Leseprobe
Gliederung
I. Einleitung
II. Untersuchung des Inhalts
1. Struktur äußerer Aufbau
a. Strophenaufbau
b. Gedichtsform
c. Reim
d. Rhythmus und Versmaß
2. Titel
3. Inhaltlicher Aufbau
4. Lyrisches Ich und Gegenstand der Betrachtung
5. Zentrale Aussage
a. erste Strophe
b. zweite Strophe
III. Bildlichkeit
IV. außertextliche Bezüge
1. Biographisches
2. zeitliche Einordnung
3. Anknüpfungspunkte und Vorbilder Mörikes
V. Mythologischer Hintergrund
VI. Der astronomisch-geophysikalische Vorgang
VII. Zusammenfassung
I. Einleitung
In dieser Arbeit wird das Gedicht „Um Mitternacht“ von Eduard Mörike (1804 – 1875) interpretiert. Das Gedicht entstand 1827 und fällt daher in die Zeit der Spätromantik, des Biedermeier und auch in die Zeit des beginnenden Symbolismus.
Bereits der optische Eindruck des Gedichtes ist ungewöhnlich, da es sich in der Aufteilung der zwei Strophen nicht um die konventionelle Schreibweise, sondern um eine abweichende, in der bestimmte Verse eingerückt sind, handelt.
Der erste Eindruck, den man von dem Gedicht hat, ist der, dass es sich um eine friedvolle und ruhige Beschreibung der Natur bei Nacht handelt. Es entsteht der Eindruck von Gemütlichkeit und Trägheit. Ferner drängt sich auch schon beim ersten Lesen des Gedichtes die Wichtigkeit der Zeit in diesem Gedicht auf. Mehrmals finden sich Elemente, die auf ein Verrinnen derselben hinweisen, wie zum Beispiel in den Versen sieben, acht und fünfzehn, sechzehn.
II. Untersuchung des Inhalts.
Im Folgenden sollen der Inhalt des Gedichts und damit auch die äußere Struktur im Mittelpunkt der Untersuchung stehen.
1. Struktur: äußerer Aufbau
Zur Struktur gehören der Strophenaufbau, die Gedichtsform sowie der Reim, die in diesem Teil untersucht werden sollen.
a. Strophenaufbau
Das Gedicht besteht augenscheinlich aus zwei gleich aufgebauten Strophen, die aus jeweils acht Versen bestehen. Die Strophen gliedern sich dabei schon optisch wiederum in zwei Teile. Während sich die ersten vier Zeilen als regelmäßiger Block darstellen, ist der zweite Teil der jeweiligen Strophe des Gedichtes erneut unterteilt. Die Zeilen fünf und sechs sind einfach eingerückt, während die Zeile sieben erneut eingerückt ist und erst Zeile acht wieder auf einer Position mit den Zeilen fünf und sechs beginnt. Diese Aufteilung wird auch in der zweiten Strophe übernommen, so dass beide Strophen, trotz ihrer unregelmäßigen Form, optisch symmetrisch sind. Durch die Einrückung im zweiten Teil des Gedichts und durch die unregelmäßige Zeilenlänge wird schließlich der Satzspiegel der zweiten Strophe aufgebrochen.
Durch den gleichlautenden Wortlaut der Verse sieben und acht und 15 und 16 sowie die ähnliche Gedankenführung in den Versen fünf, sechs und 13, 14 erinnern die zweiten Teile (fünf- acht und 13 – 16) an einen volksliedähnlichen Refrain, so dass letztlich auch von einer Zweistrophigkeit mit variierendem Refrain ausgegangen werden könnte.
b. Gedichtsform
Die rein optische Betrachtung des Gedichtes lässt auf die Form von Wellen oder auch von gleichmäßigen Zacken (eventuell die Stäbe eines Gartenzauns) schließen. Die Form, die jede Strophe für sich annimmt, ist dabei in symmetrischer Übereinstimmung mit der anderen Strophe, so dass eine Art Ausgeglichenheit in der Unruhe der Strophenform entsteht. Ob diese optischen Formen sich im Inhalt widerspiegeln werden, ist noch zu untersuchen und kann daher an diesem Punkt der Interpretation zurückstehen.
c. Reim
In dem Gedicht „Um Mitternacht“ verwendet Mörike den klassischen Paarreim. Dieser wird nur durch den identischen Reim in den Zeilen sieben und acht und fünfzehn und sechzehn variiert. Dadurch entsteht der ursprüngliche Ausdruck des Gleichmaßes und der Harmonie, gesteigert auch der der Monotonie.
d. Rhythmus und Versmaß
Mörike ist bekannt als der erste Dichter, der den Mut zu freien Rhythmen hatte. Auch in diesem Gedicht benutzt er den freien Rhythmus statt auf ein bestehendes Schema zurückzugreifen. In den ersten beiden Zeilen wird der Rhythmus durch den vierhebigen Jambus vorgegeben. Der Rhythmus spiegelt dabei auch den Inhalt des Gedichtes wieder, indem er den langsamen und gemächlichen Gang der Nacht wiedergibt. In den beiden folgenden Zeilen wird dieser langsame Gang der Sonne jedoch durch den nun eingesetzten fünfhebigen Jambus und den dadurch länger gewordenen Vers noch verlangsamt. Den Abschluss für dieses gelassene, ruhige Schreiten der Nacht bildet das Wort „ruhn“ am Ende der vierten Zeile. Dort kommt auch diese letzte ruhige Bewegung zum Erliegen und --- das Bild der „gleichen Schalen“ zum Stillstand der Dinge. An dieser Stelle soll hierbei der Verweis auf das Bild ausreichen. Es wird zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden.
Der zweite Teil der beiden Strophen bildet durch seinen Rhythmuswechsel das sprunghafte Gemurmel der Quellen direkt ab. Dieser unregelmäßige, schnelle Rhythmus wird auch als „hüpfender Dreitakt“[1] bezeichnet. Am Anfang des zweiten Teils der ersten Strophe wird zunächst der fünfhebige Jambus mit den Worten „und kecker“ wieder aufgenommen. Zunächst scheint also dasselbe Versmaß wiederaufgenommen zu werden und es entsteht der Eindruck von Fortführung. Dieser erste Eindruck geht jedoch nach diesen Worten sofort verloren, da der Jambus direkt im Anschluss in einen Daktylus übergeht. In den Zeilen sieben und acht wird dieser vierhebige Daktylus fortgesetzt, wenn man davon ausgeht, dass die Zeilen sieben und acht eine Einheit bilden. Der Zeilenumbruch verzögert in diesem Fall das Tempo jedoch erheblich und so kann die Strophe in den Vokalen „a“ und „e“ des Wortes „Tage“ ausklingen. Die Wiederholung des Wortes „Tage“ in der achten Zeile ist dabei in der Lage, die vorherige Unruhe der Strophe zu bändigen und erneut Ruhe einkehren zu lassen. Dabei findet eine Variation der siebenten in der achten Zeile statt. Die Unordnung, die in den Zeilen fünf und sechs entstanden ist, wird nun erneut in eine Ordnung und in eine Form überführt. Dies geschieht einerseits durch die Variation der siebenten Zeile und andererseits durch den Parallelismus in den Zeilen sieben und acht, der durch die Worte „vom“ und „Tage“ entsteht. Dabei besteht die jeweils vorletzte Zeile einer jeden Strophe aus einer verkürzten Zeile mit nur einer Hebung, die Amphibrachys genannt wird.
2. Titel
Der Titel des Gedichts „Um Mitternacht“ wurde meist als Bezeichnung eines Zeitpunktes verstanden, der in der vierten Zeile erreicht ist, nämlich, wenn „die Zeit in gleichen Schalen stille ruht“[2]. Von der ersten bis zur vierten Zeile entwickelt sich ein tatsächlicher Vorgang. Dieser wird von einem Wechsel der Zeitformen begleitet. Während Mörike in der ersten Zeile noch das Präteritum nutzt um den Vorgang zu beschrieben, ändert er die Zeitform bereits in der zweiten Zeile zum Präsens. Auch in den folgenden Zeilen findet sich nun das Präsens. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass das lyrische Ich mit einem Zeitpunkt abgeschlossen hat, vielmehr ist der Titel des Gedichts mehrdeutig aufzufassen. „Um Mitternacht“ bezeichnet in diesem Fall nicht nur den konkreten Zeitpunkt, sondern auch die Zeit, die „um Mitternacht herum“, das heißt die sich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang spannt. In dieser gesamten Zeitspanne treten der Tag und dessen Wirklichkeit hinter der Nacht zurück. Daraus lässt sich auch ableiten, dass in diesem Fall die Zeit ebenso wie die Nacht „ruhent“. Daher ist auch davon auszugehen, dass sich Zeile vier nicht auf die Mitternacht, sondern gerade auf die Dämmerung bezieht. Die Quellen rauschen im Hintergrund. Sie entspringen den Berghängen und erzählen der Nacht, was der jeweilige Tag brachte. Die Nacht ist dabei bereits von den Berghängen abgewandt, so dass die Quellen von hinten flüstern. Die Nacht blickt also aufwärts zum Sternenhimmel. Die akustischen Eindrücke der wechselnden Tageswirklichkeit einerseits, die sichtbare, ewig sich gleich bleibende Ordnung des Himmels andererseits sind beide auf sie bezogen.
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[1] Hübert, Gerda: Abend und Nacht in Gedichten, Diss.Heidelberg 1963, S.91.
[2] Heydebrand, Gewogene Zeit, S.49.