Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Fallbeispiel – Ausgangssituation für ein Elterngespräch
2 Grundlagen der lösungsorientierten Gesprächsführung
2.1 Der lösungsorientierte Ansatz nach Steve de Shazer und Insoo Kim Berg
2.2 Menschenbild und Grundannahmen
2.3 Methoden der lösungsorientierten Gesprächsführung
2.3.1 Lösungsorientiertes Zuhören
2.3.2 Ressourcensuche
2.3.3 Lösungsorientierte Fragetechniken
2.3.4 Gesprächsabschluss
3 Elterngespräche lösungsorientiert geführt
3.1 Voraussetzungen der lösungsorientierten Gesprächsführung
3.2 Aufbau und Struktur eines lösungsorientierten Elterngesprächs zum Fallbeispiel
Literaturverzeichnis
Einleitung
Ohne Eltern geht es nicht, aber wie geht es gemeinsam? Eltern sind die Experten für ihr Kind. Elternarbeit in der Kita ist damit eine Grundlage für die pädagogische Arbeit mit den Kindern und gleichzeitig eine Herausforderung für Erzieherinnen. Pluralisierte familiäre Lebensformen und Belastungspotenziale durch Schwierigkeiten in unterschiedlichen Lebenssituationen erfordern von der außerfamiliären Kinderbetreuung eine verstärkte Konzentration auf begleitende, entlastende, präventive und kompensatorische Aufgaben. Für eine gelingende Zusammenarbeit ist eine dialogische Grundhaltung nötig, um die Unterstützung kindlicher Bildungsprozesse als gemeinsame Aufgabe zu begreifen. Die Zusammenarbeit mit den Eltern hat nicht punktuell, sondern kontinuierlich über die gesamte Zeit des Aufenthalts in der Kita zu erfolgen. Das bedeutet Anstrengungen auf beiden Seiten, um erreichbare Ziele bestimmen und erfüllen zu können. (vgl. Der Sächsische Bildungsplan, 2007, 145ff)
Die Praxis zeigt, dass sich eine erfolgreiche Zusammenarbeit oft schwierig gestaltet, besonders mit Eltern, die unkooperativ erscheinen, deren Kinder „auffällig“ sind und deren Erziehungsansichten mit den pädagogischen Ansichten der Erzieherin opponieren. Gespräche mit den Eltern dienen dann zum Beispiel dazu, Defizite aufzudecken und darzulegen, was die Erziehungsberechtigten im Umgang mit ihrem Kind verändern müssen oder was mit den Kindern noch geübt werden sollte. „Das Denken in Kausalzusammenhängen ist tief in uns verwurzelt, und gerade in der Arbeit mit Eltern geraten Berater schnell in eine Position, implizit oder explizit kausale Zuschreibungen zu machen, in der Form, die Eltern seien in irgendeiner Weise verantwortlich für oder gar schuldig an dem beklagten Zustand.“ (Omer/Schlippe, 2006, 85) Diese Vorgehensweise „verhärtet die Fronten“, Eltern ziehen sich noch mehr zurück und eine vertrauensvolle und gewinnbringende Zusammenarbeit zum Wohle des Kindes ist nicht möglich. „Erziehung kann nur zusammen geschehen: Pädagogen, Eltern und Kinder müssen einverstanden sein über das Ziel, das es zu erreichen gilt und über den Weg, der dort hinführt.“ (Baeschlin, 2008, 12)
Dazu müssen neue Wege gefunden werden, wie über Eltern nachgedacht und wie mit ihnen gesprochen wird, wie Eltern respektiert werden und wie dieser Respekt ausgedrückt wird. (vgl. Omer/Schlippe, 2006, 85)
Die theoretische Auseinandersetzung mit dem lösungsorientierten Denk- und Handlungsmodell und meine Erfahrungen aus der Praxis brachten mich zu dem Glauben, dass das von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg entwickelte Modell eine hervorragende Alternative zur herkömmlichen Praxis der Kommunikation und der Arbeit mit Eltern in der Kita darstellen könnte. Es ist besonders interessant, da es von einer konstruktivistischen Sichtweise ausgeht und nach Ressourcen und Lösungen an Stelle von Problemen und Defiziten sucht.
In der vorliegenden Arbeit werde ich den lösungsorientierten Ansatz näher betrachten und am Beispiel eines Elterngesprächs der Frage nachgehen, ob sich dieser Ansatz eignet, eine wertschätzende und ressourcenorientierte Zusammenarbeit von Elternhaus und Kita zu ermöglichen.
Kapitel eins stellt als Grundlage ein Praxisbeispiel dar - eine Ausgangssituation für ein Elterngespräch. Kapitel zwei beschreibt die Kernpunkte des lösungsorientierten Ansatzes und Methoden der lösungsorientierten Gesprächsführung. In Kapitel drei wird auf Voraussetzungen zum Gelingen lösungsorientierter Gesprächsführung eingegangen und ein lösungsorientiertes Elterngespräch konstruiert. Die Schlussbetrachtung dient der Reflexion dieses fiktiven Beispiels.
In den Ausführungen werden der Einfachheit halber die männliche und weibliche Form zwanglos gemischt. Jede Aussage gilt für beide Geschlechter.
1 Fallbeispiel – Ausgangssituation für ein Elterngespräch
Julian (Name geändert) ist 5 Jahre alt und seit einem halben Jahr in unserem Kinderhaus. Seine Mutter, Frau W., hat noch 3 jüngere Kinder, lebt von Hartz 4 und ist alleinerziehend. Julian war erst in einer anderen Kita. Dort wurde Frau W. der Betreuungsvertrag gekündigt, da Essengeldschulden aufgelaufen waren, Julian oft wochenlang nicht in die Kita kam und ein aggressives Verhalten zeigte.
In unserem Kinderhaus ist er in eine altersgemischte Gruppe integriert. Frau W. ist den Erzieherinnen gegenüber verschlossen, meidet Kontakte und Gespräche weitgehend. Eine Zusammenarbeit gestaltet sich schwierig. Julian gegenüber wird sie schnell ungeduldig, schreit ihn an, wenn er sich nicht beeilt oder entwicklungstypische Verhaltensweisen zeigt. Sie bringt ihn oft sehr unregelmäßig ins Kinderhaus, manchmal tagelang überhaupt nicht oder erst gegen Mittag. Julian kann sich dadurch nur schwer in Spielgruppen integrieren oder soziale Kontakte aufbauen und hat so eine Außenseiterposition inne. Von der Erzieherin angesprochen, dass es für Julian wichtig wäre, regelmäßig und früher ins Kinderhaus zu kommen, reagierte Frau W. aggressiv - sie könne kommen, wann sie wolle und früh schliefen sie halt lange. Zu zwei vereinbarten Terminen für ein Elterngespräch erschien Frau W. nicht. An einem Dienstagnachmittag kam Frau W. dann doch zur vereinbarten Zeit mit den Worten: „Aber sie brauchen mir gar nichts zu erzählen, die in dem andern Kindergarten haben auch schon immer auf mir und meinem Kind rumgehackt.“
Soweit das Fallbeispiel. Insoo Kim Berg schreibt dazu: „Dementsprechend ist der Widerstand von Familien oder Klientinnen am größten, wenn ihnen das umfassendere System vorhält, was sie falsch machen und Abänderungen verlangt und die Familie zudem niemanden um Hilfe gebeten hat oder den Wert der Veränderungen nicht sieht.“ (Berg, 2006, 63) Dies scheint bei Frau W. eine Rolle zu spielen. Widerstand aber, eine Verweigerung der Mitarbeit, bedeutet nicht, dass das Gegenüber nicht will. Es bedeutet vielmehr, dass es so nicht kann. Steve de Shazer schrieb dazu in einem Artikel „Widerstand gibt es nicht, Widerstand ist eine Form der Kooperation.“ (de Shazer, zitiert nach Baeschlin, 2007, 38 ) Eine lösungsorientierte Gesprächsführung könnte in diesem Fall dazu beitragen, eine vertrauensvolle Basis zwischen Erzieherin und Frau W. aufzubauen und damit die nötige Grundlage für eine zielorientierte Zusammenarbeit im Hinblick auf die Eröffnung weiterer Entwicklungschancen für Julian zu schaffen.
2 Grundlagen der lösungsorientierten Gesprächsführung
2.1 Der lösungsorientierte Ansatz nach Steve de Shazer und Insoo Kim Berg
Im Jahr 1978 gründeten Steve de Shazer und seine Frau Insoo Kim Berg ein Kurzzeit-Familien-Therapie-Zentrum in den USA, das „Brief Family Therapy Center Milwaukee Wisconsin“ (BFTC). Zahlreiche Beobachtungen des Verhaltens ihrer Klienten und Videoanalysen der Therapiegespräche ließen einen Widerspruch zwischen ihren erlernten Theorien und ihren Beobachtungen entstehen. Sie erkannten, dass jeder Klient sich seine eigene Wirklichkeit konstruiert und nach den Schlüssen lebt, die er daraus zieht.
Ausgehend von ihren Erfahrungswerten in der therapeutischen Arbeit und beeinflusst durch Milton Erickson, die Mailänder Schule und den Forschungen am Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto (Watzlawick, Weakland, Fisch u.a.) entwickelten de Shazer, seine Frau und ihr Team das Modell der lösungsorientierten Kurztherapie. (vgl. Baeschlin, 2008, 15)
Ein Hauptunterschied zu bis dahin vorherrschenden Therapiemodellen besteht darin, dass hierbei Lösungen und Wege durch den Klienten entwickelt werden und nicht von den beratenden Menschen. Weiterhin kennzeichnend für den lösungsorientierten Ansatz, ist die indirekte Konzentration auf das Ziel in Form der Konstruktion einer Lösung, „wobei nicht versucht wird, eine Erklärung für Ursprung, Entstehungsgeschichte oder Erhalt des Problems zu finden.“ (Stollnberger, 2009, 63)
Steve de Shazer und Insoo Kim Berg demonstrierten und lehrten bis zu ihrem Tod 2005 bzw. 2007 ihr Modell auf der ganzen Welt. Ihr Anliegen war es, dass lösungsorientiertes Denken und Handeln in der Therapie, Pädagogik, Sozialarbeit, Wirtschaft und Medizin immer mehr Anwendung findet. (vgl. ebd., 63)
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