Folgende Forschungsfragen gilt es durch die nachfolgenden Analysen zu beantworten: Welche (vermeintlich) sprachwissenschaftlich fundierten Argumente werden im Diskurs um gendersensible Sprache geäußert? In welchen Kontexten und mit welchen sprachlichen Mitteln werden Bezüge zur Sprachwissenschaft realisiert? Wie stichhaltig sind die Argumentationen aus linguistischer Sicht? Die Arbeit befasst sich also speziell mit der Rolle von Sprachwissenschaft in Metadiskursen über gendersensible Sprache. Da in diesem Rahmen freilich nicht der gesamte Diskurs in seiner Totalität abgebildet werden kann, liegt der Fokus auf der empirischen Untersuchung öffentlicher Sprachreflexionen in den Sozialen Medien und konkret auf YouTube. Das eingangs erwähnte Video von Alicia Joe, in welchem sie ihre Kritik an der „Gendersprache“ linguistisch zu legitimieren versucht, bildet hierfür den Ausgangspunkt. Die im Kommentarbereich geäußerten Meinungen sowie die hieraus ableitbaren alltäglichen sprachbezogenen Wissensbestände über geschlechtergerechten Sprachgebrauch werden in einem Zusammenspiel von explorativen Methoden der Korpus- und Toposanalyse erfasst und ausgewertet.
Anfang 2022 ging ein Video der bekannten deutschen Influencerin und Meinungsbloggerin Alicia Joe auf YouTube viral, in welchem sie unter anderem sprachwissenschaftlich zu beweisen versucht, „[w]arum Gendersprache scheitern wird“ – so der Titel des Videos. Seitdem wurde es millionenfach aufgerufen, etwa 170.000 Mal geliket und mittlerweile fast 18.500 Mal kommentiert. Die Kommentare reichen von entschiedener Ablehnung und zum Teil auch sehr scharfer Kritik an der postulierten Wissenschaftlichkeit des Videos bis hin zu uneingeschränkter Zustimmung. Erfahrungsgemäß führt das Thema gendersensible Sprache zu heftigen und kontroversen Diskussionen in Politik, Wissenschaft, aber auch oder vor allem im öffentlichen Raum. Dabei erschöpft sich die Debatte recht schnell in wiederkehrenden Pro- und Contra-Argumenten ohne angemessene Berücksichtigung der linguistischen Forschung. In der vorliegenden Auseinandersetzung soll der Diskussion jedoch keine weitere sprachwissenschaftlich legitimierte Meinung hinzugefügt, sondern vielmehr das alltagsweltliche Sprechen über gendersensible Sprache als metadiskursive Sprachpraxis analysiert werden.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 1.1 Fragestellung und Vorgehensweise
- 1.2 Forschungsstand
- 2. Grundlagen der linguistischen Genderforschung
- 2.1 Möglichkeiten der genderbezogenen Personenreferenz im Deutschen
- 2.2 Das sogenannte generische Maskulinum
- 3. Positionen in der Debatte um gendersensible Sprache
- 3.1 Fachlinguistischer Diskurs
- 3.2 Laienlinguistischer Diskurs
- 4. Methodik und Methodologie
- 4.1 Grundlagen der Diskursanalyse
- 4.2 Methodische Vorgehensweise
- 4.2.1 Beschreibung des Untersuchungsmaterials
- 4.2.2 Datenakquise und -aufbereitung
- 4.2.3 Vorgehen bei der Datenanalyse und -auswertung
- 5. Empirischer Teil
- 5.1 Korpuslinguistische Exploration
- 5.2 Toposanalytische Untersuchung
- 5.2.1 Überblick und quantitative Befunde
- 5.2.2 „ich als angehender Lehrer“: Autoritäts-Topos
- 5.2.3 „nicht Teil der Rechtschreibreform“: Sprachnormen-Topos
- 5.2.4 „von oben der Gesellschaft aufoktroyiert“: Sprachwandel-Topos
- 5.2.5 „Sprache schafft Wirklichkeit“: Sprache-Wirklichkeit-Topos
- 5.2.6 „Lehrer war nie ein Wort bloß für Männer“: (Sprach-)Geschichts-Topos
- 5.2.7 „Auch im Englischen gibt es diese Diskussion“: Beispiel-/Analogie-Topos
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die Rolle der Sprachwissenschaft in öffentlichen Diskursen über gendersensible Sprache, insbesondere in den sozialen Medien. Ziel ist es, zu untersuchen, welche (vermeintlich) sprachwissenschaftlich fundierten Argumente verwendet werden, in welchen Kontexten und mit welchen Mitteln Bezüge zur Sprachwissenschaft hergestellt werden und wie stichhaltig diese Argumentationen aus linguistischer Sicht sind.
- Analyse der im Diskurs um gendersensible Sprache verwendeten sprachwissenschaftlichen Argumente.
- Untersuchung der Kontexte und sprachlichen Mittel, mit denen Bezüge zur Sprachwissenschaft hergestellt werden.
- Bewertung der Stichhaltigkeit der Argumentationen aus linguistischer Sicht.
- Empirische Untersuchung öffentlicher Sprachreflexionen auf YouTube.
- Anwendung von Korpus- und Toposanalyse zur Erfassung und Auswertung alltäglicher sprachbezogener Wissensbestände über gendersensible Sprache.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und beschreibt die Fragestellung und Vorgehensweise der Arbeit. Kapitel 2 beleuchtet grundlegende Aspekte der linguistischen Genderforschung, insbesondere die Möglichkeiten der genderbezogenen Personenreferenz und das generische Maskulinum. Kapitel 3 fasst den fachlinguistischen und laienlinguistischen Diskurs über gendersensible Sprache zusammen. Kapitel 4 erläutert die Methodik und Methodologie, inklusive der Grundlagen der Diskursanalyse und der konkreten methodischen Vorgehensweise.
Schlüsselwörter
Gendersensible Sprache, Sprachwissenschaft, Diskursanalyse, soziale Medien, YouTube, Korpuslinguistik, Toposanalyse, generisches Maskulinum, Sprachideologie, Laienlinguistik, Metadiskurs.
- Quote paper
- Anonym (Author), 2023, Sprachwissenschaft als argumentative Ressource in der Debatte um gendersensible Sprache, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1499514