen verschoben habe (vgl. Ratz/Dworschak 2021, 13). Insgesamt sei keine Verlagerung des Förderortes in die Regelschulen, sondern eine Ausweitung der Schülerschaft mit dem Förderschwerpunkt geistige Behinderung zu beocbachten (vgl. Dietze 2019, 209). Dabei könnten die im Vergleich zum Förderschwerpunkt Lernen höheren Ressourcenzuweisungen eine Rolle spielen (vgl. ebd.). Zudem scheint es keine stabilen und einheitlichen Zuweisungskriterien für den Förderschwerpunkt zu geben, sodass die Zuweisungspraxis sich sehr heterogen ausgestaltet (vgl. Ratz/Dworschak 2021, 13f). Laut Ratz und Dworschak zeige sich auch in internationalen Studien, dass das Vorliegen einer geistigen Behinderung nicht klar von einer Lernbehinderung abzugrenzen ist (vgl. ebd.). So würden ICD-10 und DSM-5 sich vorallem auf Intelligenzminderungen beziehen, während die ICD-11 den Begriff kognitive Entwicklungsstörung einführe und adaptive Fähigkeiten in die Diagnose miteinbeziehe (vgl. ebd.). Zudem würden auch Lehrkräfte und Schulleiter:Innen von einer veränderten Schülerschaft berichten (vgl. Ratz/Dworschak 2021, 7).
Es wurde deutlich, dass eine alleinige Betrachtung der Paradigmen lediglich zu einem verworrenen und meist defizitären Bild der Schüler:Innen mit Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung führt. Aus diesem Grund haben es sich Dworschak et al. zur Aufgabe gemacht, die Schülergruppe auf eine Weise zu beschreiben, die es erlaubt Handlungsmöglichkeiten abzuleiten (vgl. Dworschak et al. 2014, 7; Ratz/Dworschak 2014, 11). Anders als beim ICD war das Ziel dabei nicht die Erfassung von Defiziten sondern eine umfangreiche Darstellung der heterogenen Ausgangslage, mit der Lehrkräfte an Förderschulen und inklusiven Settings konfrontiert sind (vgl. ebd.). Außerhalb des Förderschwerpunkts sei das Wissen über die schulischen Bedingungen des Förderschwerpunkts oft rudimentär (vgl. Dworschak et al. 2014, 7). Dabei seien Kenntnisse zum Förderschwerpunkt insbesondere im Inklusionskontext relevant (vgl. ebd.). So seien Regelschullehrkräfte, Schulleitungen, -verwaltungen und Politik bei ihren Entscheidungen auf zuverlässige Informationen zur Schülergruppe angewiesen (vgl. ebd.). Um die Heterogenität des Förderschwerpunkts adäquat abzubilden, wurden bei der Beschreibung sowohl medizinische, soziobiografische und bildungsbiografische Aspekte als auch Aspekte, die bzgl. des Unterrichts, Verhaltens und Erlebens relevant sind, betrachtet (vgl. Dworschak et al. 2014, 165). Dazu wurden repräsentative Daten zur Schülerschaft mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in Bayern erhoben (vgl. ebd.). Die Rezeption der SFGE-Studie zeigt, dass die Beschreibung der Schülerschaft mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung tatsächlich einen Mehrwert für die Förderschulen, Inklusive Beschulung und Bildungspolitik zu haben scheint (Baumann et al. 2021, 5). Um die weitere Entwicklung der Schülerschaft zu beobachten und neue Aspekte miteinzubeziehen wurde mit der SFGE-II-Studie knapp zehn Jahre später eine Follow-up-Studie durchgeführt (vgl. Baumann et al. 2021, 5). Um die Ausgangslage des Förderschwerpunkts auch in der vorliegenden Studie zu berücksichtigen, müssen an dieser Stelle also die Ergebnisse der SFGE-I- und SFGE-II-Studie miteinbezogen werden. Ein besonderes Augenmerk soll dabei dem soziobiographischen Aspekt ,,Migrationshin- tergrund‘‘ gelten.
Die Ergebnisse der SFGE-I-Studie suggerierten ein hohes Maß an sozialer Ungleichheit, da sich innerhalb des Förderschwerpunkts geistige Entwicklung charakteristische Abweichungen hinsichtlich der Aspekte Geschlecht, Migrationshintergrund und soziale Lage zeigten (vgl. Dworschak et al. 2014, 166). Hinsichtlich der Merkmale Geschlecht und soziale Lage sind diese Abweichungen auch zehn Jahre später noch zu beobachten (vgl. Baumann et al. 2021, 217). 2010 hatten Familien von Schüler:Innen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung deutlich seltener einen hohen sozioökonomischen Status, als Familien von Schüler:Innen an allgemeinen Schulen (vgl. Dworschak et al. 2014, 166). Als Risikogruppen taten sich dabei Alleinerziehende sowie Familien mit Migrationshintergrund hervor (vgl. ebd.). Gleichzeitig zeigte sich mit dem Anteil von 18,3% an Förderschulen im Vergleich zu 11,7% an allgemeinen Schulen eine deutliche höhere Repräsentation von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund an den Förderschulen (vgl. Baumann et al. 2021, 217f). Unter Schüler:Innen mit Migrationshintergrund werden dabei Schüler:Innen verstanden, die mindestens eines der drei Merkmale ,,Familiensprache ist nicht deutsch‘‘, ,,das Geburtsland ist nicht Deutschland‘‘ oder ,,die Staatsangehörigkeit ist nicht deutsch‘‘ erfüllen (vgl. Selmayr/Dworschak 2021 a, 37). Bezüglich der Daten zu den ausländischen Schüler:Innen, also Schüler:Innen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. So betrug der Anteil ausländischer Schüler:In- nen an allen bayrischen Schulen 7,1% und an Förderschulen 10,7%, womit sich auch hinsichtlich ausländischer Schüler:Innen eine Überrepräsentation an den Förderschulen zeigte (vgl. Selmayr/Dworschak 2021 a, 49). 2019 ist die sozioökonomische Situation im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung insgesamt weiterhin deutlich unterdurchschnittlich (vgl. ebd.). Dabei ist jedoch zu betonen, dass die finanzielle Situation sich sehr heterogen ausgestaltet (vgl. Selmayr/Dworschak 2021 a, 45). Alleinerziehende und Familien mit Migrationshintergrund treten weiterhin als Risikogruppen hervor, insbesondere bzgl. monetär-materiellen Bedingungen (vgl. ebd.). Betrachtet man jedoch den Anteil der Schüler:Innen mit Migrationshintergrund, so ist lediglich ein Anstieg von 18,3% auf 21,6% zu beobachten, was hinter dem Anstieg an allen allgemeinbildenden Schulen von 11,7% auf 22,3% zurückbleibt (vgl. Dworschak et al. 2021, 217f). Somit sind Schüler:Innen mit Migrationshintergrund an bayrischen Förderschulen mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung nicht mehr überrepräsentiert, sondern befinden sich knapp unter dem Durchschnitt (vgl. ebd.). Ausländische Schüler:Innen sind mit einem Anstieg von 10,7& auf 14,5% an Förderschulen und einem Anstieg von 7,1% auf 10,8% allerdings weiterhin überrepräsentiert (vgl. Selmayr/Dworschak 2021 a, 49). Es erscheint daher sinnvoll im Kapitel zu den Schüler:Innen mit Migrationshintergrund auch darauf einzugehen, wie sich der Migrations- bzw. Ausländeranteil in den letzten Jahren entwickelt hat (vgl. Kap. 3.2, 55). Bei einem Teil der Schüler:Innen wird von zusätzlichen Belastungsfaktoren durch begrenzte Aufenthaltstitel und Fluchterfahrungen ausgegangen (vgl. ebd.). Es kann also festgehalten werden, dass die Schülerschaft im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung heterogen hinsichtlich ihrer soziobiographischen Merkmale ist (vgl. Selmayr/Dworschak 2021 a, 52). Die große Mehrheit der Schüler:Innen im Förderschwerpunkt besitzt dabei eine deutsche Staatsangehörigkeit oder lebt von Geburt an in Deutschland (vgl. Selmayr/Dworschak 2021 a, 43). Dennoch muss beachtetet werden, dass etwa ein Fünftel der Schüler:Innen einen Migrationshintergrund hat und 16% der Schüler:Innen kein Deutsch zuhause sprechen (vgl. Sel- mayr/Dworschak 2021 a, 50). Somit erscheinen Fähigkeiten im Bereich interkultureller Kompetenz, Deutsch als Zweitsprache und Schriftspracherwerb unter zweisprachigen
Bedingungen essentiell für Lehrkräfte an Förderschulen mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung (vgl. Selmayr/Dworschak 2021 a, 50). Zudem sind auch Schüler:Innen mit Fluchterfahrung aus akuten Krisengebieten Teil der Schülerschaft (vgl. Selmayr/Dworschak 2021 a, 49f). Daraus resultiert einerseits eine anspruchsvolle Rolle bei der gesellschaftlichen Integration für die Schulen und andererseits die Notwendigkeit die Lebens- und Bildungssituation dieser Schüler:Innen näher zu beleuchten (vgl. ebd.).
Hinsichtlich bildungsbiografischer Aspekte zeigt sich 2019 eine gesteigerte Bedeutung inklusiver Einrichtungen (vgl. Baumann et al. 2021, 218). So nahm die Bedeutung von Bildungsund Betreuungsangeboten der schulvorbereitenden Einrichtungen zu Gunsten des integrativen bzw. Regelkindergartens ab (vgl. ebd.). Dennoch ist mit knapp 60% weiterhin eine Dominanz der schulvorbereitenden Einrichtungen zu verzeichnen (vgl. Dworschak/Selmayr 2021 a, 71f). Auch bei den schulischen Angeboten dominieren mit den Förderschulen weiterhin nichtinklusive Angebote (vgl. Baumann et al 2021 a, 218). Zwar wurden 2019 7% an einer Grundschule eingeschult, womit seit 2014 ein Anstieg von 3% feststellbar ist, die Befunde hinsichtlich des weiteren Schulverlaufs legen allerdings nahe, dass dies eher zu einer inklusiven biographischen Phase als zu einer inklusiven Schullaufbahn führt (vgl. ebd.). Insgesamt steigt die Häufigkeit des Besuchs bei allen nicht-inklusiven Betreuungs- und Bildungsangeboten mit dem Grad der Intelligenzminderung, während bei geringeren Intelligenzminderungen inklusive Angebote präferiert werden (vgl. Dworschak/Selmayr 2021 a, 72). Vor diesem Hintergrund scheinen trotz des insgesamt zu beobachtenden Anstiegs, nicht alle Schüler:Innen gleichermaßen von inklusiven Angeboten zu profitieren (vgl. Dworschak/Selmayr 2021 a, 73;75).
Bezüglich der Diagnosen liegt mit 39,9% am häufigsten eine unklare Genese vor (vgl. Baumann et al. 2021, 219). Die drei häufigsten Einzeldiagnosen sind die Autismusspektrumstörung mit 17,7%, das Down-Syndrom mit 12,5% und Epilepsie mit 14,7%, wobei anzumerken ist, dass bei der Erhebung Mehrfachnennungen möglich waren (vgl. Wagner 2021 a, 85f). Insgesamt scheint es seit 2010 Veränderungen bei den von den Lehrkräften nach dem ICD- 10 eingeschätzten Intelligenzminderungen zu geben (vgl. Baumann et al. 2021, 222). So stieg der Anteil der Einschätzung leichte Intelligenzminderung von 33,2% auf 59% an und der Anteil der Einschätzung keine Intelligenzminderung von einem Prozent auf 5,4% (vgl. ebd.). Der Anteil der Einschätzung schwere und schwerste Intelligenzminderung ist hingegen von 29,5% auf 12,6% gesunken (vgl. ebd.) und der Anteil mittelgradiger Intelligenzminderungen von 36,3% auf 23% (vgl. Wagner 2021 b, 166). Eine Erklärung für die veränderte Struktur der Schülerschaft konnte in der SFGE-II-Studie nicht gefunden werden (vgl. ebd.). Für Schüler:In- nen die eine Schulbegleitung haben gilt: Je höher der Grad der Intelligenzminderung, desto höher der Anteil an Schüler:Innen die eine Schulbegleitung haben (vgl. Baumann et al. 2021, 222). So haben 36,8% der Schüler:Innen mit schwerster Intelligenzminderung eine Schulbegleitung während es bei der Gruppe mit mittelgradiger Intelligenzminderung 17,2% und bei leichter Intelligenzminderung 8,6% sind. (vgl. Baumann et al. 2021, 222; Wagner 2021 b, 165).
Beim familiären Wohlstand ließ sich kein statistischer Zusammenhang mit den Intelligenzminderungen finden (vgl. Selmayr/Dworschak 2021 a, 52).
Hinsichtlich des täglichen Pflegebedarfs schätzten die Lehrkräfte den zeitlichen Aufwand bei 25,7% auf bis zu 30 Minuten, bei 14,6% auf bis zu 90 Minuten, bei 7,9% auf bis zu drei Stunden und bei 17,5% auf über drei Stunden ein (vgl. Wagner et al. 2021, 174). 34,3% haben laut Einschätzung der Lehrkräfte keinen Pflegebedarf (vgl. Baumann et al. 2021, 222f). Somit scheint die Einbindung von Pflege in die unterrichtlichen Bildungsangebote eine wichtige Aufgabe im Förderschwerpunkt geistige Behinderung zu sein, insbesondere im Hinblick auf Schü- ler:Innen mit schwerer und schwerster Intelligenzminderung (vgl. ebd.).
Bezüglich der grobmotorischen Möglichkeiten sind 10,9% der Schüler:Innen zur Fortbewegung auf Gehhilfen oder Rollstühle angewiesen, wobei beim Treppensteigen, Aufstehen und Hinsetzen zusätzlich eine andere Person notwendig ist (vgl. Baumann et al. 2021, 223f). Einem Teil dieser Schüler:Innen ist ein unabhängiges Sitzen und Stehen gar nicht möglich (vgl. ebd.). 13,8% der Schüler:Innen können sich weitestgehend ohne Gehhilfen oder Unterstützung fortbewegen, etwa drei Viertel der Schüler:Innen wurden als unauffällig oder nahezu unauffällig eingestuft (vgl. ebd.). Die grobmotorischen Möglichkeiten stehen in statistischem Zusammenhang zu den Variablen Pflegebedarf, Intelligenzminderung, expressive Sprache und Schreibfähigkeit, sodass ein höherer Förderbedarf in einem der Aspekte gleichzeitig zu einem erhöhten Förderbedarf in den anderen Aspekten zu führen scheint (vgl. Baumann 2021, 224).
Mit dem DSM-5 und dem 2022 in Kraft getretenen ICD-11, wird den praktischen Alltagskompetenzen sowohl im diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen als auch in der internationalen Klassifikation von Krankheiten eine große Rolle zugeschrieben (vgl. Sel- mayr/Dworschak 2021 b, 201f). So wird Behinderung nicht nur hinsichtlich einer Intelligenzminderung sondern auch aufgrund des adaptiven Verhaltens festgestellt (vgl. ebd.). In der SFGE-II-Studie wurde dieser Aspekt erstmals untersucht, wobei die Fertigkeitsbereiche Selbstfürsorge, Verhalten zu Hause, Gesundheit und Sicherheit und Verhalten in der Öffentlichkeit untersucht wurden (vgl. Selmayr/Dworschak 2021 b, 204). Dabei wurde festgestellt, dass die Schüler:Innen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung im Vergleich zu Schüler:In- nen ohne geistige Behinderung über sehr niedrige Kompetenzen verfügen (Baumann et al. 2021, 224), wobei diese mit zunehmendem Grad der Intelligenzminderung abnehmen (vgl. Selmayr/Dworschak 2021 b, 209f). Zudem seien sie mit zunehmendem Alter immer weniger den mit der Altersstufe ansteigenden Erwartungen an die praktischen Alltagskompetenzen gewachsen (vgl. Baumann et al. 2021, 224). Somit erscheint eine konsequente Förderung der praktischen Alltagskompetenzen essentiell (vgl. Selmayr/Dworschak 2021 b, 213).
Bei den kommunikativen Kompetenzen scheint es bei den Schüler:Innen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung eine große Spannbreite zu geben. So können sich 2019 insgesamt 62,6% der Schüler:Innen lautsprachlich verständigen, davon 33,2% mit keinen und 29,4% mit leichten Artikulationsstörungen (Baumann et al. 2021, 219f). Demgegenüber stehen 37,3% der Schüler:Innen von denen etwa die Hälfte über keine Lautsprache verfügt, während die Lautsprache der anderen Hälfte so stark von Artikulationsstörungen betroffen ist, dass sie für Fremde unverständlich ist (vgl. ebd.). Hinzu kommt, dass mit 51,9% etwas mehr als die Hälfte der kaum oder nicht sprechenden Schüler:Innen bisher keine oder seltener als einmal die Woche UK-Förderung erhält (vgl. Baumann et al. 2021, 220). Dabei werden elektronische Kommunikationshilfen lediglich von 12,7% genutzt, sodass die Schüler:Innen hauptsächlich auf körpereigene Kommunikationsformen zurückgreifen (vgl. ebd.). Hinsichtlich der Kommunikationsfunktionen zeigen sich große Unterschiede zwischen den Gruppen der sprechenden und kaum bzw. nicht sprechenden Schüler:Innen (vgl. ebd.). So können etwa 80% der sprechenden Schüler:Innen mit ihren aktuellen Kommunikationsformen alle Kommunikationsfunktionen ausdrücken, während dies bei den nicht sprechenden Schüler:Innen je nach Kommunikationsfunktion bei 16,5% bis 67,4% der Schüler:Innen zutrifft.(vgl. ebd.). Insgesamt kann also ein großer kommunikativer Förderbedarf bei den kaum und nicht sprechenden Schüler:Innen festgestellt werden (vgl. ebd.). Laut Ratz sei zudem zu beobachten, dass die sprachliche Entwicklung in inklusiven Settings oft signifikant besser sei als an Förderschulen, was auf die höhere Anregung durch Mitschüler:Innen zurückgeführt werden könnte (vgl. Ratz 2020, 34). Er merkt jedoch an, dass dies auch mit den Sprachcodes der Herkunftsfamilien zusammenhängen könnte, da Kinder aus wohlhabenden Familien eher in inklusiven Settings zu finden sind als in Förderschulen (vgl. ebd.).
Auch bei den schriftsprachlichen Kompetenzen zeigt sich in beiden SFGE-Studien eine große Heterogenität (vgl. Baumann et al. 2021, 220f; Ratz 2020, 33f). So ist jede Kompetenzstufe in allen Schulstufen vorhanden, wobei insgesamt ein Kompetenzanstieg über die Schulstufen hinweg zu beobachten ist (vgl. ebd.). Dabei scheinen die Schüler:Innen auch noch im Sekundarschulalter Fortschritte zu machen (vgl. ebd.). Insgesamt zeigt sich, dass etwa ein Viertel der Schüler:Innen noch gar nicht ließt, während etwa ein Fünftel buchstabenweise und ein weiteres Viertel bereits fortgeschritten liest (vgl. Ratz/Selmayr 2021, 124).
Auch auf der Stufe der automatisierten Worterkennung sind immerhin 11,6% der Schüler:In- nen zu finden (vgl. ebd.). Berücksichtigt man zudem den erweiterten Lesebegriff, so können 90,3% der Schüler:Innen Bilder und 74% Symbole lesen (vgl. Ratz/Selmayr 2021, 126). Gleichzeitig verbleiben jedoch 9,7% die weder nach den Lesestufen noch nach dem erweiterten Lesebegriff über Lesefähigkeiten verfügen. Im Vergleich zu den Lesekompetenzen sind die Schreibkompetenzen etwas weniger entwickelt (vgl. Baumann et al. 2021, 220), etwa ein Fünftel der Schüler:Innen schreibt noch gar nicht (vgl. Ratz/Selmayr 2021, 125). Es muss aber auch hervorgehoben werden, dass ein Fünftel bereits phonetisch schreiben, 14,1% orthografische Muster verwenden und 4,7% sogar über gute orthografische Kenntnisse verfügen (vgl. ebd.). Dass mit dieser Heterogenität große Anforderungen für inklusiven Schulen einhergeht verdeutlicht die von Ratz und Selmayr illustrierte ,,didaktische Spannweite‘‘ (vgl. Abb. 7), die anzeigt, welche Schreibstufen von Schüler:Innen im zweiten Schul- bzw. Schulbesuchsjahr bereits beherrscht werden:
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Didaktische Spannbreite einer inklusiven zweiten Klasse (Darstellung nach Ratz/Selmayr 2021, 130)
Während der Großteil der Zweitklässler:Innen in der Grundschule bereits orthografische Muster verwendet, sind dazu nur 3,1% der Schüler:Innen im zweiten Besuchsjahr der Förderschule Geistige Entwicklung in der Lage (vgl. Ratz/Selmayr 2021, 130). Zeigen sich bei den Grund- schüler:Innen lediglich Unterschiede hinsichtlich der Stufen des phonetischen Schreibens und der Verwendung orthografischer Muster, so verteilen sich die Förderschüler:Innen auf alle Kompetenzstufen (vgl. Abb. 2). Daraus ergibt sich sowohl für die Förderschule als auch die inklusive Beschulung ein sehr heterogenes Bild der Ausgangslagen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung.
Auch hinsichtlich der mathematischen Kompetenzen sind die Fähigkeiten der Schüler:Innen sehr unterschiedlich ausgeprägt (vgl. Baumann et al. 2021, 221f; Ratz 2020, 33f). So gibt es in allen drei Schulstufen sowohl Schüler:Innen die einzelne Kompetenzen noch nicht beherrschen, als auch Schüler:Innen, die dieselben Kompetenzen bereits in hohen Zahlenräumen bis oder über 100 anwenden können (vgl. ebd.). Analog zu den Schriftsprachfertigkeiten steigen diese jedoch auch mit den Schulstufen an (vgl. ebd.).
Die große Spannweite der Kompetenzen in den Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen zeichnet ein sehr heterogenes Bild der Schüler:Innen des Förderschwerpunkts geistige Entwicklung. Neben der didaktischen Spannweite wurden weitere Herausforderungen für die inklusive Beschulung deutlich. So muss dem großen kommunikativen Förderbedarf der kaum und nicht sprechenden Schüler:Innen begegnet werden und der Pflegebedarf in den Unterrichtsalltag integriert werden. Außerdem müssen praktische Alltagskompetenzen konsequent in allen Schulstufen gefördert werden. Auch Aspekte der sozialen Ungleichheit müssen mitgedacht werden. Ferner ergibt sich bei Schüler:Innen mit Migrationshintergrund die Notwendigkeit der Förderung des Zweitspracherwerbs sowie ggf. der pädagogische Umgang mit traumatischen Fluchterfahrungen. Ratz weist zudem auf die Herausforderung der besonderen Vulnerabilität hin, so seien die Schüler:Innen teils lärmempfindlich, traumatisiert oder hätten besondere Empfindungen im sozialen Bereich (vgl. Ratz 2020, 35). Es stellt sich daher die Frage 25
wie die Teilhabe der heterogenen Schülerschaft mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in inklusiven Settings ermöglicht werden kann. Ist hierzu eine Orientierung an Best-Practice sinnvoll? Oder bedarf es einer völlig neuen Auslegung des Schulsystems im Sinne einer Next-Practice? Diesen Fragen soll sich das nächste Unterkapitel widmen.
3.1.2 Inklusion - von Practice, Best-Practice und Next-Practice
Nachdem nun sowohl der Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung als auch die Entstehung des Paradigmas von Inklusion und Teilhabe ausführlich beschrieben wurden, sollen nun der aktuelle Stand sowie zukünftige Perspektiven der schulischen Inklusion beleuchtet werden.
Wer sich schon einmal mehr oder weniger ausführlich mit Inklusion beschäftigt hat, dem wird Abbildung 3 so oder so ähnlich bereits begegnet sein. Betrachtet man die Vergangenheit der Sonderpädagogik, so könnte man die Anstalten der Exklusion, Hilfs- und Sonderschulen der Separation und die Modellversuche der Elternbewegungen der Integration zuordnen.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Inklusion, Exklusion, Separation und Integration (Baltea 2015)
Schwierig wird es jedoch, wenn man versucht eine Schule zu finden, der man den Begriff Inklusion zuordnen kann, denn trotz der gesetzlichen Verankerung des Rechts auf gesellschaftliche Teilhabe, kann die alleinige Betrachtung der Schulform keine Auskunft darüber geben, ob die Konzepte des gemeinsamen Unterrichts eher inklusiv oder integrativ gestaltet sind (vgl. Lange/Wenzel 2016, 18). So weisen Lange und Wenzel darauf hin, dass man erst von einem inklusiven Schulsystem sprechen könne, wenn die Schüler:Innen mit Förderbedarf nicht nur anwesend sind, sondern tatsächlich inklusiv unterrichtet werden (vgl. Lange/Wenzel 2016, 17). Aktuell gibt es fünf Typen von Organisationsformen vermeintlich inklusiven Unterrichts, namentlich Prävention, Kooperation, Sonderklassen, Integration in Regelklassen und Schwerpunktschulen (vgl. ebd.). Davon können mit der Prävention, der Integration in Regelklassen und den Schwerpunktschulen drei Formen als inklusiv, und mit der Kooperation und den Sonderklassen zwei Formen als integrativ eingestuft werden (vgl. Lange/Wenzel 2016, 19). Unter Prävention wird dabei die sonderpädagogische Unterstützung von Schüler:Innen ohne diagnostizierten Förderbedarf an Regelschulen verstanden (vgl. Lange/Wenzel 2016, 18). Die Integration in Regelklassen meint die Aufnahme von Schüler:Innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Regelunterricht (vgl. ebd.). Sonderklassen hingegen sind zwar ebenfalls an Regelschulen verortet, aber ausschließlich für den Unterricht von Schüler:Innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf vorgesehen (vgl. ebd.). Unter Kooperation wird eine Integration verstanden, die in Zusammenarbeit von Förder- und Regelschulen entsteht (vgl. ebd.). Bei Schwerpunktschulen handelt es sich, wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt, um Regelschulen, die einen Fokus auf den gemeinsamen Unterricht von Schüler:Innen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf haben (vgl. Lange/Wenzel 2016, 18f). Für RheinlandPfalz sind die inklusiven Organisationsformen, Schwerpunktschulen, Prävention und Integration in Regelklassen relevant (vgl. Lange/Wenzel 2017, 19). Es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass potentiell auch in den ,,inklusiven‘‘ Organisationsformen eine integrative Umsetzung möglich ist (vgl. ebd.). Eine integrative Schule zeichne sich dadurch aus, dass behinderte und nicht behinderte Schüler:Innen zwar gemeinsam unterrichtet werden, dabei jedoch als deutlich unterscheidbare Gruppen betrachtet werden (vgl. Lange/Wenzel 2016, 17f). In inklusiven Schulen werde eine solche Unterscheidung jedoch nicht vorgenommen, da die vielfältigen Schüler:Innen individuell betrachtet werden (vgl. ebd.). Die Schule müsse sich in ihrer Gestaltung von Schule und Unterricht an die Schüler:Innen anpassen (vgl. ebd.). Während man bei der Integration lediglich von einer Zwei-Schulen-Theorie zu einer Zwei-Gruppen-Theorie wechsle, verlieren die Schüler:Innen mit Behinderung in einer echten Inklusion ihren Sonderstatus (vgl. ebd.).
In diesem Zuge ist laut Dönges auch die weitere Verwendung des Begriffs ,,sonderpädagogi- scher Förderbedarf‘‘ zu hinterfragen (vgl. Dönges 2010). Wurde der Begriff 1994 im Vergleich zur ,,Sonderschulbedürftigkeit‘‘ noch als fortschrittlich verstanden (vgl. Lindmeier 2012, 35), so sei er im Kontext des inklusiven Bildungsanspruchs der UN-Behindertenrechtskonvention problematisch (vgl. Dönges 2010, 320). Dass sonderpädagogische Förderung immer dann greife, wenn die Fördermöglichkeiten an allgemeinen Schulen ausgeschöpft sind, habe zuweilen zu einem subsidiären Selbstverständnis der Sonderpädagogik geführt (vgl. ebd.). Im Falle von Rheinland-Pfalz erfolge die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs erst nachdem die allgemeinen Schulen nachgewiesen haben, dass bereits alle Möglichkeiten ausgereizt wurden, und dass ohne sonderpädagogische Unterstützung keine ausreichende Förderung mehr möglich ist (vgl. ebd.). Dies verfolge eine integrative Intention in zweierlei Hinsicht (vgl. ebd.). Einerseits wird den allgemeinen Schulen eine grundsätzliche Zuständigkeit für alle Schüler:Innen zugewiesen, da die Vorgaben sie dazu verpflichten, ihrer Aufgabe der individuellen Förderung nachzukommen (vgl. Dönges 2010, 320). Andererseits fällt mit der Ablösung des Vorgängerbegriffs -wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt- die Festlegung der Schulform weg (vgl. ebd.). Da es mit den Bildungsgängen G und L aber weiterhin curriculare Abstufungen gäbe, sei sonderpädagogische Förderung nicht nur an Förderschulen, sondern auch in den inklusiven Settings subsidiär (vgl. Dönges 2010, 321). So würden sich Lehrkräfte an allgemeinen Schulen oftmals nicht für ihre Schüler:Innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf zuständig fühlen (vgl. ebd.). Gleichzeitig sei die Zuweisung des sonderpädagogischen Förderbedarfs von der Förderbereitschaft und -kompetenz ebendieser Lehrkräfte abhängig (vgl. Dönges 2010, 322). Der Begriff sonderpädagogischer Förderbedarf suggeriere zudem, dass es sich nicht um einen konkreten und situativ bedingten Unterstützungsbedarf handelt, sondern um ein Persönlichkeitsmerkmal (vgl. Dönges 2010, 322). Demnach sei er weder zur Vermeidung von Stigmatisierung noch zur Vermeidung von Diskriminierung und Ausgrenzung geeignet (vgl. Dönges 2010, 323). Wie sowohl die damaligen als auch die aktuellen Statistiken zeigen (vgl. Kap. 3.1.1, 18), führt er vielmehr dazu, dass die Zuständigkeit der Sonderpädagogik auf eine immer größere Schülergruppe ausgeweitet wird (vgl. Dönges 2010, 323). Im Sinne der kulturellen Perspektive auf Behinderung (vgl. Kap. 3.1.1) setzt der Begriff ,,sonderpädago- gische Förderung‘‘ also einen Konstruktionsprozess von Behinderung, Diskriminierung, Etikettierung und Ausgrenzung in Gange. Alternativ werden von Dönges daher die Begriffe ,,Förder- bedarf‘‘ und ,,Behinderung‘‘ diskutiert (vgl. ebd.). ,,Förderbedarf‘‘ wirke zwar dekategorisierend und weniger diskriminierend, könne jedoch zur Vernachlässigung realer Bedürfnisse und zu Ressourceneinsparung führen (vgl. ebd.). Es zeigt sich also, dass dem Adjektiv ,,sonderpäda- gogisch‘‘ unter der kulturellen Perspektive von Behinderung (vgl. Kap. 3.1.1, 16) eine konstruierende Funktion hinsichtlich der Ressourcenzuschreibung zukommt. Auch Lindmeier kritisiert, dass Ressourcen erst mit einer defizitorientierten Diagnose zugänglich werden (vgl. Lindmeier 2019, 71f). Analog zum medizinischen Modell von Behinderung werde der sonderpädagogische Förderbedarf zum Persönlichkeitsmerkmal (vgl. ebd.).
Damit nicht der Behinderung selbst, sondern der individuellen Lern- und Lebenssituation eine konstruierende Funktion hinsichtlich der Fördermaßnahmen zukommt, schlägt Dönges die Verwendung des ICF-Modells von Behinderung als Alternative zum sonderpädagogischen Förderbedarf vor. Dies verhindere nicht nur Stigmatisierung sondern bewirke auch eine differenzierte Perspektive auch auf die Lernausgangslage (vgl. Dönges 2010, 324). In Konsequenz bedürfe es einer diagnostischen Neuausrichtung der Sonderpädagogik (vgl. Dönges 2010, 325). Während im bisherigen kausalen Verständnis die Zuweisung des Förderbedarfs und Bildungsgangs im Fokus steht, müssten in einer neuen finalen Ausrichtung die Möglichkeiten und Erfordernisse der Teilhabe am inklusiven Unterricht fokussiert werden (vgl. ebd.). Das Produkt dieser Diagnostik solle nicht länger ein Gutachten zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs sein, sondern eine Förderplanung, die Teilhabemöglichkeiten und -barrieren identifiziert und berücksichtigt (vgl. ebd.). Es zeigt sich also, dass die Betrachtung des aktuellen Stands schulischer Inklusion nicht zur Beleuchtung der schulischen Teilhabe von Schü- ler:Innen mit Behinderung ausreicht. An dieser Stelle muss daher eine Diskussion der pädagogischen Gesichtspunkte von Inklusion erfolgen. Dazu werden nach und nach die folgenden Aspekte diskutiert: Differenzierung, Heterogenität, Umgang mit Bildungsstandards und Umsetzbarkeit. Dabei sollen sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Inklusionsansätze deutlich werden.
Am Beispiel der aktuellen schulischen Situation wurde bereits deutlich, dass sich Inklusion und Exklusion nur bedingt gegenseitig ausschließen. (vgl. Speck 2019, 91; Wirtz 2020, 441). Eine Gegenüberstellung des Unterrichts an Förderschulen als exklusiv und der Beschulung an allgemeinen Schulen als inklusiv ist demnach als verkürzt anzusehen (vgl. Wirtz 2020, 441). So müsse man sich bei der Definitionsbildung zunächst fragen, inwiefern Inklusion Differenzierung zulässt (vgl. Speck 2019, 91). Hier gäbe es einerseits eine ,,totalitäre Inklusionslogik‘‘, die von einem sehr engen Inklusionsbegriff ausgehe (vgl. Speck 2019, 93). Dabei würde nicht nur die Beschulung an Förderschulen, sondern auch jegliche Form von Gruppenbildung als Exklusion angesehen (vgl. ebd.). Eine solche Vollinklusion sei jedoch weder realisierbar, noch sinnvoll (vgl. ebd.). So werden Inklusion und Exklusion in der Soziologie oftmals als aufeinander bezogene Pole beschrieben, die nur im Bezug auf den jeweils anderen definiert werden können (vgl. Speck 2019, 92). Wo es Inklusionsprozesse gäbe, würde es immer auch Exklusionsprozesse geben (vgl. ebd.). Bei Schule handelt es sich lediglich um einen gesellschaftlichen Bezug von vielen, in denen die Schüler:Innen inkludiert oder exkludiert sein können (vgl. Wirtz 2020, 441). Exklusion sei demnach nicht an bestimmte Institutionen gebunden sondern könne auf mehreren Ebenen erfolgen, wobei Schüler:Innen auch unabhängig von Behinderung und Schulform Ausgrenzung erleben können (vgl. ebd.). Um wirklich überall inkludiert zu sein, müsste man allen gesellschaftlichen Gruppen wie Religionen, Parteien und Vereinen gleichzeitig angehören (vgl. Speck 2019, 92). Da dies jedoch nicht möglich sei folge auf jede Inklusion in eine Gruppe automatisch eine Exklusion im Bezug auf andere Personen und Gruppen (vgl. ebd.). Inklusion und Exklusion sind demnach als relationale, mehrdimensionale, prozesshafte und graduelle Konstrukte (vgl. Wirtz 2020, 442). In der modernen Gesellschaft seien Chancen und Herausforderungen sehr komplex und differenziert (Speck 2019, 92.). Dies führe einerseits zu mehr Inklusion, aber andererseits auch zu mehr Exklusion (vgl. ebd.). Es sei gar nicht mehr möglich alle Zugangsmöglichkeiten zum gesellschaftlichen Leben zu nutzen, wodurch die Spannung zwischen den Inklusions- und Exklusionsprozessen erhöht werde (vgl. Speck 2019, 92f). Vor diesem Hintergrund ist Exklusion eher als Nicht-Zugehörigkeit und nicht per se als Ausgrenzung zu werten (vgl. Kuhlmann et al. 2018, 25f). Foucault sieht in einer alleinigen Forcierung des Ziels der Inklusion zudem die Gefahr eines Selbstzwangs zur Normalisierung statt der Akzeptanz von individuellen Lebensweisen (vgl. Kuhlmann et al. 2018, 34). Luhmanns Begriff der ,,totalitären Inklusion‘‘ ist insofern passend, als dass er darauf verweist, dass die Umsetzung einer enggefassten Inklusion nur durch eine umfangreiche Inanspruchnahme staatlicher Autoritäten möglich sei (vgl. Speck 2019, 93; Kuhlmann et al. 2018, 26). Da Differenzierung immanent mit der modernen Gesellschaftsstruktur verbunden sei, müsse sie auch in der schulischen Inklusion wiedergespiegelt werden (vgl. ebd.). Daraus lässt sich folgern, dass Differenzierung bei einem weiter gefassten Verständnis von Inklusion weiterhin möglich ist. Auch Prengel schließt die homogene Gruppenbildung in Form von Tischgruppen, innerer Differenzierung, Klassen und Schulzweige nicht prinzipiell aus (vgl. Prengel 2019, 197). Um Isolation und Separation zu vermeiden müssten die getrennt gewonnenen Erkenntnisse nach ihrem Verständnis jedoch in die gemischte Gemeinschaft zurückgeführt werden (vgl. ebd.). Die Gruppen müssten daher stets auch offen für andere Schüler:Innen sein (vgl. ebd.). Zudem sollten Gruppengemeinsamkeiten nicht durch äußere Zuschreibungen und gruppeninterne Hierarchien entstehen, sondern man solle ihnen Raum geben sich selbst zu entwickeln, zu verändern oder aufzulösen (vgl. ebd.). In Anbetracht der Dynamik von Exklusion und Inklusion scheint eine Verwirklichung dieser Ansprüche jedoch unrealistisch. Allerdings werfen Habermas und Kronauer Luhmann eine Legitimierung tradierter kapitalistischer Strukturen vor, die es entlang der Inklusion zu überwinden gilt (Kuhlmann et al. 2018, 27).
Doch inwiefern ist unsere Gesellschaft komplexer geworden? Ist Luhmanns Argumentation für die Differenzierung legitim oder eine Rechtfertigung der aktuellen Umstände? Um diesen Fragen nachzugehen lohnt sich ein Blick auf die aktuelle Situation von Schulsystem und Arbeitsmarkt. Analog zu den gesellschaftlichen Inklusions- und Exklusionsprozessen, stellte Massumi eine Wechselwirkung zwischen Homogenisierungs- und Heterogenisierungsprozessen im deutschen Schulsystem fest (vgl. Massumi 2019, 247-257). Um die Abläufe der Regelklassen sowie die monolinguale und monokulturelle Beschaffenheit der Schule aufrecht zu erhalten zeigen sich oftmals inkludierende Exklusionen (vgl. Massumi 2019, 247f). Dabei werden Schü- ler:Innen zeitweise in besonderen Klassen beschult, um sie auf eine spätere Rückführung in die Regelklasse vorzubereiten (vgl. Massumi 2019, 247). Die Schüler:Innen selbst, nehmen diesen Raum als geschützten Raum wahr, da sie beim Übergang ins Regelsystem erneut mit erhöhten Exklusionsrisiken konfrontiert sind (vgl. Massumi 2019, 248f). Das mächtigste Selektionskriterium sei dabei die Sprache, zudem führe die inkludierende Exklusion lediglich zu einer temporären Verschleierung der Heterogenität, statt diese in den Regelklassen zu berücksichtigen (vgl. ebd.). Des Weiteren könne es bei mangelnder Berücksichtigung besonders schwacher oder starker Sprachkenntnisse zu einer inkludierenden Doppelexklusion kommen, wenn im späteren Regelunterricht keine individuellen Anschlussmöglichkeiten geboten werden (vgl. Massumi 2019, 249). Dies führt in der Praxis zu Rückstufungen, wiederholten Klassen, Schulformwechsel oder Abbrüchen ohne Schulabschluss (vgl. Massumi 2019, 254). Mas- sumi spricht auch von einer verlorenen schulischen Bildungszeit (vgl. Massumi 2019, 361). Zwar beziehen sich diese Beobachtungen auf Schüler:Innen mit Migrationshintergrund, jedoch wurde bereits zu beginn des Kapitels deutlich, dass sich auch im Kontext der sonderpädagogischen Inklusion innerschulische Exklusionen zeigen. Eine Analogie zur inkludierenden Exklusion zeigt sich in den integrativen Settings (vgl. Kap. 3.1.1, 27). Auch von der inkludierenden Doppelexklusion könnten diese Schüler:Innen betroffen sein. Besonders deutlich wird dies, wenn man sich Ratz Bild der didaktischen Spannweite der schriftsprachlichen Fähigkeiten erneut vor Augen führt (vgl. Kap. 3.1.1, 25). Auch die mit den Schulstufen ansteigende Schwierigkeit der Altersnorm der Alltagskompetenzen zu entsprechen (vgl. Kap. 3.1.1, 23) ist dabei relevant. Während die einen Schüler:Innen sich in der inkludierenden Exklusion befinden, wird der Regelunterricht fortgesetzt, sodass die Anschlusschancen mit der zunehmenden Abweichung der Fähigkeiten immer geringer werden. Massumis Übertragung der Dynamik von Homogenisierungs- und Heterogenisierungsprozessen auf das Schulsystem scheint daher auch im Kontext von Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung relevant zu sein. Dass sich das Verhältnis von Exklusion und Inklusion auf das Schulsystem übertragen lässt, scheint Luhmanns Thesen zunächst zu bestätigen, allerdings bleibt weiterhin offen, ob die Diskussion um die Dynamik von Exklusions- und Inklusionsprozessen als Legitimierung tradierter Strukturen oder als Reaktion auf moderne Strukturen zu verstehen ist. Daher muss nun überprüft werden, inwiefern sich die Struktur der Arbeitswelt verändert hat.
Die Herausforderungen der modernen Gesellschaft werden auch mit dem Begriff der VUCA- Welt beschrieben (vgl. Meyer 2021 a, 1; Meyer 2021 b, 1; Gaubinger 2021, 7f). Das Akronym definiert die aktuelle Arbeitswelt als ,,[...] volatil (volatile), unsicher (uncertain), komplex (com- plex) und mehrdeutig (ambiguous)‘‘ (Meyer 2021 b, 1). Mit Volatilität ist ,,die Schwankungsbreite und -intensität von Parametern innerhalb eines Zeitraums.‘‘(Gaubinger 2021, 8) gemeint. Die moderne Arbeitswelt ist insofern volatil, als dass ihre Unbeständigkeit und Dynamik zu schnellen und unerwarteten Veränderungen führt (vgl. Gaubinger 2021, 8). Sie ist unsicher, da es insbesondere bei Innovationen eine Lücke zwischen vorhandenen und notwendigen Informationen gibt (vgl. ebd.). Das Fehlen dieser Informationen führt zu einer geringeren Vorhersehbarkeit von Ereignissen (vgl. ebd.). Hinzu kommt die Komplexität der modernen Arbeitswelt, die sich aufgrund der Digitalisierung und globalen Vernetzung stark verändert hat (vgl. Gaubinger 2021, 10). Das Einwirken von zahlreichen Faktoren mit teils unbekannten und gegenseitig abhängigen Variablen führe dazu, dass die Konsequenzen von Entscheidungen unvorhersehbar würden (vgl. ebd.). Es sei nicht möglich alle Einflussfaktoren und Zusammenhänge gleichzeitig zu berücksichtigen (vgl. ebd.). Zudem führe die Ambiguität der Welt dazu, dass Informationen mehrdeutig oder sogar widersprüchlich sein können (vgl. ebd.). Dies führe dazu, dass das Treffen von Entscheidungen erschwert wird (vgl. Gaubinger 2021, 10f). Zurückzuführen sei dies zum Einen auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen und zum Anderen darauf, dass es nicht mehr eine sondern verschiedenste Lösungsalternativen gibt, die abgewogen werden müssen (vgl. ebd.). Zwar scheinen die Herausforderungen der VUCA-Welt auf den ersten Blick vor allem für Unternehmen bedeutsam zu sein, jedoch führen sie auch zu neuen Bedingungen für Arbeitnehmer:Innen. Mit der Digitalisierung hat sich in den letzten 20 Jahren sowohl das berufliche als auch das private Leben drastisch verändert (vgl. Amann 2019, 117). Weltweite Vernetzung, ständige Erreichbarkeit und Dauerpräsenz auf Social-Media-Plattformen prägen den Alltag (vgl. ebd.). Tägliche Berichte über Naturkatastrophen, Terror und Wirtschaftskrisen führen dazu, dass die Welt als unsicherer wahrgenommen wird, obwohl Krankheiten, Unfälle und Not statistisch gesehen abgenommen haben (vgl.
Amann 2019, 118). Insgesamt sind Alltag und Arbeitswelt schnelllebiger und weniger planbar als früher, wodurch es zu einem hohen Leistungs- und Anpassungsdruck kommt (vgl. Amann 2019, 117f). So sei eine reine Berufsqualifikation nicht mehr genug, um auf dem modernen Arbeitsmarkt zu bestehen (vgl. Meyer 2021 a, 45). Vielmehr müssten Arbeitnehmer über Selbstführungs- und Stressmanagementkompetenzen verfügen, um dem Druck der VUCA- Welt standhalten zu können (Meyer 2021 a, 45). Zu diesen Selbstführungskompetenzen gehört u.a. sich eigene Ziele zu setzen sowie sich selbst und seine Leistungen zu beobachten und zu reflektieren (vgl. Meyer 2021 a, 1). Zudem müssten die Arbeitnehmer sich bewusst mit ihren Stärken, Schwächen und Bedürfnissen auseinandersetzen und kontinuierlich an sich selbst arbeiten (vgl. Meyer 2021 a, 1; Meyer 2021 b, 2). Laut Amann kann Resilienz als Adaptionsprozess im Spannungsfeld zwischen Agilität und Stabilität gesehen werden (vgl. Amann 2019, 118f). Während Resilienz in der Veränderungsdynamik der VUCA-Welt durch Agilität ermöglicht werde, würde sie gleichzeitig durch Stabilität begünstigt werden (vgl. ebd.). Agilität und Stabilität seien dabei zwei Extreme, die in der realen Welt niemals alleine sondern immer gleichzeitig vorhanden sind (vgl. ebd.). Um dies zu veranschaulichen entwickelten Ciesielski und Amann die Akronyme SSEE-Welt und REAL-Welt (vgl. Amann 2019, 120). Die stabile, sichere, einfachere und eindeutige SSEE-Welt dient als Gegenpol zur VUCA-Welt (vgl. ebd.). Sie stellt die Teile des Arbeitslebens dar, die durch Routinen, Planbarkeit und Vorhersehbarkeit geprägt sind (vgl. ebd.). Das Erhaltungsbestreben der SSEE-Welt könne jedoch auch zu Unterforderung, Langeweile, Einengung und Potentialunterdrückung führen (vgl. Amann 2019, 119f). Zwischen VUCA- und SSEE-Welt liegt die REAL-Welt (vgl. Amann 2019, 120f). Das Akronym REAL steht für resilient, energetisiert, anpassungsfähig und liquide und definiert Resilienz als Gestaltungskraft der REAL-Welt (vgl. Amann 2019, 121).
,,Resilienz, verstanden als die Toleranz eines Systems gegenüber Störungen, lebt davon, die Qualitäten beider Welten in sich zu tragen und zu einer nützlichen Überlebensstrategie zu ver- einen.‘‘ (Amann 2019, 121).
Die REAL-Welt soll also aufzeigen, dass unser Leben und Arbeiten sowohl in ruhigen und sicheren als auch in turbulenten und unsicheren Zeiten stattfindet (vgl. Amann 2019, 121). Demnach entsteht Resilienz aus dem Balanceakt zwischen der Agilität der VUCA-Welt und der Stabilität der SSEE-Welt (vgl. Amann 2019, 120f).
Im Kapitel zum Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung wurde deutlich, dass die Schü- ler:Innen in vielerlei Hinsicht vor Herausforderungen stehen. Im ICF-Modell von Behinderung würden die zusätzlichen Herausforderungen der VUCA-Welt den Umweltfaktoren zugeordnet werden. Daraus kann gefolgert werden, dass mit der VUCA-Welt auch zusätzliche Herausforderungen für die Inklusion von Menschen mit Behinderung einhergehen könnten. Insofern könnte die Forderung nach Differenzierung also legitim sein, um zusätzliche Belastungen zu vermeiden. Allerdings würde dies auch dazu führen, dass Menschen mit Behinderung künstlich in die SSEE-Welt gedrängt und von der VUCA- und REAL-Welt abgekapselt werden.
Dadurch gibt es weniger Möglichkeiten sich Agilität und somit auch Resilienz anzueignen, wodurch es wiederum zu dem Phänomen der erlernten Hilflosigkeit kommen könnte. Wirtz verweist zudem darauf, dass inklusive Bildungsprozesse im beruflichen Bereich keine Fortsetzung finden, da die Ansprüche an Arbeitnehmer im digitalen Zeitalter nicht ab- sondern zunehmen (vgl. Wirtz 2020, 445). Die Inklusion steht daher vor der Aufgabe Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung bei den Herausforderungen der VUCA-Welt zu unterstützen ohne sie aus selbiger auszuschließen. Dabei könnte auch eine altersübergreifende Förderung der praktischen Alltagskompetenzen eine Rolle spielen. Laut Speck erweist sich zudem die Unterscheidung der normativen und funktionalen Ebene von Inklusion als hilfreich (vgl. Speck 2019, 104f). Auf der normativen Ebene sei Inklusion ein Leitbegriff um menschenrechtswidrigen gesellschaftlichen Ausgrenzungen entgegenzuwirken (vgl. Speck 2019, 105). Die Verwirklichung von Inklusion sei daher als Aufgabe aller Teilsysteme zu verstehen, nicht nur als Pflicht des Schulsystems (vgl. ebd.). Auf der funktionellen Ebene des gesellschaftlichen Teilsystems Bildungssystem sei zu beobachten, dass das gemeinsame Bildungsziel aufgrund der gestiegenen sozio-kulturellen Komplexität sowie der Vielfalt individueller Lernfähigkeiten und Lebensperspektiven nur durch funktionale Differenzierungen erreichbar ist (vgl. ebd.). Funktionale, partielle und zeitlich begrenzte Exklusionen würden dabei jedoch nicht im Widerspruch zur Inklusion stehen (vgl. ebd.). Auch Kuhlmann stellt fest, dass weniger das Moment der Exklusion als die Frage nach der Verwirklichung von Teilhabe in den jeweiligen Settings hinterfragt werden sollte (vgl. Kuhlmann 2018, 170f). Demnach müsse es auch die Möglichkeit zur selbstbestimmten Exklusion geben (vgl. Kuhlmann 2018, 172). Laut Prengel müsse zudem darauf geachtet werden, dass es trotz äußerer Differenzierung hinreichende Kontaktmöglichkeiten zwischen den Lerngruppen bestehen und dass sich keine diskriminierenden Strukturen und Ansichten etablieren (vgl. Prengel 2019, 205).
Wie die Diskussion zur Differenzierung bereits implementierte, führt Inklusion zu einer großen Vielfalt in der Schülerschaft. Demnach muss nun der Umgang mit Heterogenität hinterfragt werden. Für Annedore Prengel ist Vielfalt, im Sinne einer Achtung vor der Persönlichkeit, als zentrales Bildungsziel zu verstehen (vgl. Prengel 2019, 194f). In wechselseitiger Anregung sollen Impulse zur Weiterentwicklung und neuen Handlungsperspektiven entstehen (vgl. vgl. Prengel 2019, 196). Echte Gemeinsamkeit könne nur im Übergang zwischen Heterogenen entstehen (vgl. Prengel 2019, 195). Dabei sei es die Aufgabe der Lehrkräfte ein Klima der Akzeptanz der Verschiedenheit zu schaffen, damit sich die Entwicklungsprozesse in wechselseitiger Anregung voll entfalten können (vgl. Prengel 2019, 196). Gleichzeitig vermeide dieses Klima das Verfestigen rassistischer und diskriminierender Traditionen (vgl. ebd.). Speck warnt allerdings davor die positiven Aspekte von Vielfalt zu verabsolutieren (vgl. Speck 2019, 94). Man müsse den Blick nicht nur auf die Positiven sondern auch auf die negativen Aspekte richten (vgl. ebd.). So sei der Wert sozialer Teilhabe relativ, da er von der normativen Qualität der Gruppe abhänge (Speck 2019, 95). Insbesondere bei aggressiven Verhaltensweisen, könne es zu negativen Auswirkungen oder Gefährdungen für die anderen Schüler:Innen kommen (vgl. Speck 2019, 94f). Man müsse daher zwischen einer faktischen und einer ethischnormativen Bewertung von Vielfalt unterscheiden (vgl. Speck 2019, 95). Dabei müsse es trotz faktischer Verschiedenheit von Eigenschaften, Verhaltensweisen, Vorstellungen und Haltungen eine gemeinsame ethische Basis geben (vgl. ebd.). Dies sei insbesondere im Kontext des gesellschaftlichen Mentalitätswandels von Bedeutung (vgl. ebd.). Während man sich früher an allgemeinen sozialen Werten und Autoritäten orientierte wurde nun die eigene Identität zum primären ethischen Orientierungsfaktor (vgl. ebd.). Die Menschen strebten nicht mehr nach Gleichheit, sondern nach Einzigartigkeit (vgl. Speck 2019, 96). Der Bedeutungszerfall der Normalität führe jedoch gleichzeitig dazu, dass Abweichungen von der Normalität nicht länger von Bedeutung sind, wodurch die spezifischen und komplexen Bedürfnisse der Schüler:Innen aus dem Fokus geraten könnten (vgl. Speck 2019, 96f). Für die schulische Inklusion kann also festgehalten werden, dass Heterogenität und Individualität alleine kein Garant für die Teilhabe der Schüler:Innen sind. Entscheidend für die Entfaltung der positiven Effekte von Vielfalt ist ein gemeinsames ethisches Verständnis von einem guten und gerechten Zusammenleben (vgl. Speck 2019, 95). Prengel versteht darunter ein Klima der Akzeptanz der Verschiedenheiten (vgl. Prengel 2019, 196).
Bereits im vorherigen Kapitel wurde die große didaktische Spannweite in inklusiven Settings deutlich. Verschärft wird die Disparität der Schüler:Innen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf durch das subsidiäre Selbstverständnis der Sonderpädagogik. Mit dem ,,curricu- laren Dilemma‘‘ wird daher die Unvereinbarkeit der Prinzipien der individuellen Adaptivität der Sonderpädagogik und den standardisierten Bildungszielen der allgemeinen Pädagogik beschrieben (Speck 2019, 97). In der Regelschule können die Schüler:Innen ihre Leistungen anhand der vorgegebenen Bildungsstandards messen (vgl. Speck 2019, 98). Gerade für die heterogene Schülerschaft im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung wäre die Formulierung objektiver und Output-orientierter Bildungsstandards allerdings nicht sinnvoll (vgl. Dworschak et al. 2014, 7). Somit können auch individuelle Leistungsbewertungen legitim sein. Obwohl beide Bildungsziele also eine wichtige Funktion im Bildungssystem erfüllen, werde ihre Balance in inklusiven Settings durch den einseitigen Fokus auf individuelle Anpassung ausgehebelt (vgl. Speck 2019, 97). Prengel etwa sieht Ziffernzeugnisse als unvereinbar mit ihrem inklusiven Ansatz an, vielmehr solle man den Fokus auf möglichst genaue Beschreibungen der Kompetenzen legen (vgl. Prengel 2019, 202). Zudem sollten die Schüler:Innen dabei unterstützt werden den Stand ihrer Fähigkeiten selbst einschätzen zu können (vgl. ebd.). Leistungsbeurteilungen sollten die Schüler:Innen demnach nicht vergleichen sondern individuell erfolgen (vgl. Speck 2019, 98). Leistungsrelativierungen seien jedoch insofern kritisch zu betrachten, als dass Förderung im Sinne einer gezielten Leistungsverbesserung an Bedeutung verliere (vgl. ebd.). Zudem sei unklar anhand welcher Maßstäbe diese individuellen Leistungsbeurteilungen erfolgen sollen (vgl. ebd.). So werde einerseits das erreichen standardisierter
Bildungsabschlüsse und andererseits die Orientierung an individuellen Bildungszielen angestrebt (vgl. ebd.). Des Weiteren sei es fraglich, wie das vollkommene Abweichen von Leistungsorientierung zur Teilhabe an einer sehr wohl leistungsorientierten Gesellschaft führen soll (Speck 2019, 98f). Prengel sieht dazu vor, die Schüler:Innen beim Entdecken ihrer eigenen Grenzen zu unterstützen (vgl. Prengel 2019, 198f). Ähnlich wie Speck weist Wirtz jedoch darauf hin, dass man nicht erwarten könne, dass sich gesellschaftlichen Aspekte wie Leistungsorientierung, Ungerechtigkeit, prekäre Lebensverhältnisse, unsoziales Verhalten, Ablehnung und Exklusion mit einer Schule für alle einfach in Luft auflösen (vgl. Wirtz 2020, 441). Neben dem abweichenden Leistungsverständnis sind zudem auch die Personalsituation, die Klassengröße sowie der gesellschaftliche Selektionsauftrag der allgemeinen Schulen Reibepunkte zwischen Regelschule und sonderpädagogischem Förderbedarf (vgl. Ratz 2020, 35f). Um die Funktion beider Bildungsziele im inklusiven Setting zu berücksichtigen, verweist Ratz auf die Möglichkeit des Unterrichts am gemeinsamen Gegenstands (vgl. Ratz 2020, 35-40). So sei es für Regelschullehrkräfte durchaus sinnvoll sich mit den ,,Grundlagen unterhalb der Lehrpläne‘‘ auseinanderzusetzen (vgl. Ratz 2020, 35). Für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung könnte sich wiederum eine verstärkte fachdidaktische Orientierung als gewinnbringend erweisen (vgl. ebd.).
Um die dargestellten Ansprüche der Inklusion umzusetzen, gibt es verschiedene Ansätze im wissenschaftlichen Diskurs. Im folgenden sollen exemplarisch drei Ansätze dahingehend überprüft werden, ob sie ein neues Selbstverständnis der Sonderpädagogik bewirken. Während Kuhlmann et al. etwa eine Orientierung an Best-Practice-Beispielen und eine curriculare Verankerung eines Inklusionsverständnisses fordern (vgl. Kuhlmann et al. 2018, 173ff), sind die Forderungen von Prengel, Speck und Wirtz deutlich umfassender. Zukunftsweisende Neuausrichtungen der Schulführung bezeichnet man daher auch als ,,Next-Practice‘‘ (vgl. PHZ 2015).
Prengel zielt mit ihrer Pädagogik der Vielfalt darauf ab, allen Schüler:Innen auf allen Ebenen der Schulpädagogik gleichberechtigten Zugang zu materiellen und personellen Ressourcen der Schule zu ermöglichen (vgl. Prengel 2019, 193f). Damit beabsichtigt sie eine freie Entfaltung vielfältiger Lern- und Lebensmöglichkeiten auf Basis von Gleichberechtigung (vgl. ebd.). Schulorganisatorisch sieht dieser Ansatz eine Grundschule für alle sowie eine integrierte Gesamtschule vor (vgl. Prengel 2019, 205). Hinsichtlich der Unterrichts sind eine offene und integrierte Unterrichtsform im Klassenverband sowie Supervision durch interdisziplinäre Kooperation in Teams vorgesehen (vgl. Prengel 2019, 203ff). Im Rahmen einer freiraumlassenden Didaktik sollen Strukturen, Rituale und Lernangebote als Rahmen eigenständiger Entwicklung dienen (vgl. Prengel 2019, 202). Basis von Prengels Entwurf ist die pädagogische Modifizierung von Honneths Dimensionen der Anerkennung der einzelnen Person in intersubjektiven Beziehungen, gleicher Rechte und institutioneller Zugänge sowie der Zugehörigkeit zu kulturellen und subkulturellen Gemeinschaften (vgl. Prengel 2019, 194).
Die Pädagogik der Vielfalt könnte sich umfangreich auf das Selbstverständnis der Sonderpädagogik auswirken, da keine Differenzierung nach zugeschriebenen Merkmalen wie Behinderung oder Förderschwerpunkt vorgesehen ist. Indem sie auf die Akzeptanz individuell gewachsener Lern- und Lebensmöglichkeiten der Schüler:Innen abzielt, erlaubt sie eine finale Ausrichtung der Diagnostik, die die individuellen Potentiale zur Teilhabe in den Blick nimmt. Sowohl Speck als auch Wirtz lehnen die Idee einer ,,Schule für alle‘‘ ab (vgl. Wirtz 2020, 448). Diese würden die Frage nach Unterschieden, Abschlussberechtigungen und Zugangsmöglichkeiten zum Arbeitsmarkt nicht aufheben sondern aufschieben (vgl. Wirtz 2020, 448). So erfolge zwar der Unterricht in der Grundschule und Sekundarstufe I gemeinsam, ab der Sekundarstufe II gäbe es jedoch eine Differenzierung in Werksstufen, Berufsvorbereitung, Berufsbildung und gymnasialer Oberstufe (vgl. Wirtz 2020, 448). Auch sei es einer Schule für alle nicht möglich auf die hochspezifischen Förderbedürfnisse einzugehen (vgl. ebd.). Zudem werde den Eltern das Recht zur Auswahl der Schule genommen (vgl. Speck 2019, 123 ;Wirtz 2020, 448). Vor dem Hintergrund der historischen und aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung gehen sie zudem davon aus, dass eine Schule für alle bildungspolitisch nicht zu realisieren ist (vgl. Speck 2019, 113; 123; Wirtz 2020, 443-447). Vor dem Hintergrund des Lehrkräftemangels, finanziellen Aspekten und den gesteigerten Anforderungen an die Lehrkräfte, sei ein landesweiter ausschließlich gemeinsamer Unterricht nicht zu bewältigen (Speck 2019, 131f). Die potentiell erhöhte Stressbelastung der Lehrkräfte könnte hierbei zudem zu einer Beeinträchtigung der Qualität der Förderung führen (vgl. ebd.). Speck plädiert daher für ein dual-inklusives System, bei dem Regel- und Förderschulen komplementär zusammenwirken (vgl. Speck 2019, 112-135). Unter dem Grundsatz , ,So viel Gemeinsamkeit als möglich und sinnvoll und so wenig Besonderung als unbedingt nötig!‘‘ (Speck, 2019, 114; Hervorhebung im Original) solle die Beschulung an inklusiven allgemeinen Schulen zur Regel und die Förderschule zur Ausnahme werden (vgl. Speck 2019, 114). Es sei durchaus denkbar, dass Schüler:Innen sich zeitweise in speziellen Institutionen wohler und besser unterstützt fühlten (vgl. Speck 2019, 114). Dennoch solle der Wechsel an eine inklusive Regelschule angestrebt werden (vgl. ebd.). Um ein inklusives Bildungssystem zu ermöglichen müsste zunächst ein hochwertiger inklusiver Unterricht an den Regelschulen etabliert werden (vgl. Speck 2019, 113; 117f). Eine stärkere Senkung der Förderschulquote sei nur möglich, wenn die Regelschulen als bessere Alternative wahrgenommen werden (vgl. Speck 2019, 117f). Auf Seiten der Förderschule müsse wiederum eine Erziehung zur sozialen Teilhabe angestrebt werden, etwa durch inklusive Unterrichtsprojekte und Kooperation mit den Regelschulen (vgl. Speck 2019, 119). Zusätzlich zu dieser Brückenfunktion sollen sie den Regelschulen mit ihrer sonderpädagogischen Expertise als Kompetenz- und Beratungszentren dienen, z.B. bei der Elternberatung sowie der Beurteilung und Förderung von Schüler:Innen mit Behinderung (vgl. Speck 2019, 120). Gleichzeitig wird auch eine Öffnung der Förderschulen für den gemeinsamen Unterricht mit Schüler:Innen ohne Behinderung angestrebt, um die eigene Lernwelt in die Umwelt zu integrieren (vgl. ebd.). Insgesamt müsse im dual-inklusiven Schulsystem das Prinzip der Durchlässigkeit gelten (vgl. Speck 2019, 121). Dazu gehöre nicht nur die regelmäßige Überprüfung inwiefern eine inklusive Beschulung für die Schüler:Innen möglich sei, sondern auch eine aktive, systematische und individuelle pädagogische Vorbereitung dieser ,,Rückführung‘‘ (vgl. ebd.). Basis dieser Idee ist die These, dass die UNBehindertenrechtskonversation nicht einen engen Inklusionsbegriff im Sinne einer Vollinklusion sondern einen weiter gefassten Begriff vertritt, der potentiell auch Förderklassen und -schulen miteinschließt (vgl. Speck 2019, 109). Exklusion entspräche demnach nicht einem Ausschluss vom Regelschulsystem, sondern einem Ausschluss vom gesamten Schulsystem (vgl. ebd.). Dieses Vorgehen könnte das Selbstverständnis der Sonderpädagogik dahingehend verändern, als dass sie nur noch bedingt subsidiär interpretiert wird. Zwar kommt der Förderschule immer noch die Aufgabe zu, Schüler:Innen aufzunehmen, für die keine inklusive Beschulung möglich ist, jedoch wird dies nicht als Ersatz sondern als Ausnahme verstanden. Ebenso bedingt ist jedoch die finale Ausrichtung der Diagnostik, da weiterhin eine kausale Unterscheidung zwischen inklusiv beschulbar oder noch nicht inklusiv beschulbar getroffen wird. Da der Sonderpädagogik jedoch auch Aufgaben wie die Vorbereitung des Wechsels in eine inklusive Schule sowie die Erziehung zur Teilhabe zukommt, kann dennoch eine deutliche Entwicklung zu einer finaleren Diagnostik beobachtet werden. Demnach wäre die Diagnostik in Specks Inklusionsansatz zwar nicht mehr ausschließlich kausal aber auch noch nicht völlig final. Vielmehr könnte man von einer final eren Diagnostik sprechen.
Auch Wirtz strebt eine Weiterentwicklung des aktuellen Schulsystems an (vgl. Wirtz 2020, 448). So könne man die große Bandbreite des mehrgliedrigen Bildungsystems nutzen, indem die bestehenden Schulformen auf individuelle Weise Lernangebote gestalten, die Schüler:Innen ermöglichen am Lernen dieser Schulen teilzuhaben (vgl. Witz 2020, 448f). Grundschulen könnten inklusive Bildung für unterschiedliche Förderschwerpunkte anbieten und Gymnasien könnten Bildungsangebote für die Schwerpunkte Sehen, Hören, sowie für Schüler:Innen mit körperlichen Beeinträchtigungen oder Autismus-Spektrumsstörungen schaffen (vgl. ebd.). Gemeinschaftsschulen könnten differenzierten Unterricht für die Schwerpunkte Lernen und geistige Entwicklung in flexibler Klassen-, Gruppen- und Einzelförderung einführen (vgl. ebd.). Förderschulen könnten für Schüler:Innen ohne sonderpädagogischen Förderbedarf geöffnet werden, deren Eltern Wert auf eine Förderung in bestimmten Schwerpunkten legen (vgl. ebd.). Neben der Erweiterung des Lernangebots müsse es auch fachrichtungsübergreifende und abschlussbezogene Bildungsangebote geben, etwa durch die Einführung des Abschluss ,,lebenspraktische Berufsreife‘‘ für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung und die grundsätzliche Möglichkeit zur Berufsreife im Förderschwerpunkt Lernen (vgl. ebd.). Somit bleibe das Auswahlrecht der Eltern weiterhin bestehen, wobei man nicht zwischen Schulformen, sondern verschiedenen pädagogischen Angeboten mit unterschiedlichen Schwerpunkten wählen würde (vgl. Wirtz 2020, 449f). Basis
dieses Vorschlags ist die These, dass sich die Qualitätsbausteine schulischer Inklusion bis auf wenige Aspekte identisch zu den Qualitätsbausteinen guter Schulen und guten Unterrichts seien (vgl. Wirtz 2020, 446). Es müssten lediglich Ergänzungen hinsichtlich bestimmter Ressourcen, der Kooperation von Regel- und Förderschullehrkräften sowie bzgl. individualisierender Angebote für spezifische Förderbedürfnisse ergänzt werden (vgl. ebd.). Auch Wirtz Ansatz könnte zu einem neuen Selbstverständnis von Sonderpädagogik führen. So wird weder als Ersatz, noch als Ausnahme verstanden, sondern als Ergänzung oder Vervollständigung der allgemeinen Pädagogik. Indem nicht zwischen Schulformen sondern pädagogischen Angeboten unterschieden wird, kommt der Diagnostik eine finale Ausrichtung zu, die Teilhabe mit geeigneten Bildungsangeboten ermöglicht.
Es zeigt sich, dass die inklusive Schulentwicklung ein hochkomplexer Prozess ist. So müssen nicht nur inklusive Strukturen etabliert werden, sondern auch inklusive Praktiken entwickelt und inklusive Kulturen geschaffen werden (vgl. Booth/Ainsworth 2019, 23). Um dieser Komplexität in der Begriffserklärung gerecht zu werden und gleichzeitig den Rahmen der Masterarbeit nicht zu sprengen, konnten diese Aspekte nur angerissen werden. Es bleibt weiterhin offen in welche Richtung die Bildungspolitik sich entwickeln wird. Festgehalten werden kann aber, dass die bisherigen Empfehlungen der Kultusministerkonferenz sowie die rheinland-pfälzischen Richtlinien zum Förderschwerpunkt eher auf ein Fortbestehen des Schulsystem ausgerichtet sind, da lediglich eine Qualitätssteigerung der inklusiven Angebote an den allgemeinen Schulen forciert wird (vgl. MdBFJ 2001, 1;KMK 2021, 4;14). Ob dies der Behindertenrechtskonvention der vereinten Nationen entspricht oder widerspricht ist ein großer Streitpunkt im wissenschaftlichen Diskurs. Während Prengel ausdifferenzierte Schulsysteme als fundamentalistische Separation anprangert, wirft Speck wiederum der Vollinklusion eine fundamentalistische Position vor, da diese sich selbst als einzige Lösung betrachte (vgl. Pren- gel 2019, 197f; Speck 2019, 127).
An dieser Stelle gilt es zu erwähnen, dass Inklusion weit über die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Bildungssystem hinausgeht. Zudem muss festgehalten werden, dass die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung sehr individuell und vielfältig sind. Eine umfangreiche Beschreibung der für die Teilhabe relevanten Aspekte würde die Kapazitäten dieser Masterarbeit jedoch übersteigen. Dennoch wird die Intersektionalität von schulischer Inklusion und anderen gesellschaftlichen Aspekten in dieser Arbeit nicht ausgeblendet. So soll im Anschluss an dieses Kapitel der sozioökonomische Aspekt Migrationshintergrund beleuchtet werden.
3.2 Das Phänomen Migration und Schüler:Innen mit Migrationshintergrund
Wie es bereits bei der Beschreibung der Schüler:Innen mit ganzheitlichem Förderbedarf anklang, könnte auch ein Migrationshintergrund Einfluss auf die Beschulung nehmen. Um dies näher zu untersuchen soll nun zunächst auf das Phänomen der Migration eingegangen werden, bevor abschließend das Teilkapitel zur Intersektionalität von Inklusion und Migration folgt. Neben der Begriffsdefinition soll zudem die bildungspolitische Entwicklung betrachtet werden, 38
um Chancen und Herausforderungen zu identifizieren. Zudem soll anhand der Schulstatistik überprüft werden, inwiefern sich hier eine Auswirkung der Variable Migrationshintergrund auf die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit sonderpädagogischer Förderung zeigt.
Wird das Thema Migration angesprochen, so tauchen zumeist auch die Begriffe Migrant:In und Mensch mit Migrationshintergrund auf. Während der Begriff Migration sich auf den Zuwanderungsprozess bezieht (Hahn 2010, 7,12), dienen die Begriffe Migrant:In und Mensch mit Migrationshintergrund zur Beschreibung bestimmter Personengruppen (vgl. Neumair 2022, 45). Obwohl Migrationsbewegungen immanent mit der Kulturgeschichte der Menschheit verbunden sind, ist die Erforschung dieses Phänomens recht jung (vgl. Han 2010, 5). Es war die Universität Chicago, die sich in den 1920ern erstmals systematisch-soziologisch mit Migration auseinandersetzte (vgl. Han 2010, 5). Jedoch sollte es etwa weitere 70 Jahre dauern, bis Migration Ende der 1990er Jahre in Deutschland zunehmend als gesellschaftspolitische und wissenschaftliche Herausforderung wahrgenommen wurde (vgl. Halfmann 2014, 17). In diesem Kontext verwundert es nicht, dass auch die personenbezogenen Begriffe ,,Migrant:In‘‘ und ,,Mensch mit Migrationshintergrund‘‘ erst im Kontext des 20. Jahrhunderts entstanden (vgl. Neumair 2022, 43f). Anlass hierfür war die veränderte Bedeutung des Begriffs Staatsbürgerschaft im Zuge der Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften in den 1960ern (vgl. Neumair 2022, 43). Nach dem zweiten Weltkrieg war die Staatsangehörigkeit zu einem konstitutiven Merkmal der modernen internationalen und binnenstaatlichen politischen Ordnung geworden (vgl. Perchinig/Troger 2011, 6). Im europäischen Wohlfahrtskapitalismus wurde der Arbeitsmarkt nun politisch gesteuert, zudem wurden soziale Leistungen und Fördermaßnahmen bereitgestellt, die man mit Steuern oder Versicherungssystemen finanzierte (vgl. Perchinig/Tro- ger 2011, 7). Da man zunächst nicht mit einem längerfristigen Aufenthalt der Arbeitsmigrant:In- nen rechnete, wurden diese nicht als Teil der binnenstaatlichen Gesellschaft angesehen (vgl. ebd.). Während das Verfügen über eine Staatsbürgerschaft also zunächst der politischen Teilhabe und dem Empfang sozialer Leistungen und Förderungen diente, wurde sie immer mehr zu einem Unterscheidungsmerkmal zwischen Einheimischen und Ausländer:Innen (vgl. Neumair 2022, 43). Aufgrund der mit der Staatsangehörigkeit verknüpften Privilegien handelte es sich dabei nicht nur um eine semantische, sondern auch um eine für die Teilhabe relevante Unterscheidung (vgl. Perchinig/Troger 2011, 7f). Neben der geplatzten Illusion, dass der Aufenthalt der Arbeitsmigrant:Innen nur von kurzer Dauer wäre, führte in den 1990ern auch die zunehmende Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union zu einem Bedeutungsverlust der Staatsangehörigkeit (vgl. Perchinig/Troger 2011, 8f). Trotzdem kam es erst mit dem 2000 in der EU-Antidiskriminierungsaquis festgeschriebenen Diskriminierungsverbot sowie der 2006 umgesetzten Langansässigenrichtlinie, zu einer Angleichung der Rechte hinsichtlich des Zugangs zu Arbeitsmarkt, Sozialleistungen, Dienstleistungen und Wohnraum (vgl. Perchi- nig/Troger 2011, 10). Somit waren die Vorteile der Staatsbürgerschaft nun auf den uneingeschränkten Aufenthalt, den EU-Pass, die Möglichkeit zur Verbeamtung sowie das Wahlrecht begrenzt (vgl. ebd.). Eingeschränkt wird dies jedoch mit dem durch Lobbyismus erreichten Recht der EU-Staaten, die neuen Privilegien vom Erfüllen bestimmter Integrationsbedingungen abhängig zu machen (vgl. ebd.). Hinzu kam, dass den im Rahmen der Wiedervereinigung zugezogenen Russlanddeutschen unmittelbar die deutsche Staatsbürgerschaft zugesprochen wurde, obwohl diese weder mit der deutschen Sprache, noch mit den deutschen Lebensverhältnissen vertraut waren (vgl. Perchinig/Troger 2011, 13). Außerdem haben in Deutschland geborene Kinder seit 2000 ein Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft, wenn sich mindestens eins ihrer Elternteile bereits seit acht Jahren legal in Deutschland aufhält (vgl. Perchi- nig/Troger 2011, 14). Auch die Einbürgerung von bereits in Deutschland lebenden Jugendlichen und Erwachsenen wurde verbessert (vgl. ebd.). Ähnlich wie der Behinderung kam dem Ausländerstatus allerdings eine konstruierende Funktion hinsichtlich der Zuteilung von pädagogischen Ressourcen zu (vgl. Perchinig/Troger 2011, 12f). Somit hatte die Staatsangehörigkeit als Kriterium zur Einschätzung des Sprach- und Lernförderbedarfs ausgedient (vgl. ebd.). Auch hinsichtlich statistischer Untersuchungen hatte das Kriterium kaum noch Aussagekraft, da die sozial selektive Einbürgerung von ,,erfolgreichen Menschen mit Migrationshintergrund‘‘ das Bild von Ausländer:Innen negativ verzerrte (vgl. Perchinig/Troger 2011, 15). Nachdem die Pädagogikprofessorin Ursula Boos-Nünning im Kinder- und Jugendbericht 1998 den Begriff Migrationshintergrund vorschlug, war die Politik daher regelrecht schockiert, dass etwa dreißig Prozent einen Migrationshintergrund haben sollten, wenn doch nur neun Prozent der Kinder und Jugendlichen ausländisch seien (vgl. Perchinig/Troger 2011, 14). In statistischen Erhebungen wurde die Kategorie erstmals im Mikrozensus 2005 erhoben (vgl. ebd.), die Kultusministerkonferenz schaffte die Erhebung des Kriteriums Ausländisch 2000 bis heute alternativlos ab (vgl. KMK o.J.). Im Vergleich zur Kategorie Ausländer:In werden beim Migrationshintergrund auch als Deutsche geborene Menschen mit mindestens einem nach 1950 zugewanderten Elternteil erfasst, seit 2010 auch diejenigen, deren Eltern bereits eingebürgert sind (vgl. Perchinig/Troger 2011, 15f). Fraglich ist jedoch inwiefern sich diese Kategorie besser zur Erfassung der Situation der Bevölkerung, geschweige denn zur Einschätzung des Sprach- und Lernförderbedarfs eignet (vgl. Perchinig/Troger 2011, 18; 20f). Vielmehr scheint der Migrationshintergrund zu einer rassistisch-biologischen Zugehörigkeitskategorie geworden zu sein, die eine immer größer werdende Schülergruppe als generell förderbedürftig pathologisiert (vgl. ebd.). Hier zeigt sich eine Analogie des Begriffs Migrationshintergrund zum sonderpädagogischen Förderbedarf hinsichtlich des Ressourcen-Etikettierungs-Dilemmas (vgl. Kap. 3.1.2, 28). In beiden Fällen kommt den Begriffen eine konstruierende Funktion zu, sodass der Zugang zu Ressourcen eine Etikettierung voraussetzt, die jedoch gleichzeitig Diskriminierung zur Folge hat. Dass der hohe Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund so lange unbemerkt blieb könnte ebenfalls darauf hinweisen, dass die Kategorie sich nicht zur Abbildung gesellschaftlicher Herausforderungen eignet. Betrachtet man jedoch den historischen Kontext, so scheint die vermeintliche Unsichtbarkeit des Migrationshintergrunds vor allem politisch
begründet zu sein. Dies scheint dadurch bestätigt zu werden, dass der Kategorie hinsichtlich der Einstellungen zu Religiosität, Geschlechterrollen, innerfamiliärer Solidarität, Autorität und Selbstbestimmung eine gewisse Erklärungskraft zuzukommen scheint, auch unabhängig von soziodemographischen Unterschieden (vgl. Perchinig/Troger 2011, 24f; 34f). Das bedeutet allerdings nicht, dass das Vorhandenseins eines Migrationshintergrunds automatisch auf bestimmte Einstellungen zurückführen lässt, vielmehr wird deutlich, dass der Migrationshintergrund trotz seiner großen Spannweite relevante Aspekte der Lebenswelt zu erfassen scheint (vgl. ebd.).
Nachdem nun die Entstehung des Begriffs Migrationshintergrund hergeleitet wurde, erscheint es daher sinnvoll die schulischen Bedingungen von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund zu beleuchten. Wie es bereits anklang, waren Menschen mit Migrationserfahrung bis 2015 so gut wie unsichtbar für die deutsche Bildungspolitik und Schulpraxis (vgl. Massumi 2019, 375). Im Rahmen der erhöhten Fluchtmigration gerieten sie jedoch schnell in den Fokus und es schien so als wäre Migration ein neues Phänomen im deutschen Bildungssystem (vgl. ebd.). Allerdings waren migrierte Menschen mit teils diskontinuierlichen Bildungsverläufen schon von Anfang an Teil der Bundesrepublik (vgl. ebd.), dies ist auch dem historischen Kontext der Migrationsforschung zu entnehmen. Demnach war das revolutionäre für das Schulsystem nicht das Phänomen Migration an sich, sondern die Berücksichtigung von Migrationserfahrungen im Bildungskontext. Tatsächlich begann die Diskussion um interkulturelle Pädagogik bereits in den 1970er Jahren (vgl. Auernheimer 2007, 34f). Trotz der zeitlichen Überschneidung war diese jedoch völlig unabhängig von der Bildungsreformdebatte der 1960er und 70er Jahre (vgl. ebd.). Dass die Debatte nicht ebenfalls in den 1960ern begann lag daran, dass zu Beginn der Arbeitsmigration nicht mit einem umfangreichen und vor allem keinem langfristigen Familiennachzug gerechnet wurde (vgl. ebd.). Dennoch ist es verwunderlich, dass die Reformdebatte den schulischen Umgang mit Migration nicht mit aufgriff, da ihre zentralen Themen der einseitigen Mittelschichts-Orientierung, Sprachbarrieren für Arbeiterkinder und soziale Integration gerade im Migrationskontext bedeutsam sind (vgl. Auernheimer 2007, 35f). Insgesamt wird laut Nieke zwischen sechs Phasen der Diskussion unterschieden:
,,I. Gastarbeiterkinder an deutschen Schulen: ,Ausländerpolitik‘ als Nothilfe
II. Kritik an der ,Ausländerpädagogik‘
III. Konsequenzen aus der Kritik: Differenzierung von Förderpädagogik und Interkultureller Erziehung
IV. Erweiterung des Blicks auf die ethnischen Minderheiten
V. Interkulturelle Erziehung und Bildung als Bestandteil von Allgemeinbildung
VI. Neo-Assimilationismus‘‘ (Nieke 2008, 13f).
In der ersten Phase begann man zu realisieren, dass die Familien doch länger in Deutschland bleiben werden, als ursprünglich angenommen, weshalb nach einigem hin und her schließlich eine Schulpflicht für die Kinder der Gastarbeiter:Innen etabliert wurde (vgl. Nieke 2008, 14). Der didaktische Fokus lag dabei auf dem Deutscherwerb, wobei zunächst auf 41
Fremdsprachendidaktik zurückgegriffen wurde (vgl. Nieke 2008, 14; Auernheimer 2007, 37f). Da Deutsch jedoch gleichzeitig die Umgebungssprache der Schüler:Innen war und die somit auch ungesteuert erworben wurde, entwickelte sich zudem eine Didaktik des Deutschen als Fremdsprache (vgl. ebd.). Bis die Schüler:Innen hinreichende Deutschkenntnisse zur Teilnahme am Regelunterricht erwarben, wurden sie dabei in besonderen Lerngruppen oder Vorbereitungsklassen, also in integrativen Settings, unterrichtet (vgl. Nieke 2008 14f). Da man weiterhin davon ausging, dass die Schüler:Innen Deutschland früher oder später verlassen war in der Doppelstrategie der Kultusministerkonferenz neben der schulischen Integration auch die ,,Erhaltung der kulturellen Identität‘‘ oder auch ,,Rückkehrfähigkeit‘‘ vorgesehen (vgl. Auernheimer 2007, 38). Während die Integrationsaufgabe also den Schulen zufiel, sollte die Rückkehrfähigkeit durch muttersprachlichen Ergänzungsunterricht von ausländischen Lehrkräften gesichert werden (vgl. ebd.). Die zweite Phase der Kritik an dieser Ausländerpädagogik entstand in den 1980ern aufgrund verschiedener Entwicklungen (vgl. Auernheimer 2007, 38f; Nieke 2008, 15). Zum einen wuchs innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses allmählich das Bewusstsein, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist (vgl. Auernheimer 2007, 39). Zum anderen hatte die wirtschaftliche Rezession zur Folge, dass der altindustrielle Sektor und somit die Metall- und Textilindustrie an Bedeutung verlor, wodurch sich schließlich eine soziale Benachteiligung von Familien mit Migrationshintergrund abzeichnete (vgl. Auernheimer 2007, 38). Dies führte zu einem verstärkten Fokus auf die berufliche Bildung der zweiten Migrationsgeneration (vgl. Auernheimer 2007, 39). Als Anlass der wissenschaftlichen Diskussion wird schließlich das Motto der Jahrestagung des Verbandes der Initiativgruppen Ausländerarbeit aus dem Jahre 1980 gesehen, dass da lautete ,, ,Wider die Pädagogisierung des Ausländer- problems‘ ‘‘ (vgl. Auernheimer 2007, 38f; Nieke 2008, 15). Auch ein Aufsatz von Hamburger, Seus und Wolter namens ,,Über die Unmöglichkeit Politik durch Pädagogik zu ersetzen‘‘ trug dazu bei, dass Integration nun auch unter politischen Gesichtspunkten diskutiert wurde (vgl. ebd.). Statt einer stigmatisierenden Ausländerpädagogik wurde eine Pädagogik des Ausgleichs von Benachteiligungen gefordert (vgl. Nieke 2008, 16). Auch das Konzept der Integration selbst stand in Kritik, da sie nicht nur im Widerspruch zum Ziel der Erhaltung der Rückkehrfähigkeit stand, sondern auch die Dominanz der Mehrheitskultur betone (vgl. ebd.). Stattdessen wurde eine interkulturelle Erziehung gefordert, die alle Kulturen als gleichwertig ansieht (vgl. ebd.). Im sogenannten ,,Kühn-Memorandum‘‘, einem Abschlussbericht einer regierungsamtlichen Kommission unter dem Politiker Heinz Kühn, wurden zudem vergeblich ein Optionsrecht auf Einbürgerung, eine größere Rechtssicherheit sowie ein kommunales Wahlrecht gefordert (vgl. Auernheimer 2007, 39). Produkt dieser Kritik war schließlich die dritte Phase der Differenzierung von Förderpädagogik und interkultureller Erziehung (vgl. Nieke 2008, 17). Die Umbenennung der Ausländerpolitik in interkulturelle Erziehung führte jedoch nur zu oberflächlichen Veränderungen (vgl. ebd.). So wurden Aufgaben der Förderung für Schüler:Innen mit Migrationshintergrund nun der Förderpädagogik und die Vorbereitung auf ein Leben in einer multikulturellen Gesellschaft der interkulturellen Erziehung zugeteilt (vgl. ebd.). Inhaltlich gab es jedoch kaum Veränderungen im Vergleich zur Ausländerpädagogik (vgl. ebd.). Gleichzeitig entwickelten sich innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses verschiedene Tendenzen (vgl. Auernheimer 2007, 40). Einerseits wurden die bereichernden Aspekte von Interkulturalität fokussiert, anderseits die Konfliktbearbeitung (vgl. ebd.). Die einen wollten Diskriminierung durch strukturelle soziale Integration lösen, da sie vor allem die rechtliche und soziale Benachteiligung von Ausländer:Innen kritisierten (vgl. ebd.). Andere hielten es für das Beste in der Erziehung ein interkulturelles Verständnis zu vermitteln, um Diskriminierung abzubauen (vgl. ebd.). Hinsichtlich der Pädagogik wurde eine generelle Qualifikation zum Umgang mit Heterogenität und Pluralität der Schüler:Innen gefordert, die institutionelle Verankerung dieses Bestrebens in der pädagogischen Ausbildung stand jedoch einigen Hürden gegenüber (vgl. Auernheimer 2007, 48). Erstens lag eine strenge Aufteilung der sprach-, erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Studienaspekte auf die verschiedenen Fachbereiche und Fächer vor, sodass unklar war, wie und wo so eine Qualifikation zu verorten wäre (vgl. ebd.). Zweitens wurde in den Studienangeboten eher eine kompensatorische Sprachförderung als eine Vorbereitung auf heterogene Klassen angestrebt (vgl. ebd.). Drittens war es ausländischen Studierenden aufgrund formeller Barrieren nur selten möglich zu studieren (vgl. ebd.). Im Rahmen der Kritik an der interkulturellen Erziehung, die aufgrund der starken Betonung kultureller Unterschiede als diskriminierend empfunden wurde, kam es in der vierten Phase zu einer Erweiterung des Blicks auf ethnische Minderheiten (vgl. Nieke 2008, 18). Erweitert wurde der Blick insofern, als in der Diskussion nun auch Flüchtlinge, bereits langfristig Minderheiten wie Sinti und Roma sowie sprachliche Minderheiten wie die brandenburgischen Sorben mitgedacht wurden (vgl. ebd.). Parallel wurden Anfang der 1990er Jahre aufgrund eines Anstiegs rechtsextremer Verbrechen antirassistische Erziehung und Jugendarbeit relevant (vgl. Auernheimer 2007, 41). Mit der Kultusministerempfehlung zur Interkulturellen Bildung und Erziehung in der Schule, sowie der Empfehlung zur Förderung interkultureller Kompetenz der Studierenden 1996 wurden interkulturelle Erziehung und Bildung in der fünften Phase schließlich Bestandteil von Allgemeinbildung (vgl. Nieke 2008, 19). Die Ausweitung der interkulturellen Pädagogik auf den Bildungsbereich sollte die Schüler:Innen auf das Zusammenleben mit Personen mit verschiedenen Lebenswelten vorbereiten (vgl. ebd.). Obwohl sich dies zunächst regelrecht revolutionär anmutet, wiesen die Ansätze zur interkulturellen Kompetenz zunächst nur wenige Unterschiede zu den vorherigen Phasen auf (vgl. ebd.). Der immigrationsorientierte Ansatz wurde allerdings durch einen emigrationsorientierten Ansatz erweitert, der die Studierenden auf die nun europaweite Mobilität im Arbeitsmarkt vorbereiten sollte (vgl. ebd.). Heute werden sowohl interkulturell kognitive Kompetenzen als auch interkulturelle Handlungskompetenzen definiert (vgl. Halfmann 2014, 107). Als Beispiele für interkulturell kognitive Kompetenzen nennt Halfmann Kenntnisse zu kulturellen Unterschieden, Migrationsprozessen, zum migrationsspezifischen Versorgungsnetz sowie dessen
Zugangsbarrieren, zum rechtlichen, politischen und sozialen Status von Menschen mit Migrationshintergrund sowie zu potentiellen Zusammenhängen von Migration und Behinderung (vgl. ebd.). Interkulturelle Handlungskompetenz schließt wiederum Aspekte wie die Wertschätzung vielfältiger lebensentwürfe, Empathie, Fähigkeit zum Perspektivwechsel, Selbstreflexion, Toleranz, Flexibilität sowie kommunikative Kompetenz mit ein (vgl. ebd.). Dazu gehöre auch eine gewisse Ambiguitätstoleranz, da Pädagog:Innen sich in der Beratung und Förderung auch auf andere Wertesysteme sowie doppeldeutige und widersprüchliche Meinungen oder Handlungsweisen einlassen müssen (vgl. ebd.). Bis heute wurde interkulturelle Kompetenz immer bedeutsamer, sodass sie sich auch in vielen Lehrplänen und Richtlinien als Aufgabenfeld oder Querschnittsaufgabe findet (vgl. Auernheimer 2007, 43). Im Orientierungsrahmen für Schulqualität in Rheinland-Pfalz findet sie im Rahmen des Umgangs mit Vielfalt in einer schulischen Unterstützungskultur sowie bei der kulturellen Bildung Berücksichtigung (vgl. MfB 2017, 17,19). Während einige Modelle zum interkulturellen Lernen sich auf Assimilationsprozesse beziehen, geht es bei anderen Modellen, um einen Kompetenzzuwachs im Umgang mit der multikulturellen Umwelt (vgl. Abb. 10). Auch wenn man weder bei Integrationsprozessen noch beim Aneignen der interkulturellen Kompetenz von Linearität ausgehen kann (vgl. Han 2010, 40; Auernheimer 2007, 126), lohnt sich daher der Vergleich unterschiedlicher Modelle, um die Heterogenität der Herangehensweisen innerhalb der Wissenschaft aufzuzeigen. Dies soll nun beispielhaft an den von Auernheimer aufgelisteten Modellen von Bennett sowie Leenen und Grosch (vgl. Auernheimer 2007, 125) aufgezeigt werden. Darüber hinaus sollen die Modelle in Bezug zu den von Auernheimer als Stufen modellierten Zielsetzungen interkultureller Pädagogik nach Nieke (Auernheimer 2007, 126) gesetzt werden:
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Modelle des interkulturellen Lernens (Modelle zitiert nach Allemann-Ghionda 2013, 62f; Auernheimer 2007, 125f; Eigene Gegenüberstellung)
Wie bereits die Einfärbung der verschiedenen Stufen suggeriert (vgl. Abb.4), zeigen sich sowohl bei Bennett als auch bei Leenen und Grosch Parallelen zu Niekes pädagogischen Zielsetzungen. Allerdings scheint das Modell von Bennett lediglich die ersten beiden Stufen der Zielsetzungen zu berücksichtigen, da die Toleranz anderer Kulturen lediglich einem Erkennen der eigenen Stereotypisierungstendenzen zugeschrieben werden kann (vgl. Abb. 4). Laut Au- ernheimer muss zudem beachtet werden, dass die Adaption der anderen Kultur sowie die Integration beider Kulturen lediglich für Menschen mit Migrationshintergrund relevant sind (vgl. Auernheimer 2007, 125). Auch zeigt sich, dass es sich bei den Modellen nicht um lineare Prozesse handeln kann, da Bennetts Modell die von Auernheimer modellierte Stufe der Offenheit und Kontaktbereitschaft nicht berücksichtigt (vgl. Abb. 4). Insgesamt scheint Bennetts Modell eher die Assimilierung von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund zu adressieren, während die anderen Modelle für die Gesamtheit der Schüler:Innen relevant sind (vgl. Abb. 4). Sowohl bei den Stufen interkulturellen Lernens als auch bei den Stufen der Zielsetzungen interkultureller Pädagogik spielen Reflexion der eigenen und gesamten menschlichen Kulturgebundenheit sowie interkulturelle Kommunikation eine Rolle (vgl. Abb. 4).
Auch bei der Umsetzung gibt es jedoch starke Unterschiede dahingehend, ob interkulturelle Pädagogik eine paternalistische Adressierung von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund anstrebt oder ob sie als gegenseitiger gesellschaftlicher Lernprozess verstanden wird (vgl. Auernheimer 2007, 43f). Trotz der nun nicht nur wissenschaftlichen sondern auch zunehmend politischen Diskussion, gibt es in den Schulen nur selten Tendenzen zur Neoorientierung oder Reflexion der eigenen Kultur (vgl. Auernheimer 2007, 44f). Schulfallstudien der 90er Jahre stellten einen ungebrochenen monolingualen Habitus fest, der u.a. dazu führte, dass Schü- ler:Innen mit Migrationshintergrund aufgrund der Bevorzugung guter Leser:Innen indirekt diskriminiert wurden (vgl. Auernheimer 2007, 45). Zur Erhaltung der monokulturellen Ausrichtung der Schule wurde Multikulturalität an Sondergruppen oder das Nachmittagsangebot delegiert (vgl. ebd.). Als hilfreich erwiesen sich Lehrkräfte mit eigenem Migrationshintergrund (vgl. ebd.). Da der deutsche Pass jedoch weiterhin Einstellungsvoraussetzung für den Beamtenstatus sowie in einigen konfessionellen Einrichtungen ist, ist der Zugang für eben diese Lehrkräfte bis heute erschwert (vgl. Auernheimer 2007, 48). So können Nicht-EU-Bürger laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zwar als Tarifbeschäftige, jedoch nicht im Beamtenverhältnis arbeiten (vgl. BAMF 2021). Des Weiteren wurde zwar eine inhaltliche Standardisierung der Zusatz- und Ergänzungsstudiengänge sowie die Etablierung einiger obligatorischer Stunden zur Interkulturalität erreicht, jedoch ist die intensive Auseinandersetzung mit interkultureller Pädagogik und Kompetenz weiterhin fakultativ (vgl. Auernheimer 2007, 48f; 119). So gibt es teilweise erhebliche Unterschiede zwischen dem wissenschaftlichen Diskurs und dem pädagogischen Alltagsdiskurs (vgl. Auernheimer 2007, 121).So herrscht in der Wissenschaft Konsens darüber, dass die Zugehörigkeit zu einer Kultur nicht auf bestimmte Wesenseigenschaften schließen lässt, dass strukturelle Ungleichheit mit kulturellen Dominanzverhältnissen und Rassismus zusammenhängt, dass alle Schüler:Innen unabhängig ihrer ethnischen Herkunft sich mit ihrer Identität auseinandersetzen müssen und dass es einer Reflexion der eigenen kulturgebundenen Wahrnehmung bedarf (vgl. Auernheimer 2007, 119f). Innerhalb der pädagogischen Praxis gäbe es zwar durchaus Konzepte, die die Wahrnehmung der Vielfalt von Differenzen fördern, jedoch gäbe es auch Konzepte die fast ausschließlich kulturelle Unterschiede in den Blick nehmen (vgl. Auernheimer 2007, 122). Insgesamt lassen sich in der interkulturellen Pädagogik die sechs folgenden Schwerpunkte unterscheiden: ,,(...) interkulturelles Lernen als soziales Lernen, Umgang mit kultureller Differenz oder mit Differenzen, Befähigung zum interkulturellen Dialog, multiperspektivische Allgemeinbildung, mehrsprachige Bildung, antirassistische Erziehung.‘‘(Auernheimer 2007, 124). Auernheimer weist darauf hin, dass Theorie und Praxis eine sehr unterschiedliche Geschwindigkeit haben, sodass die Phasen nach Nieke sich vor allem auf den wissenschaftlichen Diskurs, aber weniger auf die reale Bildungspolitik beziehen (vgl. Auernheimer 2007, 34). Deutlich wird dies auch anhand der Rezeption der PISA-Studie in den 2000ern sowie dem aktuellen gesellschaftlichen Diskurs: Wie bereits eingangs erwähnt, zeigte sich in der PISA-Studie in Deutschland ein deutlicher Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem Kompetenzerwerb der Schüler:Innen, insbesondere bei Schüler:Innen mit Migrationshintergrund (vgl. Auernheimer 2007, 37). Auern- heimer kritisiert, dass in Konsequenz dieser Ergebnisse nicht das Schulsystem, sondern Schü- ler:Innen mit Migrationshintergrund problematisiert wurden (vgl. ebd.). Dies sei insbesondere dann unbegreiflich, wenn man miteinbezieht, dass das Bildungssystem bereits im Rahmen der Bildungsreformdebatte als höchst problematisch herausgestellt wurde und seine überdurchschnittliche Selektivität von der PISA-Studie bestätigt wurde (vgl. ebd.) Ist man etwa in der Sonderpädagogik bereits im Paradigma der Förderung oder Inklusion und Teilhabe angekommen, so zeigt der Blick auf Schüler:Innen mit Migrationshintergrund eher Parallelen zum Ver- besonderungsparadigma auf. Insofern scheint es wenig verwunderlich, dass auch in der von Merz entfachten Debatte um Schüler:Innen mit Migrationshintergrund nicht das Schulsystem sondern die Schüler:Innen im Fokus stehen. So traf die Pathologisierung von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund als ,,kleine Paschas‘‘ zwar auf breite Kritik, jedoch gab es auch Stimmen, die ihm beipflichteten (vgl. DPA 2023). So sieht Meidinger, der Präsident des deutschen Lehrerverbands, die Lösung des ,,Integrationsproblems‘‘ nicht in der Umstrukturierung des Schulsystems, sondern in einer gleichmäßigen ,,Umverteilung‘‘ der Schüler:Innen, sodass es weniger Schüler:Innen mit Migrationshintergrund pro Klasse, Schule und ,,Wohnquartier‘‘ gäbe (vgl. Moll 2023). Zudem solle es eine verpflichtende Sprachförderung geben (vgl. ebd.). Um diese Entwicklung zu berücksichtigen ergänzte Nieke sein Modell 2008 um die sechste Phase des Neo-Assimilationismus (vgl. Nieke 2008, 20). Ausgelöst vom Terroranschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001 wurden Muslime in Form einer Übergeneralisierung unter Generalverdacht hinsichtlich Islamismus, Gewalt und Terror gestellt (vgl. Nieke 2008, 20). Die neuartige Bedrohungswahrnehmung brachte einen Prozess der stetigen Toleranzabnahme in der Gesellschaft ins Rollen (vgl. ebd.). Wurden anfangs nur Muslime als bedrohlich wahrgenommen, weitete sich der Generalverdacht in einer weiteren Übergeneralisierung schnell auf andere Menschen mit Migrationshintergrund aus (vgl. ebd.). Analog zu den Integrationsforderungen der 80er Jahre etablierte sich in den politischen Eliten die Ansicht, dass alle Menschen mit Migrationshintergrund zu einem umfassenden Assimilationsprozess verpflichtet sind (vgl. Nieke 2008, 20f). Diese Forderung der Zwangsakkulturation bezieht sich nicht nur auf funktionale Kompetenzen und das Einhalten von Gesetzen sondern auch auf die Übernahme der zentralen Grundüberzeugungen der Mehrheitskultur (vgl. ebd.). Wer dazu nicht fähig oder willens sei müsse dem Diskurs des Neo-Assimilationsismus nach mit Sanktionen oder Ausweisung bestraft werden (vgl. ebd.). Trotz der Bestrebungen der interkulturellen Erziehung und Bildung kann ist also eine Regression hinsichtlich der Toleranz gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund zu beobachten. Dies führt dazu, dass sich auch die Pädagogik zu Gunsten einer assimilierenden Integrationsförderung immer weiter von der interkulturellen Bildung entfernt (vgl. Nieke 2008, 21).
Um von solchen Stigmatisierungen abzukommen, schlägt Hamburger in seinem ,,Abschied von der interkulturellen Pädagogik‘‘ einen Paradigmenwechsel vor (vgl. Hamburger 2018, 191199). Mit der Einstufung von Menschen mit Migrationshintergrund als integrationsbedürftig würde gleichzeitig eine latente Diskriminierung der Personengruppe geschehen (vgl. Hamburger 2018, 195f). Dies führe dazu, dass der Migrationsbegriff von negativen Konnotationen und Stereotypen durchzogen ist (vgl. Hamburger 2018, 195). Um eine Schule oder ein Stadtviertel als problematisch auszuweisen, müsse man heutzutage nur auf einen erhöhten Migrationsanteil verweisen (vgl. ebd.). Um dem entgegenzuwirken müsse man eine Entkategorisierung anstreben, indem man nicht persönliche Merkmale, sondern Prozesse und Strukturen problematisiert (vgl. Hamburger 2018, 196). So würden gerade Prozesse wie der stereotype threat, selbsterfüllende Prophezeiungen sowie die frühe Selektion im Bildungssystem zur Benachteiligung von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund führen (vgl. ebd.). Stereotype threats meinen dabei die Angst von Schüler:Innen aufgrund eines bestimmten Merkmals negativer wahrgenommen zu werden, was sich auf das Selbstvertrauen, die Anstrengungsbereitschaft sowie die Bildungsmotivation auswirkt (vgl. ebd.). Gleichzeitig führen niedrige Leistungserwartungen der Lehrkräfte dazu, dass sie die Schüler:Innen weniger fördern und fordern (vgl. ebd.). Somit kommt es bei den Schüler:Innen zu einer negativen Haltung gegenüber den Lehrkräften, wodurch es zu einem Teufelskreis selbsterfüllender Prophezeiungen hinsichtlich der negativen Erwartungen kommt (vgl. ebd.). Neben den schulischen Anforderungen müssen Schüler:Innen also auch Ängste aufgrund von stereotype threats sowie mit negativen Erwartungen der Lehrkräfte umgehen, wobei die Prozesse der stereotype threats und selbsterfüllenden Prophezeiung sich gegenseitig verstärken. Die frühe leistungsorientierte Differenzierung berücksichtigt wiederum weder die Effekte dieser beiden Prozesse, noch die spezifische Entwicklung von mehrsprachigen Kindern (vgl. Hamburger 2018, 196). Auch die schulorganisatorischen Unterrichtsformen, sind vor diesem Hintergrund kritisch zu sehen: Hinsichtlich der schulischen Organisation finden sich sowohl integrative, teilintegrative als auch parallele Modelle (vgl. Terhart et al. 2017, 239), wobei die Definition dieser Begriffe vom sonderpädagogischen Verständnis (vgl. Kap. 3.1.2, 26f) abweicht. So wären die integrativen Modelle der interkulturellen Pädagogik im sonderpädagogischen Verständnis eher der Inklusion zuzuschreiben (vgl. ebd.), da die Schüler:Innen in den Regelklassen unterrichtet werden (vgl. Terhart et al. 2017, 239). Auch bei den teilintegrativen Modellen mit verzögertem Übergang (vgl. ebd.) kann so argumentiert werden. Demnach wären dem sonderpädagogischen Verständnis nach lediglich die parallelen Modelle der Integration zuzuordnen. Während Integration sich im sonderpädagogischen Kontext auf eine Organisationsform bezieht, scheint der Begriff in der interkulturellen Pädagogik also weiterhin eher auf Assimilationsprozesse bezogen zu sein. Zusätzlich stünde Integration laut Hamburger oftmals in Verbindung mit ,,Unterwerfungsritualen‘‘, etwa wenn nach Eskalationen von Konflikten eine unmittelbare Distanzierung seitens muslimischer Organisationen erwartet wird (vgl. Hamburger 2018, 197f). Dies führe in der gesellschaftlichen Wahrnehmung jedoch nicht zu einer Distanzierung, sondern vielmehr zu einer Verfestigung der Assoziationskette: Islam ist gleich Islamismus ist gleich Terror (vgl. ebd.). Auch dass Mehrsprachigkeit je nach Sprache glorifiziert oder pathologisiert wird sei höchst paradox (vgl. ebd.). Gemeint ist damit, dass das Erlernen oder Beherrschen prestigeträchtiger Sprachen wie Englisch oder Französisch als positiv angesehen wird, während die natürliche Mehrsprachigkeit im Migrationskontext vernachlässigt wird (vgl. ebd.). Missbilligung oder gar das Verbieten der Muttersprache ist insofern als kritisch zu betrachten, als dass sie eng mit dem Selbstverständnis und dem Selbstwertgefühl der Schüler:Innen zusammenhängt (vgl. Hamburger 2018, 199). Angesichts der Tatsache, dass Jäckel und Niederberger bereits 2003 ähnliche Forderungen hinsichtlich des Umgangs mit Mehrsprachigkeit stellten (vgl. Jäckel 2003, 126; Niederberger 2003, 96), zeigt sich erneut das unterschiedliche Tempo von Theorie und Praxis.
Ansätze um an die Sprachkompetenzen der Schüler:Innen anknüpfen zu können bietet ,,Das mehrsprachige Klassenzimmer‘‘ von Krifka et al. (vgl. Krifka et al. 2014). Da der Zweitspracherwerb i.d.R. vom Erstspracherwerb geprägt wird, sind die Herausforderungen beim Sprachlernen spezifisch für die jeweiligen Erstsprachen (vgl. Krifka et al. 2014, 3f). Somit erfordert eine ressourcenorientierte Förderung von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund auch Sprachwissen zu den Herkunftssprachen, weshalb Krifka et al. in ihrem Werk eine umfassende Übersicht zu den Spezifikationen von 29 Sprachen bereitstellen (Krifka et al. 2014, 4f). Diese können als Grundlage zur Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit der Schüler:Innen genutzt werden (vgl. ebd.).
Laut einem Vortrag von Massumi (2022) zur Rolle von Inklusion und Exklusion bei der Beschulung zugewanderter Kinder und Jugendlicher im deutschen Schulsystem fänden die Ressourcen der Schüler:Innen mit Migrationshintergrund in der Schule i.d.R. jedoch keinerlei Beachtung (vgl. Massumi 2022,16f). So käme es bei Schüler:Innen oftmals zu Unterforderung, die die Lehrkräfte u.a. als Mangel an Motivation interpretierten (vgl. Massumi 2022, 14). Zudem gibt es aufgrund des deutschen Asylgesetzes deutliche Zugangsbarrieren für neu migrierte Kinder und Jugendliche (vgl. Massumi 2019, 359). Die Folgen dieser Barrieren reichen von kurz- oder längerfristigen Unterbrechungen des Schulbesuchs bis hin zum völligen Ausschluss vom weiteren Schulbesuch aufgrund eines nicht mehr schulpflichtigen Alters (vgl. Massumi 2019, 359f). Während einigen Schüler:Innen der Zugang völlig verwehrt wird, werden anderen Schüler:Innen mit dem fehlenden Zugang zu bestimmten Schularten oder der gymnasialen Oberstufe keine adäquaten Anschlussmöglichkeiten geboten (vgl. ebd.). Laut Massumi wird Bildungsinklusion im aktuellen Schulsystem also nicht für alle gleichermaßen ermöglicht, Menschen mit Migrationshintergrund würden aber dennoch Zugang zur Schule finden, indem Sie auf ihre Ressourcen zurückgreifen (vgl. Massumi 2019, 372). Ein Teil dieser Ressourcen entstünde sogar erst im Kontext von Exklusionsprozessen (vgl. Massumi 2019 370ff). So werde angesichts des erschwerten Zugangs zum Bildungssystem ein Habitus der Überlebenskunst ausgebildet (vgl. ebd.). Das heißt, dass einige Schüler:Innen trotz des neuen Bildungskontexts dazu in der Lage sind, ihr in Form formaler Bildungserfahrungen bereits vorhandenes kulturelles Kapital gewinnbringend einzusetzen (vgl. Massumi 2019, 370). Zudem gelingt es vielen Schüler:Innen auch im neuen Umfeld ihr soziales Kapital zu pflegen, indem sie ihre sozialen Kompetenzen zum Aufbau neuer Kontakte nutzen (vgl. ebd.). Des Weiteren finden einige Schüler:Innen einen vom Alltag entlastenden Ausgleich in informell erworbenen Fähigkeiten (vgl. ebd.). Somit scheinen Schüler:Innen mit Migrationshintergrund über Handlungsstrategien zur Mobilisierung verschiedenster Ressourcen zu verfügen, mit denen sie die Herausforderungen des Bildungssystems meistern (vgl. ebd.). Neben der Ressourcenrekrutierung können sich diese Handlungsstrategien auch in aktivem Nichtstun zur Vermeidung wiederholter Negativverfahren oder in der offenen Artikulation von unfairen Verhältnissen ausdrücken (vgl. ebd.). Insgesamt scheinen Schüler:Innen mit Migrationshintergrund zu hoher Zielstrebigkeit, Bildungsmotivation und autonomer Lebensgestaltung zu tendieren (vgl. Massumi 2019, 371). Auch zeigen sie sich als kompetente Beobachter:Innen des deutschen Schulsystems, indem sie die institutionell-organisatorischen Rahmenbedingungen gezielt und lösungsorientiert auf Chancen und Herausforderungen untersuchen (Emmerich et al. 2020, 142f, 145). Emmerich et al. führen dazu das Beispiel einer Schüler:In an, die mehrere Monate nach einem Gymnasium mit höherem Ausländeranteil suchte, da sie hier mit besseren Bildungschancen rechnet (vgl. ebd.). Somit zeigt sich erneut, dass die neo-assimilistische Pathologisierung von Schü- ler:Innen mit Migrationshintergrund (vgl. Moll 2023; DPA 2023) wissenschaftlich nicht haltbar ist. Angesichts Ihrer Befunde gibt Massumi zu denken, dass eine inklusive Beschulung alleine kein Garant für Anschlussmöglichkeiten und Bildungserfolg der Schüler:Innen ist (vgl. Mas- sumi 2019, 373). Die Anschlussmöglichkeit der Schüler:Innen hänge vielmehr von ihrer individuellen Handlungsfähigkeit, Lebenslage, ihrem Wohlbefinden, dem sozialen Umfeld in der Klasse sowie von Qualität und Struktur des Unterrichtes ab (vgl. ebd.).
Für die Schule tun sich hinsichtlich dieser Chancen und Herausforderungen die Handlungsfelder der Schulstruktur, der Lehrkräftebildung sowie das Handlungsfeld der Didaktik und Unterrichtsinhalte auf. Diese gilt es nun zu Beleuchten.
Welche Chancen oder Herausforderungen sich für Schüler:Innen auftun, hängt aktuell maßgeblich davon ab, welche Angebote in der jeweiligen Schule oder Region verfügbar sind (vgl. Massumi 2019, 360). Laut Auernheimer bedarf es im Handlungsfeld der Schulstruktur daher einer umfassenden Anpassung der institutionellen Rahmenbedingungen aller Schulen (vgl. Auernheimer 2007, 163). So müsse die multikulturelle Situation in den Leitbildern verankert werden, wobei interkulturelle Bildungsaufgaben nicht einfach an andere Einrichtungen oder Sonderklassen delegiert werden dürfen (vgl. Auernheimer 2007, 163f). Chancen lägen auch in einer Öffnung zum Umfeld, die neben einer stärken Vernetzung mit anderen Institutionen auch eine Betonung des Mitbestimmungsrechts der Eltern vorsieht (vgl. ebd.). Dazu sei es seitens der Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft notwendig, Fremdheit und Misstrauen abzubauen und bereit zu sein die eigene Monopolstellung zu verlassen (vgl. Auernheimer 2007, 164f). Dazu müssten Schulen ihr eigenes Aufgabenverständnis überdenken und auch den Zugang für mehrsprachige Fachkräfte mit Migrationshintergrund erleichtern (vgl. Auernheimer 2007, 164). Während das aktuell selektive Aufgabenverständnis der Schule die Erhaltung tradierter Strukturen, der monolingualen und monokulturellen Ausrichtung anstrebt, muss laut Massumi eine neue ressourcenorientierte und flexible Ausrichtung etabliert werden, die sich an den aktuellen demografischen Entwicklungen orientiert, statt diese zu verschleiern (vgl. Massumi 2019, 380). Dazu bedarf es einer stärkeren Lebenslagenorientierung, die bereits vorhandene Bildungsressourcen berücksichtigt, die normative Verknüpfung von Alter und Schulstufe auflöst, den langjährigen Spracherwerbsprozess nicht nur kurzfristig sondern auch langfristig unterstützt und sich zu Gunsten einer Individualisierung von normativen Lehrplänen loslöst (Massumi 2019, 380ff). Ähnlich wie die im bildungspolitischen Kontext angeführte These, dass politische Probleme nicht auf pädagogischer Ebene zu lösen sind (vgl. Kap. 3.2, 42), prangert Massumi an, dass die bisherigen Lösungsversuche auf der falschen Ebene angesiedelt sind (vgl. Massumi 2019, 251; 384). So käme es aktuell vor allem auf die Eigeninitiative von Lehrkräften an, ob die Schule zu einem Begrenzungs- oder Ermöglichungsraum wird, etwa bei der Netzwerkarbeit oder bei der Nutzung des pädagogischen Freiraums zur Berücksichtigung der Lebenslagen (Massumi 2019, 367;384). Hinsichtlich des Handlungsfelds Lehrkräftebildung sind Fortbildung und Supervision daher unabdingbar, zudem müsse die Schule ihre Selbstverpflichtung zur Berücksichtigung des Migrationskontextes regelmäßig evaluieren (vgl. Auernheimer 2007, 165). Gelingensbedingung für jegliche Verbesserungen ist laut Massumi allerdings ein sozialer und ressourcenorientierter Umgang der Lehrkräfte (vgl. Massumi 2019, 368f).Neben der Etablierung von Team-Teaching und kollegialer Fallberatung sollte laut Au- ernheimer daher überprüft werden, inwiefern es im Unterricht zu impliziten Diskriminierungen kommt (vgl. Auernheimer 2007, 168). Ferner müsse ein stärkerer Fokus auf Bildungsberatung und -begleitung gelegt werden (vgl. Massumi 2019, 362; 386). Darüber hnaus dürften pädagogische Kompetenzen wie Förderung, Empathie und Umgang mit Lebenslagen nicht nur an bestimmten Schulen sondern schulartübergreifend gegeben sein (vgl. Massumi 2019, 386). Bereits in der Vergangenheit hat dies dazu geführt, dass viele neu migrierte Schüler:Innen an Hauptschulen verwiesen wurden, da man Hauptschullehrkräften eine bessere Kompetenz für diese Schüler:Innen zuschrieb (vgl. Emmerich et al. 2020, 136). Dies führte wiederum zu einer pauschalen Abwertung der Leistungserwartungen von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund sowie zu einem erschwerten Zugang zum Gymnasium trotz Erfüllung formaler Zugangsvoraussetzungen (Emmerich 2020, 136, 142f). Insbesondere in der Sekundarstufe scheinen Lehrkräfte oftmals über eine geringe professionelle Expertise hinsichtlich der Förderung zu haben (vgl. Massumi 2019, 360). Allerdings sind Förderbedürfnisse wie die Alphabetisierung von Schüler:Innen bei diskontinuierlichen Bildungsbiographien nicht nur im Elementar- sondern auch im Sekundarbereich relevant (vgl. ebd.). Des Weiteren müsse bereits im Lehramtsstudium der Ausbau kooperativer Kompetenzen forciert werden, um langfristig multiprofessionelle Netzwerke und Zusammenarbeit zu etablieren (vgl. Massumi 2019, 385). Auch müsse das Lehramtsstudium besser auf die Arbeit mit neu zugewanderten oder geflüchteten Schü- ler:Innen mit geringen Deutschkenntnissen vorbereiten (Massumi 2016, 36f). Neben eines theoretischen Profils im Bereich der Sprachförderung, sollten die Studierenden dabei auch praktische Erfahrungen machen und sich in Reflexion sowie Selbstreflexion üben (vgl. Massumi 2016, 41f).
Bereits im Abschnitt zur Inklusion wurde die Bedeutung eines positiven Sozialklimas hervorgehoben. Gerade im interkulturellen Kontext gibt es dafür ein großes Potential im Handlungsfeld der Unterrichtsinhalte und Didaktik. So könnten die interkulturellen Unterschiede in der Kommunikation zur Metakommunikation über Konfliktaustragungen führen (vgl. Auernheimer 2007, 166f). Zudem könne die multilinguale Situation zur Reflexion über die Funktion und den Gebrauch von Sprachen anregen (vgl. Auernheimer 2007, 149f). Jedoch müsse auch beachtet werden, dass der bloße interkulturelle Kontakt (vgl. Auernheimer 2007, 162) oder das alleinige Thematisieren von moralischem Verhalten noch keine hinreichenden Bedingungen für ein positives Sozialklima schaffen (vgl. Auernheimer 2007, 128f). Wichtig seien vor allem der Bezug zu den Erfahrungen der Schüler:Innen sowie die Reflexion der Selbst- und Fremdwahrnehmung (vgl. Auernheimer 2007, 159). Dabei gäbe es für die pädagogische Arbeit biographische, literarische oder sozioökologische Zugänge, die mittels Medienanalysen, kreativen Arbeiten, Rollenspielen, Interaktionsübungen, Planspielen oder szenischem Spiel erkundet werden können (vgl. Auernheimer 2007, 158). Allemann-Ghionda skizziert dazu eine diversitätsbewusste interkulturelle Bildung, die Schüler:Innen zu einem umfassenden Wissen und Verständnis von Migration, Minderheiten und Diversität führen soll (vgl. Allemann-Ghionda 2013, 61). Fokussiert wird dabei nicht nur die schulische Integration, sondern der Bildungserfolg aller Schü- ler:Innen, insbesondere bei sozial schwacher Herkunft (vgl. ebd.). Allemann-Ghiondas Ansatz setzt also keine Anwesenheit von ethnischen Minderheiten voraus, da der Erwerb interkultureller und sozialer Kompetenz alle Schüler:Innen adressiert (vgl. ebd.). Während es dabei alle Arten von Mehrsprachigkeit wertzuschätzen gilt, sollten Schulen Stereotypisierungen der Schüler:Innen entgegenwirken (vgl. ebd.). Unter interkultureller Kompetenz versteht Allemann- Ghionda dabei ein umfassendes ,,[...] Bündel von Kenntnissen und analytischen sowie affektiven und kommunikativen Fähigkeiten [...]‘‘ (Allemann-Ghionda 2013, 64). Dazu gehört das bewusste Wahrnehmen und Verstehen soziokulturell gewachsener Unterschiede, die Unterscheidung soziokultureller und sozioökonomischer Aspekte sowie das Reflektieren und Ansprechen von Missverständnissen (vgl. ebd.).Interkulturelle Kompetenzen könnten sich jedoch erst dann entfalten, wenn man seinen eigenen Ethno- und Soziozentrismus bewusst wahrnimmt und reflektiert (vgl. ebd.). Weitere Chancen liegen in außerunterrichtlichen Aktivitäten wie AGs, da die Schüler:Innen hier stärker und ungezwungener miteinander kooperieren (Au- ernheimer 2007, 167). Für neu migrierte Schüler:Innen muss zudem festgehalten werden, dass nicht nur sprachliche sondern auch fachliche Fähigkeiten ermittelt werden müssen, um adäquat an die individuellen Ressourcen und Bedürfnisse anzuschließen (vgl. Terhart et al. 2017, 243).
Nachdem nun Chancen und Herausforderungen der Beschulung von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund sichtbar wurden, stellt sich nun die Frage, inwiefern sich diese auf die inklusive Beschulung auswirken. Dazu soll nun zunächst überprüft werden, inwiefern sich ein Migrationshintergrund auf die statistischen Daten Förderquote, Inklusionsanteil und Exklusionsquote auswirkt. In Schulstatistiken wird sowohl der Anteil an ausländischen Schüler:Innen als auch der Anteil an Schüler:Innen mit Migrationshintergrund erhoben. Die Definition beider Begriffe weicht von Studie zu Studie ab. Um einen Vergleich zu den Ergebnissen der SFGE- Studien zu ermöglichen, werden in der vorliegenden Arbeit vor allem die Studien berücksichtigt, an deren Begriffsdefinitionen sich Dworschak et al. und Baumann et al. orientiert haben. Demnach sind ausländische Schüler:Innen Schüler:Innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (vgl. Dworschak/Ratz 2014, 29). Schüler:Innen mit Migrationshintergrund sind wiederum Schüler:Innen die eine deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben, die nicht mit deutscher Staatsbürgerschaft geboren wurden oder Schüler:Innen die mindestens einen Elternteil haben, der nicht mit der deutschen Staatsbürgerschaft geboren wurde (vgl. Selmayr/Dworschak 2021, 36). Es gilt zu erwähnen, dass die Kultusministerkonferenz seit 2000 keine Angaben mehr zum Anteil ausländischer Schüler:Innen an der gesamten Schülerschaft macht (KMK o.J.). Lediglich hinsichtlich der sonderpädagogischen Förderung wird eine solche Unterscheidung vorgenommen (vgl. KMK 2022 a, 3,25,49,53,113,118; KMK 2022b , 4,7,16). Angaben zum Migrationshintergrund sehen die Veröffentlichungen aktuell nicht vor (KMK o.J.) weshalb an dieser Stelle auf Daten zu ausländischen Schüler:Innen zurückgegriffen wird. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass der Anteil der Schüler.Innen mit Migrationshintergrund weitaus höher ist (vgl. Selmayr/Dworschak 2021, 37f). Um dennoch einen Vergleich von Förderquote, Inklusionsanteil und Exklusionsquote zu ermöglichen, wurde die Gesamtsumme der ausländischen Schüler:Innen anhand der Prozentangaben des Statistischen Bundesamtes berechnet (Destatis 2022c, Tab. 4.11 ). Die Prozentangaben des statistischen Bundesamts und der Kultusministerkonferenz stimmen hinsichtlich des Anteils der ausländischen Schüler:Innen an der Schülerschaft mit sonderpädagogischer Förderung über ein. Somit kann davon ausgegangen werden, dass die Prozentangaben des statistischen Bundesamts auch für die Berechnung der Gesamtsumme der ausländischen Schüler:Innen herangezogen werden können. Hinsichtlich der Gesamtquoten, kann es aufgrund unterschiedlicher Rundungen zudem zu leichten Abweichungen im Vergleich zu den offiziellen Zahlen geben, die in Kapitel 3.1.1 verwendet wurden (vgl., 18).
Betrachtet man zunächst die Anteile ausländischer Schüler:Innen an der Schülerschaft mit sonderpädagogischer Förderung in Deutschland (vgl. Tab. 2), so liegt die Kurve des Anteils an allgemeinen Schulen niedriger während die Kurve des Anteils an Förderschulen höher liegt als der gesamte Anteil an der sonderpädagogischen Förderung. Somit suggerieren die Daten von 2011 bis 2020 eine Überrepräsentation von ausländischen Schüler:Innen an Förderschulen bei gleichzeitiger Unterrepräsentation in inklusiven Settings.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Prozentuale Anteile ausländischer Schüler:Innen an der Schülerschaft mit sonderpädagogischer Förderung Deutschland (Eigene Darstellung und Berechnungen; vgl. Destatis 2022c, Tab. 4.1; KMK 2022 a, 3,25,49,53,113,118; KMK 2021 b, 4,7,16; KMK 2021 c, 6,7,11,12,29,30)
Betrachtet man vergleichsweise den Anteil ausländischer Schüler:Innen an der gesamten schulartübergreifenden Schülerschaft, so stimmte dieser bis 2014 weitestgehend mit dem Anteil ausländischer Schüler:Innen mit sonderpädagogischer Förderung in inklusiven Settings überein. Ab 2015 ähnelt der Anteil ausländischer Schüler:Innen an der gesamten deutschen Schülerschaft jedoch eher der Kurve des Gesamtanteils an der Schülerschaft mit
sonderpädagogischer Förderung. Ab 2019 geschieht eine erneute Annäherung an die Kurve zur inklusiven Beschulung. Dies könnte darauf hinweisen, dass die Zuwanderungswelle ab 2015 einen Einfluss auf die Feststellungspraktiken des sonderpädagogischen Förderbedarfs hatte. Vor dem Hintergrund, dass die sonderpädagogische Förderung einen subsidiären Charakter hat, könnten die zusätzlichen Herausforderungen der Schulen zu einer höheren Delegation von Schüler:Innen an die Sonderpädagogik verbunden gewesen sein. Ab 2019 scheint dieser Effekt auszulaufen.
Während die Grafik zu den Anteilen ausländischer Schüler:Innen in Deutschland sehr deutlich auf eine Überrepräsentation an Förderschulen bei Unterrepräsentation in inklusiven Settings hinweist, gestaltet sich die Situation in Rheinland-Pfalz anders aus (vgl. Tab. 3). Zwar lag 2011 ebenfalls eine Überrepräsentation an Förderschulen bei gleichzeitiger Unterrepräsentation in inklusiven Settings vor, jedoch lagen die Graphen zu allen Anteilen nur geringfügig auseinander, sodass es eine annähernd ausgewogene Verteilung der ausländischen Schüler:Innen auf inklusive und exklusive Settings gab. 2012 ist die Lage ähnlich ausgewogen, wobei nun eine leichte Überrepräsentation in inklusiven Settings bei gleichzeitiger Unterrepräsentation an Förderschulen vorliegt. Während die Kurven ab 2013 auseinanderdriften, bleibt die Überrepräsentation in inklusiven Settings bei Unterrepräsentation in Förderschulen stabil.
Anteile ausländischer Schülerinnen an der Schülerschaft mit sonderpädagogischer Förderung Rheinland-Pfalz
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3: Prozentuale Anteile ausländischer Schüler:Innen an der Schülerschaft mit sonderpädagogischer Förderung Rheinland-Pfalz (Eigene Darstellung und Berechnungen; vgl. Destatis 2022c, Tab. 4.1; KMK 2022 a, 3,25,49,53,113,118; KMK 2021 b, 4,7,16; KMK 2021 c, 6,7,11,12,29,30)
Der Vergleich des Anteils ausländischer Schüler:Innen an der gesamten rheinland-pfälzischen Schülerschaft zeigt zwischen 2015 und 2017 eine Annäherung an den Graphen des Anteils ausländischer Schüler:Innen an den Förderschüler:Innen. Da sich dies zeitlich mit dem Effekt des gesamtdeutschen Anstiegs der ausländischen Schüler:Innen deckt (vgl. Tab. 3), könnte dies ebenfalls auf geänderte Zuweisungspraktiken aufgrund der zuwanderungsbedingten Herausforderungen zurückzuführen sein. Insgesamt scheint der Anteil ausländischer Schüler:In- nen an der sonderpädagogischen Förderung in beiden Grafiken höher zu sein als der Anteil 54
ausländischer Schüler:Innen an der gesamten Schülerschaft (vgl. Tab. 2; Tab. 3). Sind ausländische Schüler:Innen also nicht nur in inklusiven oder exklusiven sonderpädagogischen Settings sondern auch in der gesamten sonderpädagogischen Förderung überrepräsentiert? Dies lässt sich allein anhand des Vergleichs zum Gesamtanteil an der rheinland-pfälzischen oder deutschen Schülerschaft nicht ablesen. Vielmehr bedarf es eines Vergleichs der Förderund Exklusionsquoten der ausländischen Schüler:Innen und der gesamten Schülerschaft (vgl. Tab. 4; Tab. 5). Dabei werden deutliche Unterschiede zwischen den Schülergruppen sichtbar. So liegen Förder- und Exklusionsquote bei ausländischen Schüler:Innen über die gesamte Zeitspanne hinweg höher als die vergleichbaren Gesamtquoten (vgl. Tab. 4). Gleichzeitig liegt der Inklusionsanteil der ausländischen Schüler:Innen unter dem der gesamten Schülerschaft. Somit scheint in Deutschland tatsächlich sowohl an Förderschulen als auch in der sonderpädagogischen Förderung selbst eine Überrepräsentation von ausländischen Schüler:Innen vorzuliegen.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 4: Quoten ausländischer Schüler:Innen mit sonderpädagogischer Förderung Deutschland im Gesamtvergleich (Eigene Darstellung und Berechnungen; vgl. Destatis 2022 c, Tab. 4.1; KMK 2022 a, 3,25,49,53,113,118; KMK 2021 b, 4,7,16; KMK 2021 c, 6,7,11,12,29,30)
Auch ist wie bereits in Kapitel 3.1.2 erwähnt ein Anstieg des Inklusionsanteils bei gleichzeitiger Stagnation der Förder- und Exklusionsquote zu beobachten (vgl., 18). Laut Dietze suggeriert dies eine Ausweitung der sonderpädagogischen Förderbedarfs auf eine größere Schülergruppe (vgl. Dietze 2019, 209). Es werden also nicht mehr Schüler:Innen inklusiv beschult sondern es wird mehr Schüler:Innen ein sonderpädagogischer Förderbedarf zugeschrieben (vgl. ebd.). Ein Blick auf die rheinland-pfälzischen Statistiken zeigt jedoch, dass es auch anders geht (vgl. Tab. 5). Zwar ist auch hier eine deutlich höhere Förder- und Exklusionsquote bei den ausländischen Schüler:Innen zu verzeichnen, jedoch liegt der Inklusionsanteil ausländischer Schüler:Innen ab 2013 deutlich höher als bei der gesamten Schülerschaft:
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Tabelle 5: Quoten ausländischer Schüler:Innen mit sonderpädagogischer Förderung Rheinland-Pfalz im Gesamtvergleich (Eigene Darstellung und Berechnungen; vgl. Destatis 2022 c, Tab. 4.1; KMK 2022 a, 3,25,49,53,113,118; KMK 2021 b, 4,7,16; KMK 2021 c, 6,7,11,12,29,30)
Dies suggeriert zum einen, dass die inklusiven Bildungsangebote in Rheinland-Pfalz besser auf Schüler:Innen mit Migrationshintergrund ausgerichtet sind, als die Angebote anderer Bundesländer. Zum anderen könnte es darauf hinweisen, dass die rheinland-pfälzischen Bildungsangebote eine umfangreichere Entfaltung des Habitus der Überlebenskunst ermöglichen. Dieser Auslegungsweise nach könnten die Daten auch auf eine erhöhte Praxis Zuschreibung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs bei ausländischen Schüler:Innen hinweisen, da der Habitus der Überlebenskunst als Reaktion auf diskriminierende Praktiken zu verstehen ist.
Doch wie sieht es im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung aus? Angaben zum Anteil ausländischer Schüler:Innen in den einzelnen Förderschwerpunkten werden nur alle zwei Jahre veröffentlicht. Der neuste Bericht bezieht sich zwar auf das Jahr 2021, jedoch konnten im Falle von Rheinland-Pfalz zum Veröffentlichungszeitpunkt nur Angaben zu 2020 gemacht werden (vgl. KMK 2022 a, 113,118;KMK 2022 b16). Um eine bessere Vergleichbarkeit der rheinlandpfälzischen Zahlen zu erreichen, wurde daher auf die Zahlen von 2019 zurückgegriffen (vgl. Tab. 6). Dabei zeigt sich sowohl bei den beiden Bundesländern als auch in der gesamten Bundesrepublik ein ähnliches Bild wie beim Vergleich der rheinland-pfälzischen Quoten zur gesamten sonderpädagogischen Förderung (vgl. Tab. 3; Tab. 5):
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Tabelle 6: Inklusion ausländischer Schüler:Innen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (Eigene Darstellung und Berechnungen; vgl. Destatis 2022 c, Tab. 4.1; KMK 2022 a, 3,25,49,53,113,118; KMK 2021 b, 4,7,16; KMK 2021 c, 6,7,11,12,29,30)
So ist die Förder- und Exklusionsquote bei ausländischen Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung durchweg höher als die der gesamten Schülerschaft des Förderschwerpunkts (vgl. Tab. 6). In Bayern und Deutschland zeichnet sich dies deutlicher ab als in Rheinland-Pfalz, somit könnte das rheinland-pfälzische Schulsystem auch im Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung eine bessere Voraussetzungen für ausländische Schüler:Innen aufweisen. Besonders interessant ist, dass der Inklusionsanteil ausländischer Schüler:Innen sowohl in beiden Bundesländern als auch in der Bundesrepublik höher ist als der Inklusionsanteil der gesamten Schülerschaft. Da sowohl die Quoten als auch der Inklusionsanteil anteilig für die jeweiligen Schülergruppen berechnet wurden, kann dies nicht auf eine unterschiedliche Höhe des Ausländeranteils zurückgeführt werden. Somit könnten die statistischen Daten einen Hinweis auf einen für das Merkmal ausländisch spezifischen Effekt auf die inklusive Beschulung offenlegen.
Der Habitus der Überlebenskunst könnte also insbesondere im Kontext des Förderschwerpunkts geistige Entwicklung eine bedeutsame Chance sein. Die durchweg höhere Förderquote bei ausländischen Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung könnte durch abweichende Zuweisungspraktiken erklärbar sein. So verweist Jäckel bereits in den 2000er Jahren darauf, dass die Kriterien zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs bei zweisprachigen Schüler:Innen nicht identisch mit den Kriterien für einsprachige Schüler:Innen sind (Jäckel 2003, 125). So konnte in ihrer Studie zu Schüler:Innen mit fremder Muttersprache nicht widerlegt werden, dass die Zuweisungen u.a. aufgrund von Sprachkenntnissen oder Assimilationsaspekten geschehen (vgl. ebd.). Da Testverfahren oftmals nicht auf mehrsprachige Bedingungen ausgelegt sind, müsse der Fokus der Diagnostik vermehrt auf intensive Beobachtungen und Anamnesen gelegt werden (vgl. Jäckel 2003, 127). Vor diesem Hintergrund muss erneut darauf verwiesen werden, dass der Förderschule für geistige Behinderung eine subsidiäre Funktion zukommt, sobald Schüler:Innen weder an der Regelschule noch im Förderschwerpunkt Lernen erfolgreich gefördert werden können. Somit könnte die Zuweisung der ausländischen Schüler:Innen nicht auf ihre Kompetenzen sondern auf eine ungenügende Förderung unter mehrsprachigen Bedingungen verweisen.
Da die Definition des Migrationshintergrunds Ausländer:Innen miteinschließt, könnte auch für die Gruppe der Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund ein spezifischer Effekt
auf die inklusive Beschulung abgeleitet werden. Somit kann bereits festgehalten werden, dass sich ein Migrationshintergrund positiv auf die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung auszuwirken scheint. Das Beispiel RheinlandPfalz zeigt, dass sich dieser Effekt unter bestimmten Bedingungen auch auf die Gesamtheit der inklusiven Beschulung von Schüler:Innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf auswirkt. Aus den Statistiken kann also gefolgert werden, dass eine Betrachtung der Intersektio- nalität des Förderschwerpunkts geistige Entwicklung und Migration dringend angezeigt ist, insbesondere im Kontext der Inklusion.
3.3 Inklusion und Migration im Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung
,,In den Fokus der wissenschaftlichen Analyse rücken zum einen soziokulturelle Mechanismen der Herstellung, Deutung und Bewältigung von Behinderungen und zum anderen die Verwobenheit von Behinderung mit anderen ungleichheitsrelevanten Aspekten wie Geschlecht und Alter. Noch wenige Erkenntnisse gibt es zu der Fragestellung wie die soziale Differenz Behinderung mit anderen Differenzen im Kontext von Migration und der damit verbundenen Differenzziehung entlang von nationaler, ethisch-kultureller Herkunft individuell und gesellschaftlich verschränkt ist‘‘ (Wansing, Westpahl 2014, 10).
Dieses Zitat veranschaulicht das grundlegende Problem der Intersektionalitätsforschung zu Migration und Behinderung. So konnten in den vorherigen Kapiteln durchaus Bestrebungen zur gesellschaftlichen Teilhabe von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderung dargestellt werden. Allerdings wurden sie dabei stets als separate Gruppen betrachtet. Somit bleiben weiter Fragen offen: Wie kann sich Schule auch für Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt geistige Entwicklung von einem Begrenzungs- zu einem Ermöglichungsraum wandeln? Welche Chancen und Herausforderungen gibt es im Hinblick auf inklusive Settings? Der folgende Abschnitt soll daher der Gruppe der Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung gewidmet sein. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der theoretischen Ergründung der Forschungsfrage, inwiefern Migration einen Einfluss auf die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung hat. Dazu wird zum Einen der bisherige Forschungsstand zur Personengruppe dargestellt. Zudem werden die Chancen und Herausforderungen der Gruppen Schüler:Innen mit Migrationshintergrund und Schüler:Innen mit Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung miteinander verglichen. Indem beide Aspekte des Personenkreises beleuchtet werden, soll eine weitere Annäherung an die Lebenswelt des Personenkreises Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung geschehen. Zudem wird so dem Umstand Rechnung getragen, dass die bisherige Literatur nur selten auf die Schnittmenge der beiden Gruppen bezogen ist. Dabei muss angemerkt werden, dass die Einteilung in Gruppen nicht als Reduktion auf bestimmte Merkmale zu verstehen ist, sondern vielmehr auf die Unterschiedlichkeit der Lebenswelten verweisen soll. Laut Gummich können die Kategorien Migrationshintergrund und Behinderung als Orientierungshilfen verstanden werden, um 58
inklusionsfördernde Handlungskonzepte zu entwickeln und umzusetzen (vgl. Gummich 2015, 143). Dabei soll jedoch nicht die Einordnung in diese Kategorien, sondern die Lebensrealität der Personen im Vordergrund stehen (vgl. ebd.).
Sowohl mit der UN-BRK als auch in einem Aktionsprogramm der Europäischen Kommission wurde bereits in den 2000er Jahren auf das Phänomen der Mehrfachdiskriminierung hingewiesen (vgl. Gummich 2015, 127). Trotz dieser Bemühungen scheint das Thema Migration in der Sonderpädagogik bisher nur wenig Berücksichtigung zu erfahren (vgl. ebd.). So wird auch in aktuellerer Literatur zum Zusammenhang von Migration und Behinderung immer wieder auf den geringen Kenntnisstand verwiesen (vgl. Wansing/Westpahl 2014, 10; Halfmann 2014, 27f). Auch im Rahmen der in Kapitel 3.1.2 vorgestellten SFGE-Studien wurde der Migrationshintergrund als bedeutender sozioökonomischer Einflussfaktor herausgestellt. Gummich stellt jedoch fest, dass die Initiative zur intersektionalen Betrachtung von Migration und Behinderung zumeist von Behinderten- oder Wohlfahrtsorganisationen sowie dem wissenschaftlichen Diskurs zu Behinderung ausgeht, während die Thematik im Migrationskontext eher weniger Beachtung erfährt (Gummich 2015, 141f). So entstand auch die vorliegende Arbeit im Kontext der Sonderpädagogik.
In der Literatur wird im Kontext von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung oftmals von einer doppelten Diskriminierung gesprochen (vgl. Amirpur 2016, 278; Gummich 2015, 130; Halfmann 2014, 7; 32f). Begründet wird dies in der Regel damit, dass es sich sowohl bei Menschen mit Migrationshintergrund als auch bei Menschen mit Behinderung um benachteiligte Gruppen handele. Bei einer Kombination beider Merkmale ergebe sich somit eine doppelte Belastung (vgl. ebd.). Halfmann verweistjedoch auch auf mögliche Chancen, da Familien mit einem Kind mit Behinderung über eine gesteigerte Problemlösungs- und Krisenkompetenz verfügen und Familien mit Migrationserfahrung resilienter gegenüber komplexen und unsicheren Lebenslagen seien (vgl. Half- mann 2014, 33). Eine Betrachtung der Intersektionalität der Begriffe bedürfe daher nicht nur einer Betrachtung potentiell gesteigerter Probleme sondern ebenso die Beleuchtung erweiterter Handlungsfähigkeiten (vgl. Halfmann 2014, 33). Dass doppelte oder Mehrfachdiskriminierung nicht als einfache Addition von Diskriminierungen sondern vielmehr als Diskriminierung aufgrund mehrerer Aspekte zu verstehen ist, zeigt die Dynamik diskriminierender Prozesse auf:
Auch wenn Behinderung vorwiegend zu negativen Diskriminierungsformen führt, gibt es auch Formen positiver Diskriminierung, etwa eine gesteigerte Akzeptanz von Fehlern oder Nachteilsausgleiche (Müller 2018, 241). Dies könnte sich positiv auf die Fehlerkultur bei Schüler:In- nen mit Deutsch als Zweitsprache auswirken. Neben Menschen mit Behinderung sind auch Menschen mit Migrationshintergrund Diskriminierung ausgesetzt. Um die Diskriminierung von Menschen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Behinderung zu untersuchen, hat Gummich daher Parallelen und Unterschiede zwischen den beiden Personengruppen identifiziert (Gummich 2015, 131fff). So werden beide Gruppen von der Gesellschaft als Bedürftige oder gar als Problem wahrgenommen, obwohl sie sehr wohl einen gesellschaftlichen Beitrag leisten (vgl. Gummich 2015, 131). Auch werden die Konzepte beider Gruppen jeweils gesellschaftlichen Entwicklungen und Diskursen angepasst (vgl. ebd.). Außerdem handelt es sich bei beiden Gruppen um Minderheiten, die physische, soziale, individuelle und strukturelle Ausgrenzung erfahren (vgl. Gummich 2015, 131f). Zumeist werden sie auf das eine Persönlichkeitsmerkmal ,,Behinderung‘‘ oder ,,Migrationshintergrund‘‘ reduziert, wobei in der Gesellschaft nur wenig Verständnis und Berührungspunkte hinsichtlich der tatsächlichen Lebenswirklichkeiten vorhanden sind (vgl. Gummich 2015, 132). Als Folge der Stigmatisierung tut sich gleichzeitig ein weites Arbeitsfeld für soziale Einrichtungen und Träger auf, wobei eher Paternalismus als Kommunikation auf Augenhöhe vorherrscht (vgl. ebd.). Unterschiede finden sich u.a. in rechtlichen Aspekten, wobei die Rechte von Menschen mit Behinderung - trotz der gesellschaftlichen Randstellung - besser im Gesetz verankert sind, als die von Menschen mit Migrationshintergrund (vgl. Gummich 2015, 133). Zudem scheinen Menschen mit Behinderung insgesamt positiver aufgenommen zu werden als Menschen mit Migrationshintergrund. So wird Menschen mit Migrationshintergrund eher die Schuld an der eigenen Ausgrenzung gegeben als Menschen mit Behinderung (vgl. ebd.). Analog dazu werden die Ursachen von Behinderung eher als Schicksal hingenommen, während Menschen mit Migrationshintergrund ,,eigene‘‘ Motive wie Flucht, Arbeits- oder Ausbildungssuche unterstellt werden (vgl. Gummich 2015, 134). Während Menschen mit Behinderung von der Gesellschaft häufig als irrelevant wahrgenommen werden, werden Menschen mit Migrationshintergrund als Bedrohung interpretiert (vgl. Gummich 2015, 133). Schließlich scheint das Geschlecht bei Menschen mit Behinderung geradezu ignoriert zu werden, während es bei Menschen mit Migrationshintergrund überbetont wird (vgl. Gummich 2015, 134). So schreiben Lehrkräfte Familien mit Migrationshintergrund in vielen Studien konservative Geschlechterbilder und eine verstärkte Religiosität zu (vgl. Rathgeb 2015, 93f). Insbesondere letzteres würde zu einem erschwerten Zugang zu den Schüler:Innen führen (vgl. ebd.). Im Fall von Subasi Singhs Studie zu türkischen Schü- ler:Innen in Österreich gaben die Lehrkräfte an, dass Religion teilweise die Wahrnehmung von Bildung beeinflusse (vgl. Subasi Singh 2020, 192). Zudem würden einige Familien der Bildung von Jungen mehr Bedeutung zumessen, als der von Mädchen (vgl. ebd.). Anders als die häufige Diskussion der Rolle von Geschlecht und Religion in der Öffentlichkeit (vgl. Moll 2023; DPA 2023) vermuten lasse, seien die beiden Aspekte in Subasi Singhs Studie jedoch eher weniger relevant gewesen (vgl. Subasi Singh 2020, 192). Auch in Halfmanns Studie zu Lebenswelten von Familien mit einem Kind mit komplexer Behinderung und Migrationshintergrund kam der Religion keine tragende Rolle zu (vgl. Halfmann 2012, 186). Zudem verweist Amirpur darauf, dass weniger ein religiöser Einfluss, als ein antimuslimischer Rassismus eine exkludierende Wirkung aufweist (vgl. Amirpur 2016, 283). Da alle drei Studien dem Kontext Behinderung zugeordnet werden können, könnte man Gummichs Argumentation folgend argumentieren, dass die geringere Präsenz von Geschlechterrollen darauf zurückzuführen ist, dass der Migrationshintergrund nicht alleine sondern in Verbindung mit Behinderung betrachtet wurde. Allerdings wurden in Subasi Singhs Studie Schüler:Innen aus allen Förderschwerpunkten betrachtet, wobei Schwerpunkte wie Lernen sowie Soziale und Emotionale Entwicklung in der Gesellschaft wohl weniger mit Behinderung assoziiert werden als die Schwerpunkte Körperliche oder Ganzheitliche Entwicklung. Gummich weist daher darauf hin, dass die Dynamiken der jeweiligen Unterschiede immer im gesellschaftlichen und hegemonialen Kontext betrachtet werden müssen (vgl. Gummich 2015, 134). Dennoch zeigt die Hypothese, dass die Relevanz der Geschlechterrollen durch den Behinderungsaspekt gelindert wurde auf, dass die Herausforderungen der Aspekte Behinderung und Migrationshintergrund nicht einfach addiert werden. Vielmehr führt die Gleichzeitigkeit von Behinderung und Migrationshintergrund zu völlig neuen Bedingungen mit eigenen Chancen und Herausforderungen. Bei der Betrachtung der sprachlichen Entwicklung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt geistiger Entwicklung sollte daher nicht einfach von einer Akkumulation von Schwierigkeiten ausgegangen werden. Vielmehr muss die sprachliche Entwicklung vor dem Aspekt der Mehrsprachigkeit betrachtet werden.
Dass geistige Behinderung Mehrsprachigkeit nicht ausschließt zeigt beispielsweise eine 'Studie von Jäckel zu Schüler:Innen mit fremder Muttersprache im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (vgl. Jäckel 2003, 125). Dabei konnten in beiden Sprachen nicht nur verbalsprachliche Kompetenzen nachgewiesen werden, sondern auch Lese- und Schreibkompetenzen (vgl. ebd.). Daraus lässt sich folgern, dass mehrsprachige Förderung auch im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung eine Rolle spielen muss, etwa in dem der Mehrsprachigkeitsaspekt in der Kommunikationsförderung berücksichtigt wird (vgl. Jäckel 2003, 126). Zudem sollten Antworten und Ansprache in der Erstsprache der Schüler:Innen akzeptiert werden, um in der Förderung an der vorhandenen Kommunikationsform anzusetzen (vgl. ebd.). Neben Kompetenzen in der Fremdsprachpädagogik müssten Lehrkräfte sich eine offene Haltung gegenüber anderen Sprachen und Kulturen aneignen (vgl. ebd.). So sollten sie sowohl im Unterricht als auch in Elterngesprächen um einen kulturellen Austausch bemüht sein (vgl. ebd.). Laut Niederberger kommen Pädagogen im Kontext bilingualer Bedingungen drei grundsätzliche Aufgaben zu: Erstens sollen sie Familien bei der Zweisprachigkeitserziehung beratend unterstützen (vgl. Niederberger 2003, 91). Zweitens sollten sie den Schüler:Innen eine positive und soziale Bedeutung der deutschen Sprache vermitteln (vgl. ebd.). Und Drittens sollte die Sprachförderung spielerisch und ganzheitlich erfolgen sowie positive Erlebnisse ermöglichen (vgl. ebd.). Dabei darf allerdings nicht die Relevanz der Muttersprache als Basis für das weitere Sprachlernen ausgeblendet werden (vgl. Niederberger 2003, 91f). So sollte zuhause weiterhin in der Erstsprache gesprochen werden (vgl. Niederberger 2003, 91). Generell solle bei bilingualer Erziehung auf eine konsequente funktionale Sprachtrennung nach Personen, Orten oder Themen angestrebt werden (vgl. ebd.). Da zudem das Sprachprestige eine Rolle für den erfolgreichen Spracherwerb spielt, sollte die Gleichwertigkeit der beiden Sprachen betont werden (vgl. Niederberger 2003, 86). Dies wirkt der Gefahr einer doppelten Halbsprachigkeit entgegen, bei der Kinder über keine starke sondern nur über zwei schwache Sprachen verfügen (vgl. Niederberger 2003, 37f). Das oft auch als Semilingualismus betitelte Phänomen tritt besonders häufig bei stigmatisierten Muttersprachen auf, da diese oftmals zu Gunsten der Zweitsprache vernachlässigt werden (vgl. ebd.). Bei zu wenig Sprachkontakt zu Muttersprachler:In- nen der Zweitsprache kommt es schließlich dazu, dass weder die stigmatisierte noch die prestigeträchtige Sprache erlernt wird (vgl. ebd.). Zeitliche Verzögerungen im Doppelspracherwerb sind jedoch auch oft nicht als Entwicklungsstörungen, sondern als Anzeichen für die Fähigkeit zwischen beiden Sprachen unterscheiden zu können zu verstehen (vgl. Niederberger 2003, 28f). Auch das sogenannte Code-Switching, also der Wechsel zwischen Sprachen ist nicht als Defizit sondern als Merkmal mehrsprachiger Personen zu verstehen, da dies auf eine funktionale Unterscheidung der Sprachen und somit auf ein hohes Niveau zweisprachiger Kompetenz hinweist (vgl. Niederberger 2003, 35). Hinsichtlich des Anknüpfens an die bereits vorhandenen Fähigkeiten der Schüler:Innen sei erneut auf ,,Das mehrsprachige Klassenzimmer‘‘ verwiesen (vgl. Krifka et al. 2014). Auch hinsichtlich der Selbstständigkeit von Menschen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Behinderung scheint die Muttersprache eine große Rolle zu spielen (Kohan 2019, 57f). Um ihnen ein eigenes Einfinden in die verschiedenen Unterstützungsangebote zu ermöglichen, haben sich muttersprachliche Informationen und Informationsveranstaltungen sowie eine langfristige Begleitung und Betreuung von muttersprachlichen Fachkräften als hilfreich erwiesen (vgl. ebd.). Auch gemeinschaftsfördernde Freizeitaktivitäten sowie muttersprachliche Selbsthilfegruppen würden zu einer Stärkung der Identität und Selbstsicherheit führen (vgl. ebd.). Dies wirke sich auch positiv auf die Einstellung gegenüber Unterstützungsmaßnahmen aus, die in der Herkunftskultur so nicht üblich sind. (vgl. ebd.).
Große Herausforderungen scheinen in bürokratischen Aspekten zu liegen. So sei der Anteil von Personen mit amtlich festgelegter Behinderung bei Menschen mit Migrationshintergrund deutlich geringer als bei Menschen ohne Migrationshintergrund (vgl. Halfmann, 2014, 35). Während der Anteil bei Menschen ohne Migrationshintergrund im Jahr 2011 bei 9,7% gelegen habe, habe sich für Menschen mit Migrationshintergrund lediglich ein Anteil von 5,1% ergeben (vgl. Halfmann 2014, 35). Hierfür könnten zum Einen Informationsdefizite oder bürokratische Hürden bei der amtlichen Anerkennung verantwortlich sein, jedoch verweist Halfmann auch auf den Hinweis des Robert Koch Institutes, dass Menschen mit Migrationshintergrund bei Anerkennungsverfahren einer schweren Behinderung benachteiligt werden könnten (vgl. Half- mann 2014, 36). Auch wenn die statistischen Daten nur bedingt verlässlich sind, scheinen sie also Einblicke in die Situation der betroffenen Personen und ihrer Familien zu ermöglichen. Zudem gäbe es mit Ausnahme der Förderschulen eine Unterrepräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund in der Behindertenhilfe (vgl. ebd. 13). Nimmt man nun eine erneute Betrachtung der Statistiken aus Kapitel 3.2 vor (vgl. 54ff), so fällt auf, dass es einerseits eine Überrepräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund an Förderschulen und andererseits eine Unterrepräsentation derselben Personengruppe in den übrigen Institutionen der Behindertenhilfe zu geben scheint. Doch wie lässt sich die Gleichzeitigkeit dieser Phänomene erklären? Laut Halfmann könnte der Ursprung sowohl in der Kommunikation als auch in Barrieren bei der Inanspruchnahme liegen (vgl. Halfmann 2014, 13; 32). Neben Verständigungsschwierigkeiten würden hierbei auch unterschiedliche Erklärungen und Ansichten zum Umgang mit Behinderungen eine Rolle spielen (vgl. ebd.). Zudem gäbe es bei den Familien häufig Informationsdefizite (vgl. Halfmann 2014, 32). Laut Amirpur haben Eltern mit Migrationshintergrund keinen uneingeschränkten Zugang zu Informationen, sodass sie in ihrer Handlungs- und Verhaltenssicherheit eingeschränkt sind (vgl. Amirpur 2016, 276f). Das Argument der Sprachbarriere sei hingegen nicht spezifisch für Familien mit Migrationshintergrund, da insbesondere die deutsche Fach- und Behördensprache auch für Menschen ohne Migrationshintergrund eine Barriere darstellen (vgl. Amirpur 2016, 277f). Obwohl Männer sich durch ihre i.d.R. höheren Berufspositionen eher Kompetenzen zum Umgang mit formellen Herausforderungen aneignen können, scheint diese Ressource für Väter mit Migrationshintergrund aufgrund ihrer gesellschaftlichen Deklassierung nicht zugänglich zu sein (vgl. Armirpur 2016, 278f). Insgesamt scheint die Ressource des Bildungshintergrunds von den Faktoren des sozioökonomischen Status sowie den sprachlichen Fähigkeiten überlagert zu werden (vgl. Amirpur 2016, 280). Auch gäbe es nur wenig juristisches Fachwissen zur migrationsspezifischen Situation, sodass Menschen mit Migrationshintergrund diesbezüglich nur begrenzte Unterstützung zukommt (vgl. Amirpur 2016, 278f). Für Asylbewerber:Innen ergeben sich zudem Herausforderungen aus dem deutschen Verstoß gegen die EU-Richtlinie zur Erfassung besonderer Schutzwürdigkeit bei der Erstaufnahme (vgl. Köbsell 2019, 69f). Der Mangel der offiziellen Anerkennung der Schutzwürdigkeit führt bei den Asylbewerber:Innen zu dem Missverständnis, dass eine Inanspruchnahme von Leistungen des Hilfesystems die Gewährung eines Aufenthalttitels gefährdet (vgl. ebd.). Auch hinsichtlich der Beantragung des Schwerstbehindertenausweises gäbe es eine Fülle an bürokratischen Barrieren (vgl. ebd.). Insgesamt sei der Zugang zu Beratungs- und Unterstützungssystemen für geflüchtete und migrierte Menschen ungleich schwerer als für andere Menschen mit Behinderung (vgl. Köbsell 2019, 71).
Eine weitere Erklärung könnte die in Deutschland vorliegende Schulpflicht sein, da durch den Schulbesuch eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein Förderbedarf im Bereich Ganzheitliche Entwicklung festgestellt wird. Während die Beschulung der Kinder - sei sie inklusiv oder an Förderschulen - obligatorisch ist, stehen die weiteren Institutionen der Behindertenhilfe fakultativ zur Verfügung. Dies weist darauf hin, dass der Schule eine Art Schlüsselrolle zukommen könnte, wenn es darum geht Angebote der Behindertenhilfe zugänglicher für Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderung zu gestalten. Dies suggerieren auch die statistischen Daten, da die Anteile ausländischer Schüler:Innen an der gesamten Schülerschaft und der Schülerschaft mit sonderpädagogischem Förderbedarf sich mit 12%, respektive 13,8%, gerade mal um 1,8% unterscheiden (vgl. Kap. 3.2, 55). Es erscheint daher lohnenswert, auf die Beziehung zwischen schulischen Institutionen und den Familien einzugehen. Dabei muss auch festgehalten werden, dass die Verantwortung nicht allein bei den Betroffenen und ihren Familien gesucht werden kann. Es muss auch hinterfragt werden, wie sich die Hilfseinrichtungen verändern müssen, um vermehrt Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen. So sieht Halfmann auch Barrieren in den unzureichenden Kenntnissen der Pädagogen zur Lebenssituation der Familien sowie in der mangelnden Vernetzung und Kooperation zwischen Einrichtungen der Behindertenhilfe und Migrationsorganisationen (Halfmann 2014, 100).
Dazu verweist Subasi Singh auf ein grundlegendes Misstrauen zwischen Eltern und Lehrkräften. Dies sei sowohl den Voraussetzungen vor Ort als auch den Bedingungen in den Herkunftsländern geschuldet (vgl. 184ff). So seien die Eltern besorgt gewesen, dass ihre Kinder aufgrund ihres Migrationshintergrundes anders von den Lehrkräften behandelt werden könnten (vgl. Subasi Singh 2020, 192). Gleichzeitig würden sie teilweise nicht auf ihre Netzwerkressourcen zurückgreifen, um den sonderpädagogischen Förderbedarf ihres Kindes vor Freunden und Verwandten zu verschleiern (vgl. Subasi Singh 2020, 183). Die Eltern nahmen die Beschulung an Förderschulen zudem als hinderlich für die kulturelle Integration wahr (vgl. Subasi Singh 2020, 181). Die wichtigsten Gründe dabei waren, dass Förderschulen es den Schüler:Innen nicht ermöglichen würden Deutsch zu lernen und es keine guten Bildungs- und Jobperspektiven gäbe (vgl. ebd.). Obwohl nicht nachgewiesen werden konnte, dass Schü- ler:Innen an Förderschulen per se schwächere Deutschkompetenzen haben, gelten Förderschulen bei den Eltern weiterhin als großes Hindernis für den Spracherwerb (vgl. ebd.). Sowohl Eltern als auch Lehrkräfte schrieben den Deutschkenntnissen eine große Bedeutung für den Bildungserfolg zu (vgl. Subasi Singh 2020, 181f). Während die Lehrkräfte darauf verwiesen, dass die Eltern ihre Kinder nicht genügend beim Deutschlernen unterstützen, nahmen die Eltern den Zweitspracherwerb als Aufgabe der Schulen wahr (vgl. Subasi Singh 2020, 180ff). Dies wurde von den Lehrkräften als Gleichgültigkeit der Eltern gegenüber des Deutschlernens interpretiert (vgl. Subasi Singh 2020, 182). Auch in anderen Studien nehmen Lehrkräfte eine mangelnde Unterstützung an (vgl. Rathgeb 2015, 93). In der Studie von Subasi Singh zeigte sich jedoch, dass die Eltern dem Deutscherwerb sehr wohl eine hohe Bedeutung beimessen, insbesondere seit es in Österreich einen Rechtsruck gegeben habe (vgl. 2020, 182). Die Eltern gaben an, dass ihre eigenen Deutschkenntnisse unzureichend seien und ihre Kinder die Sprache am besten in Interaktion mit Muttersprachler:Innen lernen würden (vgl. ebd.). Während Lehrkräfte Deutschkenntnisse als Indikator für Bildungsmotivation und -erfolg sahen, interpretierten die Eltern es eher als Mittel zur Integration (vgl. Subasi Singh 2020, 182). Insgesamt schienen die Eltern sich in den Schulen unwillkommen zu fühlen (vgl. Subasi Singh 2020, 187). Dies wurde auf verschiedene Gründe zurückgeführt. So gäbe es in manchen Kulturen eine strikte Trennung der Zuständigkeiten für Bildung, wobei den Schulen die akademische und
den Eltern die moralische Bildung obliege (vgl. Subasi Singh 2020, 186). In der Türkei sei es beispielsweise durchaus üblich, dass die Eltern sich mit den Lehrkräften über die Leistung der Schüler:Innen austauschen (vgl. ebd.). Die Expertise der Lehrkräfte anzuzweifeln oder gar selbst Einfluss auf die schulische Bildung zu nehmen werde jedoch weitestgehend vermieden (vgl. ebd.). Oftmals hätten Familien zudem nur geringe Selbstwirksamkeitserwartungen bzgl. ihres Einfluss auf die Beschulung ihrer Kinder (vgl. ebd.). Dies könne unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass die Eltern nicht über genügend Informationen zum Schulsystem verfügen (vgl. ebd.). Auch Sprachbarrieren werden von den Eltern als Hindernisse wahrgenommen (vgl. Subasi Singh 2020, 186). Um dies auszugleichen greifen Familien, insbesondere bei der Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs, oftmals auf Ihre Netzwerkressourcen zurück (vgl. Subasi Singh 2020, 187). Das plötzliche Involvieren externer Psycholog:Innen und Lehrkräfte wird von den Schulen wiederum als widersprüchlich und problematisch aufgenommen (vgl. ebd.).
Die Beziehung zwischen Schulen und den Eltern von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund scheint also recht angespannt zu sein. Es wäre daher durchaus denkbar, dass auch diese negativen Erfahrungen zu einer Skepsis gegenüber außerschulischen Angeboten für Menschen mit Behinderung führen. Subasi Singh fordert, dass Schulen lernen müssen Machtgefälle abzubauen und mit allen Eltern zu kooperieren (vgl. Subasi Singh 2020, 190). Halfmann verweist hierzu auf das kulturwissenschaftliche Modell von Behinderung (vgl. Halfmann 2014, 38;43; vgl. Kap.3.1.1, 16). So zeigten internationale Vergleichsstudien, dass es in jeder Kultur spezifische Wahrnehmungsmuster, Erklärungsansätze und Umgangsformen gibt (vgl. Half- mann 2014, 43). Auch wenn diese sich innerhalb der jeweiligen Kultur durchaus unterscheiden können sei die kulturspezifische Perspektive auf Behinderung wichtig, um Einblicke in die Lebenswelt betroffener Personen und Familien zu gewinnen (vgl. Halfmann 2014, 49).
Die Ergebnisse der empirischen Studien von Subasi Singh (2020) und Massumi (2022) zeigen, dass schulische Probleme von den Lehrkräften weiterhin einseitig mit kulturellen und sprachlichen Barrieren begründet werden. Laut Halfmann könnte das Einnehmen der kulturspezifischen Perspektive bei den Fachkräften zu einer Sensibilisierung für diese Unterschiede führen (vgl. Halfmann 2014, 49) Betrachtet man das Verhalten der Eltern in Subasi Singhs Studie etwa vor ihrem kulturellen Hintergrund, so scheint es nicht widersprüchlich, sondern vielmehr ein Ausdruck eines abweichenden Verständnisses zum Umgang mit Behinderung zu sein. Obwohl die Integration von Schüler:Innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf bereits in den 80ern ein politisches Thema in der Türkei war, sei sie erst in den 2000er Jahren umfangreich realisiert geworden (vgl. Subasi Singh 2020, 184). Somit stünde sonderpädagogische Förderung für Menschen aus der Türkei weiterhin in Verbindung mit Begriffen wie Segregation, Marginalisierung und Stigmatisierung (vgl. ebd.). Aus diesem Grund werden Diagnosen zwar häufig vor anderen verschwiegen, jedoch sei das Misstrauen gegenüber Förderschulen so groß, dass die Familien trotz der möglichen Etikettierung auf ihre sozialen Netzwerkressourcen zurückgreifen (vgl. ebd.). Diese sozialen Netzwerke bestehen vor allem aus Familien, Freunden und anderen Erziehungsberechtigten mit Migrationshintergrund (vgl. Subasi Singh 2020, 183f). Jedoch werden auch Verbindungen mit Personen mit ähnlichem ethischen, sozio-ökonomischen, demographischen oder kulturellen Hintergrund geknüpft (vgl. ebd.). Dieses Einbinden sogenannter Co-Ethnics in das soziale Netzwerk kann als Erweiterung des sozialen Kapitals verstanden werden und bietet zusätzliche emotionale sowie soziale Unterstützung (vgl. ebd.). Insbesondere bei einem gleichen sozio-ökonomischen Hintergrund kann es jedoch dazu kommen, dass nicht alle Herausforderungen vom sozialen Netzwerk gemeistert werden können (vgl. Subasi Singh 2020, 185). In diesem Fall kann das Netzwerk abermals durch das Hinzuziehen externer Expert:Innen erweitert werden (vgl. ebd.).
Ein möglicher Ansatzpunkt für die Elternarbeit in der Schule wäre, das soziale Netz bewusst als Ressource wahrzunehmen und zu nutzen. Auernheimer verweist dazu auf das Potential der Organisation von Elternversammlungen für Eltern einer Sprachgruppe (vgl. Auernheimer 2007, 167). Hierbei sollen Eltern sowohl zur Partizipation als auch zur gemeinsamen Artikulation von Wünschen und Erwartungen an die Schule angeregt werden (vgl. ebd.). Das Verhalten der Familien kann zudem als Ausdruck des ,,Habitus der Überlebenskunst‘‘ gesehen werden (vgl. Massumi 2019, 370). Analog zu Schüler:Innen mit Migrationshintergrund könnten also auch für die Gruppe der Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung Chancen in einer stärkeren Lebenslagenorientierung liegen. Neben der migrationsspezifischen Perspektive der Familien auf Deutschland muss dabei beachtet werden, dass es sich bei gleichzeitiger Migration und Behinderung um ein multifaktorielles Bedingungsgefüge zweier prägender Widerfahrnisse handelt (vgl. Half- mann 2012, 195f). Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass die Fremdwahrnehmung oft nicht mit der tatsächlichen Lebenswelt der Familien übereinstimmt, wodurch es zu unpassenden Verhaltensweisen oder Erwartungshaltungen gegenüber den Eltern kommen kann (vgl. ebd.). Hinsichtlich komplexer Behinderungen scheinen die Familien aufgrund der frühen medizinischen Konfrontation mit dem deutschen Hilfesystem vermehrt über eine bikulturelle Perspektive auf Behinderung zu haben (vgl. Halfmann 2012, 196). Aus den genannten Gründen ist eine individuelle Betrachtung der Familien angezeigt (vgl. ebd.). Dabei gilt es weder migrationsspezifische Einflüsse auf kulturelle oder psychologische Ursachen zurückzuführen, noch psychologische Einflüsse auf migrationsspezifische oder kulturelle Aspekte zu schieben (vgl. Halfmann 2012, 203f). Zudem dürfen weder kulturspezifische Einflüsse als psychologisch oder behinderungsspezifisch interpretiert werden, noch behinderungsspezifische Aspekte als mig- rations- oder kulturspezifisch (vgl. Halfmann 2012, 204f). In einem von Kaiser-Kauczor wurde einem Kind etwa fälschlicherweise eine Verhaltensstörung unterstellt, während die eigentliche ,,Störung‘‘ von einer aus Scham verheimlichten psychischen Erkrankung der Mutter ausging (vgl. Kaiser-Kauczor 2019, 227f). Ein viel zitiertes Beispiel ist zudem die Erkenntnis, dass die Präferenz eines Kindes mit einem Löffel statt Messer und Gabel zu essen nicht auf seine Feinmotorik sondern auf seinen kulturellen Hintergrund zurückzuführen war (vgl.Kutluer 2019, 198). Um nicht in Stereotypen verhaftet zu bleiben, sondern die für die jeweilige Familie spezifische Lebenssituation in den Blick zu nehmen schlägt Tsirigotis eine Orientierung an systemischen Arbeitsweisen vor, indem lösungs- und ressourcenorientierte Vorgehensweisen mit Kultursensibilität ergänzt werden (vgl. Tsirigotis 2011, 548; 555). So sollte in der Beratungssituation auch erfragt werden welche Traditionen, Lebensweisen, behinderungsspezifische Erklärungsmuster und Verhältnisse zu pädagogischen Professionellen und dem Hilfesystem den Eltern vertraut sind (vgl. Tsirigotis 2011, 549f). Dies schließt eine neugierige und nichtwissende Haltung mit ein, die Anliegen der Familie wertschätzt und auf das Vorschreiben bestimmter Wege verzichtet (vgl. Tsirigotis 2011, 551,555). Dabei muss die Herstellung einer guten Arbeitsbeziehung in Form einer Kundenorientierung priorisiert werden, was auch ein unerschrockenes Respektieren anderer Perspektiven miteinschließt, etwa wenn es um die Zukunftsperspektiven der Schüler:Innen geht. (vgl. Tsirigotis 2011, 552,556f). Man müsse den Eltern also ,,[...] die Expertise [...] unterstellen, auch und gerade mit Migrationshintergrund das Leben mit einem behinderten Kind in den Griff zu bekommen.‘‘( Tsirigotis 2011, 557). Um die eigene Ressourcenorientierung zu trainieren, könne man anhand von Selbstsupervisionsaufgaben reflektieren, welche Stärken man beobachten kann oder was man an den Familien bewundert (vgl. Tsirigotis 2011, 557). In der Beratungssituation selbst könnte sich vor allem das zirkuläre Fragen nach eigenen und fremden Perspektiven auf das jeweilige Anliegen lohnen, da dies einen Einblick hinsichtlich bedeutsamer Familien- oder Netzwerkmitglieder ermöglicht (vgl. Tsirigotis 2011, 553f). Dabei ist jedoch zu beachten, dass interkulturelle Beratungsangeboten die Aufgabe der Vermittlung der deutschen Perspektive auf Behinderung ist (vgl. Halfmann 2012, 207). Vor diesem Hintergrund hält Halfmann es für wenig zielführend, wenn eine Übereinstimmung der Herkunftskulturen von Fachkraft und Klient angestrebt wird (vgl. Halfmann 201, 208). Neben der nicht zu bewältigenden Vielfalt der Herkunftsländer, könne aufgrund einer Nationalität nicht auf ethnische Zugehörigkeiten geschlossen werden (vgl. Halfmann 2012, 209f). Auch könnte es zu einer wahrgenommenen oder faktischen Überbetonung der herkunftskulturspezifischen Perspektive, statt einer multiperspektivischen Sichtweise auf Behinderung kommen (vgl. Halfmann 2012, 210). Massumi weist zudem auf die Gefahr eines Verlusts an professioneller Distanz und Autorität hin (vgl. Massumi 2014, 90). Es sei zu Beobachten, dass Lehrkräfte mit Migrationshintergrund oftmals nicht in ihren Rollen als Deutsch-Sozialisierte Person oder Pädagogische und Fachliche Expert:In, sondern ausschließlich in einer herkunfts- oder migrationsspezifischen Expertenrolle gesehen werden (vgl. Massumi 2014, 91). Tatsächlich wirkt sich die Anwesenheit von Lehrkräften mit Migrationshintergrund in vielfacher Hinsicht positiv aus, etwa indem sie als authentische Vorbilder zur Stärkung des Selbstbilds von Schüler:Innen beitragen (vgl. Massumi 2014, 88f). Des Weiteren scheinen sie aufgrund des gemeinsamen biografischen und habituellen Erfahrungsraums über Ressourcen zu verfügen, die einen bewussteren, motivierteren sowie sensibleren Umgang mit kultureller, ethnischer und sprachlicher Vielfalt ermöglichen (vgl. ebd.). Vor dem Hintergrund, dass diese Ressourcen implizit durch Erfahrungen und nicht explizit zeige sich jedoch keine migrationsspezifische Sonderqualifikation sondern vielmehr ein deutliches Desiderat der Thematik innerhalb des Lehramtstudiums auf (vgl. Massumi 2014, 91ff). Der Ressourcenvorsprung der Lehrkräfte mit Migrationshintergrund gegenüber Lehrkräften ohne Migrationshintergrund weise auf die Notwendigkeit einer verstärkten und institutionell verankerten Sensibilisierung hin (vgl. ebd.). Dies könnte in vielerlei Hinsicht gewinnbringend sein. Erstens erhalten auch Lehrkräfte ohne Migrationshintergrund Zugang zu notwendigen Ressourcen im Umgang mit mehrsprachigen Schüler:Innen (vgl. Massumi 2014, 92f). Zweitens können Lehrkräfte mit Migrationshintergrund ihre implizit erworbenen Ressourcen professionell festigen (vgl. ebd.). Dies könnte potentiell auch dazu führen, dass Lehrkräfte mit Migrationshintergrund zukünftig weniger auf ihre Expertenrolle hinsichtlich Herkunftskultur oder Migrationshintergrund reduziert, sondern als gleichwertiges Mitglied des Kollegiums verstanden werden (vgl. ebd.). Trotz der sichtbar gewordenen Ressourcen, sei daher erneut darauf verwiesen, dass die Verantwortung für den Bildungserfolg nicht nur bei den betroffenen Personen selbst liegen darf (vgl. Massumi 2019, 376). Auch im sonderpädagogischen Kontext wird die Verantwortung für die schulische Integration von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund oft bei den Familien gesehen (vgl. Subasi Singh 2020, 189). Die aktuellen Umstände des alleinigen Fokus auf den Spracherwerb sowie normativ und ökonomisch orientierte Vorgehensweisen begünstigen dieses Verschieben von Verantwortung (vgl. Massumi 2019, 376). Subasi Singh verweist zudem darauf, dass dem Erwerb der Landessprache im deutschsprachigen Raum eine übertriebene Bedeutung zugeschrieben werde (vgl. Subasi Singh 2020, 182). Diese Überbetonung sei sowohl bei den Lehrkräften als auch bei den Eltern zu beobachten (vgl. ebd.). Gleichzeitig suggerieren die statistischen Daten eine spezifische Wirkung des Migrationshintergrundes auf die inklusive Beschulung, insbesondere in Rheinland-Pfalz (vgl. Kap. 3.2, 56f).Nach der theoretischen Ergründung der Forschungsfrage, soll daher eine eigene empirische Untersuchung der inklusiven Beschulung in Rheinland-Pfalz angelegt werden.
4 Empirischer Teil
4.1 Anliegen
Laut der Behindertenrechtskonvention 2009 haben alle Menschen ein Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft (vgl. Egen 2020, 42). Dies schließt auch das Recht auf eine inklusive Beschulung für Schüler:Innen mit Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung ein (vgl. ebd.). Seit 2009 ist der Anteil inklusiv beschulter Schüler:Innen zwar von 16,9% auf 31,8% angestiegen, jedoch werden die restlichen 68,2% weiterhin an Förderschulen unterrichtet. Von den Schü- ler:Innen mit Migrationshintergrund werden in Rheinland-Pfalz immerhin 37,9% inklusiv unterrichtet (vgl. Kap. 3.2, 56). Bundesweit zeigt sich, gemessen an ihrem Anteil an der gesamten Schülerschaft, eine Überrepräsentation von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund an Förderschulen (vgl. ebd.). Ähnlich wie das Phänomen Migration selbst, wird die Bildung von Menschen mit Migrationshintergrund noch nicht sehr lange erforscht. Wie bereits in der Einleitung beschrieben, gab es diesbezüglich seit 2015 zwar einen Forschungsboom, jedoch bleibt die verfügbare Literatur weiterhin übersichtlich. Dies gilt insbesondere für den sonderpädagogischen Kontext sowie für die Personengruppe Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Vor diesem Hintergrund möchte die vorliegende Masterarbeit nicht nur den bisherigen Stand der Forschung darstellen, sondern die Ergebnisse der Literaturrecherche durch eine eigene empirische Untersuchung vertiefen.
Das Anliegen der Interviews ist daher die empirische Ergründung der Forschungsfrage: Inwiefern nimmt Migration Einfluss auf die inklusive Beschulung von Schü- ler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung?
Dabei soll insbesondere beleuchtet werden, welche Chancen und Herausforderungen es in der inklusiven Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung gibt.Zu diesem Zweck werden fünf Leitfadeninterviews mit Förderschullehrkräften und Lehrkräften an Schwerpunktschulen geführt. Ursprünglich war angedacht die Interviews ausschließlich mit Lehrkräften an Schwerpunktschulen durchzuführen, die Erfahrungen mit Schüler:Innen haben, die sowohl einen Förderbedarf im Bereich Ganzheitliche Entwicklung als auch einen Migrationshintergrund haben. Hiermit sollte ergründet werden, welche Chancen und Herausforderungen die aktuelle inklusive Beschulung bei gleichzeitigem Förderschwerpunkt G und Migrationshintergrund bietet.
Ein Blick in die Statistiken zur Beschulung von Schüler:Innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf zeigt jedoch auf, dass die Anzahl der inklusiv beschulten Schüler:Innen mit Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung in Rheinland-Pfalz insgesamt nur bei 74 Schüler:In- nen liegt (KMK 2022b, 16). Somit scheinen Lehrkräfte an Schwerpunktschulen nur bedingt Erfahrungen mit der gefragten Schülergruppe zu haben. Es erscheint daher fraglich, ob sich mit einer reinen Befragung dieser Lehrkräfte hinreichende Erkenntnisse zur Klärung der Forschungsfrage generieren lassen. Aus den genannten Gründen wurde die Befragungsgruppe auf Lehrkräfte an Förderschulen mit dem Schwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung erweitert. Das Ziel der Interviews vertiefende Erkenntnisse zu Chancen und Herausforderungen für die inklusive Beschulung bei gleichzeitigem Förderschwerpunkt G und Migrationshintergrund zu gewinnen bleibt bestehen. Jedoch wird dies nun nicht nur anhand der aktuellen Lage in den Schwerpunktschulen, sondern auch anhand der Expertise von Lehrkräften an Förderschulen mit dem Schwerpunkt G untersucht. Die Statistik zeigt, dass es an Förderschulen eine größere Anzahl von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Förderschwerpunkt G und Migrationshintergrund gibt als an Schwerpunktschulen. Im Vergleich zu den Lehrkräften an Schwerpunktschulen, verfügen Lehrkräfte an Förderschulen daher mit höherer Wahrscheinlichkeit über Erfahrungen im gefragten Bereich. Zudem sind sie für die Erstellung von sonderpädagogischen Gutachten
zuständig und sprechen Empfehlungen hinsichtlich des Schwerpunktes und der Beschulungsform aus (vgl. SoSchulO RP 2000, §11). Somit werden in den Interviews sowohl Personen mit Expertise im Bereich der inklusiven Beschulung als auch Expert:Innen im Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung befragt. Gleichzeitig handelt es sich bei allen Teilnehmenden um Lehrkräfte mit Erfahrungen mit Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung.
Im Kontext des Förderschwerpunkts Ganzheitliche Entwicklung ist die Untersuchung in zweierlei Hinsicht interessant. Zum Einen gehört es zu den Aufgaben der Lehrkräfte, den Schü- ler:Innen eine weitestgehende Teilhabe zu ermöglichen (MfB 2017, 17). Auch im Studium des Förderschullehramts ist die Auseinandersetzung mit Inklusion fest verankert. Zum Anderen handelt es sich bei inklusiven Schulen auch um potentielle Arbeitsplätze von Förderschullehrkräften mit dem Schwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Der Anteil ausländischer Schüler:In- nen an der gesamten Schülerschaft des Förderschwerpunkts liegt aktuell bei 13,9% (vgl. Destatis 2022b, 16). Vor diesem Hintergrund ist es mehr als wahrscheinlich, dass Förderschullehrkräfte mit dem Schwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung in ihrer Laufbahn Schüler:Innen mit Migrationshintergrund unterrichten, sei es an Förder- oder Schwerpunktschulen. Dennoch ist die Förderung von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund bisher kein Pflichtbestandteil des Lehramtsstudiums (Massumi 2014, 91;Massumi 2016, 36f). Die Ergründung möglicher Chancen und Herausforderungen erscheint daher als gewinnbringend für den Förderschwerpunkt.
4.2 Entwicklung des Leitfadens
Im folgenden Abschnitt soll nun in Anlehnung an das SPSS-Prinzips (vgl. Helfferich 2011, 182189) Schritt für Schritt der Interviewleitfaden abgeleitet werden. Um dabei die Erkenntnisse der Recherche zu berücksichtigen, werden zunächst mehrere Kategorien deduktiv aus der Literatur abgeleitet. Anhand dieser Kategorien wird im Rahmen des ersten Schritts ,,Sammeln von Fragen‘‘ (vgl. ebd., 182) ein Fragenkatalog erstellt. Anschließend wird im zweiten Schritt ,,Prüfen‘‘ (vgl. ebd. 182) mittels der Forschungsfrage ermittelt, welche Kategorien und Fragen am gewinnbringendsten zur Ergründung von Chancen und Herausforderungen bei der inklusiven Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung sind. Zudem wird untersucht, ob die Fragen lediglich auf das Überprüfen von Fakten oder des eigenen Vorwissens abzielen und inwiefern die Formulierungen bestimmte Antworten provozieren (vgl. Helfferich 2011, 182f). Dies stellt sicher, dass die Qualität der Fragen hinreichend zur Produktion von umfangreich auswertbaren Transkripten ist (vgl. Helfferich 2011, 184). Nach der Reduktion des Fragenkatalogs, werden die verbliebenen Fragen im Rahmen des dritten Schritts ,,Sortieren‘‘ so geordnet, dass bis zu vier inhaltliche Blöcke entstehen (vgl. ebd., 185). Im vierten und letzten Schritt werden die gebündelten Fragen jeweils subsumiert, indem für jeden Block eine Erzählaufforderung formuliert wird (vgl. ebd., 185). Diese soll dazu führen, dass die Interviewten möglichst viele Aspekte der 70
gebündelten Fragen von selbst ansprechen (vgl. ebd., 185). Um später nachvollziehen zu können, ob bereits alle Aspekte angesprochen wurden, werden zusätzlich zum Erzählimpuls einige Stichpunkte und Unterfragen notiert (vgl. Helfferich 2011, 185). Für den Fall, dass die Interviewten ins Stocken geraten, können diese Notizen zudem als neue Impulse dienen (vgl. ebd. 185). Außerdem werden vorab mehrere Aufrechterhaltungsfragen oder inhaltsleere Steuerungsfragen formuliert, die ebenfalls zur Aufrechterhaltung des Erzählflusses dienen, indem Aspekte vertieft oder neu eingebracht werden (vgl. ebd., 103-105; 187). Dabei kann etwa nach Beispielen oder Beschreibungen von konkreten Situationen gefragt werden (vgl. ebd.).
Bei der finalen Auswahl der Kategorien und Fragen soll ein Leitfaden für ein 25 bis 30-minütiges Interview entstehen. Der vorläufige Fragenkatalog und der fertige Interviewleitfaden können im Anhang A , respektive B eingesehen werden.
In der Literaturrecherche schienen vor allem zwei Studien relevant für die Forschungsfrage zu sein, beide wurden in den letzten vier Jahren veröffentlicht. Hierbei handelt es sich erstens um Subasi Singhs Studie zur Beschulung von türkischen Schüler:Innen im Kontext der österreichischen Sonderpädagogik (vgl. 2020). Sie ist relevant für die vorliegende Forschung, da sie sich mit Chancen und Herausforderungen der sonderpädagogischen Förderung von Schü- ler:Innen mit Migrationshintergrund beschäftigt. Zweitens soll Massumis Studie zu systemischen Effekten der deutschen Schule und Bewältigungsprozessen migrierter Jugendlicher für die Kategorienbildung berücksichtigt werden (vgl. 2019). Diese ist insofern bedeutsam, als dass sie sich mit Ressourcen und Hindernissen bei der Beschulung von Schüler:Innen auseinandersetzt, die selbst Migrationserfahrungen gemacht haben. Im Vergleich zu anderen Studien wie bei Jäckel (2003), Niederberger (2003), Halfmann (2012; 2014) oder Amirpur (2016) zeichnen sich die Studien nicht nur durch ihre Aktualität und Passung zur Forschungsfrage, sondern aufgrund der höheren Teilnehmerzahl auch mit einer höheren Generalisierbarkeit und Quantifizierbarkeit aus. Während in den genannten Studien jeweils fünf bis sechs Personen befragt wurden, gab es bei Subasi Singh 27 und bei Massumi 21 Teilnehmende (vgl. Subasi Singh 2020, 88; Massumi 2019, 159).
In der Studie von Subasi Singh zeigte sich fehlendes Vertrauen auf mehreren Ebenen. Zwischen den am sonderpädagogischen Gutachten beteiligten Personen, gegenüber dem Konzept der Sonderpädagogik an sich, dem Prozess der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs sowie gegenüber der Diagnostik (vgl. Subasi Singh 2020, 196f). Da der Mangel an Vertrauen jeweils auf die Kommunikation der Akteure zurückgeführt wurde, lässt sich deduktiv die Kategorie Kommunikation ableiten (vgl. Kap. 3.3, 66). Da die Akteure selbst einen starken Fokus auf die Sprachkenntnisse der Schüler:Innen legten, kann zusätzlich die Kategorie Mehrsprachigkeit abgeleitet werden (vgl. Kap. 3.3, 68). Obwohl der sonderpädagogische Förderbedarf der Kinder oftmals verheimlicht werde, könnten die Eltern auf ein umfangreiches soziales Netzwerk zurückgreifen (vgl. Subasi Singh 2020, 184). Auch der von Massumi beschriebene Habitus der Überlebenskunst (vgl. Massumi 2019, 370) weist auf einen großen Einfluss der Lebenswelt auf die schulischen Ressourcen und Bedürfnisse hin. Um sowohl die spezifischen Umstände als auch die damit verbundenen Bedürfnisse der Schüler:Innen zu beleuchten, werden die Kategorien Lebenswelt und Förderbedarf abgeleitet (vgl. Kap. 3.3, 66f) . Sowohl in Subasi Singhs Studie (2020) als auch in Massumis Studie (2019) wurden Etikettierungsprozesse sichtbar. In Österreich gehen die Heterogenisierungsprozesse soweit, dass Schüler:Innen mit ,,unzureichenden‘‘ Deutschkenntnissen in andere Klassen wechseln müssen (vgl. Subasi Singh 2020, 182). Studien im englischsprachigen Raum wiesen darauf hin, dass eine solche Segregation den Kontakt zu Muttersprachler:Innen und somit den zielsprachlichen Input stark verringere (vgl. Subasi Singh 2020, 182). Die Durchlässigkeit des Schulsystems kann durch eine solche institutionelle Diskriminierung eingeschränkt werden (vgl. Subasi Singh 2020, 191). Im Falle von Subasi Singhs Studie wurden den Eltern -neben sozialen und ethischen Gruppen- mangelnde Unterstützungsfähigkeit, Gleichgültigkeit, zu hohe Erwartungen und Uninformiertheit zugeschrieben. (vgl. Subasi Singh 2020, 191f). Dies könne dazu führen, dass die Lehrkräfte die schulischen Leistungen von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund auf Basis dieser Etikettierungen bewerten (vgl. Subasi Singh 2020, 192). Sowohl Homogenisierung als auch Heterogenität scheinen eine große Rolle im deutschen Schulsystem zu spielen, insbesondere im Kontext von Migration und Inklusion (vgl. Kap. 3.1.2, 30) . Den beiden Prozessen soll daher eine eigene Kategorie gewidmet werden. Da insbesondere die Heterogenisierungsprozesse als benachteiligend wahrgenommen werden, wird zudem die Kategorie Diskriminierung abgeleitet (vgl. Kap. 3.1.2, 30; Kap. 3.3, 65f).
Insgesamt wurden aus der Literatur sechs Kategorien deduktiv abgeleitet: (1) Kommunikation, (2) Mehrsprachigkeit, (3) Lebenswelt, (4) Homogenisierung und Heterogenität, (5) Förderbedarf sowie (6) Diskriminierung. Anhand dieser Kategorien wurden 50 inhaltliche Fragen gebildet. (vgl. Anhang A.1). Zudem wurden bereits einige Aufrechterhaltungsfragen formuliert, um die wichtigsten Aspekte der jeweiligen Frage hervorzuheben. Nach dem Überprüfen und Ordnen der unsortierten Fragesammlung entstanden für den Fragekatalog drei Blöcke mit fünf bis zehn Fragen (vgl. Anhang A.2). Aussortiert wurden 25 Fragen, da sie entweder zu sehr auf das Reproduzieren bereits bekannter Fakten abzielten, zu weit von der Forschungsfrage entfernt waren oder andere Aspekte für die Forschung priorisiert wurden. Die jeweiligen Gründe für das Eliminieren der Fragen können im Anhang A.2 eingesehen werden. Die Blöcke des Fragenkatalogs wurden für den Leitfaden (vgl. Anhang B) übernommen. Somit ergeben sich die folgenden Kategorien für den Leitfaden: (A) Lebenswelt, (B) Ressourcen und Herausforderungen sowie (C) Schulsetting. Es schien zwei Arten von Fragen zu geben: Fragen die sich auf die Umstände der Schüler:Innen mit Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung beziehen sowie Fragen zum Umgang mit dieser Schülergruppe. Um sowohl Erkenntnisse zu der Personengruppe selbst als auch zu möglichen Handlungsstrategien zu gewinnen, wurden für den Leitfaden beide Fragetypen berücksichtigt.
Für den Einstieg kamen zunächst mehrere Optionen in Frage, so hätte man beispielsweise danach fragen können, woran die Teilnehmenden denken, wenn sie die Begriffe Migration und Inklusion zusammen hören. Auch Gedanken zu der Personengruppe Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung hätte man erfragen können. Um bereits bei der Einstiegsfrage gewinnbringende Informationen zu generieren erschien es jedoch am sinnvollsten, die Lehrkräfte darum zu bitten sich folgende Situation vorzustellen:
,,(1) Stellen Sie sich vor, in Ihre Klasse kommt eine Schüler:In mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf?‘‘
Hierdurch können zum Einen erste Assoziationen zur Kategorie A Lebenswelt der Personengruppe gesammelt werden. Mit den Unterfragen soll zudem erfragt werden, worauf die Lehrkräfte sich freuen, welche Herausforderungen sie sehen, wie sie sich auf diese vorbereiten und inwiefern sich die Lebenswelt der Personengruppe von der Lebenswelt anderer Schü- ler:Innen unterscheidet.
Der zweite Erzählimpuls fragt nach dem Umgang mit der Lebenswelt der Schüler:Innen in der Förderung:
,,(2) Beschreiben Sie wie Sie an die ganzheitliche Förderung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung herangehen.‘‘
Mit dieser Aufforderung können viele Aspekte der Fragen zur Kategorie A Lebenswelt abgedeckt werden. Mittels der Unterfragen werden dabei drei Aspekte priorisiert. So wird ggf. erfragt, wo und warum die Lehrkräfte primäre Förderbedürfnisse sehen, inwiefern der Migrationshintergrund einen Einfluss auf die Förderung im Schwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung hat und wie sie mit diskontinuierlichen Bildungserfahrungen umgehen.
Die dritte Erzählaufforderung beleuchtet die Ressourcen und Herausforderungen, die die Lehrkräfte bei den Schüler:Innen sehen:
,,(3) Beschreiben Sie welche Ressourcen und Herausforderungen Sie bei den Schüler:Innen und ihren Familien beobachten können‘‘
Hierdurch werden in der Kategorie B Ressourcen und Herausforderungen nicht nur Informationen zu den Schüler:Innen selbst generiert, sondern auch zu ihrem familiären Hintergrund. Für die Forschung interessant sind dabei vor allem die Resilienz bzw. Vulnerabilität der Schü- ler:Innen und ihrer Familien, der Umgang der Familien mit dem Förderschwerpunkt sowie außerschulische Aspekte, die die Lehrkräfte als bedeutsam empfinden. Diese Aspekte werden daher ggf. anhand von Unterfragen thematisiert.
Die vierte erzählgenerierende Frage richtet sich ausschließlich an die Förderschullehrkräfte, die an Förderschulen mit dem Schwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung tätig sind:
,,(4) Wenn Sie sich Ihre Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und FSP G in einem inklusiven Setting vorstellen: Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein?‘‘
Die fünfte erzählgenerierende Frage ist wiederum ausschließlich für die Interviews der Lehrkräfte relevant, die an Schwerpunktschulen arbeiten:
,,(5) Wenn Sie auf Ihre bisherigen Erfahrungen zurückblicken: Welche Voraussetzungen müssen bei einer inklusiven Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung gegeben sein?‘‘
Mit diesen Fragen soll in der Kategorie C Schulsetting ermittelt werden, welche Bedingungen die Lehrkräfte im inklusiven Setting als gewinnbringend für die Schülergruppe einschätzen. Dabei können die Förderschullehrkräfte vor allem auf Erfahrungen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung zurückgreifen. Die anderen Lehrkräfte könnten wiederum auf ihre bisherigen Erfahrungen im inklusiven Setting zurückgreifen. Sowohl Frage vier als auch Frage fünf werden ggf. durch Unterfragen vertieft. Dabei wird erfragt, auf welche Potentiale man eingehen muss, welche Herausforderungen es gibt und wo Vor- und Nachteile im Vergleich zu einer Beschulung an Förderschulen liegen. Zudem werden die Lehrkräfte gefragt, welche Veränderungen Sie sich für eine gewinnbringende Inklusion wünschen. Die Kategorie C Schulsetting ist in der Auswertung besonders relevant, um mögliche Perspektiven abzuleiten.
Anschließend wird das Interview mit einer offenen Frage beendet:
,,Ist Ihnen noch irgendetwas wichtig, das noch nicht angesprochen wurde?‘‘
Hierdurch wird den Lehrkräften die Möglichkeit gegeben weitere Aspekte zu ergänzen und das Interview selbst abzuschließen. Dadurch können ggf. Informationen gewonnen werden, die über die Fragen des Interviews hinausgehen (vgl. Reinders, 2011. 92). In der Auswertung kann somit nachvollzogen werden, welche weiteren Aspekte relevant für die Thematik sein könnten (vgl. ebd.).
4.3 Durchführungshinweise
Vor Beginn der Aufnahme stellen sich die Interviewpartner kurz vor, dabei fragt die Interviewleiterin danach, wieso die Teilnehmenden sich durch das Interviewthema angesprochen gefühlt haben. Die jeweiligen Gründe werden stichwortartig auf dem Leitfaden notiert. Anschließend werden organisatorische Hinweise zu Dauer und Ablauf des Interviews gegeben. Um die recht lange Formulierung ,,Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung‘‘ nicht zu oft wiederholen zu müssen, wird vorab der Hinweis gegeben, dass das Wort ,,Schüler:Innen‘‘ sich im Interview jeweils auf diese Personengruppe beziehen wird. Nachdem den Teilnehmenden die Möglichkeit zu Rückfragen gegeben wurde, wird dann die Aufnahme angekündigt und gestartet. Nachdem erneut das Einverständnis zur Aufnahme erfragt und bestätigt wurde, wird die Einstiegsfrage gestellt. Die Einstiegsphase ermöglicht es mittels eines kurzen Kennenlernens eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen und gleichzeitig in den Modus des Gesprächs überzuleiten (vgl. Reinders 2011, 91). Die Einstiegsfrage ermöglicht es den Teilnehmenden schließlich gedanklich in den Interviewgegenstand einzusteigen du kann als eine Art Aufwärm-Phase verstanden werden (vgl. ebd.). Sie leitet zudem die Hauptphase des Interviews ein, bei der der vorab entwickelte Leitfaden zum Tragen kommt (vgl. Reinders 2011, 91f).Während die vier erzählgenerierenden Fragen in jedem Fall gestellt werden, werden die 15 Unterfragen nur gestellt, wenn die interviewte Person diese nicht von selbst anspricht. Die Reihenfolge des Leitfadens soll nach Möglichkeit eingehalten werden, jedoch können Kategorien auch vorgezogen werden, falls dies besser in den Gesprächsfluss passen sollte (vgl. Bortz/Döring 2016, 358). Hierdurch sollen Wiederholungen und thematische Sprünge vermieden werden. Die Interviewleiterin sollte also flexibel auf den Gesprächsverlauf reagieren, jedoch muss gleichzeitig sichergestellt werden, dass kein Aspekt des Leitfadens ausgelassen wird (vgl. Hug/Poscheschnik 2010, 106). Hierzu werden während des Interviews Markierungen und Notizen im Leitfaden vorgenommen. Während den Interviewten also die Rolle des Erzählers zukommt, wird die Interviewerin zur aktiven Zuhörerin (vgl. Helfferich 2011, 90f). Das aktive Zuhören bedeutet das Zurückstellen des eigenen Mitteilungsbedürfnisses und ein Fokus auf die Interviewten (vgl. ebd.). Dazu gehört auch das Aushalten von Pausen, da diese nicht nur den Wunsch eines Sprecherwechsels sondern auch ein Zeichen des Nachdenkens sein können (vgl. Helfferich 2011, 94). Je nach Bedarf werden zudem Paraphrasen angeboten sowie Aufrechterhaltungsfragen und Steuerungsfragen gestellt (vgl. Helfferich 2011, 91;104). Um möglichst reichhaltige Erzähltexte zu generieren sollten neben uneindeutigen Frageformulierungen auch Suggestivfragen und Belehrungen vermieden werden (vgl. Reinders 2011, 96). Zudem sollte darauf geachtet werden den Erzählfluss nicht zu unterbrechen, auch wenn das von den Interviewten angesprochene Thema zunächst nicht wichtig erscheint (vgl. ebd.). Gleichzeitig sollte die Interviewerin aber nicht auf die weitere Besprechung von Fragen beharren, wenn die Befragten kein Interesse mehr an diesem Thema zeigen (vgl. Reinders 2011, 96). Hierdurch soll ein Abfall der Gesprächsmotivation vermieden werden (vgl. ebd.) Um die Zeit im Blick zu behalten wird parallel zur Aufnahme ein Timer gestartet. Da das Interview etwa 30 Minuten dauern soll, wurden pro erzählgenerierender Frage etwa 7:30 Minuten veranschlagt und Zeitstempel neben die Kategorien geschrieben. Diese Zeitstempel sind nicht als Vorschrift, sondern als Orientierungspunkte zu verstehen. Somit kann besser nachvollzogen werden, inwiefern es weiterer Nachfragen oder aber der Überleitung zur nächsten Kategorie bedarf. Am Ende des Interviews steht eine Ausstiegsphase, in der den Interviewten die Möglichkeit gegeben wird das Interview abzuschließen (vgl. Reinders, 2011. 92). Im vorliegenden Leitfaden werden die Interviewten gefragt, ob Ihnen noch etwas wichtig ist, dass noch nicht angesprochen wurde. Nachdem die Aufnahme beendet wurde, wird zudem erfragt, wie die Teilnehmenden das Interview empfunden haben.
5 Ergebnisse
Um Erkenntnisse aus den Interviews generieren zu können, bedarf es zunächst einer Transkription sowie einer Aufbereitung der so entstandenen Transkripte. Der Diskussion der Ergebnisse geht daher eine qualitative Analyse der Interviewtexte voran. In der Diskussion selbst werden die empirischen Ergebnisse dargestellt und in Bezug zu den Ergebnissen der
Theorierecherche gesetzt. Die vollständigen Transkripte der Interviews können im Anhang C eingesehen werden.
5.1 Aufbereitung des empirischen Materials
Im Folgenden werden die Transkripte der Interviews nun für die anschließende Diskussion der Ergebnisse aufbereitet. Dazu wird zum Einen jeweils die Situation vor und nach dem Interview kurz beschrieben. Zudem wird der erste Eindruck nach dem Interview festgehalten, indem Aspekte aufgelistet werden, die der Interviewleiterin im Gespräch besonders bedeutsam erschienen. Anschließend werden die Transkripte mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring und Fenzl (2019) auf relevante Kategorien und Erkenntnisse hin untersucht. Hierbei handelt es sich um eine kategorienbildendes Vorgehen, bei dem die Transkripte zunächst in sinnvolle Analyseeinheiten wie Sätze oder Absätze segmentiert werden (vgl. Bortz/Döring 2016, 599). Diese Sätze oder Absätze werden dann Kategorien zugeordnet, die induktiv anhand des Materials gebildet wurden (vgl. Mayring/Fenzl 2019, 634). Zudem wird überprüft, ob es weitere Textstellen gibt, die den jeweiligen Kategorien zugeordnet werden können (vgl. ebd.). Mayring und Fenzl schlagen deshalb auch den Begriff ,, , qualitativ orientierte kategoriengeleitete Textanalyse‘ ‘‘ (Mayring/Fenzl 2019, 634; Hervorhebung im Original) vor.
Aufgrund des Interviewleitfadens sind bereits die deduktiven Themengebiete (A) Lebenswelt, (B) Ressourcen und Herausforderungen sowie (C) Schulsetting vorhanden. Diese kommen bei der Auswertung erneut zum Einsatz, indem die Kategorien im Bezug auf die Themengebiete entwickelt werden (vgl. Mayring/Fenzl 2019, 643). Zudem wird ggf. eine Kategorie (D) für sonstige Kategorien eingeführt (vgl. ebd.). Da die Forschungsfrage, -ziel und -design bereits in vorangegangenen Kapiteln beschrieben wurden, können diese vorbereitenden Analyseschritte an dieser Stelle ausgelassen werden. Da es sich um ein regelgeleitetes Vorgehen handelt, müssen nun die Analyseeinheiten sowie die Selektionskriterien definiert werden (vgl. Mayring/Fenzl 2019, 636; 643). Für die Kodiereinheit, also den kleinsten auszuwertenden Textbestandteil wird ein Satz festgelegt. Für den größten auszuwertenden Textbestandteil, werden die fünf Erzählaufforderungen festgelegt. Als Auswertungseinheit werden die fünf Interviews festgelegt, anhand derer nach und nach induktive Kategorien gebildet werden. Die gebildeten Kategorien werden in einer Tabelle erfasst(vgl. Anhang E) erfasst, die neben den Kategorienamen auch passende Textstellen und die Codes der Textstellen enthält. Anhand der Textstellen-Codes kann nachvollzogen werden, welche Kategorien und Textstellen aus welchem Interview stammen. Die Textstellen-Codes setzen sich jeweils aus der Abkürzung der Interviewpartner:Innen, der jeweiligen Transkriptseite sowie der Nummer der ersten Zeile zusammen. Um die Anonymität der Teilnehmenden zu wahren wurden folgende Abkürzungen als Pseudonyme festgelegt: FL1, FL2, SL1, SL2 und SL3. Dabei erhielten die Förderschullehrkräfte das Kürzel FL und die Lehrkräfte der Schwerpunktschulen das Kürzel SL. Die erwähnten Orte wurden, mit Ausnahme der Bundesländer, zudem durch zufällig gewählte Buchstaben ersetzt. Der Code für eine Textstelle aus dem Interview mit FL1 von Seite fünf, die in Zeile 76
zwei beginnt, würde also beispielsweise ,,FL1.5.2‘‘ lauten. Dies bietet in der Diskussion der Ergebnisse die Möglichkeit die Ergebnisse nicht nur zusammenzufassen, sondern auch auf Besonderheiten und Unterschiede der Interviews einzugehen. Sollten mehrere Kategorien in einer Zeile zu finden sein, wird zusätzlich ein Buchstabe angehängt. Im Falle des Beispiels könnten die Codes dann ,,FL1.5.2a‘‘ und ,,FL1.5.2b‘‘ lauten. Selektionskriterien legen fest, welche Aspekte relevant für die Kategorienbildung sind (vgl. Mayring/Fenzl 2019, 636; 643). In der vorliegenden Arbeit orientiert sich die Formulierung der Kategoriendefinitionen an der Forschungsfrage. Um später nachvollziehen zu können, inwiefern sich Migration auf die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung auswirkt, wurden zwei Kategoriensysteme festgelegt. Im Kategoriensystem I sollen förderliche Bedingungen für die inklusive Beschulung von Schü- ler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung erfasst werden . Kategoriensystem II umfasst hingegen herausfordernde Bedingungen für die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Die Aufbereitung der Transkripte umfasst also die Analyse der Themengebiete (A) Lebenswelt, (B) Ressourcen und Herausforderungen sowie (C) Schulsetting hinsichtlich der beiden Hauptkategoriensysteme I und II. So entsteht schließlich eine nach Themengebieten geordnete Auswertungstabelle, die den Hauptkategoriensystemen entsprechende Kategorien sowie die passenden Textstellencodes und Textausschnitte enthält (vgl. Anhang E). Zwar wäre es auch möglich einzelne Auswertungstabellen für die Hauptkategoriensysteme anzulegen, jedoch konnten viele der Kategorien beiden Systemen zugeordnet werden, weshalb eine vernetzte Darstellung der Ergebnisse gewinnbringender erscheint.
Um einen ersten Zugang zum Material zu schaffen, soll nun kurz auf die ersten Eindrücke nach den Interviews eingegangen werden. Dazu sollen einerseits die Situationen vor und nach dem Interview beschrieben und anderseits Kategorien aufgelistet werden, die für die induktive Kategorienbildung bedeutsam sein könnten. Während ersteres relevant für die spätere Reflexion des eigenen Vorgehens sein könnte, soll der erste Eindruck zu den Kategorien mit den tatsächlich gebildeten Kategorien verglichen werden. Anschließend sollen die Kategorien auf ihre Bedeutsamkeit im Gesamtkontext der Interviews hin überprüft werden, um wichtige Aspekte für die Diskussion der Ergebnisse auszuarbeiten.
Das erste Interview fand online statt. Die Dauer des Interviews selbst betrug ca. 37 Minuten. Im Vorgespräch gab FL1 an, dass er für das Weiterleiten von Anfragen verantwortlich sei und auch versuche an vielen Studien und Interviews selbst teilzunehmen. Hiermit möchte er die Lehramtsstudierenden dabei unterstützen, das Studium abzuschließen und in den Job zu kommen. Im Nachgespräch bewertete FL1 das Gespräch als angenehm, da er die Fragen interessant fand. Unmittelbar nach dem Interview mit FL1 erschienen die folgenden Kategorien bedeutsam: Elternarbeit, Sozialer Hintergrund, Sprache und Personal. Das zweite Interview fand online statt. Die Dauer der Befragung selbst lag bei etwa 28 Minuten. FL2 gab im Vorgespräch an, dass sie sich vom Interviewthema angesprochen gefühlt habe, da derzeit fast alle ihrer Schüler:Innen einen Migrationshintergrund haben, wobei etwa die Hälfte selbst migriert seien. Sie habe ihr Referendariat in Baden-Württemberg absolviert und sei überrascht gewesen, dass den Lehrkräften in Rheinland-Pfalz keine Hilfsmittel wie telefonische DolmetscherDienste zur Verfügung stünden. Im Nachgespräch bewertete FL1 das Gespräch als anstrengend, da ihr einige Begriffe nicht sofort präsent gewesen seien und sie etwa bei der Frage zu den Ressourcen erstmal überlegen musste, was sie bei ihren Schüler:Innen als Ressource bezeichnen würde. Zudem habe sie versucht die Schüler:Innen als heterogen herauszustellen, da sie vermeiden wollte in ihren Antworten zu pauschalisieren. Direkt nach dem Interview mit FL2 schienen vor allem die folgenden Aspekte relevant zu sein: Elternarbeit, Hilfsmittel und Strategien, Wohnortentfernung, Geld, Personal und Schulentwicklung. Das dritte Interview fand online statt. Die Dauer der Befragung betrug dabei ca. 30 Minuten. SL1 gab im Vorgespräch an, dass er durch eine Kollegin auf die Interviews aufmerksam gemacht wurde. Zudem habe er aufgrund seines Studiums Interesse an Forschungsprozessen und würde diese gerne unterstützen. Im Nachgespräch bewertete SL1 das Gespräch als positiv, jedoch seien die erfragten Inhalte oftmals zu komplex um pauschal darauf antworten zu können. Direkt nach dem Gespräch schienen die Kategorien Personal, Ausbildung, Individualität und Elternhaus bedeutsam zu sein. Das vierte Interview fand vor Ort statt. Die Dauer der Befragung betrug in etwa 33 Minuten. SL2 gab im Vorgespräch an, während ihrer Schullaufbahn immer wieder mit Schüler:*Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung gearbeitet zu haben. Bei manchen dieser Schüler:Innen habe sie die Kategorie ,,geistig behindert‘‘ als unpassend empfunden, jedoch ermöglichten Diagnosen oftmals Zugang zu Integrationshilfen. Zudem habe sie selbst ein geistig behindertes Kind, dass sowohl an der inklusiven als auch an der Förderschule beschult wurde. Im Nachgespräch bewertete sich das Gespräch als angenehm und gab an, gut ins Erzählen gekommen zu sein. Unmittelbar nach dem Interview schienen die Kategorien Personal, Elternarbeit und Einstellung der Lehrkräfte relevant zu sein. Das fünfte Interview fand vor Ort statt. Die Dauer der Befragung betrug in etwa 38 Minuten. Im Vorgespräch gab SL3 an, dass ihr das Thema wichtig sei, da sie darum bemüht sei, dass alle Schüler:Innen sich in Ihrer Klasse wohlfühlen. Im Nachgespräch bewertete sie das Interview als angenehm und interessant. Direkt nach dem Gespräch schienen die Kategorien Belastung, Elternarbeit und Wohlbefinden bedeutsam zu sein.
Dem ersten Eindruck nach, schienen also die 13 Kategorien Elternarbeit, Hilfsmittel, Strategien, Individualität, Wohnortentfernung, Geld, Personal, Ausbildung, Einstellung der Lehrkräfte, Schulentwicklung, sozialer Hintergrund, Sprache, Belastung und Wohlbefinden relevant zu sein. Nach der Analyse der Interviews konnten insgesamt 21 Kategorien abgeleitet werden (vgl. Anhang D.1):
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Dabei wurden die in der Auswertungstabelle (vgl. Anhang E) aufgeführten Kategorien der Themengebiete (A), (B) und (C) berücksichtigt. In Themengebiet (D) Sonstige Kategorien wurden zudem Kategorien aufgelistet, die im Kontext der Frage nach bisher nicht genannten Aspekten entstanden. Dabei gibt es sowohl Kategorien die mit bestehenden Kategorien übereinstimmen als auch eine neue Kategorie (vgl. Anhang E). Da die sonstigen Kategorien keinem der Themengebiete direkt zugeordnet werden können, sollen sie am Ende der Ergebnisdiskussion separat betrachtet werden.
Zwar finden sich die 13 Kategorien des ersten Eindrucks auch mehr oder weniger in den 21 tatsächlich abgeleiteten Kategorien wieder, jedoch scheinen die Schwerpunkte des Materials teilweise in anderen Aspekten zu liegen, als der erste Eindruck vermuten ließ. Um einen Einblick zu erhalten, welche der 21 Kategorien in den Interviews besonders relevant sind, wurde auf die folgenden drei Aspekte zurückgegriffen: Erstens wurde überprüft, wie viele Textstellen den jeweiligen Kategorien zugeordnet werden können. Zweitens wurde ermittelt von wie vielen der Interviewpartner die jeweilige Kategorie erwähnt wurde. Drittens wurde beobachtet, in wie vielen bzw. in welchen der drei Themengebiete (A) Lebenswelt, (B) Ressourcen und Herausforderungen sowie (C) Schulsetting die Kategorien auftauchen. Zwar führen Mayring und Fenzl lediglich den Aspekt der Anzahl der Nennungen auf, jedoch scheint eine alleinige Orientierung an der Häufigkeit der Kategorien eher für Studien mit großer Teilnehmerzahl geeignet zu sein (vgl. Mayring/Fenzl 2019, 645f). So könnte es aufgrund der geringen Teilnehmerzahl etwa dazu kommen, dass ein Aspekt zwar häufig, allerdings nur von einer Person genannt wurde. Somit ist auch der Aspekt der Anzahl der Personen, von denen die Kategorie erwähnt wurde relevant. Auch muss beachtet werden, dass Kategorien spezifisch für bestimmte Themengebiete sein könnten, wodurch sie im Vergleich zu anderen Kategorien ggf. weniger Nennungen aufweisen. Anhand des Aspekts, in wie vielen und in welchen der drei Themengebiete die Kategorien auftauchen, kann daher überprüft werden, ob die Kategorien insgesamt oder hinsichtlich eines bestimmten Themengebiets relevant sind. Auf Basis der genannten Aspekte, wurden in Anhang D verschiedene Übersichten zu den Kategorien erstellt. Zwar wäre es auch möglich die Themengebiete einzeln auszuwerten, allerdings zeigten sich in der Auswertung große Überschneidungen hinsichtlich der Kategorien bei allen Themengebieten. Lediglich für das Schulsetting zeigte sich eine Reihe spezifischer Kategorien, weshalb dem Themengebiet (C) eigene Übersichten gewidmet wurden (vgl. Anhang D.2). Wenn man nun die verschiedenen Übersichten vergleicht fällt auf, dass die Rangfolgen voneinander abweichen, je nachdem nach welchem der Kriterien die 21 Kategorien geordnet wurden (vgl. Anhang D.1).
Sortiert man sie nach der Anzahl der Nennungen, so scheinen die Kategorien Lehrkräfte, Voraussetzungen der Eltern, Positives Klima, Sprache sowie Heterogenität und Individualität mit je 22-33 Nennungen am relevantesten zu sein. Auf einem mittleren Niveau zwischen 10 und 15 Nennungen liegen die Kategorien Theorie vs. Praxis, Rolle des Migrationshintergrunds, Sozio-kulturelle Aspekte, Elternarbeit und Förderschule als Chance. Mit je 1-9 Nennungen scheinen die Kategorien Diagnostik, Individuelle Passung, Netzwerke, Rolle des Wohnorts, Ausstattung, personelle Ressourcen, Übergänge, Regelmäßigkeit des Schulbesuchs, Didaktische Flexibilität, Gesellschaftliche Aspekte und Rolle des Förderschwerpunkts Ganzheitliche Entwicklung also weniger bedeutsam zu sein.
Ordnet man die Kategorien hingegen nach der Anzahl der Personen von denen sie genannt wurden, so ergibt sich ein abweichendes Bild. Hier scheinen vor allem die Kategorien Rolle des Migrationshintergrunds, Sozio-kulturelle Aspekte, Voraussetzungen der Eltern, Elternarbeit, Sprache, Lehrkräfte, Theorie vs. Praxis, Förderschule als Chance und Übergänge relevant zu sein, da sie von allen Personen genannt wurden. Zudem konnten bei vier von fünf Interviewtexten die Kategorien Positives Klima, Gesellschaftliche Aspekte, Individuelle Passung und Ausstattung abgeleitet werden. Die Kategorien Rolle des Wohnorts, Diagnostik, Didaktische Flexibilität, Personelle Ressourcen und Netzwerke waren in drei von fünf Interview- texten zu finden. Bei zwei von fünf Interviewten kamen die Kategorien Regelmäßigkeit des Schulbesuchs sowie Heterogenität und Individualität auf. Die Rolle des Förderschwerpunkts Ganzheitliche Entwicklung war lediglich bei einer Person aufzufinden. Auch wenn es einige Abweichungen gibt, scheinen die drei Kategorien Lehrkräfte, Voraussetzungen der Eltern und Sprache also sowohl hinsichtlich der Anzahl der Nennungen als auch bzgl. der Anzahl der Personen, die sie genannt haben relevant zu sein.
Dies lässt sich auch auf die Auflistung nach Anzahl der Themengebiete, in denen die Kategorien erwähnt wurden übertragen. Da die Kategorien hinsichtlich aller drei Aspekte bedeutsam sind, scheinen ihnen insgesamt eine große Relevanz im empirischen Material zuzukommen. Neben den Kategorien Lehrkräfte, Sprache und Voraussetzungen der Eltern, kamen auch die Kategorien Heterogenität und Individualisierung sowie Positives Klima in allen drei Themenbereichen vor. Diese gehörten wiederum bei der Sortierung nach Anzahl der Nennungen zu den relevantesten Kategorien. In zwei von drei Themengebieten tauchten die Kategorien Elternarbeit, Rolle des Migrationshintergrunds, Sozio-kulturelle Aspekte, Übergänge, Netzwerke, Rolle des Wohnorts und Gesellschaftliche Aspekte auf. Besonders interessant ist die Zusammensetzung der Kategorien die lediglich in einem Themengebiet genannt wurden, da es sich hierbei mit Ausnahme der Diagnostik, der Rolle des Förderschwerpunkts Ganzheitliche Entwicklung und der Regelmäßigkeit des Schulbesuchs ausschließlich um Kategorien handelt, die im Rahmen des Themengebiets (C) Schulsetting genannt wurden. Während generell viele Überschneidungen der Themengebiete zu beobachten sind, scheinen die Kategorien Theorie vs. Praxis, Individuelle Passung, Förderschule als Chance, Didaktische Flexibilität, Ausstattung und Personelle Ressourcen also spezifisch für Themengebiet (C) zu sein. Auffällig ist zudem, dass alle dieser Kategorien von drei bis fünf der Personen genannt wurden. In der Rangfolge nach Anzahl der Nennungen befinden sich die Kategorien Theorie vs. Praxis und Förderschule als Chance auf einem mittleren Niveau zwischen 10 und 15 Nennungen, während die restlichen Kategorien aus Themengebiet (C) nur 1-9 mal genannt wurden. Es kann daher vermutet werden, dass die Relevanz dieser Kategorien in der Gesamtübersicht verfälscht wird. Somit erscheint es lohnenswert einen Blick auf die verschiedenen Rangfolgen zu Themengebiet (C) zu werfen (vgl. Anhang D.2). Dabei wurden nicht nur die spezifischen Kategorien, sondern auch Kategorien berücksichtigt, die in den anderen beiden Themengebieten auftauchen. Somit dem Themengebiet (C) die folgenden 13 Kategorien zuzuordnen:
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Hinsichtlich der Anzahl der Nennungen scheinen die Kategorien Lehrkräfte, Theorie vs. Praxis und Förderschule als Chance mit je 10- 16 Erwähnungen am bedeutsamsten zu sein. Ein mittleres Niveau erreichten die Kategorien Individuelle Passung, Netzwerke, Positives Klima, Ausstattung, Personelle Ressourcen, Übergänge und Didaktische Flexibilität mit 5-9 Nennungen. Die Kategorien Heterogenität, Rolle des Wohnorts, Voraussetzungen der Eltern, Sprache und Gesellschaftliche Aspekte wurden hingegen nur 1-4 mal genannt. Während die Kategorie Lehrkräfte weiterhin eine große Relevanz aufweist, scheinen die Kategorien Voraussetzungen der Eltern und Sprache im Vergleich zu den Gesamtergebnissen weniger relevant für das Themengebiet (C) zu sein. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Betrachtung der Kategorienübersicht, die nach Anzahl der Personen, die sie genannt haben geordnet wurde. Hier wurden die Kategorien Theorie vs. Praxis und Förderschule als Chance von allen Personen aufgeführt. Die Kategorien Lehrkräfte, Individuelle Passung und Ausstattung ließen sich in vier von fünf Interviews ableiten. Didaktische Flexibilität, Personelle Ressourcen und Übergänge fanden bei drei von fünf Personen Erwähnung. Zwei von fünf Interviewtexten konnten die Kategorien Voraussetzungen der Eltern, Rolle des Wohnorts, Heterogenität und Individualisierung, Positives Klima und Netzwerke entnommen werden. Die Kategorie Sprache und Gesellschaftliche Aspekte tauchen lediglich in einem der Interviews auf. Analog zu den Gesamtergebnissen, finden sich auch hier Überschneidungen der Übersichten nach Anzahl der Nennungen und nach Anzahl der Personen, von denen sie genannt wurden. So gehören Theorie vs. Praxis und Förderschule als Chance in beiden Übersichten zu den relevantesten Kategorien. Ordnet man den Kategorien nun einen aus den beiden Rängen zusammengesetzten Code zu, so erhält man eine Rangliste nach Anzahl der Nennungen unter Berücksichtigung, der Anzahl der Personen die sie genannt haben. Daraus ergeben sich insgesamt 13 Ränge, wobei die ersten fünf Plätze den Kategorien Lehrkräfte, Theorie vs. Praxis, Förderschule als Chance, Individuelle Passung und Netzwerke zukommen. Es gilt zu beachten, dass sich die Anzahl der Ränge jeweils von der Anzahl der Kategorien unterscheidet, da manche Ränge von mehreren Kategorien zugeordnet werden konnten. Auf den Rängen 6-9 liegen die Kategorien Ausstattung, Positives Klima, Personelle Ressourcen, Übergänge und Didaktische Flexibilität. Die Ränge 10-13 kommen schließlich den Kategorien Heterogenität und Individualisierung, Rolle des Wohnorts, Voraussetzungen der Eltern, Sprache und Gesellschaftliche Aspekte zu. Am bedeutsamsten für das Themengebiet (C) Schulsetting scheinen also die Kategorien Theorie vs. Praxis, Förderschule als Chance und Lehrkräfte zu sein, da ihnen in allen Übersichten zum Themengebiet eine gesteigerte Relevanz zukommt.
Ordnet man nun auch bei den Gesamtergebnissen jeder der 21 Kategorien einen Code aus ihren drei Rängen zu, so erhält man eine Rangfolge der Anzahl der Nennungen, die sowohl die Anzahl der Personen, von denen sie genannt wurden als auch die Anzahl der Themengebiete, in denen sie erwähnt wurden berücksichtigt (vgl. Anhang D1). Hieraus ergeben sich insgesamt 19 Ränge, wobei die ersten sechs Ränge den Kategorien Lehrkräfte, Voraussetzungen der Eltern, Positives Klima, Sprache, Heterogenität und Individualität sowie Theorie vs. Praxis zukommen. Auf den Rängen 7-12 befinden sich die Kategorien Elternarbeit, Rolle des Migrationshintergrundes, Soziokulturelle Aspekte, Förderschule als Chance, Individuelle Passung, Netzwerke und Diagnostik. Die Kategorien Ausstattung, Rolle des Wohnorts, Übergänge, Personelle Ressourcen, Didaktische Flexibilität, Regelmäßigkeit des Schulbesuchs, Gesellschaftliche Aspekte und Rolle des Förderschwerpunkts Ganzheitliche Entwicklung sind auf den Rängen 13-19 zu finden. Im Vergleich zu den Einzelübersichten der drei Aspekte Nennungen, Personenanzahl und Anzahl der Themengebiete kommt den Kategorien Lehrkräfte, Voraussetzungen der Eltern und Sprache also auch bei Berücksichtigung aller Aspekte eine große Rolle zu.
Für die Diskussion der 21 Kategorien können also mehrere Aspekte festgehalten werden. Erstens haben sich die Kategorien Lehrkräfte, Voraussetzungen der Eltern und Sprache in allen Übersichten zu den Gesamtergebnissen (vgl. Anhang D1) als bedeutsam erwiesen. In der Ergebnisdiskussion müssen diese drei Aspekte daher einen besonderen Fokus erhalten. Zweitens scheint der Rolle des Förderschwerpunkts Ganzheitliche Entwicklung in keiner der Übersichten eine große Rolle zuzukommen. Dies könnte damit zusammen hängen, dass die Lehrkräfte die Heterogenität und Individualität aller ihrer Schüler:Innen betonten, weshalb hierfür eine eigene Kategorie angelegt wurde. Da sie sich dabei nicht ausschließlich auf Schü- ler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung bezogen, konnte der Rolle des Förderschwerpunkts Ganzheitliche Entwicklung nur eine Textstelle trennungsscharf zugeordnet werden. Vielmehr schien der Förderschwerpunkt lediglich einer von vielen Aspekten der Kategorie Heterogenität und Individualität zu sein. Auch dieser Aspekt muss also in der Auswertung berücksichtigt werden. Drittens scheint es zwischen den Themengebieten große Überschneidungen hinsichtlich den Kategorien zu geben es erscheint daher gewinnbringender in der Diskussion nicht nach Themengebieten sondern entlang der Kategorien vorzugehen. Viertens scheinen einige Kategorien spezifisch für das Themengebiet des Schulsettings zu sein, weshalb diesen in der Diskussion eine gesonderte Rolle zukommen sollte. Fünftens muss der Blick dabei insbesondere auf die Kategorien Theorie vs. Praxis, Förderschule als Chance und Individuelle Passung eingegangen werden, da diese sich in allen Übersichten des Themengebiets (C) auf den höheren Rängen befanden. Ein weiterer Aspekt, der bisher noch nicht erwähnt wurde ist sechstens, dass einige der Kategorien in bestimmten Themengebieten ausschließlich von Förderschullehrkräften bzw. Lehrkräften an Schwerpunktschulen benannt wurden. Dies wurde in den Übersichten mit den Kürzeln FL und SL markiert (vgl. Anhang D). Daher soll in der Diskussion auch auf mögliche Unterschiede zwischen den Lehrkräften eingegangen werden. Siebtens muss auch darauf eingegangen werden, dass viele der Kategorien beiden Hauptkategoriensystemen zugeordnet werden konnten. Somit gilt es in der Diskussion zu untersuchen unter welchen Umständen die Kategorien zu Chancen oder Herausforderungen werden.
Nachdem nun die Interviews aufbereitet wurden und herausgestellt wurde, welche Kategorien besonders relevant für das empirische Material sind, sollen die Ergebnisse der Interviews im nächsten Teilkapitel diskutiert werden. Um dabei Wiederholungen zu vermeiden und eine adäquate Theorieverknüpfung zu ermöglichen, wurden den Kategorien Oberkategorien zugeordnet (vgl. Mayring/Fenzl 2019, 644). Insgesamt wurden mit den Individuellen Voraussetzungen, der Didaktischen Bearbeitung, dem Klassenklima, den Lehrkräften und der Schulentwicklung fünf Oberkategorien festgelegt. Daraus ergibt sich die folgende Verteilung der Kategorien:
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
An dieser Stelle muss erneut auf die große Überlappung der Themengebiete hinsichtlich der Kategorien hingewiesen werden. Die Kategorie Sprache etwa, kann sowohl in den spezifischen Herausforderungen als auch in der didaktischen Bearbeitung verortet werden. Die Zuordnung der Kategorien zu den Oberkategorien dient daher eher der Orientierung und Übersichtlichkeit bei der Diskussion der Ergebnisse. Dementsprechend wurde auch bei der Auswertungstabelle eine Sortierung nach den Oberkategorien vorgenommen (vgl. Anhang E). Dabei kann die Zugehörigkeit der Kategorien jeweils der entsprechenden Einfärbungen entnommen werden. Um die Zuordnung zu den Oberkategorien transparent zu machen, soll hierauf jeweils zu Beginn des jeweiligen Abschnitts eingegangen werden.
5.3 Diskussion der Ergebnisse
Nach der Aufbereitung der empirisch gewonnenen Daten sollen im Folgenden die Forschungsergebnisse diskutiert werden. Neben der Beachtung der in Kapitel 4.3 herausgearbeiteten Aspekte (vgl. Kap. 4.3, 82f) soll dabei auch ein Bezug zu den Ergebnissen der Theorierecherche hergestellt werden.
Anhand der Hauptkategoriensysteme I und II konnten mit den 21 Kategorien sowohl förderliche als auch herausfordernde Bedingungen für die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung herausgestellt werden. Diese gilt es nun ausführlich darzustellen und zu diskutieren. Vorgegangen wird dabei entlang der fünf Oberkategorien Individuelle Voraussetzungen, Didaktische Bearbeitung, Klassenklima, Lehrkräfte und Schulentwicklung. Die der Diskussion zugrundeliegende Auswertungstabelle kann in Anhang E eingesehen werden, zudem wird an geeigneter Stelle auf passende Textstellencodes verwiesen.
Individuelle Voraussetzungen
Zu den individuellen Voraussetzungen zählen all jene Kategorien, die sich auf förderliche oder herausfordernde Bedingungen beziehen, die auf individuelle Merkmale der Schüler:Innen und ihren Familien zurückzuführen sind. Der Aspekt des Migrationshintergrundes scheint dabei keine vordergründige Rolle zu spielen, obwohl er in allen Themenbereichen und von allen Lehrkräften erwähnt wurde (vgl. Anhang D.1). Dies wird einerseits darauf zurückgeführt, dass die Mehrheit ihrer Schüler:Innen einen Migrationshintergrund haben, weshalb er nicht als etwas Besonderes sondern vielmehr als Grundbedingung angesehen wird (vgl. FL1.1.14; FL2.1.18; SL1.6.142; SL2.6.157; SL3.3.61). Andererseits wird betont, dass es unabhängig 84
vom Vorhandenseins des Migrationshintergrunds vor allem auf die Voraussetzungen des Elternhauses ankommt (vgl. FL1.7.215; SL1.10.261). Hinsichtlich der inklusiven Beschulung spiele es etwa eine große Rolle, inwiefern die Eltern sich hinsichtlich der verschiedenen Beschulungsmöglichkeiten informieren und ihr Mitbestimmungsrecht wahrnehmen (vgl. FL1.9.307; SL2.12.325). Auch hinsichtlich der Aufnahme neuer Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung äußerte sich einer der Teilnehmenden wie folgt: ,,Aber das ist, wie gesagt, das ist jetzt nicht unbedingt was, was jetzt per se mit dem Gutachten zu tun hat, sondern das ist eigentlich ein ganz normaler Vorgang, der bei einem anderen Kind genauso wäre, nur halt mit entsprechendem Begleitfahrzeug noch dazu.‘‘ (SL1.5.111). Insgesamt schienen die Lehrkräfte die Chancen und Herausforderungen eher in sozio-kulturellen Aspekten oder den Voraussetzungen der Eltern zu sehen, sodass den Aspekten Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung nur wenige Textstellen trennscharf zugeordnet werden konnten. Man könnte auch sagen, dass eher eine Einbettung der Bedingungen Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung in die Chancen und Herausforderungen der Beschulung vollzogen wurde. Somit gilt es nun den Blick auf eben diese sozio-kulturellen Aspekte sowie auf die Voraussetzungen der Eltern zu richten. Die Trennschärfe der Kategorien ergibt sich daraus, inwiefern die jeweiligen Bedingungen von den Lehrkräften mit Kultur oder den Eltern in Verbindung gebracht wurden. Beide Kategorien fanden sich in allen fünf Interviews wieder und konnten sowohl dem Kategoriensystem der förderlichen als auch dem Kategoriensystem der herausfordernden Bedingungen zugeordnet werden. Analog zu den theoretischen Annahmen standen bei den sozio-kulturellen Herausforderungen kulturspezifische Perspektiven auf Behinderung im Fokus (vgl. Kap. 3.3, 65). So weisen die Lehrkräfte daraufhin, dass die Eltern eher an ein Paradigma der Unterbringung, Versorgung und Pflege als an lebenspraktische Ansätze gewohnt sind (vgl. FL1.4.115; SL1.11.272; SL1.11.288). Dies führe einerseits zur Leugnung des sonderpädagogischen Förderbedarfs (vgl. FL1.5.145; FL1.6.177; SL1.11.288; SL2.6.161), anderseits werde der Sonderpädagogik aber auch Wertschätzung entgegen gebracht (vgl. FL2.2.34). So wurde das Beispiel eines Schülers angeführt, der Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben hat (vgl. FL1.5.145). Es stellte sich heraus, dass dies auf eine von den Eltern verschwiegene Sehschwäche zurückzuführen ist (vgl. ebd.). Somit kam es zu einer Verdeckung der tatsächlichen Förderbedürfnisse des Schülers, sodass er weder Zugang zu einer Brille noch zu einer Förderung im Bereich Sehen erhielt (vgl. ebd.). Diese Verschleierungen seien teilweise darauf zurückzuführen, dass Lehrkräften in anderen Kulturen eine enorme Autorität zugeschrieben wird, weshalb die Eltern oft versuchen ihre Kinder so positiv wie möglich darzustellen (vgl. FL1.3.67). Somit scheint hier die Notwendigkeit sichtbar zu werden, sich mit der Rolle der eigenen Profession in den Herkunftskulturen auseinanderzusetzen (vgl. Kap. 3.3, 67). Auch wurde darauf verwiesen, dass man sich an der Lebenswelt der Schüler:Innen orientieren müsse, statt von der eigenen Mittelstandsorientierung auszugehen (vgl. SL3.5.124). Auf der anderen Seite komme es teils zur fälschlichen Zuschreibung von Förderbedürfnissen, etwa wenn die Schüler:Innen es gewohnt sind mit den Händen zu essen oder morgens kein Brot sondern warme Mahlzeiten gegessen werden (vgl. FL1.2.39; FL2.3.66). Ähnlich wie bei dem Löffelbeispiel (vgl. Kap. 3.3, 66) könnte es hier unberechtigterweise zur Annahme von motorischen Schwierigkeiten oder essensvermeidenden Verhaltens kommen. Gleichzeitig verwiesen die Lehrkräfte auf Chancen der sozio-kulturellen Aspekte. So sei insbesondere bei Fluchterfahrungen eine große Resilienz bei den Familien zu beobachten (vgl. FL1.7.222; FL1.8.235; FL2.4.101; FL2.4.104). So scheint es ihnen teilweise leichter zufallen mit Problemen umzugehen, etwa wenn etwas in der Wohnung kaputt geht oder ihnen der Mietvertrag gekündigt wird (vgl. SL2.6.158). Die Problemlösungskompetenz der Familien könnte auch als Wirkung des Habitus der Überlebenskunst interpretiert werden (vgl. Kap. 3.2, 49; Kap. 3.3, 66). Bereits im theoretischen Teil der Arbeit wurde sichtbar, dass Familien mit Fluchterfahrungen noch intensiveren Herausforderungen und Exklusionsprozessen ausgesetzt sind als andere Menschen mit Migrationshintergrund (vgl. Kap 3.1, 60; Kap. 3.3, 87f). Dies könnte also potentiell zu einem besonders ausgeprägten Habitus der Überlebenskunst führen. Chancen scheinen zudem in der religiösen Orientierung zu liegen (vgl. SL2.6.148; SL2.6.158; SL3.5.140). So werde Behinderung in der türkisch-muslimischen Community oft als von Gott vorherbestimmtes Schicksal angesehen, wodurch es zu weniger ,,Anpassungsdruck‘‘ und einer größeren Akzeptanz gegenüber der Behinderung des eigenen Kindes komme (vgl. SL2.6.148; SL2.6.158). Eine Lehrkraft schilderte zudem eine Situation im Ethikunterricht, in der Schüler:Innen den Islam vorstellten (vgl. SL3.5.140). Dabei wurde bei allen Schüler:Innen ein großes Bewusstsein bzgl. der mit dem Gebet in Verbindung stehenden Rituale sichtbar, als sie der Lehrkraft zeigten wie man betet. Zudem schien die Gebetssituation eine beruhigende Wirkung auf die Schüler:Innen zu haben. Die Einbindung des religiösen Kontextes könnte den Schüler:Innen also potentiell Situationen ermöglichen, in denen sie sich selbst als handlungskompetent erleben, indem sie ihr kulturell erworbenes Handlungswissen anwenden können. Gerade im Kontext des Förderschwerpunkts Ganzheitliche Entwicklung könnte die Übertragung von den Schüler:Innen bereits bekannten Ritualen also gewinnbringend für die schulische Situation sein. So verweist die Lehrkraft auch darauf, dass die monokulturelle Ausrichtung der Schulbücher nicht die Lebenswelt der Schüler:Innen widerspiegelt (vgl. ebd.). Um im Unterricht einen Lebensweltbezug herzustellen könnten daher auch die Festtage und Bräuche anderer Kulturen eingebunden werden. Es muss jedoch auch darauf verwiesen werden, dass dies in Konflikt mit der gesellschaftlichen Entwicklung des Neo-Assimilationismus sowie der monokulturellen Ausrichtung der Schulen stehen könnte (vgl. Kap.3.2, 45, 50). Neben sozio-kulturellen Aspekten müssen bei der Lebenswelt der Schüler:Innen auch die Voraussetzungen der Eltern berücksichtigt werden. Diesen schienen die Lehrkräfte eine große Bedeutung beizumessen (vgl. Kap.5.2, 64ff), etwa hinsichtlich der Einstellungen der Eltern gegenüber der Behinderung ihres Kindes einerseits und der Sonderpädagogik andererseits (SL1.8.196; SL2.4.112; SL3.9.233 vgl.
FL2.4.123; FL1.8.240). Das Thema Behinderung sei in zweifacher Hinsicht herausfordernd. Auf der einen Seite gäbe es Tendenzen zur Verleumdung der Behinderung, auf der anderen Seite werde mit den Schüler:Innen seitens der Familien zu überfürsorglich umgegangen und zu wenig Selbstständigkeit zugetraut (vgl. FL1.6.187; FL1.8.237; SL1.3.65; SL1.10.254). Analog zur bestehenden Literatur wurde auf eine kritische Haltung gegenüber der sonderpädagogischen Begutachtung und Beschulung verwiesen (vgl. FL1.7.231; FL1.8.240; SL1.8.196; SL3.9.233; SL3.245). Bei bereits bestehendem Gutachten seien die Eltern um einen Verbleib an der Regelschule bemüht, somit scheinen die Eltern der inklusiven Beschulung gegenüber weniger kritisch zu sein als dem Besuch der Förderschule (vgl. FL2.4.123; SL3.9.233; SL3.245). Dabei seien die Erwartungen der Eltern teils realitätsfern und würden auf ihr Entscheidungsrecht bestehen, ,,[...] unabhängig davon, was das Kind für eine Beeinträchtigung hat.‘‘ (SL3.9.233). In einem anderen Interview wurde allerdings darauf verwiesen, dass es für Familien mit Migrationshintergrund ungleich schwerer sei juristischen Beistand bzgl. ihres Mitbestimmungsrechts einzuholen (vgl. FL1.8.259). Auch vor dem Hintergrund, dass sowohl der Zugang zu Schule als auch zu inklusiven Settings im Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung auf Elternbewegungen zurückzuführen ist (vgl. Kap. 3.1.1, 12), erscheint es also fraglich, inwiefern die Präferenz inklusiver Settings per se als unrealistische Erwartung oder Herausforderung zu interpretieren ist. Auch könnte die Präferenz der inklusiven Settings eine Erklärung für den höheren Inklusionsanteil von ausländischen Schüler:Innen im Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung sein (vgl. Kap.3.2, 56f). Ähnlich wie bei Helfferich, Amirpur und Subasi Singh tauchen im empirischen Material Geschlechterrollen auf ohne eine tragende Rolle im Gesamtkontext einzunehmen (vgl. Kap.3.3, 60). So adressierten zwei Lehrkräfte Ge- schlechterrollen im Kontext der Eltern (vgl. FL1.6.170; FL1.6.177; FL2.3.91). In den angeführten Beispielen wurden etwa schulische Entscheidungen nur in Absprache mit dem männlichen Elternteil getroffen oder Gespräche mit weiblichen Lehrkräften verweigert. Neben den Einstellungen der Eltern wurden auch ihr Verhältnis zu Bildung sowie finanzielle und bürokratische Aspekte thematisiert. So sei es weniger entscheidend welche Sprache gesprochen wird oder ob es einen Migrationshintergrund gibt, sondern der Bildungsgrad der Eltern sowie die der Bildung beigemessene Rolle (vgl. FL1.1.27; SL1.6.145b; SL2.6.143). Es wird allerdings darauf verwiesen, dass der Zugang zu materiellen Bildungsgütern wie Büchern, ähnlich wie die Bereitstellung eines Pausenbrotes maßgeblich von der finanziellen Situation der Familien abhängt (vgl. FL1.2.35; FL2.4.111; SL2.6.137). Die finanzielle Belastung könne zudem dazu führen, dass es den Familien schlichtweg nicht möglich ist wichtige Ressourcen wie Logopädie oder Ergotherapie wahrzunehmen (vgl. SL2.6.167; SL1.10.254). Den Lehrkräften kommt daher eine tragende Rolle hinsichtlich bürokratischer Herausforderungen der Eltern zu, etwa die Organisation außerschulischer Fördermaßnahmen oder Beantragung staatlicher Sozialleistungen (vgl. SL1.9.217; SL1.9.227; SL2.6.142; SL2.7.178). Als Chance wurde der Zusammenhalt von Großfamilien genannt (vgl. FL2.3.82a). Zudem wurde betont, dass es stark von den individuellen Voraussetzungen der Familien und der Einstellung der Lehrkräfte abhängt, inwiefern Bedingungen zu Ressourcen oder Herausforderungen werden (vgl. FL2.3.82a; FL2.3.92).
Die mannigfaltigen Voraussetzungen der Eltern finden sich auch in der Kategorie der Elternarbeit wieder. Hier wurden Bedingungen berücksichtigt, die die Lehrkräfte in Verbindung zu der Kooperation mit den Eltern setzten. Essentiell schien dabei eine positive Beziehung und ein stetiger Austausch von Informationen zu sein (vgl. FL1.2.57; FL1.4.109; FL1.5.162; FL1.7.209; FL2.5.155; SL2.4.103; SL3.4.111; SL3.1.14). Als erfolgreiche Beispiele für die Kooperation mit Eltern wurden eine Islam-Ausstellung sowie das Zählen lernen auf der Herkunftssprache genannt (vgl. SL3.6.154; FL2.6.168). Bei letzterem habe sich etwa anhand des Aus- tauschs von Videoaufnahmen gezeigt, dass die Schüler:Innen Zuhause sehr wohl zum Zählen auf mehreren Sprachen in der Lage waren, während dies in der Schule nicht beobachtet werden konnte. Um Eltern mit wenigen Deutschkenntnissen einen besseren Zugang zu Informationen zu ermöglichen wurde zudem eine Vernetzung gleichsprachiger Elternteile angestrebt, um die Eltern zur Teilnahme an Elternabenden zu motivieren (vgl. SL3.5.131). Problematisch sei etwa wenn Absprachen nicht eingehalten werden, was von dem Verpassen des ersten Schultages oder außerschulischer Aktivitäten bis hin zum Verfall von Therapieplätzen reiche (vgl. FL1.7.209;SL1.9.221; SL3.7.174). Auch müsse ein Verständnis für Förderprozesse geschaffen werden, insbesondere wenn bei den Eltern ein geringes Bildungsinteresse angenommen wird (vgl. FL1.4.109; SL3.4.111). Darüber hinaus spiele die Elternarbeit auch hinsichtlich der Sicherung des regelmäßigen Schulbesuchs eine Rolle (vgl. SL3.4.110), der wiederum maßgeblich mit dem Erfolg der Förderung zusammenhänge (vgl. FL1.4.107; FL1.4.132; FL1.5.157; FL1.6.192). Ein weiterer Faktor ist zudem die Lage des Wohnorts. So würde eine weite Entfernung nicht nur zu langen Anfahrten, sondern auch zu weniger außerschulischen Aktivitäten und Sozialkontakten führen (vgl. FL2.5.139; FL2.5.146; FL2.8.237; FL2.9.279). Hinsichtlich der außerschulischen Aktivitäten und Förderangeboten wie Logopädie käme es zudem sehr darauf an, inwiefern diese überhaupt vor Ort angeboten werden (vgl. SL2.7.185; SL3.8.218). Neben der Schaffung wohnortnaher Bildungsangebote (vgl. FL2.8.237), müsste zudem die besondere Lage von Schüler:Innen aus sozialen Brennpunkten mehr berücksichtigt werden (vgl. SL3.13.343). Obwohl die Elternarbeit weniger häufig als andere Kategorien genannt wurde, zeigt die große Relevanz der Kategorie Voraussetzungen der Eltern, dass Eltern eine wichtige Variable für die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund und gleichzeitigem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung sind. Somit scheint die Einbindung der Eltern in inklusive Bildungsprozesse unausweichlich.
Eine weitere essentielle Variable der individuellen Voraussetzungen scheint die Kategorie Sprache zu spielen (FL1.1.30; FL1.1.31; FL2.6.177; SL1.6.145a; FL1.6.199; FL2.4.110; SL1.6.145a; SL1.8.199a; SL2.6.146). Dabei werden Auswirkungen auf die Bereiche Elternarbeit, Förderbedürfnisse, Kommunikation, soziale Kontakte und bürokratische Herausforderungen beschrieben. Somit scheint die Kategorie Sprache mit anderen Kategorien der Oberkategorie Individuelle Voraussetzungen verknüpft zu sein. Auf der Ebene der Elternarbeit können unzureichende Sprachkenntnisse zu Missverständnissen führen, insbesondere wenn auf automatische Übersetzungsapps zurückgegriffen wird (vgl. FL2.2.30). Teilweise erfolge die Kommunikation über Geschwisterkinder oder Freunde, was jedoch häufig zu unangenehmen Situationen führe, etwa bei Tabu-Themen wie dem Toilettentraining (FL1.2.49). Als Chance wird der Einsatz von Dolmetschern gesehen, wobei es hier die Nachfrage höher sei als das Angebot (FL1.2.49; FL2.2.30). Im Gegensatz zu Freunden und Familien handelt es sich bei Dolmetschern um Fremde, was sie gleichzeitig zu neutraleren Personen macht. Dies könnte es in der Beratungssituation erleichtern den Eltern eine neugierige und wertungsfreie Haltung zu übermitteln (vgl. Kap.3.3, 67). Bei einer Kommunikation über Verwandte oder Freunde spielt jedoch immer auch die Beziehung zu diesen Personen eine Rolle, weshalb die neutrale Haltung der Lehrkräfte in der Übersetzung verloren gehen könnte. Außerdem wurde bereits in Kapitel 3.3 problematisiert, dass eine identische Herkunft in der Beratungssituation zu unklaren Rollenerwartungen führen kann (vgl. ebd.). Angebote wie der kostenlose telefonische Übersetzungsdienst in Baden-Württemberg (vgl. FL2.2.30) könnten sich also positiv auf die Elternarbeit auswirken. Als weitere Chance für die Beratungssituation wurde der Bezug auf die Herkunftskultur oder Sprache angeführt, etwa indem man einige Worte in der jeweiligen Sprache spricht (FL1.2.63). Analog zur Fördersituation könnte sich also auch in der Beratungssituation die Wertschätzung von Muttersprachen als gewinnbringend erweisen (vgl. Kap. 3.2, 48; Kap.3.3, 62). Hinsichtlich der Voraussetzungen der Eltern könnten sprachliche Hürden sich außerdem verstärkend auf bürokratische Herausforderungen auswirken (SL2.7.175). Hier werden also die im Theorieteil beschriebenen Zugangsbarrieren für Menschen mit Migrationshintergrund sichtbar (vgl. Kap. 3.3, 62). Im Unterricht selbst müsse eine intensivere kommunikative Förderung erfolgen als bei anderen Schüler:Innen (vgl. FL2.6.182; SL1.6.154). Dabei wurde teilweise eine erhöhte kognitive Belastung bei mehrsprachigen Schüler:Innen mit Behinderung angenommen, was allerdings den Forschungsergebnissen zu Mehrsprachigkeit bei geistiger Behinderung widerspricht (vgl. Kap.3.3, 61). Kritisch gesehen wurde auch, dass die kommunikative Förderung Herkunftssprachen nicht berücksichtigt, da es so zu einer Einschränkung der kommunikativen Handlungsfähigkeiten im familiären und sozialen Kontext kommen könnte (vgl. SL2.4.106). Insgesamt scheinen sich schwächere Sprachkenntnisse negativ auf den Aufbau sozialer Kontakte und die Inanspruchnahme außerschulischer Aktivitäten auszuwirken (vgl. SL3.4.96; FL2.5.142). Die Kategorie Sprache scheint hinsichtlich der Chancen und Herausforderungen also auch Einfluss auf die Kategorie der Netzwerke zu nehmen. Hierauf soll an späterer Stelle erneut eingegangen werden.
Es fällt auf, dass die Förderschullehrkräfte eher den Migrationshintergrund fokussierten, während die Lehrkräfte an den Schwerpunktschulen eher den Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung in den Vordergrund rückten. Dies könnte daran liegen, dass das Phänomen Behinderung für die Förderschullehrkräfte vertrauter ist, als das Phänomen Migrationshintergrund. Den Lehrkräften an den Schwerpunktschulen wiederum scheint das Phänomen Migrationshintergrund vertrauter zu sein als das Phänomen Behinderung. Somit könnten beide Gruppen jeweils das für sie unbekanntere Phänomen in den Mittelpunkt gestellt haben. Interessant ist dabei, dass die befragten Lehrkräfte die Rolle des Migrationshintergrundes eher relativierten, während in der Theorierecherche eine starke Verknüpfung des Migrationshintergrundes und der Zuschreibung negativer Eigenschaften zu beobachten war (vgl. Kap. 3.2, 68f, 71; Kap. 3.3, 88ff). Zwar konnten inhaltliche Parallelen zu den theoretischen Ergebnissen hergestellt werden, jedoch muss betont werden, dass die Differenzierung der Kategorien anhand der jeweiligen Zuschreibungen der Lehrkräfte vorgenommen wurde.
Vielmehr scheinen sie ein differenzierteres Bild der Lebenswelten ihrer Schüler:Innen zu zeichnen, dass sowohl sozio-kulturelle als auch sozio-demografische, einstellungsbezogene, milieuspezifische und individuelle Aspekte berücksichtigt. Auch auf der Metaebene der Interviews lässt sich dies feststellen, da die Interviewten immer wieder hervorheben, dass man keine Pauschalisierungen vornehmen könne. Als Beispiel hierfür können die Textstellen ,,Auch da würde ich behaupten es kommt auf die individuellen Voraussetzungen an‘‘ (FL2.4.99), ,,Ist pauschal auch schwierig.‘‘ (SL1.3.63), ,,Aber es kommt auf so viele Faktoren an.‘‘ (SL1.6.158) und ,,Aber das ist halt wieder so ein weites Feld.‘‘ (SL2.2.38) genannt werden. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Interviews also von den Ergebnissen der Literaturrecherche. So waren die Antworten der Lehrkräfte bei Subasi Singh deutlich pauschalisierender im Bezug auf Schüler:Innen mit Migrationshintergrund (vgl. Kap. 3.3, 64f). Auch die Schüler:Innen in Massumis Studie schienen in der Praxis vermehrt stigmatisierende Erfahrungen mit Lehrkräften gesammelt zu haben (vgl. Kap.3.2, 49) Dies könnte an der Ausbildung und der Erfahrungen der Lehrkräfte liegen, da Individualisierung an Schwerpunkt- und Förderschulen eine gesteigerte Bedeutung erfährt. Zudem hoben alle Lehrkräfte hervor, dass ein Migrationshintergrund aktuelle eher Regel als Ausnahme sei. Die genannten Aspekte könnten darauf hinweisen, dass es den Interviewten bereits gelungen ist eine kulturspezifische Perspektive auf die Schüler:Innen einzunehmen (vgl. Kap. 3.3, 65). Zudem scheint die Heterogenität der Schü- ler:Innen dazu geführt zu haben, dass die Aspekte Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung eher als zwei Bedingungen unter vielen statt als Anlass für Zuschreibungsprozesse gesehen werden. Hier könnten sich also die von Prengel und Speck beschriebenen, positiven Effekte von Vielfalt zeigen, indem ein Klima der Akzeptanz der Verschiedenheiten bzw. ein gemeinsames ethisches Verständnis zu einem guten und gerechten Zusammenleben entwickelt wurde (vgl. Kap. 3.1.2, 34). Bereits hier scheinen also die Relevanz der Kategorien Lehrkräfte und Positives Klassenklima durchzuscheinen. Es zeigt sich also eine starke Verwobenheit der verschiedenen Kategorien hinsichtlich der Chancen und Herausforderungen.
Didaktische Bearbeitung
Dies spiegelt sich auch bei der Didaktischen Bearbeitung der Chancen und Herausforderungen wider. Hierunter werden Kategorien gefasst, die sich auf den didaktischen Umgang mit den individuellen Voraussetzungen der Schüler:Innen beziehen. Bei sprachlichen Herausforderungen sei es beispielsweise hilfreich den Kontakt zu gleichsprachigen Mitschüler:Innen anzuregen, um den Schüler:Innen Kommunikation auch unabhängig von der deutschen Sprache zu ermöglichen (vgl. SL3.3.62; SL3.4.98). Dies setzt allerdings voraus, dass es in der Klasse oder Schule tatsächlich gleichsprachige Schüler:Innen gibt. Es muss zudem in Betracht gezogen werden, dass eine gleiche Sprache nicht zu Freundschaft verpflichten kann. Erstens ist nicht garantiert, dass die Schüler:Innen sich mögen. Zweitens könnten sich die Schüler:Innen auf das Sprechen bestimmter Sprachen reduziert fühlen. Andererseits könnte das Vorgehen auch als Wertschätzung der Muttersprache gewertet werden, indem die Schüler:Innen zur Nutzung ihrer mehrsprachigen Ressourcen angeregt werden. Die Kenntnisse der Erstsprache spielen auch hinsichtlich der kommunikativen Diagnostik und Förderung eine Rolle, diese könnten anhand des Austauschs von Videomaterial mit den Eltern berücksichtigt werden (vgl. FL2.5.157). Dies sei wichtig um sicherzustellen, dass Förderbedürfnisse auf der richtigen Ebene verortet werden (vgl. ebd.). Im obengenannten Beispiel waren die Schwierigkeiten beim Zählen beispielsweise nicht auf die numerischen sondern auf die sprachlichen Kompetenzen des Kindes zurückzuführen (vgl. ebd.). Auch das Erlauben und aktive Einbinden der Erstsprache seitens der Lehrkraft wurde als Chance angesehen, allerdings wurde folgendes angemerkt: ,,Aber viele Schüler steigen auch in der Schule nicht drauf ein, weil die halt genau unterscheiden: Daheim Arabisch, Schule Deutsch.‘‘ (FL2.5.157). Die Schüler:Innen scheinen also über die Fähigkeit des Code-Switchings zu verfügen, da sie nur in bestimmten Kontexten auf die jeweiligen Sprachen zurückgreifen (vgl. Kap. 3.3, 62). Dies ist laut der Literatur als Anzeichen mehrsprachiger Kompetenz und als Merkmal multi- oder bilingualer Sprachentwicklung zu interpretieren (vgl. ebd.). Neben der expliziten Sprachförderung der Schüler:Innen, sei es zudem sinnvoll auf den eigenen Sprachgebrauch zu achten (vgl. FL2.2.42; FL2.2.52). Dabei seien Maßnahmen wie die Vermeidung von Kontextsprüngen, einfache Formulierungen, Begriffserklärungen und der Einsatz von Gebärden auch für Schüler:Innen ohne Migrationshintergrund gewinnbringend (vgl. ebd.). Eine weitere Chance läge im sozialen Kontakt zu anderen Schüler:Innen, da sie sich hier an Sprachvorbildern orientieren können (FL2.8.251). Zudem erleben sie die Zweitsprache so nicht nur in ihrer Funktion als Metasprache des Unterrichts, sondern auch in der Kommunikation mit Peers (vgl. ebd.). Die Kommunikation mit anderen Schüler:Innen könnte also sowohl bzgl. der Erstsprache als auch der Zweitsprache Deutsch hilfreich sein. Es erscheint daher sinnvoll kooperative Arbeitsformen in die Unterrichtsgestaltung zu integrieren. Des Weiteren könnte auch die Kategorie des Klassenklimas eine tragende Rolle spielen. Ähnlich dazu werden auch bei der Kategorie Heterogenität und Individualität Chancen im kooperativen und sozialen Lernen gesehen (vgl. FL2.9.276) Dies könne langfristig zu einer erhöhten Toleranz gegenüber Menschen mit Behinderung führen (vgl. ebd.). Die vielen Textstellen zur Kategorie Heterogenität und Individualität zeigen auf, dass die Lehrkräfte die Schüler:Innen als sehr heterogene Lerngruppe wahrnehmen (vgl. FL1.1.24; FL1.4.106a; SL1.1.26). An vielen Stellen wird daher darauf verwiesen, dass die Förderansätze sehr individuell sind (vgl. FL1.3.83; FL1.4.123; FL1.6.186; SL1.2.38). Während einige Schüler:Innen auf besonders viel Unterstützung oder auf Hilfsmittel wie Kopfhörer angewiesen sind, um am Unterricht teilzunehmen, gäbe es andere Schüler:Innen die eigentlich keine oder nur wenig Förderung im Schwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung bräuchten (vgl. SL1.2.38; SL2.2.46; FL1.10.316; FL1.10.323). Um auch letztere Gruppe adäquat zu adressieren, müsse man in der Förderung nicht nur auf schwache sondern auch auf besondere oder fortgeschrittene Kompetenzen eingehen (vgl. ebd.). Auch das Verhalten der Schüler:Innen müsse in den Fokus gerückt werden (vgl. FL2.7.204;FL1.8.249; SL1.10.244; SL1.2.48; SL2.4.95; SL2.2.36; SL2.2.46). Es gelte dabei zu überprüfen, inwiefern das Verhalten Rückschlüsse auf bestimmte Bedürfnisse oder Überforderung zulässt, um die Förderung ggf. anzupassen (vgl. ebd.). Hinsichtlich der Vielfalt der Schüler:Innen müsse aber auch der Umgang mit auffälligen oder herausfordernden Verhaltensweisen oder besonderen Förderbedürfnissen berücksichtigt werden (vgl. FL1.8.249; SL1.10.244; SL1.2.48). Förderbedürfnisse im Bereich des Verhaltens dürften nicht durch die vermeintliche Vulnerabilität von Menschen mit Behinderung verschleiert werden (vgl. ebd.) Laut Speck und Prengel bedarf es dazu eines positiven Unterrichtklimas(vgl. Kap. 3.1.2, 34). Hinsichtlich der Förderung sehen die Lehrkräfte an den Schwerpunktschulen Chancen in der Diagnostik (vgl. SL1.1.4; SL1.5.124; SL1.7.172; SL1.7.175; SL1.7.184; SL2.3.73; SL2.4.92; SL3.1.18; SL3.3.84a). Dabei werden die Schülerakte und das Gutachten zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs als Orientierungspunkt für die Förderung der Schüler:Innen und als Basis der Kooperation mit den Förderlehrkräften gesehen (vgl. ebd.). Andererseits nehmen die Lehrkräfte auch eigene Beobachtungen in der Eingewöhnungsphase der Schüler:Innen vor (vgl. ebd.).
Klassenklima
In der Auswertung der Oberkategorien wurde bereits mehrfach auf das Klassenklima verwiesen. Hiermit sind Bedingungen gemeint, die sich auf die Atmosphäre in den Lerngruppen auswirken. Im empirischen Material scheint das positive Klima eine große Chance für die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung zu sein. Immer wieder geben die Lehrkräfte an, dass es vor allem darauf ankomme, dass sich die Schüler:Innen in der Klasse wohlfühlen (vgl. SL1.4.99; SL1.5.123; SL1.10.246; SL2.4.88; SL2.4.98; SL3.1.13; SL3.1.26; SL3.3.80). Dabei sei es wichtig die Stärken der Schüler:Innen hervorzuheben und diese aktiv in den Schullalltag einzubinden (vgl. SL3.2.34; SL3.7.185). Als Beispiel wurde das Erfüllen von Klassendiensten, Geschichten erzählen oder Rollenspiele genannt (vgl. SL1.14.369; SL3.7.185). Interessant ist, dass eine positive Atmosphäre nicht nur als Gelingensbedingung sondern auch als ein Effekt der inklusiven Beschulung beschrieben wird. Schüler:Innen mit Migrationshintergrund würden oft über ausgeprägte Sozialkompetenzen verfügen, insbesondere wenn sie aus Familien mit vielen Geschwistern kommen (vgl. FL2.2.69; SL1.2.43; SL1.9.237; SL2.3.64; SL3.2.49). Dies würde sich auch positiv auf die gesamte Klassengemeinschaft auswirken (vgl. ebd.). Alle Lehrkräfte an den Schwerpunktschulen wiesen zudem darauf hin, dass die Schüler:Innen ihre Mit- schüler:Innen oftmals gar nicht als behindert wahrnehmen (SL1.10.246; SL2.10.272; SL2.10.277; SL2.11.286; SL3.8.199; SL3.11.302). Insofern könnte ein positives Klima nicht nur das Selbstbewusstsein und Zugehörigkeitsgefühl einzelner Schüler:Innen stärken, sondern auch die Toleranz sowie die Sozialkompetenzen in der gesamten Klassengemeinschaft (vgl. SL2.9.238; SL2.10.272; SL2.11.296). Hier scheint sich die obengenannte These zu bestätigen, dass es in den Klassen ein Klima der Akzeptanz der Verschiedenheiten (vgl. Kap. 3.1.2, 47f) vorherrscht. Sowohl für die Lehrkräfte als auch für die Schüler:Innen scheint der Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung also eher eine Bedingung unter vielen zu sein. In das Klassenklima würden allerdings auch die gesellschaftliche Wahrnehmung von Behinderung und Migrationshintergrund einwirken (vgl. FL2.4.144; SL1.11.276; SL3.8.214), etwa wenn die Schüler:Innen in oder außerhalb der Schule mit Mobbing und Diskriminierung konfrontiert werden (vgl. ebd.). Insofern müsse das Thema nicht nur in der Schule sondern auch im Rest der Gesellschaft präsenter werden (vgl. SL2.9.226). Parallel zur Literatur scheint das empirische Material also die Notwendigkeit der politischen Adressierung inklusiver und interkultureller Aspekte aufzuzeigen (vgl. Kap. 3.2, 50).
Lehrkräfte
Zur Kategorie Lehrkräfte zählen Bedingungen, die sich auf die Einstellungen, Kompetenzen, Belastungen, Ausbildung und Kooperation der Lehrkräfte beziehen. Für die Zusammensetzung der Klassen sei etwa entscheidend, inwiefern die Bedürfnisse der Schüler:Innen zu den Kompetenzen der Klassenleitungen passe (vgl. FL1.3.88; FL1.3.93; SL3.10.274). Neben etwaigen Sprachkompetenzen müsse jedoch auch auf potentielle Konflikte zwischen ethnischen Gruppen geachtet werden (vgl. ebd.). In der aktuellen Situation sei etwa eine erhöhte Sensibilität beim Zusammentreffen von Schüler:Innen und Lehrkräften aus Russland und der Ukraine gefragt (vgl. ebd.). Die Einstellungen der Schwerpunktschullehrkräfte gestalten sich sehr unterschiedlich aus, sodass sich im empirischen Material sowohl Zuversicht als auch Unsicherheiten im Umgang mit der Schülerschaft zeigte (vgl. FL2.3.94; SL2.3.62; SL3.2.46; SL1.8.195). Eine Lehrkraft beschreibt zudem, dass sie aufgrund ihrer praktischen Erfahrungen ein völlig neues Bewusstsein zu Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt entwickelt habe (vgl. SL1.1.27; SL1.8.195). Besonders bedeutsam scheint die Kooperation mit Förderschullehrkräften zu sein (vgl. SL1.1.18; SL1.4.101; SL1.7.174; SL2.2.30; SL3.4.84b). Insgesamt wurden multiprofessionelle Teams als Chance, aber auch als Herausforderung herausgestellt (vgl. SL1.1.18; FL2.8.239; FL2.10.310; SL1.15.387; SL1.15.397; SL1.16.416; SL1.16.424;
SL3.10.266; SL3.10.274). Das Erwachsen personeller Strukturen erfordere das Aushandeln von Interessenskonflikten, Rollenerwartungen und der Aufgabenverteilung (vgl. ebd.). Im Falle der Lehrkräfte an Schwerpunktschulen scheint es zudem einen intrapersonellen Rollenkonflikt zu geben, da sie sich einerseits zur Individualisierung und andererseits zur Orientierung an Lehrplänen gedrängt fühlen (vgl. ebd.). Auf der Seite der Förderschullehrkräfte wiederum, gäbe es oft keine klare Einbindung in die Klassengemeinschaft (vgl. ebd.). In diesem Kontext wird auch darauf verwiesen, dass es trotz vermeintlich gleicher Ausbildung auf Seiten der Regelschullehrkräfte sehr große Unterschiede gibt, inwiefern sich die Lehrkräfte zuständig für Aspekte wie Diagnostik, Förderung und Differenzierung fühlen (vgl. SL2.12.319; SL2.12.326; SL12.327; SL2.336; SL2.14.338). Man müsse Kontrolle abgeben können und sich von normativen Erwartungshaltungen loslösen (vgl. ebd.). Analog zu den interkulturellen Kompetenzen von Lehrkräften mit Migrationshintergrund könnten also auch Kompetenzen im Umgang mit Schüler:Innen mit Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung bei Regelschullehrkräften eher auf persönliche Erfahrungen als auf die Ausbildung zurückzuführen sein (vgl. Kap. 3.3, 67f).
Die Bedingungen der inklusiven Beschulung scheinen von den Lehrkräften z.T. als belastend wahrgenommen zu werden, sodass mehrmals die Gefahr von Burnouts oder erhöhte Belastungssituationen erwähnt wurden (vgl. FL2.10.303; SL1.1.12; SL1.3.77; SL3.9.243; SL3.10.261; SL3.12.326).
Schulentwicklung
Die Oberkategorie Schulentwicklung enthält Kategorien die sich auf Herausforderungen des aktuellen Schulsettings sowie auf die Chancen für zukünftige inklusive Settings beziehen. Der bildungspolitische Diskurs wäre etwa zu wenig an den praktischen Bedingungen orientiert (vgl. FL1.10.334; SL1.12.301; SL1.12.315; SL1.13.329; SL1.14.376; FL2.8.228). Dies würde teils zu Beschlüssen und Forderungen führen, die kaum umzusetzen sind (vgl. ebd.). Insgesamt seien zu wenige Förderschullehrkräfte verfügbar (FL1.9.281; FL1.9.304; FL1.9.289; FL2.8.226). An den Förderschulen führe dies dazu, dass der Unterricht oft von Pädagogischen Fachkräften statt Fachlehrer:Innen durchgeführt wird (vgl. ebd). Für die Schwerpunktschulen wiederum sind nur wenige Förderstunden pro Klasse verfügbar (vgl. SL1.12.315; SL1.13.329). Auch die fehlende Gestaltung von Übergängen zwischen Schulformen und Schulsystemen verschiedener Länder und Bundesländer wurde als Herausforderung angesprochen (vgl. SL1.7.178; SL2.5.124; SL2.5.129; FL1.10.324; FL2.10.289; SL3.11.293; SL3.14.387). Sowohl die Eltern als auch die Schüler:Innen könnten außerhalb der Schule nur auf ein geringes Netz von Sozialkontakten zurückgreifen (vgl. SL2.7.189; SL2.7.196; SL2.7.194; SL3.7.170; SL3.5.134; SL2.9.249). Während Barrieren in der Literatur sowohl bei den Eltern als auch bei Schüler:Innen ohne Behinderung tendenziell zur Ausprägung von Netzwerkkompetenzen oder eines Habitus der Überlebenskunst führten (vgl. Kap. 3.3, 66), könnte es bei Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung also einen gegenteiligen Effekt geben.
Damit Inklusion von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung gelingen kann müssen laut dem empirischen Material fünft Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss eine individuelle Passung des Schulsettings gegeben sein (vgl. FL2.9.260; FL2.9.284; SL1.13.339; SL1.14.359; SL2.12.315; SL2.14.359; SL2.14.368; SL3.11.290; SL3.11.295). In einem inklusiven System dürfe daher weder der Regel- noch der Förderschule per se eine bessere Eignung als der anderen Schulform unterstellt werden (vgl. ebd.). Der Fokus müsse nicht nur auf fachlichen und didaktischen, sondern auch auf sozialen Bedingungen liegen (vgl. ebd.). Ein wichtiger Faktor für die individuelle Passung sei demnach die sozialen Kompetenzen sowie das Wohlbefinden der Schüler:Innen (vgl. ebd.). Auch die individuelle Passung der schulischen Angebote scheint also mit dem positiven Klima und den Netzwerken verknüpft zu sein. In diesem Kontext wird die zweite Gelingensbedingung in der Aufwertung der Förderschule gesehen. Diese Forderung bezieht sich zum einen darauf, dass die bestehenden Chancen der Förderschule mehr Wertschätzung erfahren sollten (vgl. SL1.13.342; SL1.14.354; SL2.10.261; SL2.12.310; SL3.12.320; SL3,13,346b). So würden förderliche Bedingungen wie der Betreuungsschlüssel, die Verfügbarkeit von Fachpersonal, Rückzugsräumen und die Förderung von lebenspraktischen Kompetenzen zumeist vom stigmatisierten Ruf der Förderschule überdeckt (vgl. ebd.). Zum anderen müssten nicht nur die gesellschaftliche Wahrnehmung, sondern auch die Bedingungen selbst eine Optimierung erhalten (vgl. FL1.10.331; FL2.10.319). So müsse es mehr Unterricht durch Fachlehrer:Innen und eine einfachere Abwicklung von Umbaumaßnahmen geben (vgl. ebd.). Als dritte Gelingensbedingung wird die Erhöhung der didaktischen Flexibilität angeführt (vgl. FL2.10.314; SL1.12.321b; SL2.12.328; SL2.13.363; SL1.14.369). So müssten enge curriculare Vorgaben und Bewertungssysteme einer Orientierung an den individuellen Voraussetzungen weichen (vgl. ebd.). Vor dem Sachverhalt der erhöhten Zugangsbarrieren außerschulischer Förderung für Schüler:Innen mit Migrationshintergrund wird viertens eine bessere Ausstattung der Schule verlangt (vgl. FL2.9.285; SL1.12.321a; SL1.13.325; SL2.8.214; SL2.8.2220; SL3.10.269; SL2.8.211). So müsse es nicht nur Rückzugsorte sondern auch räumliche Möglichkeiten für innerschulischen Förderangebote wie Schwimmtherapie, Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie geben (vgl. ebd.). Hinzu kommen Aufbewahrungsmöglichkeiten für zusätzliches Fördermaterial, um diesbezüglich einen besseren Austausch im Kollegium zu ermöglichen (vgl. ebd.). Fünftens wird ein Zuwachs an personellen Ressourcen angestrebt, sodass es mehr Möglichkeiten zur Doppelbesetzung und kleineren Klassen gibt (vgl. SL1.13.326; SL1.1.15.382; SL1.15.383; SL2.8.203; SL2.8.216; SL3.10.259). Demnach scheint das aktuelle Schulsystem weder für die Schüler:Innen noch für die Lehrkräfte passende Bedingungen für die inklusive Beschulung bei gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung zu bieten. Aufgrund ihrer häufigen Nennung und Verwobenheit mit den anderen Kategorien, scheinen die Kategorien Sprache, Lehrkräfte und Voraussetzungen der Eltern besonders bedeutsam zu sein.
Im Anschluss an die Interviews hatten die Lehrkräfte jeweils die Gelegenheit Aspekte zu ergänzen, die im Leitfaden nicht berücksichtigt wurden. Dabei wurden zum einen die bestehenden Kategorien Elternarbeit, Lehrkräfte, Personelle Ressourcen und Übergänge vertieft (SL3.15.396; FL2.11.337; FL1.10.0350; FL1.10.351; SL3.14.387). Zum anderen konnte mit der Selbstbestimmung eine neue Kategorie abgeleitet werden (vgl. SL2.13.347). In der Diskussion um inklusive Beschulung sollte auch die Perspektive der Schüler:Innen mitgedacht werden (vgl. ebd.). Es müsse hinterfragt werden, inwiefern die Schüler:Innen in die Entscheidung für eine Förder- oder Schwerpunktschule einbezogen werden (vgl. ebd.). Tatsächlich kann sowohl in der Literatur als auch im empirischen Material ein starker Fokus auf die Rolle der Eltern festgestellt werden, während die Perspektive der Schüler:Innen mit Behinderung kaum berücksichtigt wird. Aufgrund der jeweiligen Wünsche der Teilnehmer*Innen wurden die Interviews sowohl im Modus eines Online-Interviews als auch als persönliches Interview vor Ort durchgeführt (vgl. Bortz/Döring 2016, 359f). Hinsichtlich des Gütekriteriums Nähe zum Gegenstand ergaben sich daher unterschiedliche Bedingungen. Nach der qualitativen Inhaltsanalyse und Diskussion der Ergebnisse kann jedoch festgehalten werden, dass sich dies weder auf den Erzählfluss, noch auf die inhaltliche Qualität der Transkripte ausgewirkt zu haben scheint. Hinsichtlich der Passung der erzählgenerierenden Fragen kann zudem festgehalten werden, dass diese zu einem Datenmaterial führten, aus dem viele Kategorien zu den Chancen und Herausforderungen der inklusiven Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung abgeleitet werden konnten.
6 Fazit
Summa summarum scheint die Gruppe Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung nur schwer zu fassen zu sein. Neben der bisher nur wenig vorhandenen Literatur fällt vor allem die Vielfalt der Begriffe auf, die zur Beschreibung der Personenkreise verwendet werden. Allein in dieser Arbeit befinden sich die Begriffe Ausländer:In, Zugewanderte, Migrant:In, Mensch mit Migrationshintergrund, Mensch mit Migrationserfahrung, Behinderte, Mensch mit Behinderung, Schüler:In mit sonderpädagogischem Förderbedarf und Schüler:In mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Hinzu kommt eine große Spannweite der Begriffsdefinitionen, sodass es oft Unklarheiten hinsichtlich der Zugehörigkeiten gibt. Fatal ist dies vor allem hinsichtlich der Verwendung von statistischen Daten, da diese nur eingeschränkt verwendet und verglichen werden können. Insgesamt ist also die Aussagekraft der Begriffe Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung zu hinterfragen. Im Verlauf dieser Arbeit wurde deutlich, dass eine Untersuchung entlang von Begriffsdefinitionen nur wenige Erträge zur Situation von Schü- ler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung bringt. Vielmehr scheinen enge Begriffsbestimmungen unmittelbar mit
Etikettierungsprozessen verknüpft zu sein, die in der schulischen Praxis einen unpassenden Umgang mit den Schüler:Innen zur Folge haben können. Selbsterfüllende Prophezeiungen und Stereotype Threats führen dazu, dass Schule weiterhin in der Tradition der Merkmalszuschreibungen und Verbesonderungen verhaftet bleibt, während sie eigentlich Individualität und Teilhabe anstreben sollte. Insofern erscheint Massumis Umriss von Schule als gleichzeitigem Begrenzungs- und Ermöglichungsraum mehr als passend. Analog zum wissenschaftlichen Diskurs wurde daher mit einer offenen Auslegung der Begriffe gearbeitet. Um die schulischen Bedingungen von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung zu untersuchen, wurden zunächst beide Bedingungen einzeln untersucht. Dabei gilt festzuhalten, dass die Chancen und Herausforderungen jeweils spezifisch für die Gruppen Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung, Schüler:Innen mit Migrationshintergrund sowie Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung sind. Auch wenn mit der Betrachtung der ersten beiden Gruppen eine Annäherung an die Lebenswelt der letztgenannten Gruppe vollzogen werden kann, können die Bedingungen bei Gleichzeitigkeit der Phänomene keinesfalls auf die Summe der Chancen und Herausforderungen der ersten beiden Gruppen reduziert werden. Vielmehr konnten sowohl Analogien als auch Wechselwirkungen aufgezeigt werden. So sind alle drei Gruppen von exkludierenden Prozessen und weisen eine hohe Heterogenität an förderlichen und herausfordernden Bedingungen auf. Allerdings scheint es bei der Gleichzeitigkeit der Phänomene Behinderung und Migration eine geringere Rolle von Geschlechtsstereotypen zu geben, während die spezifische Sprachentwicklung bei Mehrsprachigkeit noch weniger Berücksichtigung findet als bei der Gruppe Schüler:Innen mit alleinstehendem Migrationshintergrund. Diese Dynamik der Phänomene Behinderung und Migrationshintergrund erdordert eine Revidierung des Begriffs der doppelten Diskriminierung. So gibt es zwar eine Benachteiligung aufgrund zweier Anlässe, jedoch kann nicht per se davon ausgegangen werden, dass diese doppelt so schwer wiegt wie die Diskriminierung bei ausschließlicher Behinderung oder ausschließlichem Migrationshintergrund. Im Kontext des bio-psychosozialen Modells von Behinderung, kann das Hinzukommen des Migrationshintergrundes als Ergänzung der personen- und umweltbezogenen Faktoren verstanden werden. Dem dynamischen Verständnis von Behinderung folgend, beeinflusst das Vorhandensein eines Migrationshintergrundes also die Teilhabebedingungen der betroffenen Personen. Nun handelt es sich dabei um einen Faktor, der insgesamt 12% der deutschen Schülerschaft betrifft (vgl. Destatis 2022c, Kap. 4.1). Gleichzeitig scheinen ausländische Schüler:Innen überproportional oft in der Schülerschaft mit sonderpädagogischem Förderbedarf vertreten zu sein, insbesondere an den Förderschulen. Insofern schien ein Einfluss des Faktors Migration auf die Zuweisungspraktiken bei der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs plausibel. Vor dem Hintergrund des subsidiären Charakters der Sonderpädagogik weist dies darauf hin, dass das deutsche Regelschulsystem keine hinreichenden Bedingungen für Schüler:Innen mit Migrationshintergrund bietet. Die bundesweite Überrepräsentation an den Förderschulen suggeriert, dass dies auch die Chancen auf inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und sonderpädagogischem Förderbedarf beeinflusst. Um diese Aspekte näher zu beleuchten, wurde in der vorliegenden Arbeit exemplarisch untersucht, inwiefern sich Migration auf die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung auswirkt. Auf Basis der Literaturrecherche wurde deduktiv ein Interviewleitfaden zu den Themengebieten (A) Lebenswelt, (B) Ressourcen und Herausforderungen und (C) Schulsetting abgeleitet. Anschließend wurden fünf Interviews mit Lehrkräften geführt, wovon zwei an Förderschulen und drei an Schwerpunktschulen beschäftigt sind. In der Diskussion der Ergebnisse konnten sowohl förderliche als auch herausfordernde Bedingungen identifiziert werden. Im Folgenden sollen nun noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse zu den Chancen und Grenzen aufgezeigt und Perspektiven für die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung abgeleitet werden.
Das Thema Migration schien für alle Lehrkräfte zum Arbeitsalltag zu gehören, da es an ihren Schulen einen besonders hohen Anteil an Schüler:Innen mit Migrationshintergrund gibt. Dies scheint bei den Interviewten zu einem differenzierteren Verständnis der Lebenswelt von Schü- ler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung geführt zu haben. Während im Theorieteil noch darauf hingewiesen wurde, dass seitens der Lehrkräfte eine große Überbetonung sprachlicher Aspekte und pauschalisierende Merkmalzuschreibungen zu beobachten ist, scheint dies bei den befragten Lehrkräften weniger der Fall zu sein. So führten die Lehrkräfte zahlreiche sozio-kulturelle, sozio-demografische, einstellungsbezogene, milieuspezifische und individuelle Faktoren an, die in 21 Kategorien zusammengefasst wurden. Zudem verwiesen sie immer wieder darauf, dass dies nur ein kleiner Ausschnitt der relevanten Aspekte sei. Vor diesem Hintergrund wurden nur wenige Faktoren direkt mit den Kategorien Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung verknüpft. Vielmehr schienen die Lehrkräfte bei der Beantwortung der Interviewfragen Bezüge zu verschiedenen Merkmalen der Lebenswelt ihrer Schüler:Innen herzustellen. Immer wieder verwiesen sie darauf, dass die genannten Aspekte nicht auf alle Schüler:Innen übertragen werden können und keine automatische Konsequenz des Migrationshintergrundes bilden. Die Beschreibung der individuellen Voraussetzungen suggerieren, dass es den Lehrkräften aufgrund ihrer Arbeit an Schulen mit hohem Migrationsanteil gelingt, eine kultur- und lebensweltspezifische Perspektive auf ihre Schüler:Innen zu generieren. Während dies zunächst als Chance gewertet werden kann, zeigt der Vergleich mit der Literatur auf, dass eine solche Perspektive nicht bei allen Lehrkräften angenommen werden kann. Ähnlich wie bei Lehrkräften, die selbst einen Migrationshintergrund haben, scheinen diese Kompetenzen also aus Erfahrungen zu entstehen. Neben dem hohen Migrationsanteil könnte auch die stärkere Betonung von Individualisierung an Förder- und Schwerpunktschulen eine Rolle spielen.
Zudem muss beachtet werden, dass sich die Teilnehmenden freiwillig für die Interviews gemeldet haben und auf ihr Interesse am Thema verwiesen. Somit könnten auch persönliche Einstellungen eine Rolle spielen. Somit scheinen sich, wie von Massumi angenommen, praktische Erfahrungen an Schulen mit hohem Migrationshintergrund tatsächlich als Ansatzpunkt für die strukturelle Etablierung von kultur- und lebensweltspezifischen Perspektiven zu bewähren. Bereits bei Betrachtung der statistischen Daten fiel auf, dass ausländische Schüler:Innen in Rheinland-Pfalz einen höheren Inklusionsanteil aufweisen, als die Gesamtheit der Schü- ler:Innen mit sonderpädagogischer Förderung. Für den Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung trifft dies sogar bundesweit zu. Im Kontext des empirischen Materials könnte dies darauf hinweisen, dass die Einstellungen der rheinland-pfälzischen Lehrkräfte zu besseren Bedingungen für die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung führen. Bei Betrachtung der statistischen Daten kam zudem die Hypothese auf, dass die Bedingungen in Rheinland-Pfalz zu einem gesteigerten Habitus der Überlebenskunst führen. Auch in der vorliegenden Studie verwiesen die Lehrkräfte darauf, dass die Eltern auf einen Verbleib im Regelschulsystem bedacht sind. Die in der Literatur beschriebenen Netzwerkkompetenzen scheinen sich im empirischen Material jedoch weder bei den Schüler:Innen noch bei den Eltern zu zeigen. Vielmehr scheint die Schule in der Verantwortung zu stehen, das Ausbilden von sozialen Netzwerkstrukturen bei Eltern und Schüler:Innen zu etablieren. Somit scheint zwar weiterhin gesteigertes Interesse am Verbleib im Regelschulsystem zu bestehen, jedoch scheint es den Eltern weniger gut zu gelingen die entsprechenden Ressourcen zu rekrutieren. Auch hier scheinen Chancen und Herausforderungen also nah beieinander zu liegen. Zudem scheint sich erneut zu bestätigen, dass der Zugang zu Inklusion aktuell stark von den Initiativen einzelner Personen oder Schulen abhängt. Vor diesem Hintergrund ist kaum verwunderlich, dass in der Auswertung eine hohe Verwobenheit der Kategorien Lehrkräfte und Voraussetzungen der Eltern mit den übrigen Kategorien festgestellt werden konnte. Außerdem gehören die beiden Kategorien neben der Sprache zu den drei Kategorien, die sowohl am häufigsten als auch von allen Personen und in allen Themenbereichen erwähnt wurden. Die häufige Erwähnung von Sprache könnte einerseits als Bestätigung der Tendenz zur Überbetonung von Sprache gewertet werden. Andererseits konnte auch für die Kategorie Sprache eine starke Interdependenz mit anderen Kategorien festgestellt werden. Ob die Bedingungen der Schüler:Innen zu Chancen oder Herausforderung werden, scheint neben den Voraussetzungen der Eltern und den Lehrkräften also auch von der Kategorie Sprache bestimmt zu werden. Somit könnte auch die Sprache als Anknüpfungspunkt für förderliche Bedingungen der inklusiven Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung dienen. Insgesamt konnten also drei Hauptfaktoren abgeleitet werden, die Einfluss auf die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung nehmen. Die Interdependenz der drei Hauptfaktoren Sprache, Lehrkräfte und Voraussetzungen der Eltern zu den übrigen Kategorien hat allerdings auch zur Folge, dass keine allgemeine Einteilung in Chancen und Herausforderungen möglich ist. Aus diesem Grund können an dieser Stelle lediglich Aspekte hervorgehoben werden, die besonders förderlich oder herausfordernd zu sein scheinen.
Als wichtige Chance stellte sich ein positives Klassenklima heraus, wobei dieses teilweise aus der Heterogenitätssituation selbst zu erwachsen scheint. Hierfür bedarf es eines Fokus auf soziale Kompetenzen, des Hervorhebens von Stärken sowie eines wertschätzenden Bezugs auf verschiedene Kulturen und Sprachen. Insbesondere für Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung muss es Möglichkeiten geben ihre ihr kulturellen Handlungskompetenzen auch im schulischen Kontext anzuwenden. Dass die Schüler:Innen in der schulischen Situation zum Code-Switching tendieren zeigt auf, dass sie klar zwischen dem Kontext Schule und Familie unterscheiden. Wie das empirische Material aufzeigt, kann dies ggf. dazu führen, dass Kompetenzen der Schüler:Innen unentdeckt bleiben, weil in der Schule nur Leistungen gewürdigt werden, die dem monolingualen und monokulturellen Habitus entsprechen. Im Alltag der Schüler:Innen sind allerdings auch Fähigkeiten im Kontext anderer Sprachen und Kulturen relevant. Dies lässt sich auch unter erneuter Bezugnahme auf das Löffelbeispiel illustrieren: Während das Essen mit dem Löffel in einem kulturellen Kontext zur Erfüllung der Alltagskompetenz ausreicht, wurde es im Kontext der anderen Kultur als Abweichung von der Altersnorm interpretiert. Als Schlussfolgerung wurde das Essen mit dem Löffel nicht auf motorische sondern auf kulturelle Bedingungen zurückgeführt. Um nicht nur eine kulturverstehende, sondern auch eine kulturwertschätzende Haltung einzunehmen müsste an dieser Stelle hinterfragt werden, inwiefern es für den Alltag der Schüler:Innen relevant ist mit Gabel und Messer zu essen. Selbst wenn das Essen mit dem Löffel nicht mehr als Defizit gewertet wird, könnte in der Förderung weiterhin eine Assimilation zum normativen Essverhalten verlangt werden. Vor diesem Hintergrund einer kulturwertschätzenden Haltung, müsste die Fähigkeit mit dem Löffel zu essen also ebenso legitim sein wie das Verwenden von Messer und Gabel. Zieht man nun das in der Auswertung beschriebene Beispiel von Schü- ler:Innen heran, die nicht auf Deutsch, aber sehr wohl auf Arabisch zählen konnten, so zeigt sich, dass dies auch auf andere Förderkontexte übertragen werden kann. So bietet das Einbinden der Erstsprache auch Chancen für die Kommunikationsförderung, da somit an die vorhandenen Sprachressourcen angeknüpft werden kann. In der Literatur wurde dazu eine mehrsprachige Kommunikationsförderung sowie die Berücksichtigung der spezifischen Sprachentwicklung bei Mehrsprachigkeit gefordert. Laut den Interviews könnte sich zudem die Kooperation mit den Eltern und das Einbinden gleichsprachiger Schüler:Innen als gewinnbringend erweisen. Eine Herausforderung scheint die mangelnde Vernetzung der Eltern und Schüler:In- nen zu sein. Hier wurde in der Auswertung ein Handlungsbedarf seitens der Schule aufgezeigt. Dennoch wurden im empirischen Material soziale Kompetenzen bei den Schüler:Innen sichtbar, was zumindest auf ein Potential zum Aufbau sozialer Beziehungen verweist. Gleichzeitig wurden Einschränkungen sozialer Kontakte aufgrund sprachlich-kommunikativer Faktoren deutlich. Zudem wurde auf den Einfluss gesellschaftlichen verwiesen. Insofern scheint die abweichende Ausprägung der Netzwerkstrukturen bei Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung von mehreren Kategorien abhängig zu sein. Die von den Lehrkräften beobachteten sozialen Kompetenzen könnten demnach als Ausgangspunkt zur Ausweitung ihres sozialen Netzes dienen. In den Interviews wurde etwa der Besuch von Vereinen als Chance gesehen, wobei problematisiert wurde, dass es nur selten Angebote gibt die auch an Schüler:Innen mit Behinderung adressiert sind. Auch bei den Eltern konnte mit dem Bestreben des Verbleibs im Regelschulsystem eine Tendenz zum Habitus der Überlebenskunst aufgezeigt werden. Während es den Schüler:Innen und Eltern in Massumis und Subasi Singhs Studien darüber hinaus gelang Ressourcen zu mobilisieren, die ihre schulischen Bedingungen verbessern, scheint dies im Kontext des Förderschwerpunkts nicht zu gelingen. Somit scheint der Schule eine Schlüsselrolle zur Teilhabe an außerschulischen Förderangeboten zuzukommen. In den Interviews wurde zudem eine bessere Vernetzung gleichsprachiger Eltern angestrebt. Es wurde deutlich, dass der Bildungserfolg von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung vor allem von den Eltern und den Lehrkräften abhängig ist. Während dies bei den Eltern zu einer Steigerung des Habitus der Überlebenskunst zu führen scheint, suggeriert das empirische Material für die Lehrkräfte Herausforderungen in Form einer gesteigerten Belastungssituation. Somit stehen die Lehrkräfte aktuell vor der paradoxen Aufgabe inklusiven und interkulturellen Unterricht in einem Schulsystem durchzuführen, das weder auf Inklusion noch auf Interkulturalität ausgerichtet ist. Auch die Kritik und Wünsche hinsichtlich des Schulsystems zeigen, dass eine umfangreiche Neustrukturierung angezeigt ist. Dabei legten die Lehrkräfte schulformunabhängig großen Wert auf die Aufwertung der Förderschulen sowie auf die individuelle Passung der Schulsettings. Es scheint daher so, als müsse Specks Appell zur Qualitätssteigerung des inklusiven Unterrichts an Regelschulen (vgl. Kap. 3.1.2, 37) auch auf die Förderschulen ausgeweitet werden, um eine tatsächliche Aufwertung der Sonderpädagogik zu gewährleisten. Denn selbst wenn die UN-Behindertenrechtskonvention den Ausschluss vom Regelschulsystem laut Speck nicht als Exklusion versteht, zeigt die Ausprägung des Habitus der Überlebenskunst, dass sich die Betroffenen sehr wohl mit Exklusionsprozessen konfrontiert sehen. Die größte Chance und Herausforderung für die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung scheint daher die Entwicklung eines Schulsystems zu sein, dass eine stärkere Verflechtung von interkultureller und inklusiver Pädagogik ermöglicht.
Die zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse zeigt auf, dass die erzählgenerierenden Fragen des Leitfadens zu einem empirischen Datenmaterial führten, dass sich an die Ergebnisse der Theorierecherche anknüpfen lässt. Dabei konnten sowohl Parallelen als auch Unterschiede herausgestellt werden. Somit scheint Migration die inklusive Beschulung im Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung dahingehend zu beeinflussen, als dass sowohl für die Schüler:Innen als auch das Schulsystem neue Chancen und Herausforderungen entstehen.
Offen bleibt ob und inwiefern Inklusion in Rheinland-Pfalz tatsächlich eine bessere Passung für migrationsspezifische Bedingungen aufweist. Dies müsste mit einem umfassenden Vergleich der inklusiven Settings der Bundesländer ergründet werden, der auch Faktoren wie Aspekte des Lehramtstudiums, politische Haltungen oder den Migrationsanteil der Schulen berücksichtigt. Da aktuell nur Daten zur Staatsangehörigkeit der Schüler:Innen veröffentlicht werden bleibt zudem unklar wie genau sich die statistischen Daten zu Schüler:Innen mit Migrationshintergrund tatsächlich ausgestalten. So bot der Vergleich von Inklusionsanteilen, Förderund Exklusionsquoten nur einen Einblick zur Teilgruppe der Ausländer:Innen. Wie es um die Repräsentation der Gesamtgruppe der Schüler:Innen mit Migrationshintergrund aussieht, kann daher nicht abschließend festgestellt werden. Auch wurde in der vorliegenden Studie lediglich die Perspektive der Lehrkräfte berücksichtigt. Sowohl in der Literatur als auch im empirischen Material konnte zudem ein starker Fokus auf die Eltern festgestellt werden. Vor allem vor dem Hintergrund der Selbstbestimmung zeigt sich also ein deutliches Forschungsdesiderat bzgl. der Schüler:Innenperspektive auf. Für die weitere Forschung müssten daher auch Wege gefunden werden, um Erkenntnisse zu den eigenen Ansichten der Schüler:Innen zu ihrer Beschulungsform und ihrem Migrationshintergrund zu generieren. Zudem könnte untersucht werden, inwiefern sich die Ansichten und das Wohlbefinden von Schüler:Innen des Förderschwerpunkts Ganzheitliche Entwicklung mit und ohne gleichzeitigem Migrationshintergrund unterscheiden. Dies ist auch dahingehend interessant, als dass das Phänomen der geistigen Behinderung nicht nur bei den Eltern sondern vor allem bei den Schüler:Innen zu einer geringeren Ausprägung des Habitus der Überlebenskunst zu führen scheint. In diesem Zusammenhang könnten auch außerschulische Aspekte der Teilhabe eine Rolle spielen.
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Anhang
A Vorläufiger Fragenkatalog
B Vollständiger Leitfaden
C Transkription der Interviews
D Kategorienübersicht
E Vollständige Auswertungstabelle
A Vorläufiger Fragenkatalog
A.1 Unsortierte Fragensammlung
Einstiegsfrage
(1) Wenn sie die Worte Migration und Inklusion gemeinsam hören, woran denken Sie?
(2) Woran denken Sie bei Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung?
(3) Ggf. vorziehen der Frage: Stellen Sie sich vor, in ihre Klasse kommt eine Schüler:In mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf?
1 Kommunikation
(4) Wie nehmen Sie die Kommunikation mit den Eltern wahr?
a. Können Sie eine Situation beschreiben?
b. Was muss ihrer Meinung nach verbessert werden?
c. Was sollte unbedingt beibehalten werden?
(5) Wie nehmen Sie die Kommunikation mit den Akteuren bei der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfes wahr?
a. Können Sie eine Situation beschreiben?
(6) Wie nehmen Sie die Kommunikation mit den Schüler:Innen wahr?
a. Können Sie eine Situation beschreiben?
(7) Wie nehmen Sie die Kommunikation zwischen den Schüler:Innen wahr?
a. Können Sie eine Situation beschreiben?
(8) Wie nehmen Sie das Vertrauen zwischen den Schüler:Innen wahr?
(9) Wie nehmen Sie das Vertrauen der Eltern gegenüber der Schule war ?
(10) Wie nehmen Sie das Vertrauen zwischen den Akteuren bei der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfes wahr?
(11) Wie nehmen Sie das Vertrauen zwischen den Akteuren des Förderungsprozesses wahr?
2 Mehrsprachigkeit
(12) Inwiefern wirkt sich die Mehrsprachigkeit von Schüler:Innen auf den Schullalltag aus?
(13) Inwiefern wirkt sich die Mehrsprachigkeit auf den Lernerfolg der Schüler:Innen aus?
(14) Wie gehen Sie mit Mehrsprachigkeit um?
(15) Wie gehen die Schüler:Innen untereinander mit Mehrsprachigkeit um?
(16) Inwiefern gehen Sie auf unterschiedliche Sprachniveaus ein?
(17) Wie gehen Sie an den Schriftspracherwerb von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund und FSP G ran?
a. Wie beeinflusst das zum Beispiel die UK?
b. Inwiefern hat es einen Einfluss, ob sie bereits eine andere Schriftsprache teils/voll- ständig beherrschen?
3 Lebenswelt
(18) Stellen Sie sich vor, in ihre Klasse kommt eine Schüler:In mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf?
a. Worauf freuen Sie sich?
b. Wovor haben Sie Respekt?
c. Welche Herausforderungen sehen Sie?
d. Wie bereiten Sie sich vor?
e. Wie gehen sie an die Förderung heran?
(19) Inwiefern unterscheidet sich die Lebenswelt von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund von der Lebenswelt der anderen Schüler:Innen?
(20) Inwiefern wird die Lebenswelt der Schüler: innen im Unterricht berücksichtigt?
(21) Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Vorkenntnissen um?
a. Insbesondere bei neu zugewanderten Schüler:Innen?
(22) Inwiefern nehmen Sie Ihre Schüler:Innen und ihre Familien als resilient wahr? Inwiefern als vulnerabel?
(23) Inwiefern setzen Sie sich mit der Lebenswelt der Schüler:Innen auseinander?
(24) Welche außerschulischen Themen sind relevant für Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt G?
(25) Welche außerschulischen Faktoren sind relevant für den Bildungserfolg Ihrer Schü- ler:Innen? (M)
(26) Inwiefern werden unterschiedliche Lebenslagen der Schüler:Innen berücksichtigt?
(27) Inwiefern spielt Individualisierung in Ihrer Schule eine Rolle?
(28) Inwiefern wird der fortlaufende Zweitspracherwerb schulisch begleitet?
a. Über die Fächer hinweg?
b. Über versch. Klassenstufen hinweg?
(29) Über welche Ressourcen verfügen die Schüler:Innen und Ihre Familien? / Welche Ressourcen können Sie bei den Schüler:Innen und ihren Familien beobachten?
(30) Inwiefern gehen die Familien anders mit dem FSP G um?
4 Homogenisierung und Heterogenität
(31) Inwiefern nehmen in Ihrer Schule Homogenisierungs- und Heterogenisierungspro- zesse wahr?
(32) Nehmen sie diese auch in ihren Klassen wahr?
(33) Beschreiben Sie Assimilationsprozesse, die Sie bei Ihren Schüler:Innen wahrnehmen? (M)
(34) Wie gehen Sie mit diskontinuierlichen Bildungsbiografien um?
(35) Inwiefern werden Anschlussmöglichkeiten für Schüler:Innen mit diskontinuierlichen Bildungsbiografien geboten?
(36) Inwiefern empfinden Sie die Gruppe ,,Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund als heterogen inwiefern als homogen?
(37) Was sind gewinnbringende Bedingungen für die Schüler:Innen ?
a. Inwiefern gibt es diese in der schule?
b. Was kann noch verändert werden?
5 Förderbedarf
(38) Welchen Förderbedarf sehen Sie bei Schüler:Innen mit Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung?
(39) Welche Voraussetzungen müssen bei einer inklusiven Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt G gegeben sein? -> inklusive Schule
(40) Wenn Sie sich ihre Schüler:Innen in einem inklusiven Setting vorstellen: welche Voraussetzungen müssen gegeben sein? -> Förderschule
a. Auf welche Potentiale muss man eingehen?
b. Welche Herausforderungen gibt es?
(41) Wo sehen Sie Vor- & Nachteile im Vergleich zur Beschulung an Förderschulen?
(42) Können Sie beschreiben wo Sie einen primären Förderbedarf sehen und warum?
a. Wo sollte man anknüpfen?
b. Wo würden Sie anfangen?
(43) Können Sie beschreiben, inwiefern sich der Förderbedarf von dem anderer Schüler:In- nen unterscheidet?
(44) Inwiefern müssen Sie an den Förderbedarf anders herangehen als sonst?
(45) Welche Ressourcen nehmen Sie bei den Schüler:Innen und Ihren Familien wahr?
(46) Welche Herausforderungen nehmen Sie bei den Schüler:Innen und Ihren Familien wahr?
(47) Inwiefern unterscheiden sich die schulischen Bedingungen der SuS mit Migrationshintergrund und FSP G von denen anderer SuS?
(48) Inwiefern werden informelle und formelle Bildung miteinander verbunden?
a. Inwiefern werden (vorhandene) informelle Bildungsressourcen gefördert?
b. Inwiefern werden (vorhandene) formelle Bildungsressourcen gefördert?
6 Diskriminierung
(49) Inwiefern nehmen Sie (in Ihrem Klassenraum) Diskriminierung oder Mobbing wahr, das auf Schüler:Innen mit Migrationshintergrund abzielt?
(50) Inwiefern gehen Sie in der Schule gegen Diskriminierung und Rassismus vor?
(51) Inwiefern beugen Sie Diskriminierung vor?
(52) Inwiefern unterscheidet sich Diskriminierung an Förderschulen und an Schwerpunktschulen?
A.2 Vorsortierter Fragenkatalog
Forschungsfrage: Inwiefern nimmt Migration Einfluss auf die inklusive Beschulung von Schü- ler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung?
A Lebenswelt
(1) Woran denken Sie bei Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung?
(2) Stellen Sie sich vor, in ihre Klasse kommt eine Schüler:In mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf?
o Worauf freuen Sie sich?
o Welche Herausforderungen sehen Sie?
o Wie bereiten Sie sich vor?
(3) Inwiefern unterscheidet sich die Lebenswelt von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund von der Lebenswelt der anderen Schüler:Innen?
(4) Welchen Förderbedarf sehen Sie bei Schüler:Innen mit Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung?
(5) Beschreiben Sie, wo Sie einen primäre Förderbedürfnisse sehen und warum.
o Wo sollte man anknüpfen?
o Wo würden Sie anfangen?
(6) Beschreiben Sie, inwiefern sich der Förderbedarf von dem anderer Schüler:Innen unterscheidet?
(7) Inwiefern unterscheiden sich die schulischen Bedingungen der SuS mit Migrationshintergrund und FSP G von denen anderer SuS?
(8) Inwiefern müssen Sie an den Förderbedarf anders herangehen als sonst?
(9) Wie gehen Sie mit diskontinuierlichen Bildungsbiografien um?
B Ressourcen und Bedürfnisse
(10) Inwiefern nehmen Sie Ihre Schüler:Innen und ihre Familien als resilient wahr? Inwiefern als vulnerabel?
(11) Welche außerschulischen Themen sind relevant für Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt G?
(12) Welche außerschulischen Faktoren sind relevant für den Bildungserfolg Ihrer Schü- ler:Innen?
(13) Welche Ressourcen können Sie bei den Schüler:Innen und ihren Familien beobachten?
(14) Welche Herausforderungen nehmen Sie bei den Schüler:Innen und Ihren Familien wahr?
(15) Inwiefern gehen die Familien anders mit dem FSP G um?
(16) Inwiefern wirkt sich die Mehrsprachigkeit von Schüler:Innen auf den Schullalltag aus?
(17) Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Vorkenntnissen um?
o Insbesondere bei neu zugewanderten Schüler:Innen?
(18) Inwiefern spielt Individualisierung in Ihrer Schule eine Rolle?
(19) Wie gehen Sie mit Mehrsprachigkeit um?
(20) Inwiefern gehen Sie auf unterschiedliche Sprachniveaus ein?
C Schulsetting
(21) Was sind gewinnbringende Bedingungen für die Schüler:Innen ?
o Inwiefern gibt es diese in der schule?
o Was kann noch verändert werden?
(22) Inwiefern werden informelle und formelle Bildung miteinander verbunden?
o Inwiefern werden (vorhandene) informelle Bildungsressourcen gefördert?
o Inwiefern werden (vorhandene) formelle Bildungsressourcen gefördert?
(23) Schwerpunktschullehrkräfte: Welche Voraussetzungen müssen bei einer inklusiven Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt G gegeben sein?
(24) Förderschullehrkräfte: Wenn Sie sich ihre Schüler:Innen in einem inklusiven Setting vorstellen: welche Voraussetzungen müssen gegeben sein?
o Auf welche Potentiale muss man eingehen?
o Welche Herausforderungen gibt es?
(25) Wo sehen Sie Vor- & Nachteile im Vergleich zur Beschulung an Förderschulen?
Aussortierte Fragen
I Mögliche Reproduktion bisheriger Ergebnisse, da zu konkrete Aspekte abgefragt werden
(1) Wie nehmen Sie die Kommunikation mit den Akteuren bei der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfes wahr?
o Können Sie eine Situation beschreiben?
(2) Wie nehmen Sie das Vertrauen zwischen den Akteuren des Förderungsprozesses wahr?
(3) Inwiefern nehmen in Ihrer Schule Homogenisierungs- und Heterogenisierungsprozesse wahr?
(4) Nehmen sie diese auch in ihren Klassen wahr?
(5) Beschreiben Sie Assimilationsprozesse, die Sie bei Ihren Schüler:Innen wahrnehmen?
(6) Inwiefern werden unterschiedliche Lebenslagen der Schüler:Innen berücksichtigt?
(7) Inwiefern wird die Lebenswelt der Schüler: innen im Unterricht berücksichtigt?
(8) Inwiefern setzen Sie sich mit der Lebenswelt der Schüler:Innen auseinander?
(9) Inwiefern werden Anschlussmöglichkeiten für Schüler:Innen mit diskontinuierlichen Bildungsbiografien) geboten?
(10) Inwiefern wird der fortlaufende Zweitspracherwerb schulisch begleitet?
o Über die Fächer hinweg?
o Über versch. Klassenstufen hinweg?
II Zu weit weg von Forschungsfrage
(11) Wenn sie die Worte Migration und Inklusion gemeinsam hören, woran denken Sie?
(12) Wie nehmen Sie das Vertrauen zwischen den Schüler:Innen wahr?
(13) Wie nehmen Sie das Vertrauen der Eltern gegenüber der Schule war ?
(14) Wie nehmen Sie das Vertrauen zwischen den Akteuren bei der Feststellung des son
derpädagogischen Förderbedarfes wahr?
(15) Inwiefern gehen Sie in der Schule gegen Diskriminierung und Rassismus vor?
(16) Inwiefern beugen Sie Diskriminierung vor?
(17) Inwiefern nehmen Sie (in Ihrem Klassenraum) Diskriminierung oder Mobbing wahr, das auf Schüler:Innen mit Migrationshintergrund abzielt?
(18) Inwiefern unterscheidet sich Diskriminierung an Förderschulen und an Schwerpunktschulen?
(19) Wie nehmen Sie die Kommunikation mit den Eltern wahr?
o Können Sie eine Situation beschreiben?
o Was muss ihrer Meinung nach verbessert werden?
o Was sollte unbedingt beibehalten werden?
(20) Wie nehmen Sie die Kommunikation mit den Schüler:Innen wahr?
o Können Sie eine Situation beschreiben?
(21) Wie nehmen Sie die Kommunikation zwischen den Schüler:Innen wahr?
o Können Sie eine Situation beschreiben?
III Priorisierung anderer Aspekte
(22) Inwiefern empfinden Sie die Gruppe ,,Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund als heterogen inwiefern als homogen?
(23) Inwiefern wirkt sich die Mehrsprachigkeit auf den Lernerfolg der Schüler:Innen aus?
(24) Wie gehen Sie an den Schriftspracherwerb von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund und FSP G ran?
o Wie beeinflusst das zum Beispiel die UK?
o Inwiefern hat es einen Einfluss, ob sie bereits eine andere Schriftsprache teils/voll- ständig beherrschen?
(25) Wie gehen die Schüler:Innen untereinander mit Mehrsprachigkeit um?
B Vollständiger Interviewleitfaden
Interviewleitfaden - Inklusion und Migration - Chancen und Herausforderungen
Forschungsfrage: Inwiefern nimmt Migration Einfluss auf die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung?
Einstiegsfrage (Kategorie A Lebenswelt): 00:00 Min.
(1)Stellen Sie sich vor, in ihre Klasse kommt eine Schüler:In mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf?
• Worauf freuen Sie sich?
• Welche Herausforderungen sehen Sie?
• Wie bereiten Sie sich vor?
• Inwiefern unterscheidet sich die Lebenswelt von Schülerinnen mit Migrationshintergrund und FSPG von der Lebenswelt der anderen Schüler:Innen?
Kategorie A Lebenswelt: 7:30 Min.
(2)Beschreiben Sie wie Sie an die ganzheitliche Förderung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und FSP G herangehen.
• Wo sehen Sie primäre Förderbedürfnisse und warum?
• Inwiefern hat der Migrationshintergrund einen Einfluss auf die Förderung im FSP G?
o z.B. Unterstützte Kommunikation
• Wie gehen Sie mit diskontinuierlichen Bildungserfahrungen um? (SuS mit eigener Migrationserfahrung)
• Inwiefern wirkt sich der mehrsprachige Hintergrund auf den Schullalltag aus?
Kategorie B Ressourcen und Herausforderungen 15:00 Min.
(3)Beschreiben Sie welche Ressourcen und Herausforderungen Sie bei den Schüler:Innen und ihren Familien beobachten können.
• Inwiefern nehmen Sie die Schülerinnen und Familien als resilient wahr?
• Inwiefern nehmen Sie die Schülerinnen und Familien als vulnerabel wahr?
• Inwiefern gehen die Familien anders mit dem FSP G um?
• Welche außerschulischen Aspekte sind für Schülerinnen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung relevant?
Kategorie C Schulsetting 22:30 Min.
(4)(Förderschullehrkräfte) Wenn Sie sich Ihre Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und FSP G in einem
inklusiven Setting vorstellen: Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein?
• Auf welche Potentiale muss man eingehen?
• Welche Herausforderungen gibt es?
• Wo sehen Sie Vor- & Nachteile im Vergleich zur Beschulung an Förderschulen?
• Welche Veränderungen wünschen Sie sich?
(5)(Schwerpunktschullehrkräfte) Wenn Sie auf Ihre bisherigen Erfahrungen zurückblicken: Welche Voraussetzungen müssen bei einer inklusiven Beschulung von Schüler:Innen mit gleichzeitigem Migrationshintergrund und Förderschwerpunkt G gegeben sein?
• Auf welche Potentiale muss man eingehen?
• Welche Herausforderungen gibt es?
• Wo sehen Sie Vor- & Nachteile im Vergleich zur Beschulung an Förderschulen?
• Welche Veränderungen wünschen Sie sich?
Abschlussfrage: Ist Ihnen noch irgendetwas wichtig, das noch nicht angesprochen wurde? 30:00 Min.
Aufrechterhaltungsfragen:
• Wie war das für Sie?
• Können Sie mir das etwas genauer beschreiben?
• Wie ging es dann weiter?
• Und dann?
Steuerungsfragen:
• Können Sie vielleicht ein Beispiel nennen?
• Können Sie mir das ausführlicher beschreiben?
• Mich würde noch interessieren ob:...
C Transkription der Interviews
C.1 Interview 1
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
C.2 Interview 2
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
C.3 Interview 3
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
C.4 Interview 4
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
C.5 Interview 5
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
D Kategorienübersicht
D.1 Kategorien insgesamt
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
D.2 Kategorien des Themengebiets (C) Schulsetting
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
E Vollständige Auswertungstabelle der Interviews
[...]
Häufig gestellte Fragen
Was ist das Hauptthema des Dokuments "Inklusion und Migration - Chancen und Herausforderungen"?
Das Dokument untersucht den Einfluss von Migration auf die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit dem Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung. Es werden Chancen und Herausforderungen beleuchtet.
Was sind die Hauptbestandteile dieses Dokuments?
Das Dokument umfasst ein Inhaltsverzeichnis, Abbildungsverzeichnis, Tabellenverzeichnis, Einleitung, methodisches Design, theoretische Grundlagen (inkl. Inklusion im Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung und das Phänomen Migration), empirischer Teil, Ergebnisse, Fazit, Literaturverzeichnis und einen Anhang.
Was sind die Kerndefinitionen im Dokument?
Das Dokument definiert Kernbegriffe wie "Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung," "Inklusion," "Migration," "Migrant:In," und "Mensch mit Migrationshintergrund." Es wird auch auf verschiedene Modelle von Behinderung eingegangen (medizinisches, soziales, kulturelles, ICF-Modell).
Welche Forschungsmethoden werden im Dokument verwendet?
Das Dokument verwendet qualitative Forschungsmethoden, insbesondere Leitfadeninterviews, um Daten zu sammeln. Die Interviews werden transkribiert und einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen.
Was ist der Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung?
Der Begriff „Förderschwerpunkt Ganzheitliche Entwicklung“ stellt eine für Rheinland-Pfalz spezifische Abwandlung des von der Kultusministerkonferenz definierten „Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung“ dar. Hintergrund dieser Namensvariante ist das rheinland-pfälzische Schulkonzept der ganzheitlichen Entwicklungsförderung von Schüler:Innen mit geistiger Behinderung.
Welche Rolle spielt die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Kontext von Inklusion und Migration?
Die UN-BRK verpflichtet Deutschland dazu, allen Menschen, einschließlich Menschen mit Behinderung und solchen mit Migrationshintergrund, eine Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Artikel 24 der UN-BRK sichert allen Schüler:Innen mit und ohne Behinderung eine inklusive Beschulung zu.
Welche Erkenntnisse liefert das Dokument über die Überrepräsentation von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund in der sonderpädagogischen Förderung?
Das Dokument verweist auf die Überrepräsentation von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund in der sonderpädagogischen Förderung, insbesondere an Förderschulen. Es wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass die inklusiven Angebote in Rheinland-Pfalz möglicherweise eine bessere Passung für diese Schüler:Innen aufweisen.
Was ist die VUCA-Welt und welche Bedeutung hat sie im Kontext der Inklusion von Menschen mit Behinderung?
Die VUCA-Welt (Volatile, Uncertain, Complex, Ambiguous) beschreibt die aktuelle Arbeitswelt als volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig. Diese Bedingungen stellen zusätzliche Herausforderungen für die Inklusion von Menschen mit Behinderung dar, da sie den Anpassungsdruck erhöhen.
Welche Modelle des interkulturellen Lernens werden im Dokument verglichen?
Das Dokument vergleicht verschiedene Modelle des interkulturellen Lernens, wie die von Bennett und Leenen und Grosch. Zudem werden die Modelle in Bezug zu den von Auernheimer als Stufen modellierten Zielsetzungen interkultureller Pädagogik nach Nieke gesetzt.
Welche Handlungsfelder werden für die inklusive Beschulung von Schüler:Innen mit Migrationshintergrund identifiziert?
Die Handlungsfelder umfassen Schulstruktur, Lehrkräftebildung sowie Didaktik und Unterrichtsinhalte. Diese gilt es nun zu Beleuchten.
- Quote paper
- Jana Beyer (Author), 2023, Inklusion und Migration an der Schule. Eine qualitative Analyse zur Eignung des deutschen Schulsystems für die großen Herausforderungen der heutigen Zeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1496197