Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II.1 Siegfrieds Hilfe bei der Werbung um Brünhild
II.2 Siegfrieds Stratordienst
II.3 Was wissen Siegfried und Brünhild wirklich voneinander?
II.3.1 Brüche in der Erzählstruktur
II.3.2 Erklärung für die Brüche
III. Siegfried in der Rolle Brünhilds Meisters
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Spricht man von dem um 1200 entstandenen Epos ´Das Nibelungenlied`, steht häufig die Frage nach den Gründen für den Untergang im Vordergrund. Daß diese Gründe sich schon im wiederholten Betrug von Siegfried und Gunther an Brünhild manifestieren, ist offensichtlich. Durch den Betrug bei den Wettkämpfen, wie den in der Hochzeitsnacht, bei dem beide Male Siegfried anstelle von Gunther agierte, wurde der Grundstein für eine Realität gelegt, die unwahr ist. Brünhild kennt eine Realität, in der Siegfried der Vasall Gunthers ist. Dies ist für Brünhild unabdingbar, da es durch Wort und Tat Siegfrieds bezeugt wird. In Kriemhilds Wahrheit ist Siegfried Gunther jedoch nicht nur ebenbürtig, sondern noch stärker, noch prächtiger, noch mutiger, da Siegfried es als Einziger vermag, Brünhild zu bezwingen. Auch wenn Siegfried dies Kriemhild gegenüber nicht äußert, so schenkt er ihr doch Brünhilds Ring und Brünhilds Gürtel. Diese Symbole Brünhilds Macht unterstreichen den Wahrheitsgehalt von Kriemhilds Realität. Aus diesen beiden Realitäten wird im weiteren Verlauf also ein Frauenzank ausbrechen, der fatale Folgen hat. Nämlich sowohl die Ermordung Siegfrieds, als auch den finalen Untergang nahezu aller Beteiligten. Es scheint als würde Siegfried dadurch „selbst zum Verursacher seines eigenen Todes“[1]. Denn sowohl der Stratordienst, als auch der Betrug bei den Wettkämpfen und in der Hochzeitsnacht, bauen unterschiedliche, von der Realität abweichende, Wahrheiten auf. Diese Wahrheiten werden einerseits ausformuliert durch schlichte Lügen, wie Gunther sî mîn herre, / und ich sî sin man (386), andererseits aber auch durch Taten und Symbole, wie den Raub von Brünhilds Ring und Gürtel, untermalt. Beide, Brünhild und Kriemhild, glauben demnach an für sie wahre Realitäten, da ihnen diese vorgespielt werden. Hierauf liegt der erste Schwerpunkt. Während damit zumindest ein Teil der Erklärung für den Untergang geliefert wurde, rückt vielmehr die Frage ins Zentrum, welche Rolle Siegfried bei Gunthers Brautwerbung spielt. Hierbei ist es einerseits interessant, Siegfrieds Gründe genauer zu untersuchen, andererseits aber auch die Brüche in der Erzählstruktur zu erkennen und zu deuten. In Folge dessen drängt sich vor allem die Frage nach der Beziehung zwischen Siegfried und Brünhild auf und der Einfluß anderer Sagenkreise auf eben dieses Verhältnis.
Der zweite Schwerpunkt liegt folglich auf der Beziehung zwischen Brünhild und Siegfried. Geht man von dem Einfluß verschiedener Sagenkreise auf das Nibelungenlied aus, so läßt sich die Beziehung zwischen den beiden aus verschiedener Sicht deuten. Unklar ist nämlich in jedem Fall, warum Siegfried den Weg nach Isenstein kennt, warum er soviel von Brünhild weiß und warum Brünhild Siegfried zuerst begrüßen will, obwohl doch alle Zeichen darauf hindeuten, dass Gunther der Werber ist. Die Frage die sich hier aufdrängt ist die Frage, ob Brünhild nur in Siegfried ihren Meister gefunden hat, und ob die Antwort darauf die eben aufgezeigten Brüche zu deuten vermag.
Abschließend werden dann im Fazit die Ergebnisse der einzelnen Analysen aufgegriffen und zusammengeführt um die Frage nach Siegfrieds Rolle bei der Werbung um Brünhild zu beantworten.
Die Zitate aus dem „Nibelungenlied“ stammen alle aus derselben Quelle[2] und werden deshalb nur mit Strophenangaben versehen. Um ein einheitliches Bild zu schaffen werden die Namen, die in der Sekundärliteratur teilweise durch unterschiedliche Schreibung variieren, vereinheitlicht und in Zitaten in [ ] angegeben.
II.1 Siegfrieds Hilfe bei der Werbung um Brünhild
Der vordergründige Anlaß für Siegfrieds Hilfe bei Gunthers Brautwerbung zeichnet sich schon zu Beginn des Epos ab. Der junge Siegfried aus Xanten will nämlich gegen den Rat seines Vaters nach Worms reisen, um dort um die Königin Kriemhild zu werben, von deren Schönheit er gehört hat und die seit dem sein Herz beherrscht. Als Siegfried am Wormser Hof ankommt, will er Dienst im Sinne der Hohen Minne leisten, doch dieser Dienst, der das Warten auf Kriemhild und die damit verbundene Treue zu dieser beinhaltet, „bringt ihn nicht weiter, er muss sich durch Taten bewähren, durch seine Hilfe für Gunther im Sachsenkrieg und beim Wettkampf mit“[3] Brünhild, um um Kriemhild zu werben. So wird Siegfried, der für Gunther nach dem gewonnenen Sachsenkrieg nicht mehr länger nur Gast, sondern Freund geworden ist, um dessen Hilfe bei der Werbung um Brünhild gebeten. Aus dieser Bitte entsteht ein Handel nach dem Schema quid pro quo – Siegfried hilft Gunther um Brünhild zu werben und im Gegenzug erhält er die Hand Kriemhilds. Siegfrieds Begleitung nach Isenstein ist deshalb notwendig, weil nur er den Weg nach Isenstein kennt, und um Brünhild Bescheid weiß (sît im daz ist sô kündec, / wíe ez um Prünhilde stât (331) und daz was ir deheinem / niwan Sîvride erkant (382)). Um seinen Minnedienst zu leisten, begleitet Siegfried Gunther bei der Werbungsfahrt. Dabei wird sich diese Unterstützung auf vielfältige Weise vollziehen und den zweifachen Betrug an Brünhild beinhalten. Somit ist Siegfrieds Minne „an seinem Untergang schuld, indem sie ihn veranlaßt, seine verhängnisvolle Rolle beim Betrug [Brünhilds] zu spielen“[4].
Nachdem Siegfried also erfolgreich den Weg nach Isenstein geführt hat, erklärt er, bevor Gunther und seine Männer das Land betreten, die wichtigste Regel für das Gelingen der Werbungsfahrt. Siegfried sagt Gunthers Männern, daß sie alle einheitlich beteuern sollen Gunther sî mîn herre, / und ich sî sin man (386), womit er meint, dass Siegfried selbst Gunthers Lehnsmann mimt. Desweiteren will Siegfried seine inferiore Stellung dadurch untermauern, daß er Gunther den Stratordienst leistet, welcher „aus dem Führen des Pferdes und Halten des Zaumes beim Aufsitzen, eventuell auch dem Steigbügelhalten besteht.“[5] Der Stratordienst wird deshalb auch Steigbügeldienst genannt.
Ir wâren niwan viere, / die komen in daz lant.
Sîfrit der küene / ein ros zôch ûf den sant;
daz sahen durch diu venster / diu waeltlîchen wîp.
des dûhte sich getiuret / des künec Guntheres lîp. (396)
Er habt` im dâ bî zoume / daz zierlîche marc,
gúot únde schoene, / vil michel unde starc,
unz der künic Gunther / ín den sátel gesáz.
alsô diente im Sîfrit, / des er doch sît vil gar vergaz. (397)
Der Grund für diese Herabstufung Siegfrieds wird klar, als Brünhild Siegfried als ersten begrüßen will. Denn obwohl sie erst vorgibt, keinen der Ankömmlinge zu kennen, geht sie bei der Begrüßung auf Siegfried zu und will diesen als ersten begrüßen. Dies würde Siegfried jedoch als Werber auszeichnen. Um solch eine Auszeichnung zu verhindern und so weiterhin Minnedienst zu leisten, hat Siegfried sich im Vorfeld schon in aller Öffentlichkeit zu Gunthers Lehnsmann degradiert. Seine Bekundung, daß Gunther sein Herr sei, zeigt Brünhild, daß nicht Siegfried zur Werbung gekommen ist, sondern Gunther. Also will sie mit Gunther die Wettkämpfe bestreiten, deren Bestehen die Voraussetzung für eine Heirat ist. Hierbei ist Gunther jedoch nicht stark genug, Brünhild zu bezwingen. Deshalb macht Gunther lediglich die Gesten, und Siegfried führt – unsichtbar unter seiner Tarnkappe – die Bewegung aus. Von diesem Betrug wissen jedoch ausschließlich Gunther und Siegfried. Alle Anderen glauben, Siegfried befände sich auf dem Schiff und würde die Kämpfe verpassen. Da Brünhild bezwungen wird, muß sie mit Gunther nach Worms reisen um dort seine Braut zu werden. Brünhild ist jedoch noch nicht völlig bezwungen. In der Hochzeitsnacht verstößt sie Gunther aus dem Ehebett und hängt ihn an einem Nagel an der Wand auf. Wegen des ersten betruges bei den Wettkämpfen kann Gunther sich niemandem anvertrauen außer Siegfried. Er bittet also erneut um Siegfrieds Unterstützung. Dieser Bitte kommt der Held aus Xanten nach und folglich wir Brünhild in ihrer zweiten Hochzeitsnacht erneut durch Siegfried überwältigt, anstatt durch Gunther. Brünhild muß demzufolge glauben, in Gunther ihren wahren Bezwinger gefunden zu haben. Auch dieser zweite Betrug an der isländischen Königin wird im Verborgenen vollzogen. Wiederum trägt Siegfried die Tarnkappe und zusätzlich ist es dunkel im Zimmer. Gunther ist aber die ganze Zeit über anwesend. Dadurch ist gewiss, daß Gunther derjenige ist, der Brünhild die Jungfräulichkeit nimmt, nachdem Siegfried sie von Gürtel und Ring – den Symbolen ihrer Macht – befreit hat. Diese beiden Symbole Brünhilds Macht schenkt Siegfried Kriemhild, wenn sie zusammen nach Xanten gehen. Was Siegfried da nicht als Gefahr erkennt, wird zum Verhängnis, wenn sich Kriemhild und Brünhild später über verschiedene Wahrheiten streiten. Brünhild hält Siegfried für Gunthers Vasallen, da er sich selbst als eben diesen bezeichnet hat, als er auf Isenstein begrüßt wurde. Kriemhild hält Siegfried Gunther nicht nur für ebenbürtig, sondern sogar für kühner, da es Siegfried war, der Brünhild bezwingen mußte, weil es Gunther nicht möglich war. Aus diesen beiden Wahrheiten resultieren schwerwiegende Vorwürfe. Brünhild erklärt Kriemhild als Leibeigene, als eigen diu (838), was sie auf Siegfrieds Aussage zurückführt. Als Reaktion darauf wehrt sich Kriemhild mit der Beschuldigung, Brünhild sei Siegfrieds kebse (839), was sie durch Brünhilds Ring und Gürtel, die sie von Siegfried erhalten hat, untermauert. Um Brünhild erneut zu zeigen, daß Kriemhild nicht weniger Ansehen verdient als Brünhild, und daß Kriemhild ebenso wenig wie Siegfried eigen diu (838) ist, zieht Kriemhild vor Brünhild ins Münster ein und vergrößert damit Brünhilds Schmach um ein Vielfaches. Da Hagen sich verpflichtet fühlt, die Schmähung seiner Königin zu rächen, ermordet er Siegfried. Dieser wurde nämlich von Hagen beschuldigt, sich fälschlicherweise der Entjungferung Brünhilds gerühmt zu haben. Damit nimmt das Unheil seinen Lauf. „Aus hoher minne ist so minne mit hohem Risiko geworden“[6], welche Teil eines Machtspiels ist und die durch verschieden inszenierte Realitäten zum Verhängnis aller wird.
II.2 Siegfrieds Stratordienst
Der erste Schwerpunkt soll nun Siegfrieds Stratordienst behandeln. Hierbei stellen sich ein paar zentrale Fragen.
Warum ist der Stratordienst für die Könige so bedeutsam? Was bedeutet er zu dieser Zeit vor einem mittelalterlichen Publikum? Welche Auswirkungen hat die Standeslüge auf das weitere Geschehen? Und abschließend die Frage, warum tut Siegfried das für Gunther?
Als Siegfried mit Gunther, Hagen und Dankwart Isenstein erreicht, sagt er diesen, sie sollten beteuern, daß Gunther Siegfrieds herre (386) sei und Siegfried damit Gunthers man (386). Um dies noch zu verdeutlichen erweist Siegfried Gunther den Stratordienst. Wenn das Wort man zwar in der Bedeutung von Mann bis Vasall variieren kann, so bezeichnet es doch nie den König[7]. Und da die Behauptung durch den Steigbügeldienst unterstrichen wird, wird deutlich, daß Siegfried nicht als Ebenbürtiger Gunthers auftritt, sondern vielmehr als dessen man. Wenn dieses Abhängigkeitsverhältnis also auch nicht weiter definiert wird, so ist doch offensichtlich, daß Siegfried sich degradiert. Eine genaue Differenzierung der Begriffe findet sich im Nibelungenlied auch nicht an anderen Stellen. Das genaue Abhängigkeitsverhältnis zwischen herre und man scheint sich aus dem Kontext zu ergeben[8]. Im Falle der Standeslüge ist dieser Kontext also der Stratordienst.
[...]
[1] Haustein, Jens: Siegfrieds Schuld. In: ZfDA 122 (1993), S. 382.
[2] Bartsch, Karl: Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch. Stuttgart 2002.
[3] Müller, Jan-Dirk: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes. Thübingen: Niemeyer 1998, S. 401.
[4] Müller, Jan-Dirk: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes. Thübingen: Niemeyer 1998 S. 399.
[5] Haustein, Jens: Siegfrieds Schuld. In: ZfDA 122 (1993), S. 380.
[6] Müller, Jan-Dirk: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes. Thübingen: Niemeyer 1998, S. 402.
[7] Vgl. Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. Stuttgart: Hirzel, 1992, S. 133.
[8] Vgl. Schulze, Ursula: Gunther si min Herre, und ich si sin man. Bedeutung und Deutung der Standeslüge und die Interpretierbarkeit des ´Nibelungenliedes`. In: ZfDA 126 (1997)
S. 44/45.