Der ethnographische Film in Deutschland steckte lange in einem „doppelten Rechtfertigungsdilemma“: Die Forschung bestritt „Wissenschaftlichkeit“, die Filmwelt sprach ihm nennenswerte filmische Qualitäten ab. Das klassische Konzept des Göttinger Instituts für Wissenschaftlichen Film (IWF) stellte an den wissenschaftlichen Film dieselben Anforderungen wie an einen wissenschaftlichen Text. Eine eigenständige wissenschaftliche Qualität wurde dem filmischen Medium abgesprochen: Er war im besten Fall Beiwerk, das den wissenschaftlichen Text illustrieren und dessen Beweiskraft erhöhen soll.
Dabei wurde übersehen, das die besondere Qualität filmischer Bilder und filmischen Erzählens gerade nicht in ihrer empirisch überprüfbaren „Objektivität“, sondern in ihrer Fähigkeit liegt, emotional zu berühren - und damit einen Teil der Wirklichkeit zu repräsentieren, den Wissenschaftler aus ihrer Betrachtung gerne auszuklammern behaupten. Emotionen sind individuell und nicht objektivierbar. Filme entziehen sich einer eindeutigen, verbalisierbaren und verifizierbaren Interpretation.
Das vorliegende wissenschaftliche Essay zeichnet die lange Zeit von Verhaltensforschers und Museumsethnologen dominierte Debatte um den wissenschaftlichen Film in Deutschland nach. Es widmet sich den Grenzbereichen zwischen Wissenschaft und Kunst und den Potentialen des Mediums Film für die wissenschaftliche Lehre, bis hin zur Frage: Wie ethnographisch ist Hollywood?
Der eigentliche Film, das wusste schon Hitchcock, entsteht im Kopf.
Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- Kleine Geschichte des Sehens
- Der ethnographische Film in Deutschland
- Die Göttinger Schule
- Gegenbewegungen
- Thesen Schlumpf
- Reaktionen auf Kritik durch das IWF
- Diskurs: Kunst und Wissenschaft
- Lösungsvorschläge und Ausblick
- Schlussbemerkung: Wortpoeten - Bildpoeten
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Entwicklung des ethnographischen Films in Deutschland, insbesondere die Göttinger Schule und ihre Auseinandersetzung mit der Kritik des Instituts für den Wissenschaftlichen Film (IWF). Ziel ist es, die Spannungen zwischen wissenschaftlicher Objektivität und filmischer Gestaltung aufzuzeigen und die Herausforderungen der Vermittlung von Kultur durch das Medium Film zu beleuchten.
- Die Geschichte des Sehens und die Konstruktion des "Fremden"
- Der ethnographische Film als Medium der Kulturvermittlung
- Die Göttinger Schule und ihre spezifische filmische Praxis
- Die Kritik des IWF und die Debatte um wissenschaftliche Objektivität
- Der Einfluss von Kunst und Wissenschaft auf den ethnographischen Film
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und beleuchtet die historische Entwicklung des "Sehens" als Konstruktion von Fremdbildern. Sie thematisiert die Rolle des ethnographischen Films in der Vermittlung kultureller Unterschiede und die Herausforderungen, die mit dem Medium Film verbunden sind.
Das zweite Kapitel widmet sich dem ethnographischen Film in Deutschland und der Göttinger Schule, einem wichtigen Zentrum für ethnographische Filmpraxis. Es werden die spezifischen Merkmale der Göttinger Schule und ihre Auseinandersetzung mit dem IWF vorgestellt.
Im dritten Kapitel wird die Debatte um Kunst und Wissenschaft im Kontext des ethnographischen Films beleuchtet.
Schlüsselwörter
Ethnographischer Film, Göttinger Schule, Institut für den Wissenschaftlichen Film (IWF), Kulturvermittlung, Wissenschaftlichkeit, Kunst, Fremdbilder, Objektivität, Filmsprache.
- Arbeit zitieren
- Clemens Grün (Autor:in), 2003, Big Brother in der Südsee - Antonin Artaud und der Mythos des Sehens oder Vergesst das IWF! - Die Debatte um den wissenschaftlichen Film in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14981