Die Kritik am "real existierenden Sozialismus" der DDR in der utopischen DDR Science Fiction Literatur der 1980er Jahre

Vergleich der Romane "Andymon. Eine Weltraumutopie" von Angela und Karlheinz Steinmüller und das "Das Kugeltranszendentale Vorhaben" von Johanna und Günter Braun


Hausarbeit, 2010

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Utopische Gesellschaftsformen im Gegensatz zum Sozialismus
2.1. „Das Kugeltranszendentale Vorhaben“
2.2. Die humanistische Utopie „Andymons“

3. Bedeutung und Funktion des Individuums
3.1. Die Personlichkeitsentfaltung auf „Andymon“
3.2. DerVerlust der Individualitat durch den „Fonformismus“

4. Genre und Kurzanalyse

5. Schluss: Die Botschaft

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Literatur der DDR der 1980er Jahre sah sich Bedingungen gegenuber, welche durch die DDR Kulturpolitik von Verboten und Kontrolle gepragt waren.[1] Das literarische Wirken wurde begrenzt. Durch die Androhung von Sanktionen wie Zwangsausburgerung wollte die DDR die Moglichkeit Kritik am „real existierenden Sozialismus“[2] zu uben, unterbinden, da Stimmen eindeutiger Ablehnung, nicht laut werden konnten.[3]

Der Literatur wurde eine grofie Bedeutung beigemessen. Der SED Staat war uberzeugt, ,,die Literatur konne die Entwicklung der Gesellschaft bestimmen“.[4] Die politische Fuhrung seit Honeckers Amtszeit war auf eine zustimmende Literatur angewiesen, weil sich der ,,real existierende Sozialismus“ „seiner selbst nicht sicher war und den Protest furchtete“.[5] Der Staat lebte in ,,standiger Angst vor der moglichen Autonomie der Literatur“.[6] Diese Funktion beeintrachtigte die Hochliteratur dahingehend, dass sie oft stumm bleiben musste und zur Selbstzensur genotigt wurde.[7] Die „Nationalliteratur“ sah sich demnach gezwungen, anderen Distributions-, Produktions-, und Rezeptionsweisen zu folgen und auf andere Betrachtungs-, und Bewertungssysteme auszuweichen. Literaten entdeckten fur sich die Unterhaltungsliteratur, die bis Ende der 1980er Jahre allgemein oft noch als „trivial“ galt, in diesem Sinne auch die Science Fiction. War sie in der DDR bis Mitte der 70er Jahre nur unterhaltend, so wurde sie nun mit philosophischen und gesellschaftsthematisierenden Darstellungen vermengt, die den Unterhaltungswert im funktionalen Sinne in den Hintergrund schoben. Somit wurde der Science Fiction der 1980er Jahre die Funktion zugesprochen, durch das Stilmittel der Verfremdung opponieren zu konnen.[8]

Im Folgenden werden exemplarisch die Science Fiction Romane „Das kugeltranszendentale Vorhaben“ (1983) von Johanna und Gunter Braun und ,,Andymon. Eine Weltraumutopie.“ (1982) von Angela und Karlheinz Steinmuller dahingehend gepruft und verglichen, inwiefern sie Kritik am „real existierenden Sozialismus“ der DDR uben. Jener, weil er nie in der DDR veroffentlicht werden durfte und Letzterer, weil es unzensiert erfolgreich war.

Auf die Deutung der Hauptaussagen wird fokussiert. Die zahlreichen Details, deren Verfremdung diskutabel sind, werden vereinzelt argumentativ berucksichtigt.

2. Utopische Gesellschaftsformen im Gegensatz zum Sozialismus

2.1. „Das Kugeltranszendentale Vorhaben“

,,Das kugeltranszendentale Vorhaben“ (nachfolgend auch „KTV“ genannt) ist im gleichnamigen Roman ein Ratsel, das durch das „Institut“ angestrebt und als erfolgsversprechende Utopie angepriesen wird.

Das Vorhaben kann als ein utopisches Gesellschaftsmodell verstanden werden, da es das Wohlergehen aller Bewohner sichern soll. Jedoch wird das konkrete Konzept des „Vorhabens“ nie definiert. Stattdessen wird der „Fonformismus“[9] ins Leben gerufen, da er die wesentliche Voraussetzung fur das KTV bedeutet.[10] Der „Fonformismus“ ist die gesellschaftliche Ubergangsphase in der sich die Bewohner „Menschler“ (menschenahnliche, extraterrestrische Wesen) des Planeten Kugel 37a befinden[11] und kann als Analogie zum „real existierenden Sozialismus“ verstanden werden:

„Womoglich herrscht hier das Wort. Die Grundlage der Kugel 37a- Gesellschaft mag das Wort sein. Diese Gesellschaft ist aufWorten aufgebaut, [.. ,]sie scheint aus Worten ihre Kraft zu ziehen, aber in der Art, dass es hier niemals heifien wurde, es werde Licht und es ward Licht, sondern: wortlich wurde gesagt es ist Licht, demzufolge ist Licht.“[12]

Im „Institut“ werden Wortkonstruktionen kreiert. Menschen und „Menschler“ werden rekrutiert, um zur ,,Abgabe vonVerbalien“ gezwungen zu werden, welche dem ,,kugeltranszendentalen Vorhaben“ dienlich sind. Anschliefiend werden die selektierten „Verbalien“ den „Menschlern“ durch „Verbal-Hygiene-Pillen“ buchstablich in den Mund gelegt, wie auch Schriftzuge produziert, die alle offentlichen Raume und Platze saumen. Die Bewohner werden dadurch „gefonformt“.[13] Dabei wird verborgen, was eine Person tatsachlich denkt, da sie nur „gefonformte“ Aussagen tatigen kann. Des Weiteren werden diese „Verbalien“ auch als Zeichen genutzt, deren Objektjedoch ausreichend als „Verbalexistenz“ existiert und nicht empirisch vorhanden oder begrundet sein muss:[14]

Ein Schuhgeschaft wird als solches verstanden, weil Schuhgeschaft am Gebaude vermerkt steht und Schriften mit dem Wort „Schuh“ das Geschaft ausfullen, obwohl es keine Schuhe anbietet oder verkauft.[15]

Wichtige Bauvorhaben werden als „kurz vor der Vollendung“ verkundet, wodurch Fortschritt und Wachstum bewiesen werden soll, obwohl das Bauvorhaben nicht vorhanden ist.[16]

Das angepriesene KTV wird als erfolgsversprechend und den anderen Kugelplaneten, wie auch der Erde, als uberlegen propagiert und muss es demnach sein, da es so bezeichnet wird.

Das etwas scheint zu sein genugt, als tatsachlich zu sein.[17]

Das Kritikpotential des Romans manifestiert sich darin, dass er durch den „Fonformismus“ die Propaganda des ,,real existierender Sozialismus“ entlarvt: „Gleichwohl propagierte die SED-Fuhrung weiterhin unentwegt die Uberlegenheit der sozialistischen Planwirtschaft“, obwohl die schlechte wirtschafts- und politische Situation, durch Beweise untermauert, nicht zu ubersehen war. Daruber hinaus hatten die gezielten Tauschungen die Wirkung, dass der bevorstehende Zusammenbruch der sozialistischen Staatsmacht ,,vielen vollig unglaubhaft erschien, ja einen Schock bedeutete.“ Gleichzeitig zeigte sich, dass die Bevolkerung nicht frei uber das Regime urteilen durfte, denn das System sanktionierte oppositionelle Aussagen mit Unterdruckung und Gewalt. Sie sahen sich somit gezwungen „politisch-ideologische Leer- Formeln“ nachzusprechen.[18]

Die Parallelen zwischen der fiktiven und realen Wirklichkeit zeigen, dass das „KTV“ die Propaganda - Die Ubermacht des Wortes- angreift.

Die Macht des Wortes wird in ihrer Konsequenz durchdacht:

Wenn „Verbalien“ die Wirklichkeit ersetzen, anstatt sie zu reprasentieren, zu reflektieren, und eine Gesellschaft entsteht deren Gedanken zensiert werden und der angepriesene Fortschritt gar nicht tatsachlich vorhanden ist, wird durch die Worthulsen, denenjegliche Konsistenz entwichen ist, die Welt zur „lacherlichen Verbalexistenz“, welche letztendlichjeglichen Bezug bzw.jegliche Bedeutung verliert.[19]

Doch der „Fonformismus“ halt am „KTV“ fest. Dieses Ziel, kann nur durch die Herrschaft des Wortes erreicht werden.

Hier zeigt sich weiterhin, dass auch das „KTV“ als Analogie fungiert. Als Analogie zur Utopie des Kommunismus. Das „KTV“ wird,je intensiver das Wort Handlungen und Gegenstande ersetzt, als kurz vor der Erfullung angesehen.[20]

[...]


[1] Vgl. Mitteldeutscher Rundfunk. Anstalt des Offentlichen Rechts. In: Damals im Osten. Mitteldeutschland. 1945 bis heute. Lexikon der DDR III. URL:

http://www.mdr.de/damals/lexikon/1520097.html (Datum des letzten Zugriffs: 28.01.2010)

[2] Der real existierende Sozialismus versteht sich als konkrete Utopie, welche sich als Ubergangsform ausgehend vom Kapitalismus,zum Marxistisch-Leninismus (Kommunismus) sieht. Vgl. Schonamasgruber, Hans Jurgen. Das Scheitern des realexistierenden Sozialismus und seine Ursachen. Konsequenzen fur eine neue sozialistische Perspektive. (Diskussionspapier von 1990) In: Glasnost Archiv. Dokumentationssystem fur Gesellschaftstheorie, Geschichte und Politik. URL: http://www.glasnost.de/autoren/schoen/urealsoz.html (Datum des letzten Zugriffs: 20.02.2010)

[3] Vgl.Deutschland in den 70er/80er Jahren. In: Information zur politischen Bildung 270. Hrsg. von Bundeszentrale fur politische Bildung. Munchen: Franzi's print & media GmbH 2001, S.25, S.28

[4] Vgl. und Zitat: Brettschneider, Werner: Zwischen literarischer Autonomie und Staatsdienst. Die Literatur in der DDR. 2.Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1974, S.19

[5] Die Regierung hatte seit Mitte der 1970er Jahre mit einer wirtschaftlichen Dauerkrise zu kampfen, und propagierte weiterhin die Uberlegenheit des sozialistischen Wirtschaftssystems. U.a. war es dieser Widerspruch der zu Verunsicherungen in der Bevolkerung fuhrte, und den Kulturschaffenden als Nahrboden fur oppositionelle Aussagen diente; Vgl. Deutschland in den 70er/80er Jahren. In: Information zur politischen Bildung, S. 24 ff:

[6] Vgl. und Zitate Brettschneider, W.: Zwischen literarischer Autonomie und Staatsdienst. S. 19­S. 21

[7] Vgl. Ebd. S. 18, S. 20

[8] Vgl. Hartung, Thomas: Die Science Fiction der DDR von 1980 bis 1990. Magdeburg: Helmuth- Block-Verlag 1992, S. 1, S. 24 - S.27ff

[9] Der Begriff „Fonformismus“ kann - wie im weiteren Verlauf implizit untermauert wird - als Verfremdung (Assonanz) verstanden werden zum Begriff„Konformismus“ („Konformismus: 1. Ubereinstimmung mit der herrschenden Meinung. Konformistisch: 2. sich der herrschenden Meinung anpassend.“ Wahrig. Fremdworterlexikon. (6. Auflage) Munchen: Deutscher Taschenbuch Verlag 2007, S.520)

[10] Vgl. Braun, Johanna u. Gunter Braun: Das Kugeltranszendentale Vorhaben. Baden-Baden: Suhrkamp Verlag 1983 (= Phantastische Bibliothek 109), S. 117, S. 118, S. 97ff

[11] Vgl. Braun, J.u.G.: Das Kugeltranszendentale Vorhaben, S. 97

[12] Ebd. S. 131

[13] Vgl. Ebd., S.73ff, S. 95ff

[14] Vgl. Ebd. S 80, S.96, S.158, S.170

[15] Vgl. Ebd. S.143ff

[16] Vgl. Ebd S. 183ff

[17] Vgl. Braun, J.u.G.: Das Kugeltranszendentale Vorhaben S. 73ff, 95ff, S.155, S.157

[18] Vgl. Deutschland in den 70er/80er Jahren. In: Information zur politischen Bildung S.28; Zitat S. 27 S.43

[19] Vgl. Braun, J.u.G.: Das Kugeltranszendentale Vorhaben, S. 172, S.174ff; Zit. nach S. 178

[20] Vgl. Ebd. S. 207ff

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Kritik am "real existierenden Sozialismus" der DDR in der utopischen DDR Science Fiction Literatur der 1980er Jahre
Untertitel
Vergleich der Romane "Andymon. Eine Weltraumutopie" von Angela und Karlheinz Steinmüller und das "Das Kugeltranszendentale Vorhaben" von Johanna und Günter Braun
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Neue deutsche Literatur)
Note
1,7
Autor
Jahr
2010
Seiten
18
Katalognummer
V150559
ISBN (eBook)
9783640621330
ISBN (Buch)
9783640621583
Dateigröße
435 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
DDR, Literatur, Science Fiction, Kritik, Sozialismus, Verfremdung, Steinmüller, Germanistik, Literaturwissenschaften, Hausarbeit, Utopie, utopische Science Fiction, 80er Jahre, 1980, Braun, Vergleich
Arbeit zitieren
Denise Cassim (Autor:in), 2010, Die Kritik am "real existierenden Sozialismus" der DDR in der utopischen DDR Science Fiction Literatur der 1980er Jahre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/150559

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