Varianzen in der erfolgreichen Einflussnahme auf Inhalte der Europäischen Kommission zwischen organisierten Interessen

Warum können Interessengruppen ihre Interessen unterschiedlich gut durchsetzen?


Seminararbeit, 2006

30 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zwei Hypothesen zur Erklärung von Varianzen zwischen organisierten Interessen bei der erfolgreichen Einflussnahme auf Inhalte der Europäischen Kommission
2.1 Zwei ausgewählte Theorien zur Untermauerung der Hypothesen
2.1.1 Die „Resource Dependence Theory“
2.1.2 Die „Interdependenztheorie der Gewalten“
2.2 Zwei konkurrierende Hypothesen
2.2.1 Die erste Hypothese, ihr Kausalmechanismus und die Operationalisierung der ersten unabhängigen Variable
2.2.1.1 Die erste Hypothese und ihr Kausalmechanismus
2.2.1.2 Die Operationalisierung der ersten unabhängigen Variable
2.2.2 Die zweite Hypothese, ihr Kausalmechanismus und die Operationalisierung der zweiten unabhängigen Variable
2.2.2.1 Die zweite Hypothese und ihr Kausalmechanismus
2.2.2.2 Die Operationalisierung der zweiten unabhängigen Variable
2.2.3 Zwischenfazit

3. Die empirische Überprüfung der Hypothesen allgemein und anhand eines Fallbeispiels
3.1 Allgemeine empirische Untersuchung der Hypothesen zur Erklärung von Varianzen in der erfolgreichen Einflussnahme von Interessengruppen auf die Europäische Kommission
3.2 Empirische Einzelfallstudie anhand der Konsultation zur Zukunft der Verfahrensweise im Verlagswesen: Die European Blind Union
3.2.1 Die „Consultation on future policy orientations for publishing“ (CPOP)
3.2.2 Die Interessengruppe “European Blind Union” als mitwirkender Akteur der Konsultation

4. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

„Wir kämpfen gegen die mächtige Lobby der Ölkonzerne“ (Vgl. Buchter in der ZEIT); „ Der Kanzler tut alles, um es sich mit keiner Lobby zu verscherzen“ (Vgl. Heuser in der ZEIT) – Dies sind nur zwei der zahlreichen Schlagzeilen, die den so oft erwähnten, so schwer überschaubaren Lobbyismus in den Fokus nehmen.

Lobbyismus bezeichnet die direkte Interessenvertretung von Verbänden, Firmen und anderen Interessengruppen in der Politik, welche hierbei direkt angesprochen wird oder anderweitig beeinflusst werden kann. Gerade im Europäischen Umfeld wurde dieser Begriff in der letzten Zeit jedoch immer negativer betrachtet. Als Vetternwirtschaft charakterisiert ist der Lobbyismus in vielen Köpfen als ein undurchsichtiges Phänomen verkommen, in dem Gruppen auf scheinbar undemokratischen Kanälen den Weg in die Politik suchen und finden. Allerdings ist er ein völlig legitimer Prozess in dem verschiedene Interessengruppen unterschiedlich effiziente Möglichkeiten nutzen, um ihre Interessen in der Europäischen Union zur Sprache zu bringen oder gar durchzusetzen.

Bei näherer Betrachtung der Einflussnahme von Interessengruppen auf die Europäische Union wird rasch deutlich, dass es eindeutige Varianzen darin gibt. Anders ausgedrückt, es gibt erhebliche Unterschiede in der Einflussnahme zwischen den einzelnen Interessengruppen. Manche Gruppen sind weitaus besser im „uploading“ ihrer Interessen auf die Ebene der Europäischen Union als andere. Insbesondere auch in den Medien wird dies schnell deutlich. Oben genannte Zitate stellen in den Vordergrund, dass beispielsweise die Lobby der Ölkonzerne weitaus mächtiger sein muss als andere. Warum ist das so? In der folgenden Arbeit soll dieser Varianz in der Einflussnahme von Interessengruppen auf die Europäische Union nachgegangen werden.

Hierzu muss zunächst ein konkreter Ausschnitt gewählt werden, in dem die wissenschaftliche Untersuchung stattfinden kann. Die Einflussnahme aller Interessengruppen auf alle Institutionen und Akteure der Europäischen Union zu erklären, würde den gegebenen Rahmen bei Weitem sprengen. Außerdem wäre das Ergebnis wenig signifikant, weil die Unterschiede innerhalb der Interessengruppen und der Europäschen Institutionen zu groß ist, um eine einheitliche Aussage treffen zu können, die kennzeichnend und gehaltvoll wäre. Darum wird diese Arbeit auf ein bestimmtes empirisches Puzzle eingeschränkt, das es nachzuvollziehen und zu lösen gilt: In folgender Untersuchung soll die Varianz der erfolgreichen Einflussnahme von Interessengruppen auf die Europäische Kommission über Länder hinweg erklärt werden.

Der Grund hierfür ist, dass bei Behandlung der Thematik rasch deutlich wird, dass Interessengruppen besonders unterschiedlichen Einfluss auf die Europäische Kommission ausüben können. Zu erkennen ist beispielsweise daran, dass manche Interessengruppen an beratenden Gremien der Kommission beteiligt sind, andere nicht und wiederum andere in den ausschlaggebenden Registern gar nicht auftauchen. (Vgl. Europa - Coneccs) Wenn man dies als Ausgangspunkt wählt, wird allerdings schnell klar, dass die Gründe hierfür nicht sofort zu erkennen sind, sondern eingehender Untersuchung bedürfen.

Um die Untersuchung außerdem nicht zu verfälschen, wird der Einfluss der Interessengruppen über unterschiedliche europäische Länder hinweg betrachtet, da bei näherer Betrachtung schnell bemerkbar wird, dass der Einfluss der Interessengruppen auf die Kommission in erheblichem Maße von der Systemstruktur des jeweiligen Landes abhängig ist. (Schmidt 1997: S. 137 ff.) So gibt es beispielsweise im etatistischen Frankreich völlig unterschiedliche Möglichkeiten der Einflussnahme als beispielsweise im korporatistischen System der Bundesrepublik Deutschland oder im eher pluralistischen System Großbritanniens.

Deswegen soll in der folgenden Arbeit ein Raster über die Untersuchung gelegt werden, welches die Analyse über die Systemstrukturen einzelner Länder hinwegsetzt. Das heißt, die Vergleiche müssen zwischen „Transeuropäischen“ Organisationen gezogen werden, um Verzerrungen aufgrund der unterschiedlichen Systeme zu vermeiden. Dies hat zur Folge, dass es nicht die unterschiedlichen Systeme der Länder sind, die die Varianz des Einflusses erklären, sondern es andere Gründe geben muss, die über die Länder hinweg existieren. Denn auffällig ist, dass auch über die einzelnen Länder hinweg eine ausgeprägte Varianz in der Einflussnahme von organisierten Interessen auf die Europäische Kommission herrscht.

Die konkrete Fragestellung lautet also: Wie ist der unterschiedliche Einfluss von Interessengruppen auf die Europäische Kommission über die Länder hinweg zu erklären und zu beurteilen? Hierbei ist die abhängige Variable der Untersuchung der Einfluss der Interessengruppen auf die Europäische Kommission über unterschiedliche Länder hinweg.

Im Folgenden sollen zunächst unabhängige Variablen gefunden werden, die zur Erklärung der Varianz hilfreich sein könnten. Hierbei werde ich mich auf zwei Theorien stützen, aus denen ich im Weiteren zwei Hypothesen ableiten kann. Nachdem die Hypothesen erläutert, der Kausalmechanismus nachvollzogen und die Variablen operationalisiert sind, geht die Arbeit in einen empirischen Teil über. Hier wird überprüft, ob die unabhängigen Variablen sinnvoll gewählt sind, und – wenn ersteres bejaht werden kann – welche Hypothese die Unterschiede in der erfolgreichen Einflussnahme von organisierten Interessen auf die Europäische Kommission besser erklären kann. Dieser empirische Teil wird in die Studie eines Fallbeispiels übergehen, in dem die Hypothesen im Speziellen anhand einer bestimmten Interessengruppe nachgezeichnet und überprüft werden.

Die Arbeit schließt mit einem Fazit ab, indem die Arbeit noch einmal knapp zusammengefasst wird, und somit der Bogen zur einleitenden Fragestellung geschlossen wird.

2. Zwei Hypothesen zur Erklärung von Varianzen zwischen organisierten Interessen bei der erfolgreichen Einflussnahme auf Inhalte der Europäischen Kommission

Im folgenden Kapitel werden zwei konkurrierende Hypothesen zur Erklärung von Varianzen zwischen organisierten Interessen bei der erfolgreichen Einflussnahme auf die Europäische Kommission vorgestellt. Der Vorteil von konkurrierenden Hypothesen ist, dass im Nachhinein besser erkannt werden kann, welche der beiden Hypothesen besser geeignet ist, die Varianzen in der Einflussnahme zu erklären. Wenn die Hypothesen nicht konkurrieren würden, könnten auch beide Hypothesen gleich gut für die Erklärung sein – bzw. es wäre nicht erkennbar, welche Hypothese vorzuziehen ist.

Um beide Hypothesen ableiten zu können, bedarf es zunächst der Heranziehung zweier konkurrierender Theorien, die die Hypothesen, bzw. die daraus folgenden unabhängigen Variablen untermauern können.

2.1 Zwei ausgewählte Theorien zur Untermauerung der Hypothesen

2.1.1 Die „Resource Dependence Theory“

Die erste Theorie, die an dieser Stelle vorgestellt wird, ist die „Resource Dependence Theory“. Diese Theorie besagt, dass Organisationen nicht in der Lage sind, sich bestimmte Ressourcen selbst zu beschaffen oder zu besitzen. Daher sind sie auf andere Organisationen angewiesen. Beispielsweise sind sie abhängig von bestimmten Informationen, die nur andere liefern können, da sie selbst – aufgrund fehlender finanzieller Mittel oder Personalmangel – nicht die Möglichkeit haben, sie sich zu beschaffen. Dadurch entstehen Abhängigkeiten zwischen Organisationen, die jedoch nicht immer gleich groß sind, da dies von der Einzigartigkeit der „gelieferten“ Information abhängig ist. Dies führt zu schwierigen Machtbeziehungen, die schwer auszugleichen sind. Ziel jeder Organisation ist es deshalb, diese Abhängigkeiten so gering wie möglich zu halten. (Bowen 2002: S. 382)

2.1.2 Die „Interdependenztheorie der Gewalten“

Die zweite Theorie, die in diesem Zusammenhang genannt werden soll, ist die „Interdependenztheorie der Gewalten“. Diese besagt, dass die Regierungsfähigkeit der Europäischen Union in Bezug auf „positive Integration“, also die marktregulierende und -korrigierende Politik[1], durch ihre eigene institutionelle Struktur begrenzt ist. Jede initiierte Gesetzesvorlage muss durch das „Nadelöhr“ (Pollack 1997: 575) des EU-Ministerrats und dort abgestimmt werden. Dadurch, dass der Ministerrat eine rein intergouvernementale Institution ist – also nur von (gewählten) Vertretern der einzelnen Mitgliedstaaten besetzt ist – ist es schwierig Entscheidungen durchzusetzen, die die Wirtschaft der Staaten schwächen oder gar gefährden könnte. (Pollack 1997: S. 575) Jeder der Minister achtet in seiner Entscheidungsfindung auf das wirtschaftliche Wohl seines eigenen Staates. Dadurch entscheiden sich die Akteure selten für marktregulierende Politik, die den eigenen Wirtschaftsstandort gefährden könnte.

2.2 Zwei konkurrierende Hypothesen

2.2.1 Die erste Hypothese, ihr Kausalmechanismus und die Operationalisierung der ersten unabhängigen Variable

2.2.1.1 Die erste Hypothese und ihr Kausalmechanismus

Aus der „Resource Dependence Theory“ kann man ableiten, dass eine Interessengruppe eines bestimmten Staates umso mehr Einfluss auf die Europäische Kommission hat, je mehr einzigartige Expertise sie besitzt. Die erste hier vorgestellte unabhängige Variable ist also der Grad der Einzigartigkeit des Expertenwissens einer Interessengruppe, die in unserem Fall dichotom operationalisiert wird, also entweder hoch oder niedrig sein kann. Die Operationalisierung wird jedoch im weiteren Verlauf noch expliziter behandelt.

Je exklusiver, spezieller und einzigartiger das Expertenwissen einer Interessengruppe also ist, desto mehr Einfluss kann sie auf die Europäische Kommission nehmen. Die Randbedingung hierbei ist, wie aus der Resource Dependence Theory ableitbar, das „Management Deficit“ der Europäischen Kommission. (Greenwood 2003: S. 46) Dieses Management Deficit bedeutet, dass die Kommission aufgrund von zu wenig Personal und fehlenden finanziellen Mitteln nicht die Möglichkeit hat, sich genug Expertenwissen anzueignen. Dieses braucht sie, um sachgerechte Entscheidungen fällen zu können und als Folge davon fachgerechte Rechtsvorschläge initiieren zu können. (Greenwood 2003: S. 46)

Wenn eine Interessengruppe also eine große, einzigartige Expertise besitzt, die wenig andere Interessengruppen neben ihr aufweisen können, kommen ihr auch wenig konkurrierende Gruppen in den Weg zur Einflussnahme auf die Kommission. Mit anderen Worten: Es existiert eine Art Angebots- und Nachfragemechanismus, der die Einflussnahme bestimmter Interessengruppen auf die Kommission steuert. Das heißt, die Kommission fragt bestimmtes Expertenwissen nach, und entsprechend dem Angebot haben es die Interessengruppen einfacher ihre Interessen in der Kommission durchzusetzen, deren Sachthema inhaltlich eine Nische bildet, in der wenig andere Interessengruppen einen Platz gefunden haben.

2.2.1.2 Die Operationalisierung der ersten unabhängigen Variable

Die unabhängige Variable dieser ersten Hypothese ist, wie bereits erwähnt, der Grad der Einzigartigkeit der Expertise einer Interessengruppe. Um diese Variable konkret operationalisieren zu können muss zunächst festgestellt werden, wie sie ausgestaltet werden soll. In unserem Fall des Grades der Einzigartigkeit der Expertise ist es sinnvoll die Variable dichotom zu operationalisieren. Das heißt, dass in dieser Ausarbeitung zwischen hoher Einzigartigkeit der Expertise und niedriger Einzigartigkeit der Expertise unterschieden wird.

Um diese dichotome Ausgestaltung an Zahlen festzumachen, muss zuerst der Register der aufgelisteten Interessengruppen, die an der Entscheidungsfindung der EU-Kommission beteiligt sind, in den Fokus genommen werden. (Europa- CONNECS) Hier kann man bei näherer Betrachtung und thematischer Einordnung erkennen, dass manche Inhalte der Interessengruppen mehrmals vorkommen und andere nur einmal. Beispielsweise gibt es auf europäischer Ebene nur eine Vereinigung, die sich mit der Herstellung und Verarbeitung von Glas befasst (Verband der Glashersteller), jedoch fünf Vereinigungen, deren Sachthema die Herstellung, Förderung und Verarbeitung von Gas ist (Vgl. Europa- Connecs; List of organisations by policy area: Energy). Dies ist ein Beispiel von vielen und dient der Erkenntnis, dass es große Unterschiede in der Anzahl von Interessengruppen in unterschiedlichen Bereichen gibt.

Nun zur tatsächlichen Operationalisierung. Es soll festgehalten werden, dass der Grad der Exklusivität der Expertise einer Interessengruppe als hoch gelten kann, wenn sich nur eine Interessengruppe mit einem bestimmten Sachthema befassen[2]. Als niedrig gilt der Grad der Exklusivität der Expertise einer Interessengruppe, wenn sich insgesamt zwei oder mehr Interessengruppen mit ihrem bestimmten, speziellen Sachthema befassen.[3]

2.2.2 Die zweite Hypothese, ihr Kausalmechanismus und die Operationalisierung der zweiten unabhängigen Variable

2.2.2.1 Die zweite Hypothese und ihr Kausalmechanismus

Aus der zweiten diskutierten Theorie, der „Interdependenztheorie der Gewalten“, kann die zweite Hypothese abgeleitet werden. Diese besagt, dass eine Interessengruppe umso höheren Einfluss auf die Europäische Kommission hat, je „wirtschaftsnäher“ ihr spezielles Sachthema ist. Mit dem Begriff „wirtschaftsnah“ ist gemeint, wie inhaltlich nah sie am Bereich der Wirtschaft liegt. Beispielsweise ist eine Interessengruppe, die sich mit der Integration von behinderten Kindern befasst, der Wirtschaft wesentlich ferner, als zum Beispiel eine Gruppe, die sich um die Arbeitgeberinteressen der chemischen Industrie kümmert. Mit wirtschaftsnah ist an dieser Stelle damit nicht unbedingt die wirtschaftliche (und/oder finanzielle) Stärke einer Interessengruppe gemeint.

Im System der EU herrscht eine Interdependenz zwischen ihren Institutionen. Kommission, Ministerrat, Europäisches Parlament und der EU-Gerichtshof können nicht unabhängig und losgelöst von den anderen betrachtet werden. Die „Gewalten“ der EU sind nicht eindeutig getrennt und die Möglichkeit der EU, den geschaffenen Markt zu regulieren[4], also positive Integration zu betreiben, ist durch ihre eigene institutionelle Struktur limitiert.

Die Europäische Kommission ist damit indirekt abhängig von den einzelnen Wirtschaftslagen und Wirtschaftsinteressen ihrer Mitgliedstaaten. Dadurch, dass alle von ihr initiierten Entscheidungen vom EU-Ministerrat abgestimmt werden müssen, ist sie in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt. (Pollack 1997: S. 575) Die Kommission als supranationale Institution ist damit vom Ministerrat als intergouvernementale Organisation abhängig. Die Minister der einzelnen Länder ihrerseits haben wenig Entscheidungsfreiheit, was den wirtschaftlichen Bereich betrifft. Sowohl durch Grenzöffnung[5] und den durch die EU geschaffenen Europäischen Binnenmarkt, als auch durch die voranschreitende globalisierte wirtschaftliche Handlungsfreiheit müssen die Staaten den Unternehmen und wirtschaftlichen Interessengruppen wesentlich mehr Zugeständnisse machen, als eigentlich beabsichtigt. Jedes Land fürchtet mit der Einführung von Regulierungen die eigene wirtschaftliche Schwächung. Infolgedessen ist es für die Minister des Landes schwierig, Entscheidungen zu fällen, die der reinen Marktschaffung, also der negativen Integration, entgegenwirken.

Damit haben wirtschaftliche Interessengruppen vor eher sozialen „diffusen“ (Pollack 1997: S .572ff.) Interessengruppen den enormen Vorteil, dass ihr „Drohpotential“ ein wesentlich höheres ist. Demzufolge haben sie mehr Einflussmöglichkeiten auf die Europäische Kommission als andere weniger wirtschaftsnahe Interessengruppen: Die so genannten „peripheren Interessen“ (Ebd.) werden in den Hintergrund gedrängt.

2.2.2.2 Die Operationalisierung der zweiten unabhängigen Variable

Zunächst muss auch hier die Ausgestaltung der unabhängigen Variable festgelegt werden. Hier bietet es sich ebenfalls an, die Ausgestaltung als dichotom, also zweigliedrig zu determinieren.

Es soll also festgehalten werden, dass es zum einen „wirtschaftsnahe“ Interessengruppen gibt und zum anderen „wirtschaftsferne“ Interessengruppen. Diese Einordnung mag zunächst einen holzschnittartigen Eindruck machen, bei näherer Betrachtung erweist sie sich jedoch als sinnvoll. Im Wesentlichen kann man fast jede Interessengruppe einer der beiden Sparten zuordnen. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen, die jedoch in unserer Untersuchung nicht ins Gewicht fallen dürfen.

Um auch diese Ausgestaltung konkret festzulegen muss wiederum das Register der Interessengruppen die auf die Europäische Kommission Einfluss nehmen, betrachtet werden. Die Interessengruppen sind hier – neben der Sortierung nach Politikfeldern – auch nach Organisationsart sortiert. (Vgl. Europa-Connecs) So gibt es neun unterschiedliche Organisationsarten, die man jeweils der wirtschaftsnahen (bzw. Arbeitgeber-) oder der wirtschaftsfernen (bzw. Arbeitnehmer-) Seite zuordnen kann. Als wirtschaftsnah kann man folgende Organisationsarten bezeichnen: Arbeitgeberverbände, Produktionsverbände, Dienstleistungsverbände. Als sozial oder auch wirtschaftsfern kann man folgende Verbände bezeichnen: Gewerkschaften, soziale Nichtregierungsorganisationen und weltanschauliche Interessengruppen. Keiner Gruppe eindeutig zuzuordnen sind die Berufsverbände, die Politischen Interessensverbände und die Vereinigung von Behörden.

Für unsere Operationalisierung ist dies insoweit hilfreich, als dass man jede Interessengruppe einer dieser Organisationsarten zuordnen kann und sie somit der einen oder anderen Seite zuordnen kann: So ist beispielsweise die „Union of European Soft Drinks Association“ (aus der Gruppe der Produktionsverbände) eher der wirtschaftsnahen Seite zuzuordnen, während der Interessenverband „Alzheimer Europe“ (aus der Gruppe der Nichtregierungsorganisationen) der wirtschaftsfernen Seite beizuordnen ist. Die Organisationen, die nicht eindeutig zuzuordnen sind, werden in der folgenden Untersuchung weggelassen, sie stehen inmitten der beiden operationalisierten Ausprägungen, sind also weder nur wirtschaftsnah, noch wirtschaftsfern.

2.2.3 Zwischenfazit

An dieser Stelle muss nun erläutert werden, warum die beiden vorgestellten Hypothesen konkurrierend sind, und was diese Konkurrenz für die nachfolgende Empirie bedeuten kann.

Die Konkurrenz der beiden Hypothesen besteht darin, dass ein Verband, der rein wirtschaftliche Interessen vertritt oftmals wenig Einzigartigkeit besitzt. Die bereits erwähnte „Union of European Soft Drinks Association“ besitzt nicht die Einzigartigkeit der Gruppe „Alzheimer Europe“. Mit Exklusivität ist hier unter anderem gemeint, dass der Sachbereich, den die Interessengruppe behandelt, wenig bekannt und erforscht ist. Die „Union of European Soft Drinks Association“ vertritt die Interessen einer breiten Masse an Soft-Drink-Produzenten. Sie ist nur deshalb so wirtschaftlich stark und einflussreich, weil ihr Potential bekannt ist und auch das behandelte Thema nicht völlig unerforschtes und damit unbekanntes Terrain ist. Ein völlig neues „einzigartiges“ Thema wäre demnach nicht durch so viele wirtschaftliche Akteure vertreten, es müsste sich auf dem Markt erst etablieren. Als fiktives Beispiel kann man hier folgendes anbringen: Wenn beispielsweise ein Soft-Drink-Produzent ein völlig neues Produkt entwirft – wie beispielsweise eine völlig neuartige, aber noch ungeprüfte Mischmaschine – wird er sie nicht sofort vermarkten können. Damit ist dieses Interesse der Vermarktung dieser neuen Maschine auch nicht in die „Union of European Soft Drinks Association“ mit aufgenommen. Es fehlt die Masse, die hinter diesem Produkt steht. Somit kann zwar der einzelnen Produzent der Kommission sein Wissen vermitteln, wenn er die Möglichkeit dazu hat, die ganze Interessengruppe jedoch wird dieses „exklusive Expertenwissen“ nicht schnell genug in ihre Agenda aufnehmen. Wenn dieses exklusive Expertenwissen in die Interessengruppen aufgenommen wird, ist es meist nicht mehr allzu exklusiv und einzigartig, sodass auch andere Akteure danach befragt werden könnten.

[...]


[1] „Positive Integration“ bedeutet die Regulierung eines geschaffenen Marktes (negative Integration) aufgrund der Angst vor Marktversagen. In diesem Zusammenhang soll sie besonders als Schutz der Arbeiter und anderer, meist sozialer Interessen verstanden werden.

[2] Wie zum Beispiel die Vereinigung der Glashersteller.

[3] Wie beispielsweise der Europäische Verband für technische Gase.

[4] Dies wäre für mehrere Dinge notwendig, unter anderem auch für den Schutz von „peripheren“ Interessen und Arbeitnehmerinteressen.

[5] Die Freiheit des Personenverkehrs, des Kapitalverkehrs, des Dienstleistungsverkehrs und der freie Warenverkehr sind prägnante Beispiele hierfür.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Varianzen in der erfolgreichen Einflussnahme auf Inhalte der Europäischen Kommission zwischen organisierten Interessen
Untertitel
Warum können Interessengruppen ihre Interessen unterschiedlich gut durchsetzen?
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Nationale Interessen auf dem Weg nach Europa
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
30
Katalognummer
V150196
ISBN (eBook)
9783640613458
ISBN (Buch)
9783640613526
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europäische Kommission, Interessengruppen, Varianzen, Einflussnahme von Interessengruppen, Europäische Union, EU, EC
Arbeit zitieren
Maike Schölmerich (Autor:in), 2006, Varianzen in der erfolgreichen Einflussnahme auf Inhalte der Europäischen Kommission zwischen organisierten Interessen , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/150196

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