Auf der Suche nach den Wurzeln der neuhochdeutschen Schriftsprache

Entstehungsthesen unter besonderer Beachtung der Frings-These


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. DIE.WIEGE’DER NEUHOCHDEUTSCHEN SCHRIFTSPRACHE

2. ENTSTEHUNGSTHESEN DER NEUHOCHDEUTSCHEN SCHRIFTSPRACHE
2.1. ÄLTEREFORSCHUNGSMEINUNGEN
2.1.1. MÜLLENHOFFS KONTINUITÄTSTHEORIE VON
2.1.2. BURDACHS PRAG-THESE VON
2.1.3. DER ÜBERGANG ZUR FRINGS-THESE
2.2. DIE FRINGS-THESE
2.2.1. ZUR PERSON DES GERMANISTEN THEODOR FRINGS
2.2.2. DIE DEUTSCHE OSTKOLONISATION UND SPRACHLICHER AUSGLEICH
2.2.3. AUßERSPRACHLICHE KRITERIEN
2.2.4. SPRACHLICHE ARGUMENTE
2.2.5. KRITISCHE BETRACHTUNG
2.3. FORSCHUNGSANSICHTEN IN DEN 1950ER BIS 1980ER JAHREN
2.4. HAUPTTENDENZENDERNEUERENFORSCHUNG

3. DER HARTNÄCKIGE BEIGESCHMACK DES SPEKULATIVEN

4. ANHANG

5. BIBLIOGRAFIE

1. DIE ,WIEGE’ DER NEUHOCHDEUTSCHEN SCHRIFTSPRACHE

Neuhochdeutsch bezeichnet den neueren und neuesten hochdeutschen Sprachzustand. Diesem ging die Schreibsprache des Frühneuhochdeutschen voraus. Obwohl der Terminus Frühneuhochdeutsch eine Einheitlichkeit von geschriebener und gesprochener Sprache suggeriert, handelte es sich um eine Schreibsprache in einer Zeit des Übergangs, der etwa von 1350 bis 1650 stattfand, dass heißt zwischen Spätmittelalter und Dreißigjährigem Krieg. Charakterisierend für diese Periode war eine vielfältige Schreibdialektlandschaft, aber auch, dass diese Vielfalt im Übergang zum Neuhochdeutschen zu Gunsten einer verhältnismäßig einheitlichen Schriftsprache aufgegeben wurde.[1] Im Vergleich zu den Schriftsprachen anderer Nationen hat sich die neuhochdeutsche Schriftsprache recht spät entwickelt. Eine der Hauptursachen dafür stellte die plurizentrische Struktur und die Konkurrenz mehrerer Zentren im deutschen Sprachgebiet dar. Demzufolge war keine politische, kulturelle und wirtschaftliche Einheit gegeben. Aufgrund dessen kann man im gesamten Mittelalter und sogar noch im 15. Jahrhundert von einer „grundsätzlichen territorialen Begrenztheit aller deutschsprachigen Schreibprodukte“[2] sprechen. Da dennoch die Notwendigkeit, überregional zu kommunizieren, bereits im Mittelalter immer akuter wurde, vollzog sich ein vereinheitlichender Prozess.

Wie vollzog sich nun dieser langwierige schriftliche Einigungsprozess, der sich sehr kompliziert entwickelt haben muss?

Ziel dieser Arbeit ist es, die sich teilweise sehr stark widersprechenden Theorien über diese Vereinheitlichung der Schriftsprache und die Entstehung des Neuhochdeutschen zu untersuchen. Wo war die ,Wiege’ der neuhochdeutschen Schriftsprache, und wer sind die möglichen ,Schöpfer’ und fördernden Instanzen gewesen? In Kapitel 2.1. erfolgt zunächst eine Skizze der älteren Forschungsmeinungen von MÜLLENHOFF und BURDACH aus dem 19. Jahrhundert. Den Schwerpunkt dieser Arbeit soll die Frings-These aus den 1930er Jahren darstellen, zumal diese in mehr oder weniger modifizierter Form lange Zeit immer wieder vorgetragen wurde und für die Sprachgeschichtsforschung sehr bedeutend war. Demzufolge widmet sich Kapitel 2.2. dem Inhalt seiner ,Siedelraumtheorie’, FRINGS Argumenten sowohl auf außersprachlicher als auch sprachlicher Ebene und möglichen Kritikpunkte an seinem Konzept. Abschließend erfolgt ein kurzer Überblick über Thesen nach FRINGS bis zur neueren Forschung. Dabei soll weiterhin die Überlegung im Auge behalten werden, ob das Meißnische Deutsch der Neuhochdeutschen Schriftsprache Modell gestanden haben könnte?

2. ENTSTEHUNGSTHESEN DER NEUHOCHDEUTSCHEN SCHRIFTSPRACHE

2.1. ÄLTERE FORSCHUNGSMEINUNGEN

2.1.1. MÜLLENHOFFS KONTINUITÄTSTHEORIE VON 1863

Der deutsche Philologe Karl Viktor MÜLLENHOFF entwickelte im Jahre 1863 die Kontinuitätsthese. Diese vertritt die Meinung, die Entwicklung der deutschen Schriftsprache seit althochdeutscher Zeit bis ins 16. Jahrhundert sei an die jeweiligen kaiserlichen Machtzentren gebunden gewesen[3]. Er sah die karolingische Hofsprache als erste Stufe einer übermundartliche Gemeinsprache, die auf dem Rheinfränkischen basierte, und von Kaiserhaus zu Kaiserhaus[4] variiert tradiert worden sei: „Vom Hofe Karls d. Großen in Aachen (um 800) über die Staufer in Schwaben (um 1200), die Luxemburger in Prag (um 1350) zu den Habsburgern in Wien (15.Jh.).“[5]

Folgende Argumente sprechen laut Jochen BÄR[6] gegen MÜLLENHOFFS These: Erstens berücksichtigte er die fehlende deutschsprachige Überlieferung des 10. Jahrhunderts nicht. Er verlegte außerdem die Anfänge einer überregionalen Schriftsprache in das 9. Jahrhundert zurück, was kritikwürdig ist. Zweitens konnte ein „Hochsprache“ damals weder sozialschichtig noch räumlich weit verbreitet sein, da nur wenige Schreiber in bestimmten Regionen gemäß MÜLLENHOFFS „Schreibnorm“ schreiben konnten oder dieser nahe kamen. Daher ist dessen Vorstellung von einer „sprache des höheren lebens“[7] höchst zweifelhaft. Drittens erscheint der jüngeren Forschung eine schriftsprachliche Einigung unter den plurizentrischen Bedingungen der deutschsprachigen Lande unwahrscheinlich.[8] Dennoch sind seine Ansätze, Sprachentwicklung mit bestimmten Herrscherhäusern in Verbindung zu bringen, und Machtzentren zum Teil auch als kulturelle Zentren als einflussreicher und vorbildhafter einzustufen, nicht zu verachten.

Mit MÜLLENHOFFS Theorie war eine mehr als 140 Jahre währende Suche nach der ,Wiege’ des Neuhochdeutschen eingeleitet.[9]

2.1.2. BURDACHS PRAG-THESE VON 1884

Gegen 1900 propagierte Konrad BURDACH ein Erklärungsmodell, dass einige Aspekte der MÜLLENHOFFschen These aufgriff. Nach seiner 1884 entwickelten These hat das humanistische Kanzleideutsch in Prag um Karl IV., das heißt an dessen Hof und in dessen Kanzlei, beachtlichen Einfluss auf alle bedeutenden Kanzleien ausgeübt.[10] Von dort aus soll es sich nach Westen und Norden verbreitet haben und auch an die Meißnische Kanzlei der Wettiner gelangt sein. Er erweiterte seine Fragestellungen im Vergleich zu MÜLLENHOFF auf die Geistes- und Kulturgeschichte, da er die deutsche Schriftsprache als Amts- und Verwaltungssprache, aber zusätzlich in ihrer Entwicklung zur Kultur- und Geistessprache beschreibt. Auch setzt der der Kontinuitätsthese einen historisch genauen Zeitpunkt der Entstehung der Schriftsprache Neuhochdeutsch entgegen.

Er erkannte bereits, dass sich eine Mundart kaum zu einer Kultursprache erheben kann. Auch wenn dessen Konzept weitaus wohlwollender als MÜLLENHOFFS These angenommen wurde, kritisierte man jedoch einige Teile seiner Argumentation. Dem schreibsprachlichen Ausgleich, der in der Kanzlei Karl IV. stattgefunden haben soll, fehlte es an einer breiten schreibsprachlichen Grundlage, da dieser wohl schwer aus semantisch beschränkten Bereich der Schreibstuben heraus stattgefunden haben kann.[11] [12]

2.1.3. DER ÜBERGANG ZUR FRINGS-THESE

„Gemeinsam war allen diesen Forschungsthesen die Bindung des Entstehungsprozesses an die Schriftlichkeit (...).[13] “ Dem widersprach zuerst Emil A. GUTJAHR Anfang des 20. Jahrhunderts, der bereits 20 Jahre früher das Wesentliche der FRINGschen These vorwegnahm. Wie später FRINGS vertritt er die These von einer Art kolonialen Ausgleichssprache und beschreibt die Entwicklung als ,von unten nach oben’: „nachhaltige Wandlungen, welche die Hoch- und Schriftsprache erfährt, vollziehen sich zuerst und zunächst in der Mundart.“[14] Max Hermann JELLINEK (1935), Ernst SCHWARZ (1936) und Erich SCHMITT (1936) gehörten in der Folgezeit zu den Sprachgeschichtsforschern die sich von BURDACH abwendeten. Ihre Konzepte bilden inhaltlich eine Zeit des Übergangs zur sogenannten Frings-These.[15]

2.2. DIE FRINGS-THESE

2.2.1. ZUR PERSON DES GERMANISTEN THEODOR FRINGS

Der Germanist Theodor FRINGS wurde 1886 im niederrheinischen Dülken bei Krefeld geboren, promovierte 1911 in Marburg, und war nach seiner Tätigkeit als Professor für deutsche und niederländische Philologie seit 1927 Professor für Germanistik in Leipzig, wo er 1968 auch starb. Er entwickelte 1936 eine für die Sprachgeschichtsforschung bedeutende These, die sogenannte Frings-These. Mit Hilfe von sprachgeographischen Befunden des späten 19. Jahrhunderts wollte er nachweisen, daß die neuhochdeutsche Schriftsprache ,eine Schöpfung des Volkes, nicht des Papiers und des Humanismus’[16] sei. Um den Inhalt seiner ,Siedelraumthese’ zu verdeutlichen, soll eine Skizze der Siedlungsgeschichte dienen.

2.2.2. DIE DEUTSCHE OSTKOLONISATION UND SPRACHLICHER AUSGLEICH

„Die Deutschen Stämme erscheinen auf einem verhältnismäßig schmalen Streifen zwischen Romanen und Slawen eingeengt“[17], so FRINGS über die Lage des deutschen Sprachgebietes bis zum 10. Jahrhundert.

Die slawischen Stämme hatten sich etwas bis zur Linie „Kiel - Lauenburg - Uelzen - Magdeburg - Jena - Bamberg - Bayrischer Wald - Ennstal - Hohe Tauern - oberes Drautal“[18] angesiedelt. Im Gegensatz zu den Karolingern, die sich stets um die Grenzsicherung gegenüber den Slawen bemühten, versuchten die Sachsenkönige Heinrich I. und Otto I. im 10. Jahrhundert, ihren Einfluss auf das östlich der Saale gelegene Gebiet zu erweitern. Ein Netz von Burgbezirken wurde nach und nach zur militärischen Sicherung errichtet.[19]

Die eigentliche Ostkolonisation setzte um 1100 ein. Etwa seit diesem Zeitpunkt verstärkte sich der Zustrom deutscher Siedler in das Gebiet östlich der Elbe-Saale-Linie immer mehr und das deutsche Sprachgebiet vergrößerte sich, bis zwischen 1150 und 1200 die deutsche Ostexpansion schließlich ihren Höhepunkt erreichte.[20]

[...]


[1] Vgl. KÖNIG, Werner: Dtv-Atlas zur deutschen Sprache. Tafeln und Texte (= 30251, München (Dt. Taschenbuch­Verlag) 199410, S. 91.

[2] BESCH, Werner: „Die Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache“, in: Ders./ SONDEREGGER, Stefan (u.a.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Forschung, Bd. 2 (Reihe: Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.2), Berlin (u.a.) (de Gruyter) 1985, S. 1781.

[3] Vgl. WEGERA, Klaus-Peter (Hrsg.): Die Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache (Dokumentation Germanistischer Forschung, Bd. 7), Frankfurt am Main (u.a.) (Peter Lang) 20072, S. 13.

[4] Vgl. SCHÜTZEICHEL, Rudolf: „Zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache“ (1967), in: WEGERA, Klaus-Peter (Hrsg.): Die Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache (Dokumentation Germanistischer Forschung, Bd. 7), Frankfurt am Main (u.a.) (Peter Lang) 20072, S. 235.

[5] POLENZ, Peter von (Hrsg.): Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. (Einführung. Grundbegriffe. 14. bis 16. Jahrhundert, Bd. 1), Berlin (u.a.) (de Gruyter) 20002, S. 161.

[6] BÄR, Jochen A. (2006): „Thesen zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache“ (Teil 1), in: www.rzuser.uni-heidelberg.de/~cg3/beitraege/Thesen-Nhd-1.doc, 17:39, 21.05.08.

[7] BESCH 1985, S. 1784.

[8] Vgl. Ebd., S. 1784.

[9] Ein weiterer Verfechter dieser These in der Bismarckzeit war Wilhelm SCHERER.

[10] POLENZ 2000, S. 161.

[11] Vgl. BESCH 1985, S. 1786.

[12] Vgl. BÄR, Jochen A. (2006), in: www.rzuser.uni-heidelberg.de/~cg3/beitraege/Thesen-Nhd-1.doc, 17:39,

21.05.08.

[13] MATTHEIER, KLAUS J.: „Wege und Umwege zur neuhochdeutschen Schriftsprache“, in: Zeitschrift für germanistische Linguistik, Berlin (u.a.) (de Gruyter) 9/1981, S. 274.

[14] zitiert nach GUTJAHR 1910, in: WEGERA 2007, S. 14.

[15] Vgl. WEGERA, S. 14.

[16] Zitiert nach FRINGS 1936, in: POLENZ 2000, S. 161.

[17] FRINGS, Theodor: „Die Grundlagen des Meißnischen Deutsch“ (1936), in: WEGERA, Klaus-Peter (Hrsg.): Die Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache (Dokumentation Germanistischer Forschung, Bd. 7), Frankfurt am Main (u.a.) (Peter Lang) 20072, S. 151.

[18] POLENZ 2000, S. 276.

[19] Die Existenz der Markgrafschaften Merseburg, Zeitz und Meißen belegt ein Zeugnis von 968. Vgl. VAN DER ELST, Gaston: „Siedlungsbewegungen und Sprachentwicklung im ostmitteldeutschen Raum“, in: BESCH / SONDEREGGER, Stefan (u.a.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Forschung, Bd. 2 (Reihe: Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.2), Berlin (u.a.) (de Gruyter) 1985, S. 1389.

[20] Vgl. ebd., S. 1389.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Auf der Suche nach den Wurzeln der neuhochdeutschen Schriftsprache
Untertitel
Entstehungsthesen unter besonderer Beachtung der Frings-These
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Germanistik)
Veranstaltung
Hauptseminar "Das Obersächsische in Geschichte und Gegenwart"
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
19
Katalognummer
V149725
ISBN (eBook)
9783640607112
ISBN (Buch)
9783640606955
Dateigröße
717 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theodor Frings, Müllenhoff, Burdach, deutsche Ostkolonisation, Forschung 50er - 80er Jahre, Neuere Forschung, Spekulationen
Arbeit zitieren
Referendarin Marika Loos (Autor:in), 2008, Auf der Suche nach den Wurzeln der neuhochdeutschen Schriftsprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149725

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