Die politischen Auswirkungen der Wahlrechtsreform in Neuseeland von 1993


Hausarbeit, 2009

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Wahlsystemreform von 1993
2.1 Das neuseelandische Wahlsystem bis 1993
2.2 Der Reformprozess
2.3 Das neuseelandische Wahlsystem seit 1996

3. Auswirkungen auf das politische System
3.1 Parteisystemeffekt
3.2 Wahlkreisorientierungseffekt
3.3 Strategieeffekt

4. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Inselstaat Neuseeland ist eine ehemalige Kolonie GroBbritanniens, sudostlich von Australien im pazifischen Ozean gelegen. Ursprunglich von den indigenen Maori bewohnt, siedelten sich in der Kolonialzeit mehr und mehr Europaer im Land an und beeinflussten so entscheidend die Kultur. Deshalb wurde 1853 auch in Neuseeland das britische Wahlsystem mit der relativen Mehrheitswahl eingefuhrt, wobei es nach und nach Sonderrechte fur die Maori gab. Seit seiner Unabhangigkeit 1947 ist das Land Mitglied im Commonwealth of Nations und wird weiterhin stark von Einflussen aus GroBbritannien gepragt. Nicht umsonst ist Queen Elizabeth II. noch immer das Staatsoberhaupt von Neuseeland (http://www.nzhistory.net.nz). Doch 1993 kam es zu einem starken Einschnitt, denn man entschied sich nach langerer Diskussion in der Bevolkerung fur eine Abschaffung des Mehrheitswahlsystems und fuhrte eine Wahlsystemreform durch, an deren Ende 1996 die Einfuhrung eines gemischten Wahlsystems, der personalisierten Verhaltniswahl stand. Gemischte Wahlsysteme sind eine Verbindung von mehr oder weniger vielen Elementen von Mehrheits- und Verhaltniswahlsystemen. Dabei gibt es jedoch viele verschiedene Bezeichnungen in den Politikwissenschaften fur diesen Begriff. Nohlen spricht von kombinierten Wahlsystemen, Kaiser von gemischten Wahlsystemen (eben nicht nur eine Kombination, sondern es gibt verschiedene Mischverhaltnisse) und in der internationalen Politikwissenschaft ist von mixed systems die Rede.

Es gibt drei Grunde, warum gemischte Wahlsysteme von Interesse fur die vergleichende Politikwissenschaft sind.

1. Attraktive Reformoption: In der Politikwissenschaft ging man lange Zeit davon aus, dass Wahlsysteme stabil sind und es gab keinen Grund um uber andere Wahlsystemtypen nachzudenken. Doch nachdem in einigen Landern die Herrschenden ihre Machtpositionen ausgenutzt haben und sich ihre Macht langfristig sicherten, anderte sich diese Meinung. In den Uberlegungen spielen nun auch gemischte Wahlsysteme eine Rolle, da sie durch ihre Kombinationsmoglichkeiten attraktive Reformoptionen schaffen (Kaiser 2002a: 1547).

2. Potential fur institutional engineering: In einem politischen System werden immer auch Akteursziele verfolgt. Bei gemischten Wahlsystemen gibt es nun sehr viele verschiedene Variationsmoglichkeiten, um diese Akteursziele (z.B. Umverteilung der politischen Machtressourcen) zu erreichen. Grund fur diese Variationsbreite ist, dass neben der Outputseite (Stimmen in Mandate) nun auch die Inputseite (Wahlerpraferenzen in Stimmen) betrachtet wird (Kaiser 2002a: 1549).

3. Konzeptionelle Grundlage fur die Analyse von Mikro- und Makroeffekten: Bisher wurden aufgrund der Spezialisierung auf die Outputseite nur Makroeffekte der Wahlsysteme beobachtet. Gemischte Wahlsysteme schaffen durch ihre zusatzliche Orientierung auf die Inputseite die Moglichkeit nun auch die Mikroeffekte zu betrachten und diese mit den Makroeffekten in Kombination zu setzen (Kaiser 2002a: 1549).

In der vorliegenden Hausarbeit soll nun die Fragestellung untersucht werden, welche politischen Auswirkungen auf der Mikro- und der Makroebene durch die Wahlrechtsreform zu erkennen sind. Dabei wird auf der Makroebene der Parteisystemeffekt untersucht. Der Wahlkreisorientierungs- und der Strategieeffekt sind der Mikroebene zuzuordnen und werden in dieser Arbeit schwerpunktmaBig betrachtet. Es gilt konkret zu untersuchen, wie stark die Effekte das politische System beeinflussen, welche Veranderungen genau erkennbar sind und ob diese positiv oder negativ fur Neuseelands Entwicklung zu sehen sind?

Zunachst wird im Folgenden die Entwicklung des Wahlsystems von 1993 bis heute beschrieben. AnschlieBend werden die zuvor genannten Effekte eines gemischten Wahlsystems untersucht und analysiert. In der Schlussbetrachtung werden die gewonnen Analyseerkenntnisse zusammengefasst, ein Fazit gezogen und ein Ausblick gegeben.

Grundlagenliteratur zum Reformprozess bieten Roland Abold (Die Wahlsysteme von Deutschland und Neuseeland), Andre Kaiser (Mehrheitsdemokratie und Institutionenreform) und Steffanie Richter (Modell Aotearoa). Da die Wahlsystemreform noch nicht allzu lange zuruck liegt, ist es schwer aktuelle Informationen und Erkenntnisse in wissenschaftlicher Literatur zu finden. Die letzten Wahlen von 2005 und 2008 sind meist nicht berucksichtigt. Dennoch bieten vor allem Karp und Vowles fundierte Artikel uber die Auswirkungen der Reform. Mit Daten der letzten beiden General Elections, zuletzt im September 2008, wird in dieser Arbeit versucht, die Ergebnisse aus der vorhandenen Literatur fortzuschreiben und mogliche Tendenzen in der Entwicklung zu erkennen. Dabei ist das Internet, insbesondere Regierungsseiten oder von wissenschaftlichen Institutionen betriebene Internetseiten, eine wichtige Informationsquelle und ein unverzichtbares Medium, da es die aktuelleren Zahlen enthalt und diese auch aufbereitet zur Verfugung stellt.

2. Die Wahlsystemreform von 1993

2.1 Das neuseelandische Wahlsystem bis 1993

Bis einschlieBlich der Parlamentswahl im Jahr 1993 wurden die Abgeordneten in Neuseeland mit einem relativen Mehrheitswahlsystem in Einerwahlkreisen gewahlt. Das heiBt konkret, dass Neuseeland in eine festgelegte Anzahl an Wahlkreisen eingeteilt war, in denen die Wahler ihre Abgeordneten bestimmen konnten. Die Wahlkreise werden ubrigens noch bis heute alle funf Jahre von einer unabhangigen Kommission uberpruft und den Migrationsbewegungen und der Bevolkerungsentwicklung angepasst (Richter 1993: 23). Eine Besonderheit war und ist, dass die Maori entscheiden konnen, ob sie in den allgemeinen oder in speziellen Maori-Wahlkreisen wahlen wollen (auch weiterhin im neuen Wahlsystem).

In den zuletzt 99 Wahlkreisen (1993), darunter 4 nur fur die Maori, hatte jeder Wahler eine Stimme und der Kandidat mit der relativen Stimmenmehrheit, also derjenige der die meisten Stimmen auf sich vereinte, wurde als Abgeordneter in das Parlament gewahlt. Die Stimmen fur die anderen Wahlkreiskandidaten waren wasted votes, da sie nicht zum Mandatsgewinn reichten und es keine proportionale Sitzverteilung gab, in welcher sie hatten berucksichtigt werden konnen (Richter 1991: 21).

In den Politikwissenschaften ist dies als The winner takes a//-Prinzip bekannt und fuhrt im Ergebnis zu einem Zwei-Parteiensystem. Denn durch dieses Prinzip haben nur groBe Parteien die Moglichkeit viele Mandate und somit eine Parlamentsmehrheit zu erringen. Kleine Parteien verfugen meist nur uber lokale Hochburgen und konnen hochstens dort in einzelnen Wahlkreisen wenige Mandate erringen.

Durch diese Konstellation wird bewusst bezweckt, dass in einem solchen FFP-System (First past the post) stabile Mehrheitsverhaltnisse und schlieBlich auch eine starke Regierung entstehen. Es werden also gewollt manufactured majorities geschaffen, damit das Land von einer starken Ein-Parteien-Regierung ohne Kompromissbildung regiert werden kann. In Neuseeland stellten daher seit 1943 immer entweder die Labour Party oder die National Party die Regierung (Kaiser 2002b: 465) Dabei gab es von 1943 bis 1993 immerhin 18 Wahlen, denn die Legislaturperiode Neuseelands betragt nur drei Jahre (http://www.elections.org.nz).

2.2 Der Reformprozess

Nun lasst sich die Frage stellen, warum es 1993 zu einer Wahlsystemreform kam, obwohl doch immer eine Partei alleine die Regierung stellte und uber komfortable Mehrheiten verfugte. Das Wahlsystem zeigte doch die gewunschte Wirkung, in dem es die manufactured majorities schuf und stabile Regierungen hervorbrachte. Es konnen zwei Grunde genannt werden:

1. 1978 und 1981 gewann die Labour Party nach prozentualen Stimmenanteilen gesehen die Parlamentswahlen auBerst knapp vor der National Party (40,4% zu 39,8% und 39,0% zu 38,8%). Dennoch stellte die National Party in beiden Legislaturperioden die Regierung, da sie deutlich mehr Wahlkreise als Labour gewann (40 zu 51 Sitze und 43 zu 47 Sitze) und so uber eine Mehrheit im Parlament verfugte (http://www.elections.org.nz). Dieser negative Gesichtspunkt der relativen Mehrheitswahl, dass eine Partei mit weniger Stimmen als eine andere am Ende mehr Parlamentssitze erhalten kann und somit eine Regierungsmehrheit besitzt, fuhrte dazu, dass die betroffene Labour Party die Forderung nach einer Wahlsystemreform in ihr Wahlprogramm aufnahm (Kaiser 2002b: 406-407).

2. Nachdem Labour 1984 die Wahl gewann, gab es in der neuseelandischen Bevolkerung Unmut uber die liberale Regierungspolitik, die sich mehr und mehr von den Bevolkerungswunschen entfernte. Auch ein erneuter Regierungswechsel 1990, wieder war die National Party an der Macht, anderte nichts an der von der Bevolkerung kritisierten policy. Dadurch entstand die Forderung nach einem neuen Wahlsystem, welches die Forderungen der Bevolkerung besser berucksichtigen wurde und auch mehr Kontrolle der Regierung bote, die mehr und mehr ihre eigenen Interessen durchsetzte (Kaiser 2002b: 407-409).

Wie oben erwahnt forderte die Labour Party in ihrem Wahlprogramm eine Wahlsystemreform. Da sie 1984 an die Macht kam, berief sie umgehend, wie zuvor bereits angekundigt, die Royal Commission on the Electoral System ein. Diese Kommission, besetzt mit unabhangigen Experten, sollte Vorschlage fur eine Wahlsystemreform erarbeiten. Dafur wurden Forschungsreisen unternommen um andere demokratischen Wahlsysteme in Augenschein zu nehmen und zu uberprufen, ob sie auf Neuseeland anwendbar sind und welche Effekte von ihnen zu erwarten sind (Richter 1999: 69-73). Im Endbericht sprach sich die Kommission im Dezember 1986 schlieBlich dafur aus, ein Mixed member proportional- System (MMP) einzufuhren, um so das Wahlsystem grundlegend zu reformieren (Report of the Royal Commission on the Electoral System 1986: 63). Durch ein neues Wahlsystem erhoffte sich die Kommission die Schwachen der relativen Mehrheitswahl auszugleichen, aber gleichzeitig auch ahnlich stabile Verhaltnisse zu schaffen (Richter 1999: 78).

Die nicht abflauenden Burgerproteste gegen das alte FFP-System, sowie ein Kommunikationsfehler im Wahlkampf der Parteien (Kaiser 2002b: 408), zwangen schlieBlich die National Party einen zweistufigen Referendumsprozess durchzufuhren. In einem ersten unverbindlichen Referendum ging es darum, sich ein Meinungsbild uber die gewunschte Reform zu verschaffen. So waren die Neuseelander 1992 dazu aufgerufen, daruber zu entscheiden, ob sie sich ein neues Wahlsystem wunschen oder nicht und wenn ja, welches System sie bevorzugen wurden. Bei einer Wahlbeteiligung von 55,2% sprachen sich 84,7% der Neuseelander fur ein neues Wahlsystem aus. In der genaueren Betrachtung forderten 70,5% der Wahler die Einfuhrung eines MMP-Systems, fur das Single Tranferable Vote- System stimmten 17,4%, fur das Alternative Vote-System 6,6% und fur das Supplementary Member-System 5,5% (Kaiser 2002b: 410). Daraufhin berief die neuseelandische Regierung fur 1993 das verbindliche Referendum ein. Dabei konnten sich die Wahler nur noch zwischen einer Reform hin zum MMP-System oder der Beibehaltung des alten FFP-Systems entscheiden. Die Wahlbeteiligung stieg bei dieser wichtigen Entscheidung auf 85,2%. Grund war aber auch die Zusammenlegung des Referendums mit der General Election.

Das Ergebnis fiel knapper aus, als das erste Referendum hatte erwarten lassen. 46,1% der Wahler sprachen sich fur das alte Wahlsystem und 53,9% fur das neue Mixed member proportional-System aus (Kaiser 2002: 410). Damit war die Wahlsystemreform beschlossene Sache und Neuseeland weltweit das erste Land welches von einem Mehrheits- zu einem Verhaltniswahlsystem gewechselt ist. In Kraft trat die Reform zur General Election im Jahr 1996, nachdem 1993 mit dem Electoral Act die Anderung endgultig beschlossen wurde.

2.3 Das neuseelandische Wahlsystem ab 1996

Der Wechsel von der Mehrheitswahl zur Verhaltniswahl ist eine sehr groBe Anderung in einem politischen System. Neuseeland entschied sich jedoch fur ein gemischtes Wahlsystem und konkret fur die personalisierte Verhaltniswahl nach deutschem Vorbild. So kommt es, dass noch einige Elemente des alten Wahlsystems erhalten blieben. Das gesamte neugefasste Wahlsystem wird nun nachfolgend erlautert.

Zunachst wurde durch die Reform die Mandatszahl von 99 auf 120 erhoht. Dies geschah, um die Reprasentationsmoglichkeiten der Bevolkerung zu erhohen und dem Parlament eine starkere Basis zu geben, um so die Regierung zu kontrollieren.

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die politischen Auswirkungen der Wahlrechtsreform in Neuseeland von 1993
Hochschule
Universität zu Köln  (Forschungsinstitut für politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Wahl- und Parteiensysteme im Vergleich
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
17
Katalognummer
V149865
ISBN (eBook)
9783640609345
ISBN (Buch)
9783640609536
Dateigröße
871 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wahlrecht, Neuseeland, Auswirkungen, Mehrheitswahl, Verhältniswahl, Wahlrechtsreform, Labour Party, National Party
Arbeit zitieren
Sebastian Schubert (Autor:in), 2009, Die politischen Auswirkungen der Wahlrechtsreform in Neuseeland von 1993, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149865

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